Leseprobe – Nick – Landeverbot


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EINS

»Wir steuern Raumsektor 145-67 an«, teilte Xutl den Männern in der Zentrale nach Abschluss seiner Berechnungen mit. »Unsere Ortungseinrichtungen erfassen dort drei Sonnen, zwei Riesen der Spektralklasse M und einen der Klasse F.«
»Interessant.« Die Auswahl gefiel Nick. »Das gibt uns zum ersten Mal die Gelegenheit festzustellen, ob auch Riesensonnen Planeten besitzen.«
Xutl nickte, beeindruckt von den ermittelten Daten. »Die beiden M-Sterne besitzen jeweils den fünfunddreißigfachen Durchmesser unserer Sonne, das dritte Gestirn immerhin noch den neunundzwanzigfachen Durchmesser.«
»Ist es dir schon gelungen, ihre Masse zu bestimmen?«
»Nur ungenau. Ich kann jedoch schon sagen, dass die Dichte im Vergleich zu Sol deutlich geringer ausfällt.«
Der Weltraumfahrer von der Erde und sein marsianischer Freund saßen vor den Steuerkontrollen des Sternenschiffs. Xutl war mit den Berechnungen für den Überlichtflug beschäftigt. Aufregende Tage, Wochen und gar Monate lagen hinter den Forschern, in denen sie die Hinterlassenschaften einer längst untergegangenen Kultur und die faszinierenden Teleportationstore entdeckt hatten. Nach dem glücklichen Ausgang des Abenteuers fieberten alle an Bord neuen Entdeckungen entgegen. Das galt besonders für Nick, der es nicht erwarten konnte, die von Xutl ermittelte außergewöhnliche Sternenkonstellation mit eigenen Augen zu sehen.
»Vorbereitungen abgeschlossen«, verkündete der grünhäutige Mann vom Mars. »Sprungdaten berechnet. Es kann losgehen.«
Das ließ sich Nick nicht zweimal sagen. »Schauen wir uns die Riesen an.«
Er löste die Transition aus, und der Kugelraumer sprang. Die Zeitspanne, die während einer Transition verstrich, war zu kurz, um vom menschlichen Verstand erfasst werden zu können. Das Schiff trat in den Hyperraum ein und fiel annähernd im gleichen Augenblick am Zielort zurück in den Normalraum. Lediglich die feinen Instrumente registrierten die Zeitabweichung von weniger als einer Hundertstelsekunde.
Die Männer in der Zentrale bekamen davon nichts mit. Umso eindringlicher wurden sie mit der räumlichen Veränderung konfrontiert. Schlagartig veränderte sich die Darstellung auf dem Bildschirm, und Nick gab starken Gegenschub, um das Schiff abzubremsen.
»Raumsektor 145-67 erreicht«, kommentierte Xutl das gelungene Manöver. »Wir sind exakt an der vorausberechneten Position herausgekommen. Die Anziehungskraft der Sonnen kann uns nichts anhaben.«
»Aber mit dieser Überraschung hat keiner von uns gerechnet«, warf der einen Monitor beobachtende Radartechniker Hert Braxler ein. »Sehen Sie sich das an. Da draußen gibt es nicht nur drei Sonnen, sondern vier. Wieso ist uns das vorher nicht aufgefallen?«
»Weil von unserer vorherigen Position aus weder wir noch die Instrumente direkte Sicht auf die vierte Sonne hatten«, erklärte Xutl. »Offenbar wurde sie von einem der Riesen verdeckt.«
Nick wies die Wissenschaftler an, möglichst viele Daten über die Sonnenkonstellation und die einzelnen Sterne zu sammeln. Die Astronomen um Will Heines stürzten sich mit Feuereifer in die Arbeit. Weit kamen sie nicht, denn plötzlich trat ein kosmisches Ereignis ein, mit dem niemand in der Zentrale rechnete. Die vierte Sonne blähte sich zu einem kosmischen Leuchtfeuer auf.

