Leseprobe – Roy Stark


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EINS

Wütendes Geheul brandete auf, als die Indianer aus einem Canyon galoppierten. Ihr Kriegsgeschrei wurde von den zerklüfteten Felsen zurückgeworfen, hallte durch die Ebene und erreichte den einzelnen Reiter, auf den es die Verfolger abgesehen hatten. Ein flüchtiger Blick über die Schulter zeigte ihm, dass sie ihre Tomahawks schwenkten und ihn mit Pfeil und Bogen zu erwischen versuchten.

»Gleich wird dein Skalp meinen Gürtel zieren!«, schallte es weithin.

Die Hufe der Pferde von Jägern und Gejagtem donnerten über den felsigen Boden. Gestein spritzte davon, Sand und Staub wirbelten auf. Noch hatten die Indianer ihn nicht, doch der Abstand verringerte sich. Je näher sie kamen, desto lauter wurden ihre Schreie. Sie waren sich ihrer Beute sicher. Ein Krieger kam gefährlich nahe heran. In wildem Ritt spannte er einen Pfeil in die Sehne seines Bogens.

»So schnell bekommst du mich nicht!«, schmetterte der einsame Reiter ihm entgegen. Das lange blonde Haar fiel ihm bis über die Schultern und die Fransen seiner aus Büffelhaut gefertigten Wildlederjacke flatterten im Wind. »Vorher wirst du den Boden zieren, Rothaut.«

Er legte mit seinem Colt an und zog den Abzug durch. Der Knall des Schusses fegte durch die Ebene und der Indianer, der ihm gerade einen Pfeil hinterherschicken wollte, riss die Arme in die Höhe. Getroffen stürzte er vom Pferd, überschlug sich und blieb regungslos liegen.

Das machte seine Stammesbrüder nur noch wütender. Ihr Angriffsgebrüll rollte schwer wie Kanonendonner über das trockene Land.

»Schneller, Brüder! Schneller! Das Bleichgesicht darf uns nicht entkommen.«

»Meinem Pfeil entgeht es nicht. Flieg und triff!«

Der einsame Reiter umkrampfte seinen Colt, doch er kam nicht zum Schuss. In dem unebenen Gelände musste er die Zügel mit beiden Händen halten, um nicht aus dem Sattel geworfen zu werden. Er spürte einen stechenden Schmerz in der Schulter, als ihn der Pfeil traf. Unterdrückt stöhnte er auf, doch er durfte nicht langsamer werden. Sie waren nur noch wenige Meter hinter ihm – mehr als ein Dutzend vor Weißglut rasender Rothäute, die ihn ins Reich der Toten befördern wollten.

»Mein nächster Pfeil lässt ihn die Erde küssen!«

Die Worte schienen wie aus weiter Ferne zu kommen, doch die Indianer waren heran. Er sah sie aus den Augenwinkeln und irgendwie gelang es ihm, den Colt zu heben. Zu einem Schuss kam er jedoch nicht mehr, denn ein weiterer Pfeil bohrte sich in seinen Rücken. Der Reiter sackte vornüber und der Sechsschüsser entglitt seinen kraftlosen Händen.

»Wieder getroffen! Das Bleichgesicht wankt im Sattel!«, folgte ihm ein triumphierender Ruf.

Bevor sein Blick verschwamm, erkannte er, dass sein Pferd genau auf einen Abgrund zujagte. Er klammerte sich an der Mähne des Braunen fest und versuchte ihn zu zügeln. Es war vergebliche Liebesmüh. Das Heulen der Indianer versetzte den Vierbeiner in Panik. Er brach aus, um einen Absturz zu verhindern, bockte und richtete sich wiehernd auf. Die Stiefel des Reiters glitten aus den Steigbügeln.

»Das ist das Ende des Bleichgesichts!«, ertönte es hinter ihm.

»Hoffentlich stirbt der weiße Mann nicht gleich. Der Marterpfahl erwartet ihn.«

Der verwundete Reiter stürzte von seinem Pferd, das durchging und das Weite suchte. Die Schmerzen in seinem Rücken nahmen überhand und drohten ihm die Sinne zu rauben. Plötzlich war der Abgrund vor ihm, ein gähnendes Loch, über dessen Klippe er rollte. Er versuchte sich festzuhalten, doch seine Hände griffen ins Leere.

