Leseprobe – Die Piratenbraut von Scandus


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Kapitel 1

2615
Die Erde

Alasdair Taggert schlug so wütend mit der Faust auf den Tisch, dass das Datenpad, das darauf lag, einen Sprung machte und gefährlich nah an die Kante rutschte.

Kjell Durnin zog die Augenbrauen hoch und fragte sich, ob es sich gleich der Schwerkraft beugte und zu Boden fiel. Oder ob Taggert Glück hatte und es liegen blieb. Bis zu seinem nächsten Wutausbruch zumindest.

»Er ist uns schon wieder entkommen!«, donnerte er ungehalten.

Die Ader an seiner Stirn war gefährlich angeschwollen, und Durnin hegte schon die irrige Befürchtung, sie könne platzen. Das war natürlich Blödsinn, aber bei der Vorstellung, wie das Blut auf ihn spritzte, zuckte er unwillkürlich zusammen. Taggert war für seinen Jähzorn berüchtigt. Gerüchten zufolge hatte er nicht nur einmal das Mobiliar seines Büros vor Wut kurz und klein geschlagen und aus dem Fenster geworfen.

»Er ist nicht nur entkommen, er hat auch eines unserer Patrouillenschiffe gestohlen«, warf Cormach Brogan ein, setzte sich und legte völlig ungeniert seine Füße auf den niedrigen Couchtisch.

Der Chief in Command wandte den bulligen Kopf mit dem Doppelkinn und funkelte ihn wütend an. Wenn Blicke hätten töten können, wäre Brogan mit Sicherheit keine zwei Sekunden später mit einem Herzinfarkt auf den Boden gerutscht und dort gestorben.

Qualvoll natürlich, um das Ganze nicht so einfach zu machen.

Aber Brogan war einer der besten Star Marshals des Corps und genoss gewisse Freiheiten. Wenn Durnin es recht bedachte, bewegten sich diese sogar außerhalb des geltenden Rechtssystems. Was zählte, war der Erfolg und der Zweck heiligte bekanntlich die Mittel.

Taggert schnaubte. »Ja! Das dritte, das wir in diesem Monat an diese gottverdammten Piraten verloren haben!«

Brogan nahm sich einen Apfel aus der silbernen Schale, biss geräuschvoll hinein und kaute mit offenem Mund. »Und es ärgert Sie besonders, weil es direkt vor Ihrer Nase passiert ist, nicht wahr?«, grinste er.

Ungehalten ob dieser verbalen Dreistigkeit schob Taggert unsanft Brogans Stiefel vom Tisch, wo sie eine unansehnliche Dreckspur hinterließen. »Wenn Sie nicht einer meiner besten Männer wären, dann …«

»Dann was? Würden Sie mich vom Dienst suspendieren? Vor ein Gericht stellen? Oder was?«

Durnin bewunderte Brogan im Stillen. Er selbst hätte sich eher die Zunge abgebissen, anstatt so mit seinem Vorgesetzten so zu reden. Zum Glück war er nur Taggerts Sekretär, ein winzig kleines Licht, das kaum Beachtung fand. Manchmal, wie jetzt gerade, nahm Taggert seine Anwesenheit nicht einmal zur Kenntnis. Was ihm eigentlich im Moment auch ganz recht war.

»Überspannen Sie den Bogen nicht, Brogan!«

Schwer ließ Taggert sich in den ledernen Sessel fallen, der bedenklich unter ihm knarrte.

Brogan warf den Rest des Apfels auf den Tisch und wischte sich die Hand an seiner Hose ab.

»Man nennt ihn nicht umsonst den ›Korsar‹!«

»›Bukanier‹ oder ›Flibustier‹ wäre passender!«, erwiderte Taggert. »Oder glauben Sie, dass er einen Kaperbrief der NEO-Hanse hat?«

Cormach lachte auf. »Wundern würde es mich nicht. Die haben ihre Finger doch überall drin.« Er beugte sich vor. »Haben Sie mich deshalb herzitiert? Um nach Verrätern in den eigenen Reihen Ausschau zu halten?« In seinen blaugrauen Augen blitzte es auf.