*

»Ein veränderlicher Stern!«, gellte Heines’ Stimme durch die Zentrale.
»Was ist ein veränderlicher Stern?«, fragte Tom Brucks.
Niemand antwortete dem Biologen. Geistesgegenwärtig fuhr Nick den R3-Antrieb hoch, und Xutls Hand hieb auf den Kontakt für den Energieschirm. Die Schutzvorrichtung baute sich auf und hüllte den Kugelraumer ein. Sie mussten schleunigst auf Überlicht umschalten, doch nach dem Bremsmanöver waren sie noch zu langsam dafür.
Mehrere tausend Grad heiße Gase rasten auf das Schiff zu, als sich die Oberfläche des Sterns sprunghaft ausdehnte und es zu verschlingen drohte. Es beschleunigte und floh vor den glühenden Gasen. Der Schutzschirm verhinderte eine Katastrophe, und doch stieg die Temperatur bereits an. Der R3 lief auf Hochtouren, sein Heulen drang durchs ganze Schiff. Eine automatische Blende legte sich vor den Bildschirm, der nun eine grelle Wand zeigte, hinter der das Schwarz des Weltraums verschwand. Die äußeren Schichten des Sterns holten das Schiff ein, rollten darüber hinweg, eilten ihm voraus.
Jemand stieß einen wüsten Fluch aus, und Nick presste die Lippen zu zwei blutleeren Strichen aufeinander. Jeden Moment konnte der Schirm ausfallen. Der Glutofen würde selbst das Metall der Hülle verdampfen, ganz zu schweigen von allem, was sich darin befand.
Das Schott öffnete sich, und Jane Lee stürmte in die Zentrale.
»Was ist passiert?« Die Tierfängerin wischte sich einen Schweißfilm von der Stirn. Sie keuchte. »Die reinste Sauna. Noch ein paar Grad mehr, und meine wertvollen Tiere gehen ein.«
»Stören Sie Nick und Xutl nicht«, fuhr Tom der blonden Frau in die Parade. »Sonst sterben nicht nur Ihre Tiere.«
Jane Lee verschloss die Lippen. Sie sah den Ernst der Lage ein und schwieg, denn Nick und der Marsianer waren in höchster Konzentration versunken, um die drohende Vernichtung abzuwenden. Noch hielt der Energieschirm dem glühenden Gas und Plasma stand, aber voraussichtlich kaum mehr als ein paar weitere Sekunden. Gerade als Nick umschalten und eine Transition vornehmen wollte, ebbte das unerträgliche Leuchten des Weltraums ab. Der mörderische Glutball sank wieder in sich zusammen. Nick verzichtete auf die Umschaltung und beschleunigte weiter mit R3.
»Konnten Sie die größte Ausdehnung des Veränderlichen ermitteln, Mister Heines?«
»Ja, Kommandant.« Der Astronom studierte vor seinen Augen aufleuchtende Zahlenkolonnen. »Wenn wir uns noch zwanzig Millionen Kilometer weiter zurückziehen, kann uns der Stern nicht mehr erreichen, falls er sich erneut aufbläht.«
Mit hohen Werten jagte das Sternenschiff davon. Nick hielt jetzt die Geschwindigkeit bei. Er ließ die Entfernungsanzeige nicht aus den Augen. Erst nach Verlassen der Gefahrenzone bremste er ab und brachte das Schiff relativ zu den Sternen zum Stillstand.
Alle in der Zentrale atmeten auf. Nick ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. Erst jetzt wurde ihm die Hitze in der Zentrale bewusst. Dank der Klimaanlage ging sie rasch auf Normalwerte zurück.
»Das wird uns eine Lehre sein«, grollte er. »Eine versteckte Sonne, und ausgerechnet sie ist ein veränderlicher Stern. Das wäre um ein Haar ins Auge gegangen. Wir hatten Glück, dass wir nicht gebraten wurden wie die Hähnchen. So etwas darf uns nicht noch einmal passieren. Künftig wird kein Stern mehr angeflogen, bevor wir ihn nicht aus der Ferne einer gründlichen Untersuchung unterzogen haben.«
»Was ist denn nun ein veränderlicher Stern?«, wiederholte Tom seine Frage.
»Es gibt verschiedene Arten von veränderlichen Sternen«, erklärte Nick. »Am häufigsten sind die, deren Lichtstärke sich scheinbar verändert, weil sie in regelmäßigen Abständen von anderen Himmelskörpern verdeckt werden, zum Beispiel in Doppelsternsystemen.«
»Das war aber eben nicht der Fall.«
»Nein, in unserem Fall haben wir es mit einem sogenannten pulsierenden Veränderlichen zu tun. Es dürfte bekannt sein, dass in Sternen zwei Kräfte wirken. Zum einen ist dies der Schweredruck, auch Gravitationsdruck genannt, da er sich durch den Einfluss der Gravitation einstellt. Er sorgt dafür, dass sämtliche Masseteilchen des strahlenden Körpers zum Mittelpunkt der Sonne hin vektoriert sind. Ihm gegenüber steht der Strahlungsdruck, der einen Stern Licht beziehungsweise andere Strahlung aussenden lässt. In den meisten Fällen ist der Schweredruck größer. Dieser dauernde Energieverlust führt dazu, dass Sonnen im Laufe von Jahrmillionen allmählich erkalten. Bei der vierten Sonne da draußen halten sich die beiden Drücke in etwa die Waage. Gewisse physikalische Einflüsse sorgen dafür, dass der Strahlungsdruck zuweilen stark ansteigt.«
»Und dann dehnt sich die Sonne aus«, folgerte Jane Lee.
»Richtig. Ein veränderlicher Pulsierender tut genau das, was seine Bezeichnung verrät«, fuhr Nick fort. »Er zeigt eine periodisch auftretende Kontraktion beziehungsweise Expansion. Er zieht sich also zusammen und dehnt sich wieder aus. Dabei erreicht er das Mehrfache seines normalen Durchmessers, wie wir eben erlebt haben.«
Während Will Heines zustimmend nickte, drückte Toms Miene Ratlosigkeit aus. »Du sprachst von physikalischen Einflüssen, die für dieses Phänomen sorgen. Worum handelt es sich dabei genau?«
»Es sind verschiedene äußere Einflüsse vorstellbar. Welcher das hier ist, kann ich dir nicht sagen.«
»Aber ich.« Xutl sah von den Messgeräten auf, mit denen er beschäftigt war. »Es handelt sich um die zweite Sonne. Bei ihrer größten Annäherung beeinflusst sie den Stern und macht ihn zu einem Veränderlichen, was uns beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Ich schlage vor, dass wir hierbleiben und weitere Untersuchungen anstellen. Ein solches Phänomen bekommen wir so bald sicher nicht wieder zu sehen.«
Zur Freude der Astronomen und Wissenschaftler willigte Nick ein. Er verschob den Weiterflug auf unbestimmte Zeit.

