Leseprobe – Nick – Großalarm


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EINS

Nick sah dem Ballon nach, bis er hinter dem Grat des Gebirgszugs verschwunden war. Trotz der Zuversicht, die er seinen Kameraden gegenüber ausstrahlte, war ihm bewusst, wie sehr ihr Überleben davon abhing, dass ihnen das Glück auch weiterhin gewogen war.

»Hoffen wir, dass Sergeant Burk wohlbehalten sein Ziel erreicht«, wandte er sich an die Männer um ihn herum. »Für uns kommt es jetzt darauf an, dass wir die nächsten drei oder vier Tage überleben. Früher ist keine Hilfe von der Station zu erwarten. Diese Wartezeit wird uns auf eine harte Probe stellen …«

»… zumal wir nicht wissen, ob nach Ablauf dieser Frist auch wirklich Hilfe kommt«, warf Xutl ein. Der Marsianer blickte Nick mit einem angespannten Gesicht an.

»Wir müssen daran glauben!«, erwiderte der Weltraumfahrer mit Nachdruck. »Burk ist unsere letzte Hoffnung.«

»Das kann man wohl sagen«, ließ sich Xutl nicht beirren. »Zu Fuß erreichen wir die Station nie. Das Gebirge ist unüberwindlich.«

Nick sah seinen Freund nachdenklich an und nickte kurz. »Kommt«, forderte er die Männer auf. »Wir suchen uns einen geschützten Lagerplatz.«

»Nein, wartet!«, rief Ralph Moth, die ehemalige rechte Hand von Harry Cates, und schüttelte vehement den Kopf. Ihm perlte wie allen unter der drückenden Hitze der Venus der Schweiß von der Stirn. »Wir können nicht von hier fort. Man wird uns sonst nicht finden!«

»Unsinn, Moth«, entgegnete Nick. Er wies auf die Felswand des hoch aufragenden Gebirges. »Wir schlagen unser Lager weiter oben in einer Höhle auf. Glauben Sie, wir sehen das Suchflugzeug von dort nicht?«

Davon ließ sich Moth nicht überzeugen. »Nein, nein!«, antwortete er mit sich überschlagender Stimme. »Ich rühre mich nicht …«

Der Rest seiner Worte ging in einem dröhnenden Stampfen unter. Unter ihren Füßen erzitterte die Erde. Aus dem Augenwinkel sah Nick einen gewaltigen Schatten und zuckte zusammen. »Alle zu Boden!«, forderte er die Männer auf. »Schnell!«

Sie sahen ihn überrascht an, wie er zwischen den dicht wachsenden Grasbüscheln Schutz suchte. Während Tom und Xutl seiner Anweisung folgten, blieben die anderen stehen und sahen sich verwirrt um.

Ein wütendes Grollen erfüllte die Luft, als der gedrungene Körper einer riesigen Echse aus dem Dschungel brach. Ihr Kopf fuhr suchend umher, wobei die beiden Hörner, die aus der Stirnplatte wuchsen, wie Speerspitzen durch die Luft fuhren.

Die Echse schnaubte kurz, dann richtete sie ihre blutunterlaufenen Augen auf die Gruppe Männer, die nur wenige Meter von ihr entfernt standen.

Jetzt warfen sich auch die anderen Männer zu Boden, doch der Saurier scharrte bereits mit einem Bein.

»Zu spät!«, presste Nick hervor. »Das Untier hat uns gesehen. Bleibt liegen!«, rief er seinen Kameraden zu. »Ich lenke es ab. Lauft zu den Höhlen, sobald das Tier außer Sicht ist.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang er auf, schrie und wedelte mit den Armen. Der Saurier, der gerade noch dabei war, auf die Gruppe zuzupreschen, hielt in seinem Lauf inne und richtete den Kopf auf den Weltraumfahrer.

»Halt, Nick!«, rief Xutl und hob den Arm, um ihn aufzuhalten.

