Leseprobe – Falk – Überlistet!


Zum Roman

 

EINS

Einige Wochen waren vergangen seit den turbulenten Ereignissen, die der intrigante Junker Heiko ausgelöst hatte und deren Ziel es gewesen war, Fürst Gottfried von Starkenfels zu stürzen. Der junge Falk hatte nicht nur die Verschwörung aufgedeckt, er hatte das Fürstentum gerettet und die Ehre des zu Unrecht beschuldigten Grafen Hertrich wiederhergestellt. Zum Dank für seine selbstlosen Taten hatte der Fürst Falk in den Ritterstand erhoben und ihm zudem das sagenhafte Schwert verehrt, das landesweit unter dem Namen »Zeichen des Sieges« bekannt war.

Inzwischen war Falk in die ritterliche Runde aufgenommen worden. Er war anerkannt, lebte in der Burg von Fürst Gottfried und nahm am höfischen Leben teil. Doch bei allem Glück, das ihm widerfahren war, quälte er sich mit düsteren Gedanken. Immer wieder suchte der junge Ritter die Einsamkeit, um mit sich und seinen Grübeleien allein zu sein.

»Hier bist du also«, vernahm er eine Stimme. »Ich habe dich im Rittersaal vermisst.«

Auf die Zinnen eines Wehrgangs gestützt, schaute Falk ins Land hinaus. Als er sich umwandte, kam sein Gönner Ritter Arno von Eschenhof, der ihn einst zum Knappen gemacht hatte, auf ihn zu.

»Ihr seid es, Ritter Arno.«

»Ich habe dich im Rittersaal vermisst. Komm und begleite mich! Die Musiker spielen zu einem neuen Tanz auf.«

»Verzeiht, aber mir gehen so viele Dinge durch den Kopf. Ständig muss ich über meine Herkunft nachdenken.«

»Ich verstehe dich, doch du musst die trüben Gedanken abschütteln. Sie belasten dich nur, statt Licht ins Dunkel zu bringen. Nun komm schon! Die Zerstreuung wird dich ablenken.«

»Bitte, lasst mich hier!«, sträubte sich Falk. Ihm war nicht nach Musik und Tanz zumute. Zu sehr belastete ihn die Ungewissheit seiner Abstammung.

Arno seufzte. »Hast du denn gar keinen Anhaltspunkt, der dich auf die Spur deiner Herkunft bringen kann?«

»Nur dieses Medaillon.« Falk griff nach dem goldenen Anhänger, den er an einer Kette um den Hals trug. »Mein Pflegevater sagte mir, ich habe es bereits getragen, als er mich im Wald fand und an Kindes statt aufnahm.«

Ritter Arno betrachtete das Medaillon eingehend. »Das Zeichen derer von Steinfeld. Ein fürwahr stolzes Geschlecht. Wenn ich mich nicht irre, führt heute Graf Armin von Steinfeld das Regiment.«

»Ihr täuscht euch nicht.« Dunkle Erinnerungen überkamen Falk. »Ich musste vor Graf Armin fliehen.«

»Aber wieso?«

»Weil er ein gemeiner Tyrann ist, der meinen Pflegevater ermorden ließ. Ich bin geflohen, weil mir keine andere Wahl blieb, um mein eigenes Leben zu retten. Doch eines Tages werde ich zurückkehren und Graf Armin zur Rechenschaft ziehen.«

»Ein kühnes Vorhaben.«

»Dessen Durchführung Ihr mir nicht zutraut?«

Arno wölbte eine Braue. »Ganz im Gegenteil, schließlich habe ich dich seit unserem ersten Zusammentreffen sehr gut kennengelernt. Damals bist du schon vor mir nicht zurückgewichen, obwohl du noch nicht einmal ein Knappe warst. Wenn es um die Gerechtigkeit geht, bleibst du standhaft. Das hat nicht nur mich beeindruckt, sondern auch Fürst Gottfried.«

»Am liebsten würde ich sofort aufbrechen, um Graf Armin zur Rede zu stellen und die Antworten zu erzwingen, nach denen es mich verlangt. Leider habe ich nicht die Macht, um gegen den Grafen und seine zahlreichen Bewaffneten antreten zu können.«

»Vielleicht kann dir Fürst Gottfried helfen. Du hast ihm seinen Herrschaftsanspruch über das Fürstentum gerettet. Das wird er dir niemals vergessen.« Arnos Miene verfinsterte sich. »Allerdings kann er nicht grundlos etwas unternehmen. Du musst beweisen können, dass du wirklich ein Steinfeld bist und man dich ausgesetzt hat.«

