Leseprobe – Nick – Gefährlicher Ehrgeiz


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EINS

»Es kommt mir vor wie eine kleine Ewigkeit, seit wir hier waren.« Nick sah sich sinnend um. »Ich hatte schon beinahe vergessen, wie es in der Forschungszentrale aussieht.«
»Übertreibe es nicht«, mäßigte Professor Raskin den Weltraumfahrer. »Wir waren schließlich nicht aus der Welt, genauso wenig wie ihr.«
»Im Grunde waren wir das doch«, widersprach Tom.
Es stimmte tatsächlich. Der hinter ihnen liegende Flug hatte Nick, den Biologen Tom Brucks und den Marsianer Xutl nicht wie üblich in den Weltraum hinausgeführt, sondern in die Welt des Allerkleinsten. Bewerkstelligt hatte das der von Raskin entwickelte und in den neuen Kugelraumer eingebaute Verkleinerungsstrahler. Zur Überraschung der drei Abenteurer waren sie im Mikrokosmos auf ein eigenständiges Universum gestoßen – und auf einen von der Heimat stark abweichenden Zeitablauf. Verantwortlich dafür war die Zeitrelativität zwischen den beiden Universen.
Jetzt, keine Stunde nach der Rückkehr aus dem Mikrokosmos, hielten sie sich alle im Labor des Professors auf. Neben den Freunden waren auch die engsten Mitarbeiter des Professors zugegen.
»Über acht Monate!« Der Forscher mit dem markanten Schnurrbart konnte es immer noch nicht fassen. »Acht Monate wart ihr unterwegs, während bei uns nur zwei Minuten vergangen sind. Was für ein Erfolg! Welch triumphale Erkenntnis für die Wissenschaft! Lasst endlich hören, was ihr alles erlebt habt!«
Nick ließ sich nicht zweimal bitten, denn Raskin platzte fast vor Neugier. Die Freunde berichteten ausführlich über ihre phantastische Reise, ihre Gefangenschaft, das diktatorische Regime, dem sie sich widersetzt hatten, und das glückliche Ende.
»Das ist wirklich kaum zu glauben«, sagte der Professor, nachdem die Gefährten ihren Bericht beendet hatten. »Jeden anderen als euch würde ich nach einer solchen Geschichte für verrückt erklären.«
Nick lachte. »Da geht es mir kaum anders. Zum Glück habe ich zahlreiche Aufnahmen gemacht. Sie und Ihre Kollegen können sie sich in Ruhe ansehen. Ich bin sicher, sie werden Ihnen gefallen.«
Nick täuschte sich nicht. Die Begeisterung ging regelrecht mit den Wissenschaftlern durch. Sie fielen buchstäblich über die Bilder her, die der Weltraumfahrer ihnen unter die Nase hielt.

*

Die Wachmänner Jackson, Doyle und Parker patrouillierten vor dem Kontrollgebäude der Weltforschungszentrale, als ein schwerer, dunkler Wagen mit getönten Scheiben auf den gesperrten Bereich zurollte. Unmittelbar vor dem Eingangsbereich des flachen Gebäudes hielt er an und ein dunkelhaariger Mann mit einem kleinen Spitzbart stieg aus.
»Guten Tag, Sir«, begrüßte Jackson den Besucher. »Können wir Ihnen helfen?«
»Das hoffe ich«, antwortete der Fremde. »Ich suche den Weltraumfahrer Nick.«
»Nick ist in einer Besprechung und daher leider nicht zu sprechen«, bedauerte Jackson.
Der Besucher schürzte die Lippen. »Es ist sehr wichtig für mich, mit ihm zu reden. Gibt es keine Möglichkeit, an ihn heranzukommen, für ein paar Minuten nur?«
»Nichts zu machen. Wir haben strikte Anweisungen. Können wir ihm etwas ausrichten?«
»Nein, ich muss schon persönlich mit ihm sprechen.«
Jackson blieb unerbittlich. »In dem Fall tut es mir leid.«
»Warten Sie!«, hielt Parker den Fremden zurück, als der sich umdrehen wollte. »Morgen beginnt Nicks Urlaub. Soweit ich weiß, verbringt er den immer in seinem Haus auf Molokai. Wenn es also wirklich so wichtig ist, bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Ihr Glück dort zu versuchen.«
»Molokai gehört zur Hawaii-Inselgruppe.« Der Besucher rieb sich nachdenklich am Kinn. »Ja, das lässt sich bestimmt einrichten. Ich danke Ihnen.«
Er drehte sich um und stieg in seinen Wagen. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, startete der Motor und das Fahrzeug brauste davon.
Doyle starrte der schweren Limousine hinterher. »Nicht sehr gesprächig. Was war das denn für ein komischer Vogel?«
»Hast du ihn etwa nicht erkannt?«, wunderte sich Parker. »Das war Jack Hunter.«
»Und wer ist dieser Jack Hunter?«
»Einer der berühmtesten Großwildjäger überhaupt. Er ist ständig in allen Medien präsent. Hast du seine Fernsehsendungen noch nie gesehen?«
»Nein.« Doyle schüttelte den Kopf. »Kannst du mir verraten, was dieser Hunter von Nick will?«
Parker hob ratlos die Schultern. Auf diese Frage hatte auch er keine Antwort.

