Leseprobe – Nick – Umsturz


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EINS

Unter dem silbernen Raketenschiff zeichnete sich die Mondoberfläche ab. Das pockennarbige Gelände mit den unzähligen Kratern kam langsam näher. Der Raumfrachter setzte zur Landung an. Die Raumfahrer Bill und Steve, die die Besatzung bildeten, saßen gelassen vor den Instrumenten. Sie trafen planmäßig ein, um eine Erzladung aus den Mondbergwerken abzuholen und zur Erde zu bringen.
Steve warf einen Blick auf die Uhr. »Die Berechnungen waren richtig. Wir sind fast auf die Minute pünktlich.«
Bill aktivierte die Funkanlage und meldete die Ankunft des Frachters. »Achtung, Stützpunkt Luna IV! Wir sind im Anflug und erbitten Landeerlaubnis.«
Die beiden Männer lauschten auf eine Antwort, doch sie blieb aus. Steve kratzte sich nachdenklich an der Stirn.
»Sie melden sich nicht. Merkwürdig. Ob die Burschen schlafen?«
»Unsinn.« Bill schüttelte den Kopf. »Die Station ist ständig besetzt. Einen Funkspruch kann die Besatzung nicht überhören. Da stimmt etwas nicht.«
Er hatte recht, dachte Steve. Die Besatzung des Stützpunktes war als sehr aufmerksam bekannt. Außerdem freuten sich die Männer über jede Abwechslung, auch wenn es nur die in regelmäßigen Abständen eintreffenden Erzfrachter waren.
»Achtung, Achtung, Luna IV, meldet euch endlich! Wir landen«, unternahm Bill den weiteren Versuch einer Kontaktaufnahme.
Es erfolgte keine Reaktion. Die Männer in der engen Zentrale des Raumschiffs schauten sich verständnislos an. Durch das Bugfenster war inzwischen die Landebahn zu sehen. An ihrem Ende erhob sich Luna IV, einer von mehreren Stützpunkten auf dem Mond. Er bestand aus einer Reihe miteinander verbundener Gebäude, über die sich eine durchsichtige Energiekuppel spannte. Sie verhinderte, dass kostbare Atemluft entwich, und schützte die Station gleichzeitig vor einem Bombardement kosmischer Materie, die auf die Oberfläche des Erdtrabanten niederprasselte.
Dicht über dem Boden fing Steve den Frachter ab und brachte ihn in die Vertikale. Auf einem Feuerstrahl sank das Schiff tiefer.
»Hier Luna IV. Wir hören«, drang plötzlich eine tiefe Stimme aus dem Lautsprecher.
»Na endlich, das wurde auch Zeit«, gab Bill zurück. »Wo sollen wir landen? Wie immer auf Landefeld eins?«
»Negativ. Steigt wieder auf und landet im Krater 18 B!«, wies der Mann vom Bodenpersonal die Frachtpiloten an. »Dort verlasst das Schiff in euren Druckanzügen! Wir holen euch mit einem Fahrzeug ab.«
»Was hat das zu bedeuten?« Steve beobachtete das Landefeld, über dem die Rakete schwebte. »Kannst du dir das erklären? Soweit ich sehen kann, ist Feld eins in Ordnung. Es gibt keinen Grund, nicht dort unten zu landen.«
»Ich habe gleich gesagt, dass da etwas nicht stimmt.«
»Schalten Sie den Videoschirm ein!«, verlangte der Pilot von der Bodenkontrolle. »Ich möchte mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass bei Ihnen alles in Ordnung ist. Sonst lande ich nicht im Krater 18 B, sondern auf einem anderen Stützpunkt.«
Sekunden später flammte der Bildschirm auf. Ein von blondem Haar umrahmtes, kantiges Gesicht war zu sehen, in dem ein Paar blaue Augen hektisch flackerten. Steve hatte den Mann schon bei einem früheren Besuch gesehen. An seinen Namen konnte er sich nicht erinnern.
»Zufrieden?«, fragte der Blondschopf. »Wir haben unsere Gründe, euch nicht hier landen zu lassen. Also fliegt hinüber zu 18 B! Ihr werdet bereits erwartet.«
»In Ordnung, ich bin beruhigt. Ende«, gab Steve nach.
Bill beendete die Verbindung, und der Schirm wurde matt. Steve griff auf die Schiffssteuerung zu. Er brach den Landeanflug ab und legte einen neuen Kurs an. Das Ziel, das man ihnen genannt hatte, war nicht weit weg. Allerdings gab es seines Wissens dort keine Station. Der Boden des Kraters war lediglich planiert worden und diente als Ausweichlandemöglichkeit.
»Ein bisschen seltsam kommt mir die Anweisung trotzdem vor«, grübelte Bill.
Steve winkte ab. »Zerbrechen wir uns nicht unnötig den Kopf. Du hast es ja gehört, sie haben ihre Gründe. Davon abgesehen, was sollte es hier auf dem Mond schon geben, das nicht mit rechten Dingen zugeht?«
»Auch wieder wahr.« Bill grinste. »Hier geht alles seinen gewohnt eintönigen Gang.«
Die beiden Frachtpiloten ahnten nicht, wie sehr sie sich irrten.