»Er fällt über die Felskante!«, vernahm er die Worte eines Indianers. »Manitou hat gesprochen. Nach seinem Willen stürzt das Bleichgesicht in den Tod!«

*

Roy Starks scheinbarer Sturz ins Bodenlose endete wenige Meter tiefer. Der als Cowboy verkleidete Stuntman fiel in einen dicken Teppich aus Schaumgummi, wie er auch benutzt wurde, um die Sprunggruben von Stabhochspringern zu füllen. Roy rappelte sich auf und sah sich einem Kamerateam gegenüber, Spiegeln und Planen, die optimale Lichtverhältnisse schufen, sowie Schauspielern, die auf das Abdrehen ihrer nächsten Filmszene warteten. Dazwischen ragte ein Kamerakran auf wie ein knorriger Baum ohne Blattwerk. Im Hintergrund erhoben sich Trucks und Wohnwagen zwischen den Felsen.

»Großartig! Szene 17 ist im Kasten«, freute sich ein Kameramann.

»Dieser Roy Stark ist einfach fabelhaft«, frohlockte der Aufnahmeleiter. »Ich habe selten einen realistischeren Sturz gesehen. Alles wirkte absolut lebensecht.«

Sein Assistent nickte. »Hallo, Kamera drei, fünf und sieben! Ist bei euch alles in Ordnung?«

Die Bestätigungen kamen in rascher Folge. Die Aufnahmen aus den verschiedenen Perspektiven waren gelungen. Keiner der Kameraleute hatte an dem Bildmaterial etwas auszusetzen.

»Regie an Kamerateam fünf«, erteilte die Regie über Lautsprecher Anweisungen. »Nehmt gleich noch einige Großaufnahmen von den Indianern auf. Wir schneiden sie später dazwischen.«

Wieder erfolgte eine Bestätigung. Ein paar als Indianer maskierte Darsteller sammelten sich zu einer furchteinflößenden Gruppe. Einer von ihnen grinste Roy zu und hob lobend den Daumen. Roy lächelte gequält zurück. Die Stuntszene war schwieriger gewesen, als er sie sich vorgestellt hatte. Die Klippe, von der er sich gestürzt hatte, war tückisch.

»Junge, Junge, ich habe ganz schön geschwitzt«, empfing er die Helfer von der Maske. »Eine Sekunde zu früh oder zu spät abgesprungen und ich wäre neben dem Schaumgummi gelandet. Das wäre nicht ohne Knochenbrüche abgelaufen. Nun macht schon, befreit mich endlich von den Pfeilen. Durch die Polsterung unter der Jacke spüre ich sie zwar nicht, aber sie sind trotzdem hinderlich.«

»Einen Moment noch«, schritt ein Kameramann ein. »Erst noch die Werkaufnahmen, die wir fürs Atelier brauchen. Wenn wir dort später die Sterbeszene mit dem Hauptdarsteller drehen, muss alles exakt stimmen. Jeder Pfeil muss an der richtigen Stelle stecken und die Kleidung genau dort verschmutzt sein, wo sie es auch jetzt ist.«

Wiederholt klickte die Kamera. Während Roy die Aufnahmen geduldig über sich ergehen ließ, streifte er die Perücke vom Kopf. Darunter kamen seine eigenen Haare zum Vorschein, nicht blond, sondern dunkel. Cin-Cin stand ein paar Meter entfernt und beobachtete das Treiben begeistert. Der schwarzhaarige Junge mit Pagenhaarschnitt und asiatischem Einschlag hatte sich mit Roy angefreundet und wich kaum einmal von seiner Seite.

»War klasse«, sagte er.

»Freut mich, dass es dir gefallen hat«, antwortete der Stuntman.

»Keine Müdigkeit vortäuschen«, trieb der Regisseur seine Leute an. »Beeilt euch, damit die nächste Szene in den Kasten kommt. Okay, Roy, Sie sind hier fertig. Alles prima wie immer. Sie können sich Ihrer nächsten Aufgabe widmen.«

Wie zur Bestätigung plärrte wieder der Lautsprecher los: »Gefahrendouble Roy Stark, bitte zum Umschminken.«

Der Stuntman seufzte. Es blieb keine Zeit für ein paar Minuten Pause, denn heute war der erste Drehtag für eine neue Fernsehserie. Die Produzenten versprachen sich viel von »Streifenpolizist Broke im Einsatz«.

»Die Stunts für die neue Krimiserie werden keine einfache Aufgabe«, überlegte er laut.

