Leseprobe – Nick – In den Sümpfen der Ork


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EINS

Seit der Rückkehr vom Mars und der Ausschaltung des letzten auf der Erde operierenden marsianischen Agenten waren einige Monate vergangen. Es waren friedliche Monate gewesen, die man dazu genutzt hatte, Professor Raskins Forschungsanlagen in Nevada wieder aufzubauen. Hier waren auch die fünf schlanken Raumschiffe entstanden, die silbern im Sonnenlicht glänzten. Sie standen auf dem Startfeld und schienen es ebenso wie die Besatzung kaum noch erwarten zu können, endlich vom Boden abzuheben.
Nick sah dem bevorstehenden Flug zur Venus mit Zuversicht entgegen. Er versprach sich von der zweiten Expedition zum Nachbarplaneten ebenso viel wie die Weltregierung. Die Menschheit war auf die Rohstoffe der Venus angewiesen. Besonders galt das für die reichen Uranlagerstätten, die man beim ersten Flug gefunden hatte.
Für Nick kam das Verlangen hinzu, endlich wieder in den Weltraum aufzubrechen. Er hatte sich lange genug auf der Erde aufgehalten. Es zog ihn hinaus in den interplanetaren Raum zwischen den Welten des Sonnensystems.
Gemeinsam mit Professor Raskin und seinen Freunden, dem Biologen Tom und dem Marsianer Xutl, hielt er sich in der Zentrale des Führungsschiffs auf. Die Anspannung unter den übrigen Männern, die die Besatzung komplettierten, war deutlich zu spüren. Nick hingegen war die Ruhe selbst. Nach seinen Erlebnissen auf dem Mars und der Venus fühlte er sich schon beinahe wie ein alter Hase der Weltraumfahrt.
Der Start fand unter begeisterter Anteilnahme der gesamten Erdbevölkerung statt. Sämtliche Sender berichteten über das große Ereignis. Zeitungen hatten schon Tage zuvor mit Seiten füllenden Leitartikeln aufgewartet. Seit Wochen gab es kein anderes Thema, welches die Menschheit so sehr beschäftigte, wie dieser Weltraumflug. Die Anteilnahme der Menschen freute Nick. Sie bestätigte, dass man auf dem richtigen Weg war, um das kleinstaatliche Denken der Vergangenheit endgültig zu überwinden. Man musste an einem Strang ziehen, wenn es darum ging, neue Ressourcen zu erschließen. Nur gemeinsam fand die Menschheit einen Erfolg versprechenden Weg in die Zukunft.
Das schwere Vibrieren des Raketentriebwerks lief durch den Schiffskörper. Unter der gewaltigen Energieentwicklung bäumte es sich auf. Ein Lächeln huschte durch Raskins Gesicht. Der Startvorgang lief wie am Schnürchen. Auf mächtigen Feuersäulen hoben die Schiffe vom Boden ab und rasten auf die Atmosphäre zu, Wolken aus Feuer und Rauch hinter sich zurücklassend. Obwohl sie ihn nicht vernahmen, konnten die Männer an Bord sich den euphorischen Jubel vorstellen, der bei den vielen tausend Zuschauern rings um das Forschungsgelände ausbrach.
Ehe Nick sich recht versah, raste die kleine Flotte schon durch die Atmosphäre und geriet wenig später aus dem Bereich der Erdanziehungskraft. Der Heimatplanet blieb in der Schwärze des Alls hinter ihr zurück.
Raskin schaltete das Mikrofon ein und wandte sich an die Besatzungen der fünf Schiffe. Er gab Befehl, den R3-Antrieb einzuschalten. Nick war gespannt, wie sich der neu entwickelte Antrieb des Professors bei seinem ersten Belastungstest erweisen würde. Er sollte dafür sorgen, dass der Flug zur Venus nicht länger als vier Tage dauerte.
Wenig später zeigte sich, dass die Praxis hielt, was die Theorie versprochen hatte. Die Schiffe rasten mit unglaublicher Geschwindigkeit in den Leerraum zwischen den Planeten hinaus. In kürzester Zeit schrumpfte die Erde buchstäblich in sich zusammen.
»Fantastisch, Professor!«, verlieh Nick seiner Begeisterung Ausdruck. »Die Prognosen waren nicht übertrieben. Für die Strecke von der Erde zur Venus brauchen wie höchstens vier Tage. Das ist ein Riesensprung für die Menschheit.«
In der Tat hätte davon bis vor Kurzem noch niemand zu träumen gewagt, doch der Professor hatte das scheinbar Unmögliche wieder einmal möglich gemacht. Die Menschen konnten sich glücklich schätzen, ein solches Genie in ihren Reihen zu haben. Ohne ihn waren die Fortschritte in der Weltraumfahrt kaum vorstellbar.
Die Aufmerksamkeit der Männer war auf die Bordinstrumente gerichtet. Der neue Antrieb gab zu Sorgen keinen Anlass. Er funktionierte mit der Präzision eines Uhrwerks. So verlief der Flug ohne Zwischenfälle.

