Leseprobe – Falk – Für immer verloren?


Zum Roman

 

EINS

»Ich finde es großartig, dass du mich ins Land der Heiden begleitest, Falk«, freute sich Bingo.

»Wie könnte ich mir dieses Abenteuer entgehen lassen?«, antwortete der junge Ritter.

Die Freunde ritten am Rande eines Waldstücks entlang, begleitet vom Murmeln und Plätschern eines Flusses. Sonnenlicht badete die malerische Landschaft, über die sich ein wolkenloser, blauer Himmel spannte, in goldenen Schein.

Nach den dramatischen Ereignissen um den Seeadler, Fürst Hochwald und den Jungen Heinrich, in die sie verstrickt worden waren, hatten die Gefährten einige frohe Wochen auf der Burg des Seeadlers zugebracht. Dann jedoch hatte es sie wieder hinausgezogen, neuen Abenteuern entgegen. Das lag vor allem daran, dass Bingo im Morgenland seine Zauberausrüstung vervollständigen wollte.

Falk hatte den gleichermaßen gutmütigen wie kampftüchtigen Gaukler ins Herz geschlossen. Auf den ersten Blick sah man Bingo nicht an, was in ihm steckte. Er war wohlbeleibt und wirkte behäbig, doch dieser Eindruck täuschte. Bingo wusste sich seiner Haut zu wehren und konnte mit den Fäusten austeilen wie kaum ein zweiter. Seit ihrem ersten Zusammentreffen hatten Falk und Bingo zusammen einige Schlachten geschlagen und waren dabei zu Freunden geworden.

»Erzähle mir von diesem sagenhaften Land, aus dem du die Zaubermittel für deine Kunststücke holen willst«, forderte der blonde Ritter seinen Begleiter auf.

»Von Wollen kann keine Rede sein«, sagte Bingo betrübt. »Ich muss. Während der Kämpfe sind das Pulver, mit dem ich Blitze machen kann, und andere Dinge verdorben. Sie sind nicht mehr zu gebrauchen, leider. Doch ohne sie bin ich nur ein kläglicher Gaukler, so wie viele andere meiner Zunft. Du siehst also, mir bleibt gar keine andere Wahl. Erst wenn ich Ersatz besorgt habe, bin ich wieder der große, einmalige …«

»… herrliche, einzigartige und überhaupt der weltgrößte Gaukler«, fiel Falk dem Dicken lachend ins Wort.

»Machst du dich etwa über mich lustig?« Bingo zügelte sein Pferd.

»Keineswegs«, gab der Ritter ohne Furcht und Tadel sanftmütig zurück. »Wie könnte ich es wagen, den großen …«

Diesmal war es Bingo, der ihn nicht aussprechen ließ. »Schon gut. Wechseln wir das Thema. Öffne also deine Ohren für all die Wunderdinge, die ich dir vom Morgenland berichten will. Du musst dir ein Land vorstellen, in dem die Sonne mit unbarmherziger Glut vom Himmel scheint.«

Weiter kam der Dicke nicht. Ein Schrei drang aus dem Wald und erregte die Aufmerksamkeit der beiden Reiter. Das Klirren von Schwertern drang herüber. Hinter der nächsten Wegbiegung wurde gekämpft.

»Vielleicht ein Handelsmann, der von Räubern überfallen wird«, unkte Falk.

Er trieb Donner an. Bingo hetzte auf seinem Vierbeiner hinterher. Ein ungleicher Kampf erwartete die Gefährten. Es war so, wie Falk befürchtet hatte. Drei Männer fielen über einen einzelnen Gegner her. Obwohl er sich nach Kräften gegen ihre Klingen verteidigte, trieben sie ihn vor sich her. Gegen die Übermacht war er verloren, wenn keine Hilfe kam – doch die kam in Form von Falk und Bingo. Der Ritter zog sein Schwert.

»Hände weg von dem Mann, ihr Strauchdiebe!«

Die Köpfe der Angreifer fuhren herum. Mit Hilfe für ihr Opfer hatten sie nicht gerechnet. Der eine Angreifer war blond, ein zweiter braunhaarig und der Dritte hatte wallende schwarze Haare und einen buschigen Schnurrbart. Der Schwarzhaarige überwand seine Überraschung am schnellsten.