*

Hank Masterson starrte den erloschenen Schirm an. Er saß zusammengesunken in der mit Technik vollgestopften Funkeinrichtung von Luna IV. Zahlreiche Kontrolllampen blinkten. Vorsichtig zog er die Hände von den Bedienungselementen zurück.
Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil es ihm nicht gelungen war, eine Warnung abzusetzen. Aber ihm war nichts anderes übrig geblieben, als sich zu fügen und die Besatzung des Erzfrachters anzulügen. Er bedauerte, dass sie keinen Verdacht geschöpft hatten. Sie flogen geradewegs in eine Falle, doch das hatte er nicht verhindern können, ohne sein eigenes Leben zu riskieren.
Zwei grünhäutige Männer bedrohten ihn mit Strahlenpistolen. Sie hatten sich außerhalb des Aufnahmebereichs der Kamera postiert und zielten auf seinen Kopf. In den Abstrahlmündungen ihrer Waffen schimmerte es bedrohlich. Das ließ es Masterson geraten erscheinen, keine hektischen Bewegungen zu machen.
»Das werdet ihr noch büßen, ihr Teufel!«, fluchte er.
»Reg dich nicht auf, Erdenmensch!«, antwortete einer der Grünhäutigen, die nicht von Terra stammten. »Es könnte deiner Gesundheit schaden, und das wollen wir nicht. Denn wir hassen Blutvergießen.«
Um ein Haar hätte Masterson bitter aufgelacht, doch dazu war die Lage zu ernst. Es gab nichts, was er unternehmen konnte. Deshalb lehnte er sich auf seinem Stuhl vor der Funkanlage zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

