Ferner Hufschlag erklang gedämpft aus dem dichten Wald über die Senke hin zu der kleinen Siedlung eng gedrängter Fachwerkhäuser, aus deren Mitte sich stolz ein Kirchturm erhob. Aufgeschreckt von dem lauter werdenden Trommeln, unterbrachen die ersten Bewohner ihre tägliche Arbeit und blickten dem Waldrand entgegen.
Mittelbauer, der mit einigen Feldarbeitern am Ortseingang stand, blickte die schmalen Karrenspuren entlang den sanften Hang bis zum Waldessaum hinauf, wo der einzige Zugang durch den Buchenwald in ihr Dorf führte.
Was hatte das zu bedeuten? Von welchem Unheil kündete der Lärm? Sie wussten alle von dem Schreckgespenst des Krieges in diesen unruhigen Zeiten, doch bislang waren es lediglich Erzählungen oder Flugblätter, die vereinzelt über fahrende Händler den Weg nach Krustow fanden, die von seiner Grausamkeit berichteten.
Und sie bangten, dass an diesem sonnigen Frühjahrsmorgen der schon so lange tobende Krieg nicht doch noch einen Weg in ihre kleine Gemeinschaft finden würde.
Schon sahen sie den Reiter, der in rasendem Galopp seinen Weg aus dem Wäldchen hinaus auf die Dorfstraße fand und eilends den am Dorfrand versammelten Feldarbeitern und ihrem Bauern zustrebte. Wild gestikulierend und rufend näherte sich der Reiter an.
Staub wallte auf, als er das heranpreschende Pferd kurz vor der Gruppe zügelte.
»Bist du vom Teufel besessen, Hinz?«, rief Mittelbauer seinen Knecht an, wobei seine ergrauten nackenlangen Haare flogen, als er ihm entgegentrat und in die Zügel griff. »Du willst wohl das Pferd zu Schanden reiten.«
Noch immer atemlos von seinem wilden Ritt, keuchte der Angesprochene: »Nein, Bauer … Das ist es nicht!«, holte er tief Luft und rief: »Hört mir zu! ‒ Alle! ‒ Und sagt es weiter.« Dann sprang er aus dem Sattel des schnaubenden Pferdes, während er in hastigen Worten von einem wilden Reitertrupp berichtete, der sich in unmittelbarer Nähe befand und sicher sehr bald in das Dorf einfallen würde.
Die einfachen Leute drehten ihre Köpfe unruhig dem dichten Wald zu. Sie murmelten. Stimmen wurden laut. Bestürmten ihn und den grauhaarigen Mittelbauer mit Fragen und redeten wirr durcheinander.
»Eine schreckliche Nachricht!«, bestätigte der blonde Reiter den herandrängenden Dörflern. Sein rotes, von Schweiß getränktes Wams klebte ihm am Leib. Er wirkte müde, doch er berichtete unverwandt weiter. »Soldaten sind es. Und auf dem Wege zu uns. ‒ Es sollen Schweden sein! ‒ Sie plündern und brandschatzen alles, was ihre Wege kreuzt!«
Angst beherrschte schon bald die schlichten Gemüter. »Was sollen wir tun?«, rief einer der Männer. »Noch heute kommen sie gewiss nach hier!«
Ein anderer unterbrach ihn: »Das ist schlimm. Wir sind alle verloren, wenn wir hier bleiben.«
Und eine Frau in der groben Tracht einer Magd übertönte alle mit schriller Stimme: »Flüchten müssen wir! Je eher, desto besser!«
»Ruhe, Leute!«, brachte Mittelbauer die aufgeregte Gemeinschaft lautstark zum Schweigen. »So kommen wir nicht weiter.« Beruhigend legte er einem alten Knecht die Hand auf die Schulter, der von Sorge erfüllt an ihn herangetreten war und ängstlich zu ihm aufblickte. »Natürlich können wir nicht hier bleiben.« In einer unbewussten Geste strich er sich durch den langen Kinnbart. »Diese Räuber würden uns zu Tode quälen.« Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Besorgte, fragende, hoffnungsvolle Blicke waren es. Sie alle wollten wissen, was sie nun tun sollten. Mit einem Mal spürte er die ganze Last seiner Verantwortung, da er sich plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller wusste. »Wir müssen uns in den Wäldern verbergen, bis die Gefahr vorüber ist«, entschied er. »Schnell, lauft zu den anderen Gehöften und berichtet, was uns bevorsteht.« Mittelbauer überlegte noch weitere Schritte und gab sie seinen Leuten weiter. »Sie sollen alles zur Flucht vorbereiten. Auf der Dorfstraße versammeln wir uns. Gegen Mittag fahren wir los.«
Weiterhin starrten die einfachen Leute ohne Regung aus aufgerissenen Augen und mit offenen Mündern auf ihren Herrn. Sie hatten noch immer nicht erfasst, was da über sie hereinbrach. Mit strenger Stimme rüttelte er sie wach: »Es ist also keine Zeit mehr zu verlieren.«
Eilends huschte das Gesinde davon. Die Mägde verschwanden in den Gebäuden, während seine Knechte Richtung Viehweide unterwegs waren, und ein paar wenige strebten den nahe gelegenen Bauernhöfen zu, diese zu warnen und zur Flucht zu ermahnen, wie ihnen der Mittelbauer geheißen.