»Bestimmt nicht, Mister Stark«, sagte Cin-Cin. »Am schwersten wird es für Sie sein, mit dem Hauptdarsteller auszukommen.«

»Da mache ich mir keine Sorgen.« Roy winkte gelassen ab, während sie sich zu einem der Wohnwagen begaben, in denen der Maskenbilder seine Arbeit verrichtete. »Bisher bin ich noch mit allen Darstellern, die ich gedoubelt habe, gut zurechtgekommen.«

»Sie kennen Bruce Blight eben noch nicht«, unkte der Junge. »Ich habe gehört, dass mit ihm nicht gut Kirschenessen ist. Er soll ein ganz schwieriger Schauspieler sein.«

»Wir werden sehen.« Roy betrat die Maske und bereitete sich gedanklich auf seine nächste Rolle vor.

*

Aus dem Spiegel schaute ihm ein Fremder entgegen, ein kräftig gebauter Polizist mit blauer Uniform und einem dunklen Schnurrbart. Roy war es gewohnt, für seine Stunts ständig in neue Rollen zu schlüpfen. Das war nun mal die Arbeit eines Doubles. Kaum ein bekannter Schauspieler drehte gefährliche Szenen selbst. Dafür gab es Stuntmen wie Roy Stark, die an jedem Drehtag mit der Gefahr lebten.

»Fast perfekt, Mister Stark.« Der Maskenbildner reichte ihm eine Polizeimütze. »Nun setzen Sie die noch auf und wir sind fertig.«

Roy ergriff die Mütze, schob sie auf seinen Kopf und rückte sie hin und her, bis sie richtig saß. Er nickte zufrieden. Auch der Maskenbildner war beeindruckt.

»Sie sehen Bruce Blight zum Verwechseln ähnlich. Kein Fernsehzuschauer wird Sie und ihn unterscheiden können.«

»Das ist ja auch der Sinn der Sache.«

Roy erhob sich. Er bedankte sich und trat durch die Tür. Draußen erwartete ihn bereits ein Wagen samt Fahrer. Das Produktionsgelände war riesig, die einzelnen Drehorte lagen teilweise kilometerweit auseinander. Da konnte man nicht mal eben schnell zu Fuß von einer Drehszene zur anderen gehen.

Der Fahrer, ein junger Mann mit von der Sonne gebräuntem Gesicht, begrüßte ihn freundlich. »Ich bin Jim. Mister Bumblebee schickt mich. Ich soll Sie an Ihren Arbeitsplatz bringen.«

Bumblebee war der Regisseur von »Streifenpolizist Broke im Einsatz«. Roy kannte seinen Namen, hatte aber noch nie mit ihm zusammengearbeitet. Doch das störte ihn nicht. Er war für jede neue Erfahrung dankbar. Das galt auch für seine Tätigkeit als Double für den angeblich so schwierigen Bruce Blight.

»Ich komme mit«, posaunte Cin-Cin.

»Meinetwegen.« Roy nickte. Der Junge ließ sich ja doch nicht zurückweisen.

Sie stiegen ein, Roy auf dem Beifahrersitz, Cin-Cin auf der Rückbank. Der Wagen ruckte an und die Wildwest-Atmosphäre blieb hinter ihnen zurück.

»Sie scheinen gut zu verdienen, Mister Stark«, sagte Jim neugierig.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Offenbar können Sie sich von Ihrer Gage einen Hausboy leisten.«

Der Junge lachte auf und Roy fiel in sein Lachen ein, während der Wagen von den unebenen Wegen auf eine gut ausgebaute Küstenstraße einbog. Jim, der seinen Fahrgästen einen verwunderten Blick zuwarf, lenkte das schnittige Gefährt am Ozean entlang, der unterhalb der Straße türkisblau im Sonnenlicht funkelte.

»Cin-Cin war Schuhputzer«, erklärte Roy den Grund ihrer Erheiterung. »Seit wir uns kennengelernt haben, hängt er wie eine Klette an mir. Er ist gewissermaßen mein Maskottchen geworden und das scheint ihm zu gefallen.«

»Und wie!«, pflichtete der Junge begeistert bei. »Das Leben bei den Filmleuten ist viel aufregender, als anderen die Schuhe zu putzen.«

Jim lachte. »Das habe ich nicht geahnt. Aber bei Ihrem neuen Job als Double für Mister Blight können Sie durchaus ein Maskottchen brauchen, Mister Stark.«

Bald erreichten sie den nächsten Drehort, gleich am Rand der Küstenstraße gelegen. Auf der einen Seite erhoben sich steile Felsen, auf der anderen erstreckte sich das Meer bis zum fernen Horizont.