Nick jedoch hatte keine andere Wahl mehr, als vor dem Ungetüm davonzulaufen, das nun auf seinen kurzen, stämmigen Beinen auf ihn zurannte. Er wusste, dass er auf der Lichtung keine Chance gegen den Saurier hatte, dessen Schnauben mit jedem verstreichenden Augenblick immer näher kam.

Hastig sah er sich um. Selbst die Urwaldriesen würden ihm keinen Schutz bieten. Bevor er einen erklommen hatte, hatte ihn der Saurier längst erreicht. Und die kleineren würde er mit seinem massigen Leib wie Streichhölzer umknicken, ohne sich von ihnen aufhalten zu lassen.

Der Atem brannte in seinen Lungen, die Pilotenkombination klebte schweißdurchtränkt an seinem Körper. Nicks Augen fuhren suchend umher. Er war kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, als er vor sich ein schlankes Gebilde erblickte, das wie ein filigraner Baum wirkte, dessen Äste im Wind wehten.

Doch es waren keine Äste, sondern Tentakel, die suchend durch die Luft fuhren, stets auf der Suche nach unvorsichtiger Beute, die in ihre Reichweite kam.

Diese fleischfressende Riesenpflanze war seine Chance! Er hielt darauf zu und konnte nur hoffen, dass der Saurier ihm blindlings folgte, ohne auf die drohende Gefahr zu achten.

Nick erreichte die ersten Fangarme. Sie bildeten ein solch dichtes Gewirr, dass er all seine Gewandtheit aufbieten musste, um ihnen zu entkommen. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass er einen von ihnen berührte. Sofort richteten sich mehrere Tentakel nach ihm aus und versuchten, nach ihm zu greifen.

Mit einem verzweifelten Hechtsprung brachte sich Nick in Sicherheit und rollte über den Boden. Er rechnete jeden Augenblick damit, dass ihn nun weitere Fangarme packen würden, solange er hilflos auf dem Boden lag.

Doch stattdessen hörte er ein wütendes Grollen und Brüllen, das rasch in einen klagenden Laut überging. Der gewaltige Saurier hatte seinen Lauf nicht mehr aufhalten können und hatte sich rettungslos in dem Gewirr der Pflanzenarme verfangen. Scheinbar mühelos warf ein Dutzend der taudicken Arme den Koloss auf die Seite, sodass er hilflos mit den Beinen strampelte.

Nick stützte sich auf die Hände und atmete auf. Der Saurier würde keine Bedrohung mehr für sie darstellen. Vorsichtig sah er sich um. Keiner der Fangarme schien noch nach ihm zu suchen. Die Pflanze musste all ihre Kraft aufwenden, um den tobenden Saurier in ihrer Umklammerung zu halten.

Vorsichtig erhob sich der Weltraumfahrer, um durch unachtsame Schritte nicht auf sich aufmerksam zu machen, und tauchte in den Dschungel ein.

*

Xutl machte sich schwere Vorwürfe.

Er hätte nicht zulassen dürfen, dass Nick den Saurier völlig auf sich gestellt ablenkte. Sollte ihm etwas zustoßen, wüssten sie nicht einmal, wo sie nach ihm suchen sollten.

Der Marsianer stand auf einem Vorsprung, auf dem die Gruppe Rast machte, und blickte auf das Tal unter sich. Er schirmte die Augen mit einer Hand vor der Sonne ab und achtete auf jede noch so kleine Bewegung.

Die Männer saßen um ihn herum am Boden. Vielen von ihnen waren die Erschöpfung und die Strapazen der vergangenen Wochen ins Gesicht geschrieben. Sie hielten sich nur noch durch den schieren Überlebenswillen aufrecht.

Neben sich hörte er das Knirschen von Sohlen auf dem Gestein. Er warf einen schnellen Blick zur Seite und erkannte Tom Brucks neben sich. Der Biologe sah ihn fragend an. Xutl schüttelte nur den Kopf und richtete seine Augen wieder aufs Tal. Die heiße Luft flimmerte zwischen den Bäumen, und so glaubte er zuerst, er hätte sich getäuscht, als er eine Bewegung wahrnahm. Doch als die Gestalt einen Arm hob und zu ihm hochwinkte, atmete der Marsianer erleichtert auf.

