Leseprobe – Nick – Professor Raskins Erfindung


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EINS

Der schnelle Aufklärer jagte über die Skyline von New York hinweg. Rasch blieben die Straßenschluchten und die hoch aufragenden Wolkenkratzer unter ihm zurück.
Nick warf einen letzten Blick aus der Kanzel und sah die Metropole im Dunst verschwinden. Wie erbeten, hatte er die Position der ›Ozeana‹ erhalten, des schwimmenden Labors, auf dem sein alter Freund Professor Raskin geheime Forschungen betrieb. Er hatte sich von Xutl sowie von Direktor Murray, dem Chef der Weltsicherheitsbehörde, verabschiedet und konnte nun, zwei Tage später, endlich aufbrechen.
Nick kontrollierte die Anzeigen, ließ dabei aber seine Gedanken schweifen. Er war gespannt, woran Professor Raskin arbeitete. Nach der strengen Geheimhaltung zu urteilen, musste es sich um etwas Revolutionäres handeln. Nick zuckte mit den Schultern und hob den Kopf, um sich auf seinen Flug zu konzentrieren. Er würde es ja bald erfahren.
Er steuerte den Aufklärer auf die offene See. Selbst von hier oben konnte er erkennen, wie die Wellen des Atlantiks gegen die Küste Neuenglands wogten. Als er sich vergewissert hatte, dass er sich abseits der dicht beflogenen Routen befand, steuerte er den Aufklärer in einem steilen Winkel in die Stratosphäre hinauf. Das Düsenflugzeug zog einen langen Feuerschweif hinter sich her, als es durch die Luftschichten stieß und die obersten Schichten der Atmosphäre erreichte, die den blauen Planeten von der Schwärze des Weltraums trennte.
Sobald er die vorgegebene Höhe erreichte hatte, stellte Nick den Kurs fest und ließ die Tragflächen einfahren. Er verfolgte aus den Augenwinkeln, wie die beiden Flügel im Rumpf versenkt wurden. Sekunden später raste der Aufklärer, nun von keinem Luftwiderstand mehr gehemmt, mit aktiviertem R3-Antrieb um den Erdball.
Die letzte Position des schwimmenden Labors lag im Pazifischen Ozean, Tausende von Kilometern entfernt. Durch den Atmosphärenflug war es eine Sache von Minuten, um diese Entfernung zu überwinden. Einige Hundert Kilometer vor dem angegebenen Standort der ›Ozeana‹ ließ Nick die Tragflächen wieder ausfahren und tauchte in die Atmosphäre ein. Unter ihm breiteten sich die schier unendlichen Weiten des Stillen Ozeans aus.
Nick warf einen Blick auf den Chronometer. Fünfundzwanzig Minuten, stellte er fest. Nicht schlecht für eine Entfernung von fast 14.000 Kilometern!
Er studierte die Positionsangaben auf seinen Instrumenten und benötigte dann nur kurze Zeit, um einen dunklen Fleck auf den Wellen auszumachen. Das musste die ›Ozeana‹ sein. Er drückte das Steuerhorn leicht nach vorne. Der Aufklärer ging tiefer, bis er in wenigen Hundert Metern Höhe über die Wellen hinwegraste.
Das Schiff trieb ruhig auf dem Wasser. Ein Aufbau in der Mitte des Rumpfes ragte in die Höhe. Am ausladenden Heck leuchtete eine kreisrunde Markierung, die die Landefläche für Helikopter und Senkrechtstarter anzeigte.
Nick schwenkte leicht nach rechts und flog in einer Kurve um das Schiff herum.
»Achtung, Achtung!«, funkte er. »Hier spricht Nick. An den Kommandanten der ›Ozeana‹. Unterrichten Sie bitte Professor Raskin von meiner Ankunft. Ich bitte um Landeerlaubnis!«
Er musste nicht lange auf eine Antwort warten, doch sie fiel anders aus als erwartet.
»Hier ›Ozeana‹! Besuch untersagt. Rückfragen zwecklos. Ende!«
Nick runzelte die Stirn. Er wusste ja, dass der Professor einen geheimen Auftrag hatte. Dennoch hätte er eine freundlichere Begrüßung erwartet. Erneut betätigte er den Funk.
»Hören Sie, Kommandant«, setzte er an. »Ich bin ein alter Freund von Professor Raskin. Bitten Sie ihn an das Funkgerät. Ich möchte mit ihm selbst sprechen!«
»Hier ›Ozeana‹! Besuch untersagt. Rückfragen zwecklos. Ende!«, klang es erneut aus dem Lautsprecher.