»Ich werde die Beweise finden. Gleich morgen früh reite ich los, um mich auf die Suche zu machen.«

»Es ist schade, dass du uns verlassen willst«, sagte Arno betrübt. »Fürst Gottfried wird dich nicht gern ziehen lassen, und das Gleiche gilt für mich.«

»Ich danke Euch, doch meine Entscheidung ist gefallen.«

Falk war fest entschlossen. Er hatte schon zu lange gezögert. Es ging nicht allein um die Anerkennung seiner eigenen Ansprüche. Er hatte zudem eine Schuld seinem ehrenwerten Pflegevater gegenüber, der einem heimtückischen Mord zum Opfer gefallen war. Dieses Verbrechen durfte nicht ungesühnt bleiben.

*

Früh am nächsten Morgen suchte Falk den Fürsten auf, um ihm seine Entscheidung mitzuteilen. Wie Ritter Arno vorausgesehen hatte, war der Burgherr betrübt über Falks bevorstehenden Aufbruch.

»Ich sichere Euch meine volle Unterstützung zu«, versprach Gottfried, um gleich einzuschränken: »Doch ich halte es für viel zu gefährlich, dass Ihr Euch nach allem, was geschehen ist, in Graf Armins Nähe wagt.«

»Mir bleibt kein anderer Weg. Ich kann nicht weiterhin tatenlos abwarten und zusehen, wie die Zeit verrinnt.«

»Ich weiß einen weniger gefährlichen Ausweg«, schlug Gottfried vor. »Ich entsende zwei meiner Vertrauten an Graf Armins Hof. Nachdem der Graf sie empfangen hat, können sie Nachforschungen anstellen.«

»Das ist sehr gütig von Euch, Fürst Gottfried. Ich möchte jedoch nicht, dass sich ein anderer für mich in Gefahr begibt«, lehnte Falk das Angebot ab. »Ich bin guter Dinge, denn meine Begegnung mit Graf Armin liegt ein halbes Jahr zurück. Damals hat er mich nur kurz gesehen. Ich glaube nicht, dass er sich mein Gesicht so gut eingeprägt hat, dass er mich wiedererkennt, wenn ich ihm gegenüberstehe.«

»Ich merke, dass ich Euch nicht umstimmen kann. Ihr zeigt die gleiche Entschlossenheit, die Ihr bisher an den Tag gelegt habt. Ich möchte Euch dies mitgeben.«

Der Fürst überreichte Falk einen Beutel mit Goldstücken und verabschiedete ihn mit den besten Wünschen. Er sicherte seine Hilfe zu, sobald stichhaltige Beweise für Falks Anrecht auf den Titel derer von Steinfeld vorlägen.

Der junge Ritter bedankte sich und begab sich in die Stallungen zu seinem Pferd. Nachdem er es gesattelt hatte, saß er auf und machte sich auf den abschüssigen Weg, der von der Anhöhe hinabführte.

»Galopp, Donner!«, trieb Falk den Braunen an.

Burg Starkenfels blieb hinter ihm zurück, und der Pfad flog unter den Hufen des Vierbeiners dahin. Von nun an hatte Falk keine Hilfe mehr zu erwarten. Er war auf sich allein gestellt.

 

ZWEI

Einige Tage später erspähte Falk in der Ferne die Zinnen von Ritter Eberhards Burg. Im Alter von fünf Jahren hatte sein Ziehvater Heinrich den Jungen in die Schule von Eberhard gegeben, um ihm eine seinem Stand angemessene Erziehung angedeihen zu lassen.

»Es ist besser, wir machen einen Umweg, Donner«, raunte Falk seinem Vierbeiner zu. »Auf der Burg kennt mich jeder. Es ist besser, wenn niemand von meiner Rückkehr erfährt.«

Sonst bestand die Gefahr, dass sie sich bis zu Graf Armin herumsprach.

Falk ritt ins Tal hinunter und machte einen großen Bogen um die Burg. Auf diesem Weg gelangte er über Ritter Brunos Land auf das Gebiet des Grafen. Bruno hatte ihn zuletzt gesehen, als Falk noch ein Knabe gewesen war. Daher bestand keine Gefahr, von ihm wiedererkannt zu werden, selbst wenn sie sich begegnen sollten.

Er ritt den ganzen Tag. Nur hin und wieder legte er eine Rast ein, damit Donner ausruhen und Wasser aus einem Bach trinken konnte. Er ließ Eberhards Burg hinter sich, ohne dass ihm jemand begegnete.