*

Gefolgt von Cin-Cin stieg Roy aus dem Wagen und fand sich inmitten lebhaften Trubels wieder. Auch hier waren mehrere Kamerateams im Einsatz. Das eine arbeitete am Fuß der Felsen, ein zweites hatte Position auf einem zwischen den Felsen errichteten Gerüst bezogen, an dem eine schmale Landstraße entlangführte, und ein weiteres auf befestigten Pontons im Wasser. An einem Tisch saßen zwei Männer auf Regiestühlen, von denen sich einer als Mister Bumblebee erwies.

Bumblebee war ein untersetzter Mittvierziger, der ein weites Hemd trug, mit dem er anscheinend versuchte, seine Körperfülle zu kaschieren. Eine dunkle Sonnenbrille und eine Kappe mit einem ausladenden Schirm schützten ihn vor dem grellen Sonnenlicht. Beim Eintreffen des Stuntmans erhob er sich von seinem Sitz und ließ eine knappe Begrüßung folgen.

»Dein Double könnte fast dein Zwilling sein, Brucy-Boy«, erregte eine weibliche Stimme Roys Aufmerksamkeit. Die Frau trug ein rotes Kleid, hatte die Beine auf einem Liegestuhl hochgelegt und blätterte in einer Illustrierten. »Allerdings ist er etwas breiter und größer als du.«

»Nicht doch, Rhonda-Baby«, gab der Mann zurück, der auf einem Stuhl neben ihr saß. »Diesen Roy Stark puste ich aus dem Anzug, wo und wann ich will.«

Dies also ist Bruce Blight, dachte Roy. Er überhörte die großspurige Bemerkung des Schauspielers, der dieselbe Polizeiuniform trug wie er. Sie beide glichen sich tatsächlich. Die Maske hatte gute Arbeit geleistet.

»Sie fahren mit einem Motorrad dort oben auf der Landstraße entlang, Mister Stark«, setzte Bumblebee zur Erläuterung der Stuntszene an. Er hob eine Hand und deutete zu dem schmalen Asphaltband hinauf, das von hier unten kaum zu sehen war. »Sie schauen hinunter und bemerken auf der Küstenstraße einen Wagen mit hoher Geschwindigkeit und in Schlangenlinien dahinbrausen. Am Steuer sitzt eine junge Frau, die die Gewalt über das Fahrzeug verloren hat. Der Wagen bricht aus und schleudert auf die Brüstung zu, durchbricht sie und stürzt ins Meer. So weit klar?«

Roy nickte.

»Wie gut, dass eine Puppe, die mir täuschend ähnlich sieht, ins Meer stürzt.« Rhonda war herübergekommen, ebenso Blight. Die schlanke Frau mit den langen blonden Haaren schüttelte sich. »Wenn ich nur daran denke – scheußlich!«

»Unterbrechen Sie meine Ausführungen nicht«, brummte der Regisseur. »Also, Mister Stark, Sie werden Zeuge dieses Unglücks. Da keine Zeit zu verlieren ist, sausen Sie mit Ihrem Motorrad den Abhang hinunter, springen ins Meer und holen unsere liebe Rhonda an die Oberfläche, bevor sie ertrinkt.«

»Verzeihen Sie«, erklang eine Stimme. Ein wie aus dem Nichts aufgetauchter schmächtiger Mann mit Anzug und Krawatte gesellte sich zu dem Filmteam. Sein Gesicht, in dem wie kleine Kohlen zwei schwarze Knopfaugen prangten, lief zum Kinn hin spitz zu. Auf seinem Kopf saß ein aus der Form geratener Bowler-Hut. »Jones ist mein Name.«

»Was will der denn hier?«, entfuhr es Bumblebee. »Verschwinden Sie, aber sofort! Wir haben zu arbeiten.«

»Ich muss mit Mister Stark sprechen«, verlangte das dürre Männchen.

»Haben Sie nicht gehört?« Ein Helfer packte Jones und schob ihn davon. »Sie stören. Also machen Sie, dass Sie verschwinden!«

»Sie holen die Puppe aus dem Auto«, wandte Bumblebee sich kopfschüttelnd an den Stuntman. »Wir haben eine Unterwasserkamera im Einsatz. Zwei weitere Kameras nehmen Sie von den Pontons aus auf.«

Sekundenlang schaute Roy dem seltsamen Mister Jones hinterher. Er konnte sich nicht erinnern, den Mann jemals gesehen zu haben. Danach wanderte sein Blick aufs Meer hinaus.

»Wie sieht es mit Haifischen aus?«, erkundigte er sich. »An dieser Küste werden sie immer wieder gesichtet. Ich habe keine Lust, im Wasser einem dieser hungrigen Burschen zu begegnen.«

»Nur keine Angst, Stark«, warf der Hauptdarsteller der neuen Serie ein. »Von den Pontons aus sind Netze gespannt. Da kommt kein Hai durch.«

»Danke für die Auskunft, Blight«, gab Roy zurück.