*

Der Erzfrachter flog mit geringer Geschwindigkeit über die trostlose Mondlandschaft. Der Anblick, der sich den beiden Insassen bot, änderte sich nicht. Außer Felsen, Sand und Gestein war nichts zu sehen. Steve steuerte das Schiff mit souveräner Routine. Es dauerte nicht lange, bis ihr Ziel in Sicht kam.
»Da vorn ist Krater 18 B. Ich lande.«
Der Pilot leitete den Anflug ein. Ein Ringwall umgab den gut hundert Meter durchmessenden Krater. Von oben betrachtet, deutete nichts darauf hin, dass sich jemals Menschen an diesem Ort aufgehalten hatten. Es war ein eigenartiges Gefühl, fern der Erde ganz allein hier draußen zu sein. Steve drosselte die Geschwindigkeit weiter. Langsam senkte sich das Raketenschiff in die Kratermitte hinab.
»Das ist eigenartig«, sagte Bill. »Der Grund sieht aus, als bestände er aus Metall.«
Steve sah es ebenfalls. Der Boden wirkte tatsächlich wie poliert. Der gesamte Kratergrund sah aus wie eine riesige Metallplatte, die man zwischen den Wänden des Gebirgswalls eingefügt hatte. Darauf waren die beiden Männer nicht vorbereitet.
»Wahrscheinlich eine neue Errungenschaft, von der wir noch nichts wissen.«
Die Rakete setzte auf dem Untergrund auf, und der Antrieb erlosch. Ein letztes Vibrieren ging durch den Schiffsleib, dann stand der Frachter regungslos da. Die Kontrollanzeigen für die Flugsteuerung verblassten. Sämtliche Hebel und Schalter standen in Aus-Stellung. Nur ein paar wenige Kontrollfenster zeigten Bereitschaft. Steve und Bill lösten ihre Gurte und erhoben sich. Durch die Sichtscheibe war die Schwärze des Universums mit seinen Myriaden funkelnder Sterne zu sehen.
Die Männer verließen die Zentrale und begaben sich in den Schleusenraum. Dort legten sie ihre Schutzanzüge mit den Sauerstofftanks an. Gewissenhaft schlossen sie die Helme. Anschließend öffnete Steve die Luke und fuhr die Leiter aus. Die Raumfahrer kletterten nach draußen und stiegen die Stufen hinunter. Was sie von oben beobachtet hatten, bestätigte sich. Der Boden unter ihren Füßen war wie glatt poliert.
Bill streckte einen Arm aus und deutete zum Ringwall hinüber. »Sieh mal da drüben! Was ist das?«
»Keine Ahnung.« Steve zuckte mit den Achseln. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.
In die Felswand war eine Maschine eingelassen. Die bizarre Metallkonstruktion war fremdartig. Ein gewölbter Spiegel bildete das Kernstück, aus dem eine Antenne ragte. Ihre Spitze war auf die Mitte des Kraters gerichtet.
»Hast du so etwas schon einmal gesehen?«
»Nein. Ich weiß nicht, welchem Zweck diese Maschine dient.«
Ratlos betrachteten die Raumfahrer das Aggregat. Das Aussehen gestattete keine Rückschlüsse auf seine Funktion. Steve merkte auf, als er am Kraterrand eine Bewegung registrierte.
»Da kommt der Geländewagen.«
Ein spinnenartiges Fahrzeug rollte über den Untergrund. Die eigentliche Fahrgastzelle mit Antriebsbereich prangte auf drei gelenkigen Beinpaaren meterweit über dem Boden. Die Ausleger endeten in Doppelrädern. Die Konstruktion konnte nicht nur fahren, sondern zudem über Unebenheiten und Hindernisse hinwegklettern. Das Bugfenster wirkte wie ein riesiges Auge, das matt glotzte. Wer sich im Inneren aufhielt, war nicht zu erkennen. Unmittelbar vor den Männern kam der geländetaugliche Wagen zum Stehen. Eine Luke öffnete sich, aus der eine Leiter glitt.
»Bitte einsteigen!«, ertönte eine Stimme.
»Dann wollen wir mal.« Steve machte eine einladende Handbewegung.
Bill stieg die Sprossen hinauf, Steve folgte ihm. Vor der offen stehenden Luke hielten sie inne. Sie sahen sich vergeblich nach einem Piloten um.
»Es ist keiner im Wagen. Was hat das zu bedeuten?«
»Dass es eine Fernsteuerung gibt, Bill.«
Nachdem sie eingestiegen waren, schloss sich die Tür automatisch hinter ihnen. Sie nahmen Platz und harrten der Dinge, die auf sie zukamen. Mit einem Ruck setzte sich der Wagen in Bewegung. Er rollte über die Kraterebene bis zum Wall. Nun zeigte sich, was in dem Fahrzeug steckte. Es kletterte über das Gestein zum Kraterrand empor. Bill warf einen Blick zurück zum Erzfrachter. Was er sah, ließ ihn vor Schreck erstarren.
»Gütiger Himmel!«, stieß er aus. »Das Schiff – es glüht!«
»Was?« Steve drehte sich um.
Der Frachter glühte in dunklem Rot. Es schien in der Dunkelheit zu pulsieren. Aus aufgerissenen Augen verfolgten die Männer das unheimliche Schauspiel. Es ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Die Landestützen verloren ihren Halt. Sie wurden weich und gaben nach. Der Vorgang war gespenstisch.
»Das ist doch nicht möglich!«, keuchte Bill.
Steve stimmte ihm zu. Doch das erschreckende Geschehen setzte sich fort. Das Schiff verlor seine Form. Wie eine Kerze, die starker Hitze ausgesetzt war, sank es in sich zusammen. Es schmolz geradezu. Steve riss sich von dem Anblick los und schaute zu der Antenne hinüber. War sie für die Zerstörung verantwortlich? Er fand keine andere Erklärung. Doch wer steckte dahinter, und wieso wurde das Schiff auf diese Weise angegriffen?
»Stell dir vor, wir wären nicht ausgestiegen«, krächzte Bill. »Wir wären ebenso geschmolzen wie der Frachter.«
»Ja, wir wären bereits tot.«
Als Steve seinen Blick wieder auf die Kratermitte richtete, war das Raumschiff nicht mehr zu erkennen. Die ehemalige Rakete hatte sich in eine dickflüssige Metallmasse verwandelt, die sich gleichmäßig über den Boden des Kraters verteilte. Sie kühlte ab und erstarrte im Vakuum des Raums.
Die Männer drohten in Panik zu geraten. Steve sprang von seinem Platz auf. Er fürchtete, das unbekannte Phänomen würde auch den Geländewagen erfassen. Da die Rakete der unsichtbaren Kraft hilflos ausgeliefert gewesen war, würde das kleine Fahrzeug noch viel schneller vernichtet werden. Steve griff nach dem Mechanismus für die manuelle Öffnung der Luke.
Auch Bill hielt es nicht auf seinem Sitz. »Ich will hier raus!«
»Das ist unmöglich, meine Herren«, ertönte wieder die Stimme. »Der Eingang ist automatisch blockiert.«
Es stimmte. Erfolglos versuchte Steve, die Luke zu öffnen. Sie reagierte nicht auf seine Bemühungen, sosehr er sich auch anstrengte. Wer immer hinter alldem steckte, hatte ganze Arbeit geleistet. Über die Hintergründe konnte er nur spekulieren. Die Mannschaft des Stützpunktes hatte keinen Grund für die Zerstörung des Frachters. Zudem, was war das für eine Waffe, die dabei zum Einsatz gekommen war? Er erinnerte sich nicht, schon einmal von einem solchen Instrument gehört zu haben.
Als der Kraterrand den Männern die Sicht nahm, begann Steve sich zu beruhigen. Die Männer nahmen wieder Platz. Etwas anderes konnten sie ohnehin nicht tun. Anscheinend drohte ihnen keine unmittelbare Gefahr. Man wollte sie nicht umbringen. Das hätte man ja auch schon machen können, als sie sich noch in der Rakete aufgehalten hatten.
Schweigend schauten sie durch das Bugfenster. Der Geländewagen trug sie über die Mondoberfläche ferngesteuert dem Ziel entgegen.

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