*

Am nächsten Morgen verließen Nick und Tom das Forschungsgelände mit einem schlanken Düsenjet. Xutl konnte sie nicht begleiten, da er mit seinen Kenntnissen in einer der Venusstationen für komplizierte Berechnungen gebraucht wurde. Nick zog die Dreipersonenmaschine steil nach oben. Unter ihnen wurde das Forschungszentrum mit seinen Gebäuden, Hallen und Kuppeln, den Start- und Landefeldern, den Antennen, Kränen und Raketenschiffen schnell kleiner. Der Weltraumfahrer warf einen letzten Blick auf das Kugelschiff mit seinem phantastischen R3-Antrieb, bevor der Jet von einer Wolkenbank verschluckt wurde.
»Beinahe hätte es mit dem Urlaub nicht geklappt.« Nick lachte amüsiert. »Nur weil wir angeblich bloß zwei Minuten Dienst getan haben.«
Tom verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene. »Diese Bürohengste. Es war wirklich schwer, ihnen klarzumachen, dass wir einem anderen Zeitablauf unterworfen und dadurch mehr als acht Monate am Stück im Einsatz waren. Zum Glück hat uns der Bordkalender gerettet.«
»Nimm es nicht so schwer, alter Junge«, tröstete der Pilot den hinter seinem Rücken sitzenden Freund. »Jetzt beginnt unser Urlaub und nichts kann uns davon abhalten, ihn zu genießen!«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als sich die Funkstation der Weltforschungszentrale meldete. »Sie werden aus New York verlangt, Nick.«
»Stellen Sie durch«, bat er.
Sekunden später erklang eine weibliche Stimme. »Guten Tag, hier spricht Jane Lee. Ich bin vom Zoologischen Garten in Rom beauftragt worden, eine interplanetare Expedition vorzubereiten, um Tiere von anderen Planeten für den irdischen Zoo zu fangen. Sie selbst haben auf der Venus ja einige Spezies kennengelernt. Mir fehlt für die Mission ein erfahrener Raumpilot und ich dachte da an Sie.«
»Was sagtest du gerade eben? Nichts kann uns davon abhalten, unseren Urlaub zu genießen?«, murmelte Tom. »Da war der Wunsch wohl Vater des Gedankens.«
»Hören Sie, Miss Lee«, wandte Nick sich an die Anruferin. »Ihr Anliegen kommt etwas überraschend und lässt sich über den Wolken nicht gut besprechen. Ich schlage vor, Sie besuchen mich in meinem Landhaus auf Molokai. Dort können wir uns in Ruhe über Ihren Vorschlag unterhalten.«
»Einverstanden.« Es knackte im Funkempfänger und die Verbindung war unterbrochen.
Tom fasste sich stöhnend an den Kopf. »Willst du wirklich an dieser Expedition teilnehmen? Was wird dann aus unserem Urlaub? Wir haben ihn dringend nötig. Ich jedenfalls.«
»»Halb so wild, alter Junge«, versuchte Nick die Bedenken seines Freundes zu zerstreuen. »Auch auf der Venus gibt es nette Plätzchen, um sich zu erholen. Mit dem Tierfang selbst hätten wir gar nichts zu tun. Wir sollen die Leute nur hinfliegen und später wieder zurück zur Erde bringen.«
»Wenn du es so siehst, hört es sich gar nicht so schlimm an«, gab der Biologe zu.
»Na siehst du. Während die anderen sich mit dem Einfangen der Tiere abplagen, legen wir uns gemütlich in die Sonne.«
Der Jet raste seinem Ziel in der Südsee entgegen.