»Wie bitte, Sie unverschämter Kerl?« Die Miene des Schauspielers verhärtete sich. »Was bilden Sie sich ein? Für Sie bin ich Mister Blight!«

»Reg dich nicht auf, Brucy-Boy«, versetzte Rhonda. »Du hast ihn ja auch nur ›Stark‹ genannt.«

»Das ist etwas ganz anderes«, betonte Blight. Er wandte sich an sein Double. »Da ist noch etwas, das mir am Herzen liegt. Ich wünsche, dass Sie sich elegant im Sattel des Motorrads halten. Und wenn Sie anschließend Ihren Kopfsprung ins Wasser machen, dann bitte mit Grazie.«

»Wie bitte?« Roy glaubte nicht richtig zu hören.

Ein selbstzufriedenes Lächeln trat in die Züge des Schauspielers. »Was denken Sie denn? Vergessen Sie keinen Augenblick, dass Sie den großen Bruce Blight verkörpern.«

Jetzt begriff Roy, was Cin-Cin gemeint hatte. Dieser Blight hielt sich für den Größten am Filmset. Er war der Meinung, dass sich alles nur um ihn drehte. Wenn er sich da nur nicht irrte! Doch Roy überhörte die Überheblichkeit und hielt sich zurück. Ihm lag nichts daran, sich mit dem Kerl anzulegen. Er war nur hier, um seinen Job zu machen. Danach trennten sich ihre Wege wieder. Nachdenklich nahm er den Steilhang in Augenschein.

»Wenn ich dort hinuntergeschossen komme, kann ich die schwere Maschine kaum zum Halten bringen. Das geht nur, wenn ich einen schrägeren Winkel nehme.«

»Das ist aus technischen Gründen ausgeschlossen«, lehnte Bumblebee ab. »Wie Sie sehen, sind alle Kameras aufgestellt und drehbereit. Wir können Ihretwegen nicht alles wieder umstellen. Jede Veränderung würde eine Verzögerung von mehreren Stunden bedeuten. Haben Sie eine Vorstellung, wie viel ein Drehtag kostet?«

Roy überging die Frage. »Wenn der Stunt so abläuft, wie von Ihnen geplant, rase ich mitsamt dem Motorrad ins Meer.«

»Großartig!« Der Regisseur klatschte in die Hände. »Ganz großartig sogar, denn dadurch wirkt alles noch viel dynamischer. Genau so machen wir es! Oder kneifen Sie etwa?«

»Nein. Wir kriegen das schon hin.«

»Sehr gut, mein Lieber. Das ist die richtige Einstellung.« Bumblebee klopfte dem Stuntman jovial auf die Schulter. »Das Motorrad steht schon oben an der Landstraße. Gehen Sie hinauf und warten Sie auf mein Zeichen.«

»Und vergessen Sie nicht, dass ich Eleganz von Ihnen erwarte, Stark«, verlangte Blight.

»Geht in Ordnung, Blight«, antwortete Roy tonlos.

»Was? Sie wagen es schon wieder?«, schnaubte der Schauspieler, wobei sich sein Kopf knallrot verfärbte. »Das ist zu viel, Mister Bumblebee! Werfen Sie diesen unverschämten Kerl raus, augenblicklich! Ich verlange ein anderes Double, das mich mit dem Respekt behandelt, den ich verdiene.«

»Aber lieber Mister Blight«, säuselte der dicke Regisseur. »Ich versichere Ihnen, dass Mister Stark der einzige Stuntman ist, der eine so gefährliche Szene realistisch darstellen kann. Wir brauchen ihn.«

»Na schön«, mäßigte sich der Hauptdarsteller. »Aber sorgen Sie dafür, dass er mir künftig mit dem Respekt begegnet, der einem Star wie mir zusteht.«

Roy verkniff sich einen Kommentar. Als er zur Landstraße hinaufsteigen wollte, vernahm er seinen Namen. Das dürre Männchen mit dem zerknitterten Bowler-Hut eilte winkend hinter ihm her. Was immer der Fremde wollte, dazu war jetzt keine Zeit. Roy musste sich auf den vor ihm liegenden gefährlichen Stunt konzentrieren. Da konnte sich jede Ablenkung als fatal erweisen. Das wusste auch Cin-Cin.

»Ich halte Ihnen den Störenfried vom Hals, Mister Stark.«

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