Als es auf Abend zuging, bemerkte er einen unterschwelligen Brandgeruch in der Luft, der schnell intensiver wurde. Es roch nach Feuer. Falk zügelte den Braunen und sah sich um. Er konnte keine Flammen entdecken. Der leichte Wind kam aus der Richtung, in die er unterwegs war. Ein ungutes Gefühl beschlich den jungen Ritter, als er seinen Weg fortsetzte.

Kaum dass der Wald hinter ihm zurückblieb und er freie Sicht auf die weite Ebene hatte, bestätigte sich seine Ahnung. Ritter Brunos Anwesen stand lichterloh in Flammen. Das Feuer hatte auf die meisten Gebäude übergegriffen. Dichte, schwarze Rauchwolken stiegen auf.

»Schneller, Donner! Vielleicht können wir helfen.«

Der Braune galoppierte das leicht abschüssige Gelände hinunter, von Falk auf das Hauptgebäude zugetrieben. Schon bevor er den Zugang erreichte, bot sich ihm ein fürchterlicher Anblick. Am Boden lagen Männer regungslos inmitten von Schwertern und Schilden. Ein Kampf hatte stattgefunden, doch zwischen wem?

Falk zügelte den Vierbeiner und sprang aus dem Sattel. Seine Hoffnung, den Männern helfen zu können, schwand jäh, als er sie untersuchte. Da war nichts mehr zu machen. Sie waren tot, im Kampf gefallen.

»Wer mag dafür verantwortlich sein?«, murmelte er.

Die Hitze des Feuers lag schwer über dem Dorfplatz. Die Gebäude waren verloren. Auch wenn er nicht allein gewesen wäre, wäre es aussichtslos gewesen, sie zu löschen. Falk fuhr herum, als er eine Stimme zu vernehmen glaubte. In seiner Nähe war niemand zu sehen.

»Hilfe!« Wieder die Stimme, ganz dünn und kaum zu hören. »Hilfe, bitte!«

Es gelang Falk, die Richtung zu bestimmen, aus der sie kam. Zwischen den Holzbalken eines zusammengebrochenen Schuppens entdeckte er einen Arm. Die Hand bewegte sich.

Ein Überlebender!

Falk sprang hinzu und wuchtete die Balken beiseite. Ein verletzter Waffenknecht kam darunter zum Vorschein. Er blutete aus einer nicht allzu schweren Kopfwunde. Es war ihm mit letzter Kraft gelungen, auf sich aufmerksam zu machen. Ohnehin hatte er enormes Glück gehabt, dass der etwas abseits gelegene Schuppen kein Feuer gefangen hatte.

»Kannst du mich verstehen? Was ist geschehen?«

»Die … schwarzen Teufel haben uns … überfallen.« Die Stimme des Verwundeten war schwach. Er brachte die Worte abgehackt heraus, kaum zu verstehen. »Erst haben sie Ritter Winfrieds Besitz … vernichtet, und nun … nun sind sie wieder … der Hölle entsprungen und über uns hergefallen. Sie haben alle … erschlagen und das … Anwesen angezündet.«

»Schwarze Teufel? Von was für schwarzen Teufeln sprichst du?«

Falks Fragen verhallten ungehört. Der Waffenknecht hatte das Bewusstsein verloren. Schwarze Teufel aus der Hölle? Das klang so, als ob der Ohnmächtige in geistiger Verwirrung gesprochen hätte. Falk konnte sich keinen Reim darauf machen. Wer ging mit solcher Grausamkeit vor und warum? Er überlegte, was er tun sollte. Zwar drängte es ihn, zu Graf Armins Burg zu reiten, doch er konnte den Unglücklichen nicht einfach liegen lassen. Er schien nicht ernsthaft verletzt zu sein.

Den anderen war hingegen nicht mehr zu helfen. Falk schritt die Reihen der Erschlagenen ab. Ritter Bruno war nicht unter ihnen. Das bedeutete nicht, dass er dem Massaker entronnen war. Falk musste versuchen, in den Rittersaal vorzudringen, um dort nach Bruno zu suchen. Angesichts des Feuers eine lebensgefährliche Angelegenheit. Bevor er den Fuß über die Schwelle setzen konnte, drang ein Schrei zu ihm herüber.