»Nicht direkt.« Taggert gab Durnin einen Wink, der daraufhin aus der Ecke hervortrat.

»Sir?«

»Geben Sie Specialist Brogan die Unterlagen!«

»Jawohl, Sir!« Er reichte Cormach das Datenpad, das er die ganze Zeit in den Händen gehalten hatte. Der Star Marshal nahm es seufzend entgegen und überflog den Inhalt der ersten Datei. Sein Gesichtsausdruck blieb dabei seltsam ausdruckslos.

Ein guter Schauspieler, dachte Durnin und zog sich wieder zurück; machte sich fast unsichtbar, bis er wieder gebraucht wurde.

»Mh.« Brogan blinzelte. »Das ist nicht viel.«

»Es sind alle Informationen, die wir über den ›Korsar‹ haben. Er ist wie ein Schatten. So schnell wie er auftaucht, so schnell verschwindet er auch wieder. Und das jetzt seit zwei Jahren.«

Cormach öffnete die nächste Datei. Eine Statistik erschien.

Anerkennend pfiff er durch die schneeweißen Zähne. »Sechzehn Frachter in drei Monaten. Nicht schlecht.« Er ließ sich die Frachtlisten anzeigen. »Lebensmittel, Waffen … Er scheint genau zu wissen, was die Schiffe transportieren.«

»Ja.«

»Vier Überfälle auf Konzernniederlassungen.« Er krauste die Stirn. »Keine Toten, keine Verletzten. Befreiung von zur Sklavenarbeit Verurteilten.« Kurz lachte er auf. »Was ist er? Ein moderner Robin Hood? Nimm es den Reichen und gib es den Armen? Ein Samariter? Oder einfach nur ein Spinner?«

»Was auch immer, er zieht somit die Sympathien der Bürger auf sich. Wie auch immer, die NEO-Hanse hält ihn jedenfalls für mehr als ein Ärgernis. Man hat mittlerweile sogar eine Belohnung auf ihn ausgesetzt. 100.000 Credits. Tot oder lebendig!«

Brogan nickte und schürzte die Lippen. »Die Summe kann sich hören lassen. Das wird so manchen Kopfgeldjäger auf den Plan rufen.«

»Bedauerlicherweise ja.« Nervös trommelte Taggert mit den Fingerknöcheln auf den schweren Eichentisch. Das Relikt einer längst vergangenen Zeit. »Sie müssen diesen Aasgeiern zuvorkommen. Schnappen Sie ihn sich und finden Sie heraus, wo sich das Hauptquartier der Piraten befindet. Sein Tod würde ihn nur zu einem Märtyrer machen. Und keine zwei Stunden später würde es einen neuen Anführer geben. Einen, der vielleicht weniger … rücksichtsvoll ist. Aber ich will dieses Rattennest ausräuchern. Ich will diese Plage vernichten. Ein für alle Mal!«

Sein fetter Wurstfinger deutete auf Brogans Brust. »Ich will, dass Sie mir diesen Mann bringen. Lebend! Tun Sie alles, was dafür nötig ist!«

Der Star Marshal stand grinsend auf. »Alles?«

Taggert hob den Kopf und sah ihn an. »Spreche ich undeutlich, Brogan?«

Dieser schüttelte den Kopf, griff nach dem Glas mit Bourbon, das auf Taggerts Schreibtisch stand und leerte es in einem Zug. »Nein, Sir!« Nachdem er das Glas geräuschvoll zurückgestellt hatte, salutierte er halbherzig und ging. »Sie hören dann von mir!«, meinte er noch, ehe die Tür hinter ihm zufiel.

»Arrogantes Arschloch!«, murmelte Taggert, während er sich ein neues Glas nahm und es vollgoss. »Sie können gehen, Durnin!«

»Ja, Sir!«

Er drehte sich um, blieb aber stehen, als der CIC ihn noch mal ansprach. »Sie wissen, was zu tun ist, sollte er von den Piraten gefangen werden …?«

»Natürlich, Sir! Dann werden wir leugnen ihn zu kennen und alle ihn betreffenden Daten löschen.«

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