»Teufel, das Herrchen bekommt Verstärkung. Aber es sind nur zwei.« Der Wortführer wandte sich an seinen blonden Kumpan. »Mit dem Kerl hier wirst du allein fertig. Wir übernehmen die beiden Ritter.«

Falk stellte sich dem großmäuligen Angreifer mir grimmiger Entschlossenheit entgegen. Seine Klinge sauste nieder und traf auf die seines Gegners. Auch Bingo warf sich entschlossen ins Kampfgetümmel. Gemeinsam drängten sie die Räuber zurück, die rasch begriffen, dass mit den Neuankömmlingen nicht gut Kirschen essen war. Falks Schwert traf den Arm des großmäuligen Wortführers. Mit einem Aufschrei trieb der Schwarzhaarige seine Kumpane an.

»Fort von hier!«

Die Strauchdiebe suchten ihr Heil in der Flucht. Der Mut war ihnen vergangen. Erdreich spritzte unter den Hufen ihrer Reittiere auf, als sie die Vierbeiner zu wildem Galopp antrieben.

»Habt ihr schon genug, ihr Helden?«, schickte Bingo ihnen hinterher. Er war wütend auf die Feiglinge, die lieber gemeinschaftlich über einen Schwächeren herfielen, als den Kampf mit einem ebenbürtigen Gegner aufzunehmen.

»Sie nehmen das Pferd des Überfallenen mit!« So leicht sollten die Lumpen nicht davonkommen. Falk wollte sich an die Verfolgung der Flüchtenden machen, doch ein unterdrücktes Stöhnen ließ ihn Donner zügeln. »Lass sie laufen, Bingo. Der Mann scheint verletzt zu sein.«

Das war er tatsächlich, wie die Freunde feststellten, nachdem sie abgestiegen waren. Der Überfallene kauerte auf dem Boden, mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gelehnt. Blut tränkte sein Wams.

»Danke, Fremde«, keuchte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. Das Sprechen fiel ihm schwer. »Ich danke Euch für Eure Hilfe, doch sie kam … zu spät.«

»Nicht doch«, wehrte Falk ab. »Lasst mich Eure Wunde ansehen. Ich werde sie verbinden, damit die Blutung endet.«

»Es hat keinen Sinn mehr«, keuchte der Verwundete. »Ich fühle bereits … wie der Tod nach mir greift. Lasst mich Euch … ansehen. Oh ja, Ihr habt … ehrliche Gesichter. Ich muss Euch vertrauen, denn ich habe … keine Zeit mehr zu verlieren.«

Falk wollte beruhigend auf den Unglücklichen einreden, doch er sah ein, dass es vergeblich war. Die Augen des Verletzten verdrehten sich. Es ging zu Ende mit ihm. Nicht einmal die beste ärztliche Kunst konnte ihn vor dem Tod bewahren. Seine Stimme war dünn, als er erneut zum Sprechen ansetzte.

»Wegen dieses … dieses Dolches bin ich überfallen worden. Ich sollte ihn zu … Graf Klaus von Amberg bringen. Es ist sehr … wichtig, dass Graf Amberg ihn erhält. Doch nehmt Euch in Acht vor Graf He…«

Die Worte verklangen und der letzte Atemzug des Unglücklichen verwehte. Sein starrer Blick ging ins Leere. Falk drückte ihm die leblosen Augen zu, während Bingo den Dolch an sich nahm.

»Der arme Kerl ist tot.«

»Friede seit mit ihm«, murmelte Bingo. »Welch ein Unglück! Wären wir nur ein paar Minuten früher eingetroffen, hätten wir ihn vor den Mördern gerettet.«

Falk verdross die Tatsache nicht weniger als seinen beleibten Freund. »Du kennst dich doch ein wenig in dieser Gegend aus. Weißt du, wie weit wir von der nächsten Ortschaft oder der nächsten Burg entfernt sind?«

»Ich weiß es nicht genau.« Der Gaukler schürzte die Lippen. »Mindestens zwei Tagesritte.«

»Dann können wir ihn nicht beerdigen lassen«, sagte der Ritter. »Wir müssen ihn hier begraben. Keine allzu würdige Bestattung für einen Mann, dessen Namen wir nicht einmal kennen, aber uns bleibt nichts anderes übrig.«

*

So gut es ohne Schaufeln möglich war, hoben die Freunde eine flache Grube aus. Schweigend legten sie den Unbekannten hinein und bedeckten ihn mit einer dünnen Erdschicht, auf die sie anschließend Steine wuchteten. Mit dem, was der Wald hergab, zimmerten sie ein einfaches Holzkreuz, das sie am Ende des provisorischen Grabes aufstellten.