Nick versuchte mehrmals, den Kommandanten der ›Ozeana‹ zu überreden, Professor Raskin an den Funkapparat zu holen, aber seine Bitten blieben ergebnislos. Immer wieder ertönte dieselbe stereotype Antwort.
Nick sah unschlüssig auf das Schiff unter ihm. Der Kommandant wiederholte fortlaufend die gleichen Worte. Der Bursche musste ja stur wie ein Roboter sein!
Roboter? Vielleicht hatten sie ein Band aufgelegt, um nicht gestört zu werden, überlegte er. Andererseits müssten sie ihn doch schon längst bemerkt haben. Irgendjemand auf der Brücke hatte ihn doch sicher orten oder sogar am Himmel erkennen können.
Nick flog in einer engen Kurve um das Schiff herum und suchte mit den Augen das Deck ab.
Kein Mensch zu sehen.
Er beschloss, im Heckbereich zu landen. Dann sollte ihn Professor Raskin persönlich wieder an die Luft setzen, wenn sein Besuch wirklich unerwünscht war. Er hatte nicht vor, sich von einem Tonband abspeisen zu lassen!
Nick drosselte die Geschwindigkeit des Düsentriebwerks auf ein Minimum und fuhr den Rotor aus, um zur Landung auf dem Heck aufzusetzen, als es am Turm des Schiffes aufblitzte.
Himmel, sie schießen auf mich!
Er war bereits viel zu tief, um noch reagieren zu können. Hilflos musste er zusehen, wie das Geschoss in den Rotor einschlug und die dünnen Blätter wegsprengte. Wie ein Stein fiel der Aufklärer vom Himmel. Die Wasseroberfläche kam immer näher. Verzweifelt riss Nick das Steuerhorn zu sich her, um die Maschine neu auszurichten, und schaltete das Triebwerk für den horizontalen Flug wieder auf volle Leistung.
Aber es war zu spät. Dicht neben der ›Ozeana‹ stürzte der Aufklärer in die See. Das Wasser spritzte um die Bugnase auf. Unwillkürlich schloss Nick die Augen. Er konnte nur hoffen, dass die Konstruktion des Jets der Wucht des Aufpralls standhielt.
Als er das Gurgeln um sich herum hörte, öffnete er die Augen und sah, dass das Wasser den Aufklärer bereits umschlossen hatte und in die Tiefe zog.
Nick fluchte. Es war alles so schnell gegangen, dass er nicht mehr hatte aussteigen können. Ihm blieb nun nichts anderes übrig, als abzuwarten. Schillernde Fischschwärme zogen an ihm vorbei. Ihre umherhuschenden Körper warfen ein wildes Schattenspiel auf das Glas der Kanzel. Ein schlanker Raubfisch kreuzte seinen Weg, ohne ihm Beachtung zu schenken.
Nick untersuchte fortwährend die Nahtstellen und fuhr mit den Fingerspitzen über das Metall, ob er Feuchtigkeit spürte. Doch trotz des immensen Wasserdrucks, der auf dem Düsenjet lasten musste, hielten sie.
Wenig später erreichte der Aufklärer den Meeresgrund. Seine Nase grub sich in den Boden, Staub und Schlamm wolkten auf. Langsam senkte sich das Heck, bis die Maschine nach rechts geneigt zur Ruhe kam.
Nick sah sich um und schüttelte ratlos den Kopf. Was um Himmels willen ging auf der ›Ozeana‹ vor? Er konnte nicht begreifen, dass sein alter Freund auf ihn schießen ließ! Oder hatte der Kommandant des Schiffes eigenmächtig einen Warnschuss abgegeben, der seinen Aufklärer unglücklicherweise getroffen hatte?
Nick sah nach oben, als könne er die ›Ozeana‹ von hier aus erblicken.
Sie mussten ja gemerkt haben, was für ein Unheil sie angerichtet hatten, und würden nun alles versuchen, um ihn zu retten. Ein Forschungsschiff dieser Größe war üblicherweise mit den nötigen Aufbauten für Rettungseinsätze unter Wasser ausgestattet.
Nick wollte das Funkgerät aktivieren, nahm dann aber die Hand wieder von dem Schalter. Ein Blick auf die Anzeige genügte ihm, um zu sehen, dass er hier unten keinerlei Funkempfang hatte. Die gewaltigen Wassermassen, die ihn umgaben, schirmten jede Übertragung ab.
Also lehnte er sich zurück. Ohne wirklich einen Blick dafür zu haben, verfolgte er das Leben hier unter Wasser in all seiner Vielfalt und Farbenpracht. Einmal konnte er aus dem Augenwinkel einen großen Oktopus ausmachen, der für jeden Meerespark eine Attraktion gewesen wäre.
