Leseprobe – Falk – Schatten der Vergangenheit


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EINS

Auf der Rückreise aus dem Süden wurden Falk und Bingo, nur noch wenige Tagesritte von Falks heimatlichen Ländereien entfernt, in eine teuflische Intrige gegen Graf Vinzenz von Rodenau verwickelt. Zwar gelang es ihnen, das Komplott zu vereiteln, doch als Urheberin entpuppte sich ausgerechnet Gundula, Nichte und Mündel des Grafen. Da im Zuge der Ereignisse nicht nur Gundula, sondern auch einer der Söhne des Grafen ums Leben gekommen war, herrschte auf Burg Rodenau nun verständlicherweise eine Atmosphäre der Trauer, und Falk drängte zu schnellem Aufbruch. Er fühlte sich dort unwohl. Doch das war nicht der einzige Grund für ihn, so schnell wie möglich sein Pferd zu satteln.

Nur ungern kam Bingo dem nach. Er wäre gerne noch geblieben, doch er spürte auch, wie bedrückt sein Begleiter und Waffengefährte Falk war. Dieser machte sich Vorwürfe, gab sich die Schuld an dem Tod der beiden. Er war schweigsam. Nichts war mehr da von der Vorfreude darauf, bald seine Heimat wiederzusehen. Seine Miene war verschlossen, seine Schultern hingen herab.

Einige Stunden lang ritten die Freunde still nebeneinander her, bis Bingo zurückfiel, weil er diesen traurigen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Und so hing ein jeder seinen Gedanken nach.

Doch plötzlich brach es aus Bingo heraus. Er ertrug es einfach nicht mehr und brachte sein Pferd neben das seines Freundes. »Alle Wetter! Jetzt reicht es mir aber!«, fuhr er ihn harscher als beabsichtigt an und erschrak zugleich über die Härte in seiner Stimme.

Falk zügelte sein Tier und sah ihn erstaunt an. »Was?«, fragte er, nicht wissend, was Bingo auf einmal hatte.

»Dass ich wegen deiner vermaledeiten Eile auf eine gründliche Inspektion der Burgküche von Rodenau verzichten musste, mag ja noch gehen …«, begann er.

Falk seufzte. Dass Bingo ihm das immer noch nachtrug!

»… aber wenn der Allerhöchste gewollt hätte, dass ich stumm durchs Leben gehe, hätte er einen Fisch aus mir gemacht!« Er fuchtelte wild mit der Rechten herum, um seine Worte zu unterstreichen.

Oh, das war es also!, dachte Falk.

»Himmeldonnerwetter, Falk! Dieses betretene Schweigen, zu dem du uns jetzt schon seit Stunden nötigst … Das erweckt ja geradezu den Anschein, als müssten wir uns wegen des heutigen Geschehens schämen!«

Falk blinzelte. Öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er kam nicht dazu.

»Dabei ist es doch unserem Eingreifen zu verdanken, dass nicht auch noch Graf Vinzenz und sein zweiter Sohn Opfer dieser Gundula geworden sind!«

Die hatte ihr unrühmliches Ende in einer Falle gefunden, die eigentlich ihm, Falk, gegolten hatte. Sie war in die Grube gestürzt und von Raubtieren unter seinen Augen zerfleischt worden. Ein schrecklicher Anblick, der ihn bestimmt noch lange verfolgen würde. »I… ich weiß!«, antwortete er schließlich. Bingo hatte ja recht, aber trotzdem … »Mich bedrückt ja auch kein schlechtes Gewissen … sondern die Tatsache, dass gerade Gundula, die doch so zart und engelsgleich erschien, zu solch mörderischen Taten fähig war.«

Da lag also das Problem, dachte Bingo. Er macht sich Vorwürfe, dass er nicht früher erkannt hatte, dass sie die Fäden zog.

»Verbirgt sich denn hinter äußerer Anmut und Schönheit stets nur abgrundtiefe Bosheit, Bingo? Wie oft haben wir dergleichen nun schon erlebt?« Er war es leid.