*

In den folgenden Wochen sammelten die Wissenschaftler Unmengen an Daten. Keiner der Sterne besaß Planeten. Doch selbst wenn es Umläufer gäbe, würden diese kein Leben tragen. Die jungen Sonnen waren noch viel zu strahlungsintensiv, um die Entwicklung einfacher Organismen zu gestatten, von höher entwickeltem Leben ganz zu schweigen.
Als die Wissenschaftler ihre Untersuchungen beendeten, hatten sie Datenmengen zusammengetragen, deren Auswertung auf der Erde Jahre in Anspruch nehmen würde. Nick gab den Befehl zum Aufbruch in einen weiteren Raumsektor, der unter der Bezeichnung 145-68 verzeichnet war.
»Ein interessanter Sektor«, versprach Xutl. »Uns erwarten mindestens dreißig Sonnen, ausnahmslos Zwergsterne.«
Eine vielversprechende Aussicht, fand Nick. »Damit stehen unsere Chancen, dort Planeten zu finden, ganz gut.«
»Veränderliche Sterne gibt es dort jedenfalls nicht. Wir sind also vor unliebsamen Überraschungen sicher.«
Wieder waren es Nick und Xutl, die vor der Steuerung Platz nahmen. Eine einzige Transition genügte, um das Sternenschiff in sein neues Operationsgebiet zu bringen. Als das Schiff abbremste, winkte Hert Braxler den Freunden zu. Sie begaben sich zu dem Monitor, auf dem die optische Beobachtung des Teleskops zu sehen war.
»Wir haben Glück«, sagte Braxler. »Die Sonne, die uns am nächsten steht, nennt ein Planetensystem ihr Eigen.«
Xutl vertiefte sich in die Betrachtung des äußeren Umläufers, der weit draußen an der Grenze zum interstellaren Leerraum seine Bahn zog. »Er ist von hier aus schon gut zu erkennen.«
»Er erinnert mich an unseren Pluto.« Nick nahm wieder auf dem Pilotensitz Platz und setzte Kurs. »Eine lebensfeindliche Eiswüste, aber zumindest ein vertrauter Anblick. Ein guter Anfang, der Aussicht auf mehr verspricht. Wir steuern das System an. Mal sehen, was es sonst noch zu bieten hat.«
Das war eine Menge, wie sich bald herausstellte. Mit R3 setzte der Kugelraumer seinen Flug fort, bis er die Umlaufbahn des äußeren Planeten kreuzte. Das System beherbergte fünf weitere Welten.