*

Molokai war eine der acht vulkanischen hawaiischen Hauptinseln, deren höchste Erhebung, der Mount Kamakou, sich über eintausendfünfhundert Meter aus dem Meer erhob. Nicks Haus lag in einer einsamen Region der Insel, nur wenige Schritte vom Strand entfernt. Palmen und Büsche rahmten das Grundstück zum Landesinneren hin ein, wohingegen ein ungehinderter Blick aufs Meer hinaus möglich war.
Als Nick den Landeanflug einleitete, deutete Tom nach unten. »Da steht ein Flugwagen. Anscheinend hast du Besuch. Vielleicht ist es diese Jane Lee, die dich kontaktiert hat.«
»Ausgeschlossen.« Nick landete den Jet unweit des Flugwagens. »Sie kann nicht vor uns hier sein.«
Die Freunde stiegen aus und sahen sich um. In ihrer Nähe hielt sich kein Mensch auf. Auch der Pilot des abgestellten Wagens war nicht zu sehen.
»Hallo!«, rief Nick. »Ist hier jemand?«
Er erhielt keine Antwort. Lediglich das sanfte Säuseln des Windes in den Palmen war zu vernehmen.
»Merkwürdig«, murmelte Tom. »Versteckt der Fremde sich vor uns?«
»Wahrscheinlich wartet er unten am Strand«, überlegte der Weltraumfahrer. »Das Haus ist verschlossen. Hineingelangen konnte er also nicht.«
»Gehen wir hinunter und schauen nach«, schlug der Biologe vor.
Plötzlich erregte ein tiefes Fauchen Nicks Aufmerksamkeit. Aus dem Augenwinkel gewahrte er einen mächtigen Schatten, der aus dem Gebüsch hervorbrach und auf die Freunde zulief.
Ein riesiger Tiger!
Gedankenschnell zog Nick seine Strahlenpistole. Er wirbelte herum, legte an und zog den Abzug durch. Der Strahl erfasste die Raubkatze im Sprung und warf sie zu Boden, wo sie betäubt liegen blieb. Tom kratzte sich nachdenklich am Schopf.
»Ein Tiger, hier? Ich verstehe das nicht. Auf ganz Hawaii gibt es keine solchen Großkatzen. Er wiegt bestimmt seine zweihundert Kilogramm. Wie kommt er bloß hierher?«
»Ich habe ihn mitgebracht.« Ein dunkelhaariger Mann trat zwischen den Büschen hervor. »Ihre Reaktion war großartig. Genau so habe ich mir das erhofft. Diese Schnelligkeit ist einfach bewundernswert. Ich sehe, ich habe auf den richtigen Mann gesetzt. Gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle? Mein Name lautet Jack Hunter, aber die meisten Menschen nennen mich einfach Jack, den Jäger.«
»Können Sie uns verraten, was der Unsinn mit dem Tiger zu bedeuten hat?«, verlangte Tom verärgert.
»Sein Name ist Zingo«, verriet Hunter.
»Soll das vielleicht eine Erklärung sein?«
Der Jäger lächelte zaghaft. »Bitte verzeihen Sie mein ungewöhnliches Auftreten, doch ich musste sichergehen, dass Nick wirklich so schnell ist, wie ich dachte. Er ist es. Ihnen beiden konnte also gar nichts passieren.«
»Aber dem Tiger«, empörte sich der Biologe. »Wenn Nicks Strahler höher eingestellt gewesen wäre, wäre das arme Tier jetzt tot.«
»Nicht doch«, wehrte Hunter ab. »Nick ist viel zu vernünftig und besonnen, um mit einer Waffe ein Risiko einzugehen. Mir war von vornherein klar, dass Zingo nichts Schlimmeres als eine Betäubung droht.«
Tom verdrehte die Augen. »Sie haben vielleicht Nerven, Mann.«
»Das kann man wohl sagen«, pflichtete Nick seinem Freund bei. »Sie haben wirklich eine seltsame Art, sich einzuführen, Jack. Verraten Sie uns endlich, was dieser Auftritt zu bedeuten hat?«
»Ich möchte Sie engagieren.« Hunter hob eine Hand und deutete mit dem Daumen hinter sich. »Aber wollen wir dazu nicht lieber ins Haus gehen, um das zu besprechen?«
»Meinetwegen«, willigte Nick ein. »Doch zuerst sperren wir Zingo in Ihrem Flugwagen ein, ehe er wieder zu sich kommt. Ich weiß nicht, wie lange die Betäubung bei diesem Brocken anhält.«
Gemeinsam hoben die Männer den schweren Tiger auf. Sie schleppten ihn in den Laderaum des Wagens und verschlossen die Luke mit Umsicht.