In der Tat, es war nicht das erste Mal, dass eine Frau ihnen, vor allem jedoch Falk, übel mitspielte.

»Denke doch nur an Graf Engelbrecht von Eschenburgs Pflegetochter Sigrid, die ein Doppelleben als Großer Wolf führte … an Isabella di Ruperossa, die Gnadenlose Herrin … an Mafalda del Marescuro, welche …«

»Oje, oje!«, unterbrach Bingo ihn und fasste sich an den Kopf. »Ich sehe schon, du hast heute einen besonders heftigen Anfall von Schwermut, Falk! Das bringt dich dazu, die Dinge einseitig zu sehen … Denn schließlich haben wir doch auch schon genug Menschen kennengelernt, auf die deine düstere Schlussfolgerung nicht zutrifft. Nimm nur einmal Ursula, Graf Engelbrechts leibliche Tochter, deren Medaillon du seit Jahren auf der Brust trägst!«

Schuldbewusst senkte Falk den Blick. Natürlich hatte Bingo recht. Trotzdem. Es fühlte sich für ihn nicht so an.

»Ist sie etwa nicht schön und hat doch auch einen tadellosen Charakter?«

»O… Oh!« Erwischt! Das traf in der Tat auf sie zu.

Bingo fuhr unbeirrt fort. »Übrigens … ein naheliegendes Beispiel für die Vereinbarkeit eines vollendet schönen Körperbaus und edler Gesinnung wäre natürlich ich!« Er schloss die Augen und reckte das Kinn vor, von seinen Worten mehr als überzeugt.

»Ah! – Da … hast du recht! Du bietest wirklich … das Paradebeispiel für eine … hrmpf … wohlgeformte Figur!«, murmelte Falk hinter vorgehaltener Hand.

Wütend drohte Bingo ihm mit der Faust. »He! Da höre ich doch schon wieder den berüchtigten spöttischen Unterton heraus! – Das ist also der Dank!« Er schnaubte entrüstet. »Da setze ich alles daran, deinen Weltschmerz zu vertreiben … Und du machst dich zum Dank über mich lustig! Aber warte, Rache ist Blutwurst! Ich fordere dich zum Zweikampf heraus – und zwar zu einem ganz besonderen!«

Falk holte Luft.

»Siehst du da hinten das Wäldchen?«

Falks Blick folgte Bingos ausgestreckter Hand. »Hm.«

»Wir sind heute weit genug gekommen, und dort finden wir bestimmt einen geeigneten Lagerplatz. Deshalb …« Er grinste und drückte seinem Pferd die Hacken in die Seiten. »… wer zuletzt da ist, muss Brennholz sammeln!«

Falk lachte und folgte ihm. »Einverstanden! Vorwärts, Donner!«

»Heyah!« Bingo preschte vorwärts. Er hatte einen großen Vorsprung, und sein Pferd gab alles. Doch kurz vor dem Ziel zog Falk triumphierend an ihm vorbei …

Tatsächlich fanden sie in dem Waldstück eine für ihr Nachtlager wie geschaffene Lichtung. Und sie hatten sogar noch mehr Glück. Ein leises Rascheln erregte ihre Aufmerksamkeit. Rebhühner.

»Wenn ich da nicht unser Abendessen laufen sehe«, flüsterte Bingo und griff nach Pfeil und Bogen.

Zwei Stunden später loderte ein kleines, wärmendes Feuer zwischen den beiden Gefährten. Der Duft nach gebratenem Fleisch lag in der Luft. Hell stand der Mond hoch am Himmel.

Bingo biss in die Keule, die er in der Hand hielt, kaute ausgiebig und schluckte dann. »Was war ich wieder für ein Narr, ausgerechnet diesen Wettstreit mit dir zu suchen! Als ob irgendein Gaul auf der Welt es mit deinem Wunderpferd aufnehmen könnte! Du kannst von Glück sagen, dass der einzigartige Bingo geneigt ist, dir sowohl diese Niederlage als auch die vorausgegangene Beleidigung noch einmal zu verzeihen, Bursche! Aber auch nur, weil wir hier auf Anhieb zwei köstliche Rebhühner aufgespürt haben. Hm!« Mit der Rechten rieb er sich seinen Bauch.