*

Drei Tage waren vergangen. Auch jene Männer, die zum ersten Mal an einer solchen Mission teilnahmen, bewältigten ihre Aufgaben mit zunehmender Sicherheit. Das Geschehen an Bord der Raumschiffe wurde allmählich zur Routine. Da es Zeit wurde für den nächsten Schritt, wandte der Professor sich über Funk an alle Besatzungen.
»Wir leiten jetzt das Bremsmanöver ein. Ich betone eindringlich, wie heikel dieser Abschnitt unserer Mission ist. Der Beginn des Abbremsens muss exakt eingehalten werden. Bei der kleinsten Verzögerung wird das betreffende Schiff übers Ziel hinausschießen und in die Sonne stürzen. Ich möchte keinen von Ihnen verlieren. Achten Sie also genau auf Xutls Anweisungen, der das Manöver koordiniert!«
Nun wurde auch Nick ein wenig nervös, doch er ließ sich nichts anmerken. In dieser Phase der Annäherung an die Venus konnten unzählige Dinge schiefgehen, daher musste jeder Handgriff sitzen.
Seine Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Die Raumfahrer in den anderen Schiffen hatten ihre Ausbildung verinnerlicht. Hinzu kam Xutls unbezahlbare Erfahrung. Seine Kommandos kamen präzise und ruhig. Er erließ seine Anordnungen mit der Gelassenheit eines Mannes, der schon viel länger durch den Weltraum reiste, als die Menschen es taten.
Die Scheibe des zweiten Planeten des Sonnensystems wurde allmählich größer. Nick beobachtete durch die Sichtscheibe den parallelen Flugkurs der Schiffe. Es gab keine Abweichungen. Das Bremsmanöver wurde ausgeführt, und die Geschwindigkeit sank rapide. Schließlich schwenkte die Flotte in die berechnete Kreisbahn um die Venus ein. Während sie sich der Planetenoberfläche näherte, wurde eine geringfügige Kurskorrektur durchgeführt. Unter den Schiffen zeichnete sich der angepeilte Landebereich ab.
»Das uranhaltige Plateau, das wir bei unserer ersten Mission entdeckt haben, liegt genau unter uns«, sagte Nick.
Mit in den Himmel gerichteten Spitzen sanken die silbernen Schiffe langsam tiefer, wobei die Piloten ihr ganzes Können zeigten. Die schlanken Raketen kamen in relativer Nähe zueinander zum Stillstand. Als der Antrieb erlosch, klatschte Raskin vergnügt in die Hände.
»Hier ist Endstation, jedenfalls fürs Erste«, verkündete er frohgelaunt. »Alles aussteigen!«