Als sich Hinz ebenfalls zum Gehen wandte, hielt ihn der Mittelbauer am Arm zurück. »Und du reitest hinaus zum Arandhof, Hinz«, sagte er und deutete mit ausgestrecktem Finger den bewaldeten Hügel hinauf, hinter dem der Hof von Bertold Arand lag, und gab dem Knecht nachdrücklich zu verstehen: »Sage dem Bauern, wie die Dinge stehen.« Und während er beobachtete, wie Hinz in den Sattel stieg, ergänzte er: »Hoffentlich ist Bertold klug genug, mit uns zu gehen. ‒ Sein Dickschädel ist ja bekannt.« Den letzten Satz murmelte er nur noch ‒ mehr zu sich selbst, als dass er für andere bestimmt gewesen wäre. Aber er war längst allein und Hinz ohnehin schon in die gewiesene Richtung unterwegs.
Noch einen kurzen Moment sah Mittelbauer seinem Knecht hinterher. Tja, nun kommt der Krieg auch zu uns, und wir müssen fort. Nachdenklich verlor sich sein Blick in der Ferne, wohin der Reiter verschwunden war. Aber eine Flucht ist klüger, als nutzloser Widerstand gegen grausames Gesindel, beruhigte er sich und ballte gedankenverloren die Fäuste. Dann wandte er sich abrupt um und strebte seinem Hof zu. Es gab noch viel zu erledigen, und die Zeit drängte.
*
Über weitläufige Wiesen und an frisch bestellten Äckern vorbei, strebte Hinz seinem Ziel zu. Der Arandhof war ein stattliches Anwesen, an einem sanft ansteigenden Hügel gelegen. Sein Weg führte ihn zwischen Baumreihen hindurch, die bald, von dichtem Buschwerk abgelöst, den Blick auf das Gehöft freigaben.
Bertold Arand unterbrach seine Arbeit, als er den Reiter näher kommen sah. Na, das ist doch der Hinz, dachte er, als er den Knecht erkannte. Was mag er wollen?, überlegte er weiter, wobei er, auf seinen Rechen gestützt, den Ankommenden erwartete. Hat’s ja mächtig eilig … Was Gutes wird’s wohl nicht sein.
Hinz hob seinen rechten Arm zum Gruß, während er das Pferd langsam auf den Bauern zutraben ließ. »Bauer Bertold ‒ die Schweden kommen«, erfüllte er sogleich seinen Auftrag. »Wir müssen flüchten«, gab er zu verstehen und hielt sein Pferd vor dem breitschultrigen Mann an. »Der Mittelbauer hat’s gesagt. Es geht in die Wälder, bis die Luft wieder rein ist.«
»So, jetzt kommen die Lumpen auch zu uns!« In seinem kantigen Gesicht arbeitete es. »Na, wir können’s nicht ändern«, fuhr er mit grimmiger Miene fort, »aber ich denke, wenn wir alle zusammenstehen, könnten wir uns wohl wehren.«
»Es sind zu viele, Bauer Bertold«, entgegnete der Knecht, er hatte Mühe, sein Reittier ruhig zu halten, spürte es doch die Spannung, die zwischen den Männern entstand. »Ein halbes Regiment, schwer bewaffnet! Was sollen wir da ausrichten?«
Bertolds Kiefer mahlten, dass sein Oberlippenbart in Bewegung geriet, während er überlegte, was zu tun war. »Gut, Hinz«, sagte er schließlich, »meine Frau, die Kinder und das Gesinde sollen mit euch in die Wälder flüchten«, und fügte entschlossen hinzu: »Aber ich bleibe hier!«
Erstaunt über den heftigen Ausbruch des Bauern starrte der einfache Knecht auf den Mann vor sich herab. Er wusste nicht, wie er die Entscheidung des Bauern wenden konnte, zumal er dessen Beweggründe nicht verstand.
»Überlegt’s Euch, Bertold«, wagte der Knecht einen zaghaften Versuch, »ich tät’s nicht.« Doch als er den harten Ausdruck in den Augen des anderen sah, wurde ihm klar, dass er nicht umzustimmen war.
»Da gibt’s nichts zu überlegen!«, bekräftigte Bertold noch einmal und ballte die Linke zur Faust. »Meinen Hof verlass‘ ich nicht wegen einer Horde hergelaufener Strolche!«
Mit einem wortlosen Gruß verabschiedete er den Knecht des Mittelbauern, der sich sogleich in starkem Galopp anschickte, zum Hof seines Herrn zurückzukehren.
Der Hufschlag war kaum verklungen, als der Arandbauer kurz darauf seine Leute zusammenrief und ihnen berichtete. Erschreckt lauschten sie seinen Worten. Dann machten sie sich daran, seine Anweisungen zu befolgen und alles für eine Flucht zu richten. Das Wenige, was sie besaßen, vor allem aber das Vieh und die Vorräte, sollten den Plünderern nicht in die Hände fallen.