»Ha, ha, ha! Du bist … wirklich einzigartig, Bingo!« Auch Falk genoss ihr köstliches Mahl. Nicht immer war ihnen das Jagdglück hold. Wer wusste schon, wann sie wieder eine warme Mahlzeit bekämen? »Man kann sich in einer noch so trüben Stimmung befinden … Mit dir als Reisegefährten dauert sie garantiert nicht lange an! Wie froh ich bin, dass du es dir überlegt hast und mich nun doch bis in meine Heimat begleiten willst! Du bist der beste Freund, den man sich wünschen kann!« Das sagte er nicht nur einfach so dahin, sondern er meinte es auch genau so.

»Das will ich wohl meinen! Denn schließlich bin ich nur aus Freundschaft zu dir gerade im Begriff, ein heiliges Gelübde zu brechen.«

»Oh!« Davon hatte Falk nichts gewusst.

»Du hast ganz richtig gehört! Oder gehören deine Besitzungen etwa nicht zum Machtbereich des Fürsten Gottfried von Starkenfels?«

»D… doch. Aber …« Falk verstand nicht. Was wollte Bingo sagen?

»Nun, so wisse, dass ich einst tausend Eide geschworen habe, niemals wieder einen Fuß auf das Gebiet dieses Erzhalunken zu setzen!«

»Bingo!« Falk war entsetzt. »Fürst Gottfried ist ein allseits beliebter und gerechter Landesherr. Und einer der ehrenwehrtesten Männer, die mir in meinem Leben begegnet sind!«, erwiderte er leicht entrüstet. Dieser Vorwurf traf ihn schwer. Wie konnte Bingo so etwas behaupten?

»Ha, ha, ha!« Bingo lachte spöttisch. »Da kann man wieder einmal sehen, wie naiv du doch bist! Wenn Starkenfels ein ehrenwerter Mann ist, darfst du mich künftig ungestraft Fettwanst nennen!«

Sein Freund schien überzeugt von seinen Worten zu sein. Nachdenklich rieb sich Falk das Kinn. »Hm … du scheinst dir deiner Sache sehr sicher zu sein. Dabei wusste ich bis heute gar nicht, dass du überhaupt schon einmal im Land des Fürsten unterwegs warst.«

»Tja, unsere turbulenten Abenteuer haben uns eben viel zu wenig Zeit gelassen, uns über unser Vorleben auszutauschen.« Er dachte nach, krauste dabei die Stirn. »Es war etwa ein halbes Jahr, bevor wir uns kennenlernten. Wie du ja weißt, zog ich damals als Gaukler durch die Lande, um überall, auf Burgen und Schlössern, in Dörfern und Städten, meine Künste feilzubieten. Als ich einmal während eines Markttages in einer größeren Stadt auftrat, lernte ich einen ebenfalls herumreisenden Kaufmann mit seinen beiden Knechten kennen. Schon damals waren die Zeiten unsicher, und nur ein Narr hätte einen auch nur halbwegs brauchbaren Reisegefährten ausgeschlagen. Deshalb wurden wir uns schnell einig, einstweilen gemeinsam weiterzuziehen. Zumal wir als Nächstes ohnehin dasselbe Ziel hatten: Burg Starkenfels. Nach einigen Tagen, wir hatten gerade die Grenze zu Fürst Gottfrieds Gebiet überschritten, gelangten wir an ein einladend wirkendes Gasthaus. Es dämmerte bereits, und da wir beide zuletzt nicht schlecht verdient hatten, beschlossen wir, hier zu übernachten und es uns einmal so richtig gut gehen zu lassen. Küche und Keller hielten, was der Wirt versprach, doch obwohl ich, wie dir bekannt ist, edle Genüsse durchaus zu würdigen weiß, konnte ich an diesem Abend nicht umhin, auch den einzigen anderen Gästen, einem angeblichen Junker von Fürst Gottfrieds Hof nebst seinen Waffenknechten, einige Aufmerksamkeit zu widmen …«

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