*

Zwei Tage später legten die Astronomen eine detaillierte Karte des Sonnensystems vor. Sie umfasste die Planeten, ihre Umlaufbahnen, Entfernungsangaben und weitere Daten.
»Der erste und der zweite Planet kreisen in stark elliptischen Bahnen um die Sonne«, erläuterte Braxler die Darstellung. »Der kleinste Abstand zum Zentralgestirn schließt jegliches Leben aus. Die Nummern drei und vier dürften für uns wesentlich interessanter sein, die fünf hingegen ist ein Gasriese mit einer Methanatmosphäre.«
»Weitere Hinweise?«, fragte Nick. »Besondere Auffälligkeiten?«
»Besonders auffällig ist die Wolkendecke des vierten Planeten«, antwortete Will Heines. »Die dichte Hülle verhindert einen Blick auf die Oberfläche.«
»Atmosphärenzusammensetzung?«
»Fast deckungsgleiche Werte bei Stickstoff und Sauerstoff, dazu Spuren verschiedener Edelgase. Die deutlich höhere Luftfeuchtigkeit stellt den einzigen markanten Unterschied dar.«
»Eine unter ihrer Wolkenhülle verborgene Welt?«, warf Tom ein. »Das klingt nach einem Geheimnis, das auf uns wartet.«
»Deine Meinung, Xutl?«, fragte Nick.
»Ich schließe mich Tom an. Ich wüsste zu gern, was sich unter den Wolken verbirgt.«
Damit stand die Entscheidung fest. Mit R3 näherte sich das Sternenschiff dem vierten Planeten der Zwergsonne.

 