Stunden vergingen, ohne dass etwas geschah. Weder ein Taucher noch ein Tauchroboter, der nach ihm suchte. Nick schüttelte fassungslos den Kopf. Das war ungeheuerlich! Es geschah nichts!
Er unterdrückte die Unruhe, die sich in ihm breitmachen wollte, und dachte angestrengt nach. Er musste sich selbst helfen. Die Meerestiefe betrug hier vierzig Meter, wie er nach einem Blick auf den Höhenanzeiger feststellte. Das konnte er mit dem Raumgerät überbrücken. Den ganzen Anzug konnte er in der engen Kanzel unmöglich anlegen, aber die Sauerstoffversorgung würde ihm wenigstens ermöglichen, nach oben zu schwimmen.
Nick drehte sich in seinem Sitz und hangelte nach der Verschlussklappe an der rückwärtigen Seite. Aus der dahinter verborgenen Nische zog er das Atemluftgerät mit den beiden Sauerstoffflaschen sowie den Raumhelm, der eigentlich dafür gedacht war, dem Vakuum des Weltalls zu widerstehen. Nick konnte nur hoffen, dass er auch dem Wasserdruck standhielt.
Er legte das Atemluftgerät an, verschraubte den Helm in seiner Bajonettarretierung am Kragen seiner Kombination und kontrollierte die Sauerstoffversorgung.
Aus der Notfallausrüstung entnahm er noch einen Treibsatz und befestigte ihn an den Sauerstoffflaschen. Damit konnte er das Schiff erreichen, falls es sich inzwischen entfernt haben sollte. Nach dieser Erfahrung hielt er selbst das für möglich.
Nick hörte nur noch seine eigenen Atemgeräusche. Er presste die Handfläche auf den großen Knopf an der Instrumententafel, um das Kanzelglas zu öffnen. Doch nichts geschah. Erneut drückte er darauf und warf einen unwilligen Blick nach oben. Erst dann dämmerte es ihm: Der Wasserdruck war so stark, dass sich die Kanzel nicht mehr automatisch öffnen ließ!
Nicks Atem beschleunigte sich. Was nun? Die Kanzel war aus einem unzerbrechlichen Material. Und seine Strahlenpistole konnte er nicht anwenden, wenn er nicht verschmoren wollte.
Sein Blick flog über die Instrumente. Angestrengt suchte er nach einer Lösung und schließlich fand er sie. Der Aufklärer verfügte noch über ausreichend Atemluftreserve. Er konnte den Ausstrom der Luftanlage so einstellen, dass sie genügend Gegendruck erzeugte, wenn er die Ablassventile schloss.
Da er nichts zu verlieren hatte, schob er den Druckregler auf die höchste Stufe und beobachtete die Anzeigen. Dann nickte er zufrieden. Der Innendruck musste jetzt groß genug sein. Er drückte auf den Auslöseknopf der Schleudervorrichtung.
Die Luft entwich explosionsartig und riss Nick aus dem Aufklärer. Myriaden von Luftblasen wirbelten um ihn herum und raubten ihm die Sicht. Er fühlte nur, wie er emporgeschleudert wurde und sich mehrfach im Wasser überschlug. Um seine Trudelbewegungen zu stabilisieren, breitete er die Arme aus. Dann hatte er auch endlich wieder freie Sicht. Er sah sich um. Das wäre geschafft, dachte er zufrieden. Jetzt nach oben!
Mit kräftigen Schwimmzügen kam er voran. Das Wasser wurde lichtdurchfluteter, je höher er kam. Er hatte die Hälfte der Entfernung zur Wasseroberfläche bereits überwunden, als seine Freude, dem Aufklärer entkommen zu sein, einem eisigen Schreck wich. Der dunkle Umriss eines großen Hais schoss pfeilschnell auf ihn zu. Nick stöhnte auf. Auch das noch!
Instinktiv griff er nach seiner Strahlenpistole am Holster. Aber dann zuckte seine Hand zurück. Er zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen. Die Strahlen würden vom Wasser reflektiert werden und ihn selbst auf der Stelle töten.
Er rief sich zur Ruhe, spannte seinen Körper an und konnte dem mit scharfen Zähnen bewehrten Maul des Raubfisches im letzten Augenblick durch eine Schwimmbewegung zur Seite entgehen.
Der Hai zuckte herum, offenbar irritiert und wütend zugleich, dass ihm seine Beute entkommen war, und setzte dem Schwimmer nach. Noch bevor er ein weiteres Mal angreifen konnte, schaltete Nick den Treibsatz ein.
Ein heftiges Gurgeln bestätigte ihm, dass die Ladung zündete. Wie von einer unsichtbaren Faust gepackt wurde Nick nach vorne geschleudert. Er riss die Arme hoch, um dem Wasser so wenig Widerstand wie möglich zu bieten, und schoss zur Wasseroberfläche. Innerhalb weniger Sekunden hatte er durch den Treibsatz ausreichend Abstand zwischen sich und den hungrigen Raubfisch gebracht.