*

Nick öffnete die Luke. Die warme, feuchte Luft der Venus schlug ihm entgegen. Er trat hinaus auf die hoch über dem Boden liegende Plattform und spähte in die Tiefe. Von seinem früheren Besuch hatte er die riesenhaften Insekten der Venus in bester Erinnerung. Raupen, Ameisen, Spinnen und mehr, sie waren teilweise größer als ein Mensch und nur auf Beute aus. Ihr Verhalten war äußerst aggressiv. Mehr als nur einmal waren Nick und Tom ihnen in höchster Bedrängnis entkommen.
»Es sind keine Insekten zu sehen«, sagte er erleichtert.
»Gut. Also besteht keine Gefahr.« Raskin machte sich an den Abstieg. »Nutzen wir die Gelegenheit.«
Nick folgte ihm dichtauf. Er schwang sich auf die stählernen Sprossen, die an der äußeren Schiffswand bis zum Boden hinabreichten, und kletterte hinunter. Ihm schlossen sich Tom und Xutl an. Auch aus den anderen Schiffen kamen die Besatzungen geklettert. Zwischen den Raketen sammelten sie sich. Nick registrierte eine Mischung aus Zuversicht, Euphorie und Spannung auf das Ungewisse, das die Männer erwartete.
»Herzliche Glückwünsche, Professor Raskin«, wurde der Wissenschaftler empfangen. »Es hat alles so geklappt, wie Sie es vorausgesagt haben.«
»Ein bisschen Glück war auch dabei«, wehrte der Professor das Lob ab.
»Aber Glück erarbeitet sich nur der Tüchtige.«
»Danke, Freunde. Machen wir uns an die Arbeit, denn davon liegt eine Menge vor uns.«
»Wie gehen wir vor?«, fragte Tom.
»Wir untersuchen das Gelände und machen den besten Standort für die Station und den Atomreaktor ausfindig, den wir bauen werden.«
»Wir sollten das Gelände erst durch einen Energiezaun absichern«, schlug Nick vor. »Ich habe die Rieseninsekten noch in bester Erinnerung. Denen sollten wir nicht ungeschützt über den Weg laufen.«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung gewahrte. Eine Spinne von dreifacher Mannslänge schälte sich zwischen den Felsen heraus und huschte auf ihren vier Beinpaaren heran. Sie war flink und sah dämonisch aus. Der Anblick war nichts für zarte Gemüter. Ein paar Männer stießen entsetzte Schreie aus.
»Jetzt haben wir den Salat!«, fauchte Tom. Als Biologe konnte er die Gefahr besonders gut abschätzen. »Das ist eins von den Biestern.«
Nick haderte mit der Bedrohung, kaum dass die Raumfahrer ausgestiegen waren. Das monströse Tier war schneller aufgetaucht als erwartet. Es blieb keine Zeit, um, wie von ihm gefordert, einen Energiezaun zu errichten. Die Spinne kam viel zu schnell heran, getrieben von ihrer Gier. Sie witterte reichhaltige Beute.
»Schnell zurück in die Schiffe!«, trieb er die Männer an.
Panik brach aus. Die Raumfahrer nahmen die Beine in die Hand. Die Vorstellung, mit dem riesigen Biest nähere Bekanntschaft zu machen, war ihnen ein Grauen. Sie rannten wild durcheinander, wobei sie sich gegenseitig behinderten. Nick befürchtete eine Katastrophe.
»Ruhe bewahren!«, versuchte er Ordnung in das Durcheinander zu bringen.
Niemand hörte auf ihn. Jeder dachte nur daran, sich in Sicherheit zu bringen, um nicht von dem Biest erwischt zu werden. Nick hatte das Führungsschiff fast erreicht, als ein gellender Schrei an seine Ohren drang.
Er warf einen Blick über die Schulter, und der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Hogart, einer der Ingenieure, war gestürzt. Der Uniformierte versuchte sich zu erheben, doch er knickte gleich wieder ein. Sein verzerrtes Gesicht verriet Schmerzen. Er schien sich verletzt zu haben. Sein Aufschrei bestätigte Nicks Vermutung.
»Mein Fuß! Ich habe mir den Knöchel verstaucht.«
Die anderen Männer hatten die Schiffe erreicht. Von Panik getrieben, kletterten sie die Leitersprossen hinauf. Nick dachte nicht daran, den Ingenieur einem grausamen Schicksal zu überlassen. Er warf sich herum und lief zurück. Die Riesenspinne war nur noch zehn Meter entfernt. Nick packte Hogart und zog ihn in die Höhe. Der Ingenieur stöhnte vor Schmerzen, doch darauf konnte Nick keine Rücksicht nehmen. Es blieben nur Sekunden, um ihrer beider Leben zu retten.
Die Mandibeln der Spinne schnitten durch die Luft. Das schwarz behaarte Ungeheuer schnappte nach den Männern. Nick tauchte unter der Attacke hinweg und warf sich Hogart über die Schulter. Er rannte auf dem steinigen Untergrund los, das riesenhafte Insekt keine zwei Mannslängen hinter sich. Er glaubte dessen warmen Atem zu spüren. Seine Nackenhaare richteten sich auf.
»Du hättest mich liegen lassen sollen«, stöhnte der Ingenieur. »Nun sind wir beide verloren.«
Die Last des Verletzten behinderte Nick. Jeden Augenblick erwartete er das Zuschnappen der Beißzangen, die ihn mit tödlicher Umklammerung packten. Dennoch ließ er Hogart nicht los. Das hätte er sich niemals verzeihen können.