»Mehr können wir für seine letzte Ruhe nicht tun«, bedauerte Falk.

»Besser als gar nichts«, erwiderte Bingo. »Und was machen wir nun? Wir stehen hier mit dem Vermächtnis eines Toten. Warum sollte dieser Dolch für den Grafen von Amberg so wichtig sein, wie der arme Kerl behauptet hat?«

Falk zuckte mit den Achseln. »Woher soll ich das wissen? Ich kenne den Grafen nicht, doch der Dolch muss von Bedeutung sein. Ansonsten wäre der Bote, der ihn überbringen wollte, nicht überfallen worden. Die drei Lumpen schreckten vor Mord nicht zurück, um ihn in die Hand zu bekommen.«

»Der Überfall kann auch Zufall gewesen sein und hat vielleicht gar nichts mit dem Dolch zu tun.« Bingo drehte die Enden seines Zwirbelbartes zwischen den Fingerspitzen. »In diesen unsicheren Zeiten sind Überfälle in den Wäldern keine Seltenheit.«

Falk glaubte nicht an einen Zufall. Er ergriff den Dolch und betrachtete ihn von allen Seiten. »Er scheint sehr alt zu sein.«

»Aber wertvoll sieht er nicht aus.«

Dem Ritter fiel ein merkwürdiges Muster an der Waffe auf. »Die Verzierung am Knauf ist seltsam. Sie ist wie ein Auge geformt.«

»Tatsächlich.« Bingo kratzte sich am Schopf. »Dennoch ist sie nicht außergewöhnlich. Ich habe schon Dolche mit wesentlich eindrucksvolleren Verzierungen gesehen. Ich bleibe dabei, dass er nicht besonders wertvoll aussieht.«

Falk stimmte seinem Freund zu. Vielleicht jedoch besaß die Waffe in seiner Hand einen anderen, einen ideellen Wert, der sich dem bloßen Auge nicht erschloss. Möglicherweise handelte es sich um ein altes Erbstück, das nur für den Besitzer von Wert war. Doch wieso dann der heimtückische Überfall? Falk fand keine Antwort auf seine Frage.

»Lass uns weiterreiten«, entschied er.

Die Freunde bestiegen ihre Pferde und setzten den unterbrochenen Ritt fort.

*

»Was hast du mit diesem Unglücksdolch vor?«, wollte Bingo wissen, nachdem das Grab hinter ihnen zurückgeblieben war.

Das stand für Falk fest. »Bei den nächsten Berittenen oder Bauern, denen wir begegnen, erkundigen wir uns nach Graf Amberg. Bevor wir unsere Reise ins Morgenland fortsetzen, bringen wir ihm den Dolch. Es ist unsere Pflicht, den letzten Wunsch des Toten zu erfüllen.«

»Du magst recht haben, doch wenn ich ehrlich bin, gefällt mir dieses Vermächtnis nicht besonders«, entgegnete der Gaukler. »Es kann sein, dass wir eine Menge Zeit verlieren und dass die Pässe verschneit sind, bis wir sie erreichen. Außerdem erinnere ich mich an die Warnung des Sterbenden. Sagte er nicht, wir sollen uns vor irgendwem in Acht nehmen?«

»Ja, vor einem anderen Grafen, dessen Namen er nicht mehr vollständig herausbrachte. Dummerweise habe ich nur die ersten Buchstaben verstanden«, überlegte Falk.

»Richtig, es waren die Buchstaben H und E«, erinnerte sich Bingo. »Graf He… – und wie weiter? Damit kann ich wirklich nichts anfangen.«

»Vielleicht begegnen wir diesem Herrn, dann erfahren wir es.«

Der Gaukler verzog das Gesicht. »Lieber nicht. Die Warnung klang gefährlich in meinen Ohren.«

Da ging es dem Ritter nicht anders, doch davon ließ er sich nicht einschüchtern. Wenn der Tote so viel Angst vor dem Grafen mit dem unvollständigen Namen gehabt hatte, war dieser geheimnisvolle Adlige möglicherweise für den Überfall verantwortlich. In diesem Falle würde Falk gerne ein paar Antworten erhalten.

Zum Roman