ZWEI

Nick schaltete auf Antigravantrieb um. Aus der Nähe betrachtet, glich die Welt einer schmutzigen grauen Kugel. Die lückenlose Wolkendecke füllte den ganzen Bildschirm aus. Ihre Dichte war sogar noch höher als zunächst angenommen. Es kam den Raumfahrern fast so vor, als würde das Schiff in ein halbflüssiges Medium eintauchen.
»Es sieht so aus, als ob sämtliches Wasser des Planeten verdampft sei und nun in der Atmosphäre schwebt«, staunte Nick beim Anflug.
Die Spannung auf das Gesicht dieser Welt erhöhte sich noch. Sie hatte fast den doppelten Erdumfang, doch die Schwerkraft betrug nur die Hälfte der irdischen. Die Männer starrten wie gebannt auf den Hauptschirm, auf dem die Wolkenmassen brodelten.
»Gleich sind wir durch«, murmelte Nick.
Die Wolkendecke blieb über dem Raumer zurück, dessen feuchte Hülle schimmerte. Er zog eine Schleppe hauchfeinen Sprühnebels hinter sich her. Dann ging ein Raunen durch die Reihen der Anwesenden, denen sich ein unvergleichlicher Anblick bot. Ein gewaltiger Riss zog sich durch das öde, steinige Land, eine Spalte in der Planetenkruste, die ins Bodenlose zu fallen schien.
»Breite mehrere hundert Meter«, meldete Hert Braxler.
»Länge?«, wollte Nick wissen.
»Unbestimmt. Die Spalte erstreckt sich bis zum Horizont.«
»Tiefe, Mister Braxler?«
Der Radartechniker zuckte mit den Achseln. »Ich erhalte keine Werte. Es geht also ganz schön tief hinunter.«
Wie tief? fragte sich Nick unwillkürlich. »Vorschläge, wodurch der Riss entstanden sein könnte?«
»Möglicherweise durch ein Erdbeben«, spekulierte der Geologe Colm Lamb.
»Unwahrscheinlich. Kein Beben könnte die Kruste auf diese Weise spalten, ohne dass es zu weiteren verheerenden Folgeerscheinungen käme.«
»Vielleicht hat ein Kleinplanet diese Welt gerammt«, überlegte Xutl, »ein riesiger Meteorit.«
»Auch das halte ich für ausgeschlossen. Ein solcher Zusammenstoß hätte einen Großteil der Atmosphäre mit sich gerissen. Vielleicht finden wir Hinweise, wenn wir landen. Im Moment scheint es keine tektonische Aktivität zu geben, aber das möchte ich von den Geologen bestätigt bekommen, bevor wir aufsetzen.«
Lamb, Holger Dennis und James Simpson machten sich umgehend an die Arbeit. Bei den anderen dauerten die Spekulationen über die Entstehung des Spalts an, brachten jedoch keine für Nick nachvollziehbaren Vorschläge. Nach einer Vielzahl von seismischen Messungen gab Simpson Entwarnung.
»Eine Landung ist gefahrlos möglich. Die Instrumente registrieren keine Bewegungen in der Planetenkruste.«
»Gut. Wir landen in der Nähe der Spalte. Ich will wissen, welche Ursache für ihre Existenz verantwortlich ist.«
Der Antigravitator brachte das Schiff sanft zu Boden. Es setzte auf seinen Landestützen auf, und der Antrieb erlosch. Tom brauchte nicht lange, um festzustellen, dass der Planet kein Leben trug. Während Nick noch überlegte, ob sie aussteigen sollten, machte Xutl eine Entdeckung.
»Ein dickes, zähes Gemisch aus Asche und Schlamm bedeckt den Boden. Weder können wir die Planetenoberfläche betreten noch unsere bodengebundenen Spezialfahrzeuge ausschleusen. Sie würden in der Masse versinken.«
Nick betrachtete die Umgebung auf dem Bildschirm. Der Untergrund wirkte wie festes Gestein. »Besteht Gefahr für unsere Landestützen?«
»Nein«, beruhigte ihn der Marsianer. »Die Stützen sind zwar zu einem Drittel eingesunken, stehen jetzt aber auf festem Grund. Das Schiff ist sicher.«
»Wir benutzen drei Aufklärer«, entschied Nick. Er befahl die Expeditionsteilnehmer, die ihm vorschwebten, in die Hangars. »Doktor Lamb und Doktor Dennis, Sie fliegen mit mir, um die Spalte zu untersuchen.«
Die Raumsoldaten Brad Miller und Harry Leik übernahmen die anderen Aufklärer, um mit weiteren Wissenschaftlern die Planetenoberfläche abzusuchen. Nick befahl den Piloten, ständige Funkverbindung mit dem Schiff zu halten.
»Wenn Sie etwas Ungewöhnliches entdecken, ziehen Sie sich sofort zurück. Kein Risiko eingehen!«, schärfte er ihnen ein. »Keine eigenmächtigen Untersuchungen! Niemand verlässt die Aufklärer, meine Herren. Ein Ausstieg könnte sich als tödlich erweisen.«
Nachdem Miller, Leik und die ihnen anvertrauten Wissenschaftler bestätigt hatten, bestieg Nick den Aufklärer. Lamb und Dennis nahmen hinter ihm Platz.