*

Die Erdmenschen stolperten über die Plattform ins Raumschiff. Xutl erreichte die Spitze der Rakete als Letzter. Auf dem Mars hatte es keine solchen Ungeheuer wie auf der Venus gegeben, daher hatte er sich von der Panik der Menschen anstecken lassen. Erst als er oben anlangte, siegte sein Verstand über die Angst. Er hielt inne und schaute nach unten.
Seine Vermutung, dass alle Männer in Sicherheit waren, bestätigte sich nicht. Entsetzt sah er, dass Nick sich in tödlicher Gefahr befand. Ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben zu nehmen, hatte er einem gestürzten Raumfahrer geholfen, der anscheinend verletzt war und nicht allein fliehen konnte.
Die Riesenspinne hatte die beiden Männer fast eingeholt. Aus der Höhe war ihre monströse Größe erst richtig zu erkennen. Die Menschen nahmen sich dagegen klein und verloren aus.
Xutl zögerte keinen Herzschlag lang. Er sprang ins Schiff und stürmte zur Waffenkammer. Er ignorierte die verwunderten Blicke der Raumfahrer, die nicht mitbekommen hatten, was geschah. Sie wollte wissen, was los war. Zeit für Erklärungen war später, nicht jetzt. Xutl hetzte an ihnen vorbei, ohne auf ihre Fragen zu reagieren.
Der Marsianer packte einen Strahler und rannte zurück zur Plattform. Nur Sekunden waren vergangen, doch es war schon beinahe zu spät. Die Spinne hatte Nick und den Verletzten erreicht. Xutls Hände zitterten. Einen Fehlschuss durfte er sich nicht erlauben, sonst tötete er die Erdmenschen statt des Ungeheuers. Ohnehin blieb ihm nur ein Versuch.
Er stützte sich auf das Geländer der Plattform, zielte und schoss in einer einzigen fließenden Bewegung. Ein Energiestrahl löste sich aus der Waffe und fraß sich in den fetten Leib der Spinne. Sie hielt inne und bäumte sich auf, um in der nächsten Sekunde zu Boden zu stürzen.
Xutl hielt den Strahler im Anschlag, doch er musste keinen zweiten Schuss abgeben. Das Rieseninsekt war tot. Nick und der Verletzte waren gerettet.