»Da kommt Nick!«, teilte er den anderen mit.

»Gott sei Dank!«, stieß Tom neben ihm aus. Er hob nun seinerseits die Hand und winkte zurück. »Hierher, Nick!«

Die übrigen Männer sahen gespannt zu, wie die kleine Gestalt den steil ansteigenden Hügel erklomm. Endlich hatte Nick die Gruppe erreicht und begrüßte die Männer mit einem schiefen Lächeln. Mit knappen Worten erzählte er, was geschehen war.

»Nun, Mister Moth«, schloss er, »sind Sie jetzt auch davon überzeugt, dass wir uns einen sicheren Unterschlupf suchen müssen?«

Ralph Moth rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Das schon …«, er sah den Felsen empor und verzog den Mund. Wohl annähernd zehn Meter über ihm waren die Öffnungen im Gestein auszumachen. »… allerdings liegen die Höhlen für uns zu hoch im Felsen. Das konnte man von unten nicht sehen. Um hinaufzuklettern, ist die Felswand zu glatt.«

Nick besah sich das Gelände und musste Moth recht geben. »Holt Lianen«, wandte er sich an Xutl und Tom. »Inzwischen überzeugen wir uns, ob die Höhle unbewohnt ist.«

Er holte ein Feuerzeug hervor, das sie aus der Notausrüstung nach dem Absturz geborgen hatten, und überzeugte sich, dass es noch funktionierte. Er schnippte gegen das Rädchen, und eine Flamme zuckte empor.

»Vorher will ich aber ein Feuerchen machen, damit wir nicht unbewaffnet sind, falls es in der Höhle einen Mieter geben sollte, der nicht umziehen will!«

Er forderte die Männer auf, Zweige und Reisig zu sammeln und es zu einem Lagerfeuer aufzuschichten. Nur kurz darauf züngelten die ersten Flammen empor. Nick umwickelte einen dicken Ast an einem Ende mit abgestorbenen Pflanzenfasern und hielt ihn ins Feuer. Mit der provisorischen Fackel in der linken Hand hob er einen handlichen Stein auf.

Auffordernd sah er die Männer an, es ihm gleichzutun.

»So, nun werfen wir Steine in die Höhle.« Er wies mit der Fackel auf die Öffnung gut acht Meter direkt über ihnen.

Der erste Stein flog, dem rasch weitere folgten, die alle in der Höhlenöffnung verschwanden. Zuerst war nichts zu hören, doch dann drang ein Schaben und Kratzen wie ein Echo aus der Höhle. Mehrere der Männer keuchten entsetzt auf, als sich ihnen ein schmaler Kopf entgegenreckte, dessen Mandibeln aufgeregt schnappten.

»Himmel!«, entfuhr es Ben Jones, als der gewaltige Tausendfüßler sich mit raschen Bewegungen aus der Höhle schob.

»Tja, schön ist er nicht …«, kommentierte Nick den Anblick, während das riesige Insekt direkt auf ihn zuhielt. Kurz bevor es ihn erreicht hatte, fegte der Weltraumfahrer mit der brennenden Fackel durch die Luft.

Das Insekt hielt in seinen Schritten inne und wich zur Seite aus.

»… aber es hat Angst vor dem Feuer«, stellte er unbeeindruckt fest und trieb den Tausendfüßler, der gut zehn Meter an Länge betragen mochte, mit den Flammen vor sich her.

»Husch, weg!«, forderte Nick ihn auf. »Such dir eine andere Wohnung.«

Die Männer sahen ihm nur fassungslos zu, wie er mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit das Insekt vertrieb, das sich über den Hang trollte und aus ihrem Blickfeld verschwand. Nick drehte sich zu seinen Begleitern um und zwinkerte ihnen zu.

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