»Herr Ritter! Wartet, Herr Ritter!« Ein junger Bursche kam angehetzt. Heftig nach Atem ringend, blieb er vor Falk stehen. Seine Wangen waren gerötet. »Geht nicht hinein! In den Gebäuden hält sich niemand mehr auf.«

»Woher weißt du das? Wer bist du überhaupt?«

»Mein Name ist Ewald, Herr. Ich gehöre zum Gesinde von Ritter Bruno. Als die …«, der Junge keuchte. Er wagte nicht, den Namen der Feinde auszusprechen, »… die heilige Mutter Gottes beschütze mich! Als sie angriffen, bin ich mit den anderen Bediensteten in den Wald geflohen. Wir haben uns dort versteckt. Nur deshalb sind wir noch am Leben.«

»Meinst du etwa die schwarzen Teufel?«

»Nennt nicht ihren Namen, Herr, ich bitte Euch!« Ewald schlug die Hände vors Gesicht. »Sonst stürzt Ihr Euch ins Unglück.«

»Ach was, ich habe keine Angst vor Teufeln.« So leicht ließ sich Falk nicht ins Bockshorn jagen. »Auch dann nicht, wenn sie angeblich schwarz sein sollen. Hab keine Angst, sprich weiter!«

»Ritter Bruno ist mit seiner Familie und seinen Freunden seit einer Woche auf Burg Steinfeld zu Gast. Diese Gelegenheit haben die…«, der Junge streckte einen Arm aus, wiederum ohne die Angreifer beim Namen zu nennen, »…für ihren Überfall ausgenutzt.«

Falk deutete auf den Bewusstlosen. »Dieser Schildknecht hat mir erzählt, dass auch Ritter Winfrieds Besitz vernichtet wurde. Weißt du, ob das zutrifft?«

»Ja, Herr, es stimmt. Ritter Winfried und seine Getreuen sind tot.« Das Gesicht des jungen Burschen war vor Gram verzerrt. »Die … kennen kein Erbarmen. Wo sie auftauchen, da töten sie alle, die nicht schnell genug die Flucht ergreifen.«

»Wo sind Ritter Brunos andere Bedienstete jetzt?«, wollte Falk wissen. »Halten sie sich noch im Wald versteckt?«

»Nein, sie sind in ihre Dörfer zurückgekehrt. Sie fürchten, dass Ritter Bruno sein Anwesen nicht wieder aufbauen kann, weil er nach dem Überfall mittellos ist. Wahrscheinlich wird er in Graf Armins Dienste treten.«

Das war eine nachvollziehbare Überlegung. Zudem waren diese einfachen Menschen in ihren Dörfern wahrscheinlich am sichersten. Falk legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter.

»Warum bist du geblieben, statt mit ihnen zu gehen?«

»Weil ich kein Zuhause habe, zu dem ich zurückkehren kann, Herr«, klagte Ewald. »Meine Eltern sind schon lange tot, und andere Verwandte habe ich nicht.«

Es tat Falk leid, das zu hören. Das Schicksal des Jungen erinnerte ihn an sein eigenes.

»Hilf mir, diesen Mann quer auf den Sattel meines Pferdes zu legen! Am Taleingang habe ich ein Dorf gesehen. Dorthin begeben wir uns.«

Sie packten den Bewusstlosen an Armen und Beinen und wuchteten ihn auf Donners Rücken. Falks Blick glitt über das brennende Anwesen. Inzwischen hatten die Flammen auch die letzten Stallungen erreicht. Es stimmte, Ritter Brunos Besitztümer waren verloren.

»Werdet Ihr auch im Dorf bleiben?«, fragte der Junge.

»Nein, ich habe etwas an Graf Armins Hof zu erledigen. Danach reite ich zurück zu Fürst Gottfried, von wo ich gekommen bin. Wenn du willst, kannst du dich mir anschließen. Am Hof des Fürsten gibt es bestimmt eine Beschäftigung für dich.«

»Ihr meint am Hof des mächtigen Fürsten Gottfried?«

»So ist es.«

Ewald riss die Augen weit auf. »Das wäre wunderbar, Herr Ritter«, jubelte er.

»Welche Dienste hast du bei Ritter Bruno verrichtet?«

»Ich war Stallbursche.«

»Das klingt sehr gut. Fürst Gottfried hat herrliche Pferde, die dir bestimmt gefallen werden. Wer weiß, vielleicht wirst du eines Tages sogar Stallmeister.«

Falk zog den Braunen an der Leine hinter sich her. Auf dem Weg zum Dorf ließ er höchste Wachsamkeit walten. Vielleicht lauerten die schwarzen Teufel irgendwo im Wald, um über arglose Reisende herzufallen. Doch unterwegs begegnete ihnen kein Mensch. Ringsum war es still, und niemand kreuzte ihren Weg.

Zum Roman