*

Zwei Männer hatten Nick geholfen, Hogart nach oben zu bringen. Erst durch Xutls Strahlenfeuer hatten sie mitbekommen, was geschah. Der Grünhäutige stand mit dem Strahler auf der Plattform. Da die Mimik der Marsianer derjenigen der Menschen weitgehend ähnelte, erkannte Nick in seinem Gesicht, welche Sorgen er sich gemacht hatte.
»Danke, Xutl, das war Rettung im letzten Augenblick. Ich male mir das Schicksal, das Hogart und mich ohne dein Eingreifen ereilt hätte, lieber nicht aus.«
»Ich fürchtete schon, ich wäre zu langsam.«
»Das warst du zum Glück nicht.« Nick wandte sich an die Männer. »Bringt Hogart in den Sanitätsraum!«
Vorsichtig trugen sie den Ingenieur davon. Durch die Schmerzen seiner Verletzung hatte er das Bewusstsein verloren. Nachdem die Raumfahrer ihn zum Arzt gebracht hatten, versammelten sie sich in der Zentrale, wo Nick und Raskin sie erwarteten. Der Professor brachte kein Wort hervor. Er stand noch unter dem Eindruck des Zwischenfalls. Die Begeisterung der Raumfahrer hatte einen deutlichen Dämpfer erlitten. An Raskins Stelle ergriff Nick das Wort. Er benutzte das Mikrofon, damit ihn auch die Männer in den anderen vier Schiffen hörten.
»Wir waren zu leichtsinnig«, begann er. »Das wäre uns fast teuer zu stehen gekommen. Wir können von Glück reden, dass wir keine Verluste zu beklagen haben. Für die Zukunft werden wir entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen. Wir müssen uns notfalls verteidigen können. Daher verlässt niemand die Raumschiffe mehr unbewaffnet. Außerdem wird das Gelände durch einen Energiezaun gesichert, bevor wir mit dem Bau der Station beginnen.«
Die Anwesenden lauschten seinen Worten aufmerksam. Er erntete Kopfnicken und zustimmendes Gemurmel. Der dramatische Zwischenfall hatte allen eindringlich vor Augen geführt, welche Gefahren auf der Venus lauerten. Der Nachbarplanet der Erde lockte zwar mit reichen Bodenschätzen, gab sie aber nicht freiwillig her. Eine Menge Arbeit und Einsatz waren nötig, um die Ressourcen für die Menschheit zu sichern. Das machte Nick den Raumfahrern noch einmal unmissverständlich klar.
»Bei unserem ersten Aufenthalt auf der Venus haben wir nur im Wasser intelligentes Leben angetroffen«, wechselte er das Thema. »Wir können also ruhig vom Land Besitz ergreifen, da es keine einheimische Landbevölkerung gibt, der wir es streitig machen.«
Nachdem sich die Besatzung aus der Zentrale zurückgezogen hatte, war Nick mit seinen Freunden allein. Tom klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
»Nachdem es beinahe zu einer Katastrophe gekommen wäre, hat deine Ansprache den Männern neuen Mut verliehen.«
»Ich hoffe es.« Nick hob einen Arm und deutete durch die Sichtscheibe nach draußen. »Im Geiste sehe ich dort unten schon Städte entstehen. Es geht nicht allein um die Bodenschätze, auf die die Erde wartet. Die Venus kann zudem vielen Menschen eine neue Heimat bieten.«
»Eine schöne Vision«, stimmte Raskin zu. »Bis dahin wird aber noch viel Zeit vergehen.«
»Die Venus als eine Art zweite Erde für die Menschheit ist trotzdem eine Aussicht, die wir vor Kurzem noch nicht hatten«, sagte Tom.
»Ich stimme euch beiden zu. Diese Welt birgt aber auch zahlreiche Gefahren«, schränkte der Professor ein. »Ich glaube kaum, dass sich viele Freiwillige melden, um hier zu siedeln und ein neues Leben anzufangen. Die Menschen werden die Sicherheit auf der Erde den Risiken auf der Venus vorziehen.«
Trotz der berechtigten Einwände blieb Nick zuversichtlich. »Die Gefahren lassen sich mit der Zeit beseitigen.«
»Dennoch ist das Zukunftsmusik. Ich bin froh, wenn erst unsere Station gebaut ist. Mit einer soliden Basis und einem leistungsfähigen Reaktor sind wir einen großen Schritt weiter.«
Nick stimmte dem Professor zu. Eine feste Operationsbasis auf der Venus war eine wichtige Etappe auf dem Weg der Menschheit durchs Sonnensystem. Und weiter hinaus zu den Sternen, dachte Nick. Aber der Professor hatte recht, das war Zukunftsmusik. Statt sich in Träumen zu verlieren, war es sinnvoller, sich auf die unmittelbar anstehende Aufgabe zu konzentrieren. Das war der Bau der Venusstation, auf die Nick die Raumfahrer eingeschworen hatte.