*

Mit wirbelndem Rotor senkte sich der Aufklärer in die scheinbar bodenlose Spalte hinab. Der Grund verlor sich tief unten in der Dunkelheit. Die Blicke der Geologen hefteten sich auf die Felswand.
»Sehr interessant. Die einzelnen Gesteinsschichten sind deutlich zu erkennen«, schwärmte Colm Lamb. »Sie bestehen vorwiegend aus Granit, genau wie auf der Erde.«
Holger Dennis nickte eifrig. »Wenn der Riss in der Planetenkruste tief genug ist, können wir anhand genauerer Untersuchungen Rückschlüsse über den Oberflächenaufbau Terras ziehen.«
»Der Riss ist tief genug, Doktor Dennis«, verriet Nick. »Die Messungen ergeben keine klaren Ergebnisse. Das Echolot scheint sich im Nichts zu verlieren.«
Je tiefer der Aufklärer sank, desto näher schienen die Felswände zu rücken. Eine optische Täuschung, die einem Klaustrophobiker den kalten Schweiß auf die Stirn getrieben hätte. Mit einem Auge schielte Nick unablässig auf den Höhenmesser, während Lamb die Außentemperatur verfolgte.
»Eigentlich müsste die Temperatur kontinuierlich ansteigen«, überlegte er laut. »Auf der Erde nimmt sie um ein Grad Celsius je dreißig Meter Tiefe zu. Hier jedoch sinkt sie.«
Am Landeplatz des Sternenschiffs betrug die Oberflächentemperatur dieser Welt einunddreißig Grad Celsius. In der mittlerweile erreichten Tiefe von dreihundertsechzig Metern müsste sie demnach dreiunddreißig Grad betragen, doch auf den Anzeigen leuchtete eine »23«.
»Wahrscheinlich ist das Innere des Planeten erkaltet«, spekulierte Dennis.
»Das könnte man annehmen«, sagte Lamb. »Dagegen spricht allerdings sein Alter. Nach unseren Berechnungen müsste er wesentlich jünger sein als die Erde.«
»Das ist nicht die einzige Merkwürdigkeit, meine Herren«, wies Nick auf eine weitere Unstimmigkeit hin. »Dieser Planet besitzt fast den doppelten Erdumfang, und doch beträgt seine Schwerkraft nur die Hälfte der irdischen.«
Da die Geologen dem Aufbau der Gesteinsschichten zunächst keine weiteren Erkenntnisse abringen konnten, schaltete Nick die Scheinwerfer ein und erhöhte die Sinkgeschwindigkeit. Fünfhundert Meter unter Normalnull … tausend Meter … zweitausend. Und kein Ende in Sicht. Über dem Aufklärer wurde der helle Himmelsstreifen zunehmend schmaler. Irgendwann löste Basalt die Granitschichten im Felsgestein ab.
»Dies ist die Schicht, die daheim auf dem zähflüssigen, glühenden Olivin-Mantel schwimmt«, dozierte Colm Lamb. »Hier müssten eigentlich Temperaturen herrschen, die uns ebenfalls verflüssigen, wenn nicht sogar verdampfen lassen.«
Eine Vorstellung, die selbst einen erfahrenen Forscher wie Nick nicht kalt ließ. Er ertappte sich dabei, einen skeptischen Blick in die Tiefe zu werfen. Noch immer gab es unter dem Aufklärer nichts als Schwärze zu sehen, und die Instrumente gaben keinen Aufschluss darüber, in welcher Höhe über dem Grund sich die Flugmaschine befand.