*

»Sie wollen mich also engagieren«, kam Nick auf das Thema zurück, das der Jäger draußen angesprochen hatte. »Etwa als Pilot für eine Tierfangexpedition?«
Hunter sah den Weltraumfahrer aus großen Augen an. »Ganz recht. Woher wissen Sie das? Bisher habe ich mit keinem Uneingeweihten darüber gesprochen.«
»Auf dem Weg hierher wurde mir bereits ein gleichlautendes Angebot unterbreitet.«
»Von wem?«
»Von einer gewissen Jane Lee«, antwortete Nick. »Sie bat mich, ihr Schiff zu steuern.«
Die Miene des Jägers verfinsterte sich. »Lee also. Das hätte ich mir denken können. Diese Dame will mich mit allen Mitteln aus dem Geschäft drängen.«
»Wollen Sie uns nicht endlich erläutern, worum genau es geht?«, warf Tom ein.
»Selbstverständlich, meine Herren.« Der Besucher setzte zu einer ausführlichen Erklärung an. »Sicher ist Ihnen der Zoologische Garten in Rom bekannt. Der Zoo ist der größte und berühmteste auf der ganzen Erde. Man hat dort vor, eine interplanetare Abteilung einzurichten. Mit außerirdischen Tieren, verstehen Sie? Jane und ich stehen im Wettbewerb um den Auftrag, die seltsamsten Tiere des Sonnensystems herbeizuschaffen. Das Zuschauerinteresse dürfte gigantisch sein. Wer von uns beiden die besten Ergebnisse liefert, also die interessantesten Tiere von der Expedition mitbringt, erhält die Chance seines Lebens.«
»Inwiefern?«, hakte Tom nach.
»Der Zoo plant eine interstellare Expedition mit einem neuen Sternenschiff, aber nur der Erfolgreichere von uns beiden kann daran teilnehmen. Daher kommt es mir darauf an, einen guten Piloten zu bekommen. Nein, nicht bloß einen guten, sondern den besten, und das sind nun einmal Sie, Nick. Lassen Sie nicht zu, dass eine Frau den Wettbewerb gewinnt!«
»Nun mal langsam«, mäßigte Nick sein Gegenüber. »Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Eine Frau hat genauso viel Recht auf diese Aufgabe wie Sie oder jeder andere Mann. Miss Lee war nun mal schneller als Sie, das sollten Sie akzeptieren.«
»Es geht nicht um irgendeine Frau, sondern um diese schreckliche Frau. Sie ist ein Teufel. Glauben Sie mir, ihr Ehrgeiz ist grässlich. Sie würde vor nichts zurückschrecken, um den Wettbewerb gegen mich zu gewinnen.«
Nick blickte nachdenklich aus dem Fenster. Hinter der gläsernen Front erstreckte sich das Meer. Im Schein der untergehenden Sonne funkelte es fast türkisfarben. Sanft kräuselten sich die auslaufenden Wellen am Strand. Er hatte sich darauf gefreut, dieses Schauspiel tage- oder gar wochenlang zu genießen, doch die an ihn herangetragene Aufgabe begann ihn zunehmend zu interessieren.
»Ich schlage vor, wir fliegen nach Rom und unterhalten uns mit dem Zoodirektor. Danach sehen wir weiter. Heute ist es zu spät, denn die Sonne geht bald unter. Seien Sie mein Gast, Jack. Morgen früh brechen wir auf.«
Der Großwildjäger bedankte sich. »Einverstanden.«
Nick benachrichtigte Jane Lee über den Besuch des Jägers und verabredete sich mit ihr ebenfalls am neuen Treffpunkt.

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