*

Am nächsten Tag setzten die Arbeiten ein. Nach der Errichtung des Energiezauns, der die Raumfahrer vor der lebensbedrohenden Fauna der Venus schützte, begannen die Bagger und Raupen damit, ein weites Areal um die Raumschiffe herum zu planieren, wo dann mit dem Bau der Basis begonnen wurde.
Nick und Tom standen auf der Plattform des Führungsschiffs und verfolgten den Fortgang der Arbeiten.
»Die Nächte sind seltsam«, sagte der Biologe. »Es fällt mir schwer, mich daran zu gewöhnen.«
Da die Venus eine der Erde ähnliche Eigenrotation besaß, konnten die Männer die irdische Zeiteinteilung beibehalten. Der Rhythmus von Tag und Nacht erforderte keine Umstellung. Allerdings war verwirrend, dass die Nächte fast ebenso hell waren wie die Tage. Das lag daran, dass das Sonnenlicht dergestalt durch die dichte, um die Venus liegende Dunstschicht geleitet wurde, dass durch den Widerschein auch die Nachtseite des Planeten beleuchtet wurde.
»Stimmt, sie sind seltsam«, pflichtete Nick seinem Freund bei. »Sie sind aber auch vorteilhaft für uns. Die Verhältnisse sorgen dafür, dass unsere Nachtschicht ohne künstliche Beleuchtung arbeiten kann. Dadurch sparen wir eine Menge Energie.«
»Auch wieder wahr.«
Plötzlich brach Nick in schallendes Gelächter aus. Ihm war etwas eingefallen.
»Wieso lachst du?«, wollte Tom wissen.
»Ich musste gerade daran denken, dass die Venus ihren Namen nach der römischen Göttin der Liebe erhalten hat.«
Der Biologe blickte ratlos drein. »Ja, und?«
»Die Venus ist doch nun wirklich kein geeigneter Ort für verliebte Brautleute«, erklärte Nick seinen Heiterkeitsausbruch. »Stell dir vor, ein junges Paar geht nachts Händchen haltend spazieren, ganz ohne Mondschein und Sternengefunkel. Da bleibt jede Romantik auf der Strecke.«
Tom fiel in das Lachen ein. »Dann ist die Venus aber nicht nur der falsche Ort für Verliebte, sondern auch für Abergläubische.«
»Wieso das denn?«
»Denk doch nur an das Sprichwort ›Spinne am Abend, erquickend und labend‹. Ohne richtigen Abend passt das auch nicht.«
»Spinne am Abend? Ein seltsames Sprichwort. Das hat sich wohl der Botaniker in dir ausgedacht.« Nick zog die Stirn kraus und winkte ab. »Schönen Dank für die Erinnerung. Ich habe meine Begegnung mit der Monsterspinne gerade vergessen.«
Tom spitzte die Lippen zu einem schelmischen Ausdruck.

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