*

»Das Gestein hört auf«, schnitt Lambs Stimme durchs Cockpit. »Unter uns ist … nichts.«
Der Lichtkegel, der bis eben über die graue Wand gewischt war, fiel urplötzlich ins Leere. Die Scheinwerfer waren zu schwach, um die Schwärze zu durchdringen. Das Licht verlor sich in der Dunkelheit. Es schien so, als würde die Welt enden.
Mit einem beiläufigen Blick nahm Nick die Position der Raumfahrer zur Kenntnis. Sie befanden sich zweihundert Kilometer unter der Planetenoberfläche. Er beendete den Sinkflug, denn unter dem Aufklärer gähnte ein Beklemmung auslösender Schlund. Die Millionen und Abermillionen Tonnen Felsgestein und Erdreich darüber schwebten buchstäblich in der Luft.
»Es sieht aus, als ob der Planet hohl wäre«, kommentierte Dennis das gespenstische Bild.
Ein eigenartiges Gefühl bemächtigte sich des Weltraumfahrers. »Nehmen Sie Ihre Brille ab, Doktor«, bat er.
»Wie bitte? Meine Brille?«, wunderte sich der Geologe.
»Ja«, bekräftigte Nick seine Aufforderung. »Nehmen Sie sie ab, und lassen Sie sie los.«
»Ich verstehe zwar nicht, wozu das gut sein soll, aber bitte schön, Kommandant.«
Dennis tat, wie ihm geheißen. Zum Erstaunen der Wissenschaftler fiel die Brille nicht in den Fußraum des Aufklärers, sondern schwebte der Decke entgegen. Nick hatte den Vorgang erwartet.
»Auf Terra fällt durch die Gravitation alles nach unten, also dem Erdmittelpunkt entgegen. Hier hingegen wird jeder Gegenstand von der Planetenkruste angezogen, die auf dieser Welt die größte Masse darstellt. Allerdings ist sie an diesem Ort nicht stark genug, um auf uns einzuwirken. Zum Glück, denn sonst würden wir mit den Köpfen gegen die Kuppel knallen.«
»Wo ist der glutflüssige Planetenkern geblieben?«, stellte Lamb eine berechtigte Frage. »Er kann doch nicht einfach verschwinden. Das spricht gegen jedes Naturgesetz.«
Nick zuckte die Achseln. »Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe, meine Herren. Vielleicht liefern die unteren Gesteinsschichten Anhaltspunkte für eine Erklärung.«
Die Geologen verfielen in Fachchinesisch, dem der Weltraumfahrer nur mit einem Ohr folgte. Mit geringer Geschwindigkeit steuerte er den Aufklärer an der Abbruchkante entlang. Vereinzelt ragten Vorsprünge in die Tiefe, die das Scheinwerferlicht reflektierten, sobald es aufs Gestein traf. Nick empfand die kurz aufleuchtenden und gleich wieder erlöschenden Schlaglichter als sinnverwirrend. Noch verwirrender war jedoch die Existenz eines im Inneren hohlen Planeten. Schon seit seiner Kindheit hatte Nick von den Wundern des Kosmos geträumt. Nach dem Aufbruch des Sternenschiffs von der Erde übertraf die Wirklichkeit seine Vorstellungskraft nicht zum ersten Mal.
»Um weitere Untersuchungen vornehmen zu können, müssen wir Bodenproben entnehmen und ins Labor bringen«, riss Dennis ihn aus seinen Überlegungen.
»In Ordnung. Ich lande.«
Mit einem vorsichtigen Manöver drehte Nick den Aufklärer und stellte ihn auf den Kopf. Da der Vektor der Gravitation auf den Felsen zeigte, rutschten die Männer nicht aus ihren Sitzen. Auch als die Maschine aufsetzte und sie ausstiegen, verloren sie nicht den festen Boden unter den Füßen. Nick schluckte krampfhaft. Zwar kam es ihm so vor, als würde er aufrecht stehen, doch hing er gewissermaßen kopfüber unter den Gesteinsmassen. Trotz der wissenschaftlichen Erklärbarkeit dauerte es ein paar Minuten, das merkwürdige Gefühl im Magen und die Irritationen im Kopf unter Kontrolle zu bekommen. Im Scheinwerferlicht machten sich die Geologen an die Beschaffung der Gesteinsproben.
»Beeilen Sie sich«, gab Nick ihnen mit auf den Weg. »Die Funkverbindung zum Schiff ist unterbrochen. Unsere Signale sind zu schwach, um die zweihundert Kilometer dicke Schicht zu durchdringen.«
Er wollte nicht, dass ihre Kameraden dachten, ihnen sei etwas zugestoßen, und eine Suchmannschaft losschickten.

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