Er drehte sich um und sah zu seiner Erleichterung, dass der Hai das Weite suchte. Anscheinend hatte ihn Nicks Aktion so erschreckt, dass er genug von ihm hatte. Nick war darüber alles andere als unglücklich.
Er überwand die letzten Meter bis zur Oberfläche. Am liebsten hätte er den Helm geöffnet, um mit vollen Zügen die frische Luft einzuatmen. Doch das Atemluftgerät war seine Lebensversicherung und solange er nicht in Sicherheit war, würde er es anbehalten.
Er sah sich um und entdeckte die Silhouette der ›Ozeana‹ keine dreihundert Meter entfernt von seiner Position. Nick schätzte, dass der Treibsatz gerade noch so viel Energie haben müsste, um sie erreichen zu können. Wie ein lebender Torpedo schoss er mit großer Geschwindigkeit durchs Wasser und holte das Schiff schnell ein.
Wie erwartet versagte der Treibsatz nun seinen Dienst. Nick ließ sich langsam auf den hoch aufragenden Rumpf zutreiben und tauchte schließlich ab. Er legte das letzte Stück lieber unter Wasser zurück. Noch einmal wollte er nicht als Zielscheibe dienen!
Wenig später tauchte Nick direkt neben der Bordwand auf. Vorsichtig spähte er nach oben. Doch auch jetzt ließ sich niemand blicken. Kein Kopf, der sich über die Reling schob und ihn vielleicht entdeckte. Er wusste nicht, ob ihn das beruhigen sollte.
Nick legte seine Hände auf einen der beiden Seitenkästen des Schiffes, in denen die Turbinen untergebracht waren, und zog sich hoch. Er bedauerte, dass er keine Antigravplättchen bei sich hatte. Das hätte den Aufstieg deutlich erleichtert. Also musste es so gehen.
Er nutzte an der Bordwand jede Ausbuchtung und jeden Haltegriff, um sich die gut acht Meter bis zum Oberdeck emporzuarbeiten. Völlig außer Atem gelang es ihm schließlich, sich über die Reling zu ziehen. Er gönnte sich ein paar Augenblicke, um Luft zu schöpfen, und sah sich dann um.
Bei allen guten Geistern der Galaxis!, schoss es ihm durch den Kopf. Das sieht ja aus, als ob kein Mensch an Bord wäre!
Tatsächlich zeigte sich niemand an Deck, nirgendwo war eine Bewegung zu erkennen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass auch der einzige Schornstein nicht rauchte. Nick konnte seine Anspannung nur mit Mühe beherrschen. Er schürzte die Lippen, erhob sich und ging zur Mitte des Schiffes. Trotz der augenscheinlichen Ruhe an Bord achtete er bei jedem Schritt darauf, nicht überrascht zu werden.
Als er beim zentralen Turmaufbau angekommen war, beugte er sich zurück und legte den Kopf mitsamt des Helms so gut er konnte in den Nacken. Auch die Kommandobrücke schien verlassen zu sein.
Er sah sich um, unschlüssig, wie er weiter vorgehen sollte, als er im Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Weit über ihm bewegte sich ein schlankes Objekt im strahlend blauen Himmel. Die Radarantenne, die auf einem langen Stabmast in der Bugsektion befestigt war, drehte sich. Das Schiff war also weiterhin funktionstüchtig.
Nick legte das Atemgerät samt Helm auf dem Oberdeck ab und atmete voller Genuss die frische Seeluft ein. Er sah sich nach einem offen stehenden Schott um. Vorsichtig durchsuchte er das Hauptdeck der ›Ozeana‹, aber egal welche Kabine er untersuchte, er konnte weder ein Mitglied der Besatzung noch Professor Raskin oder einen seiner Mitarbeiter entdecken.
Ratlos blieb er in einem offenen Schott stehen. War das denn die Möglichkeit? Konnte das Schiff tatsächlich völlig verlassen sein?
Er suchte nach Antworten für dieses Rätsel, also ging er zur Kommandobrücke. Auch hier war die Tür nicht verschlossen. Ungehindert erlangte er Zutritt und besah sich die ausladende Instrumententafel, die die gesamte Vorderfront der Brücke einnahm. Ein schneller Blick zeigte ihm, dass alles auf Autopilot gestellt war. Er war nur unter Beschuss genommen worden, weil er sich bis auf eine bestimmte Entfernung genähert hatte.
Ein kleiner Kasten an der Seite erregte seine Aufmerksamkeit. Es war ein Tonbandgerät, das an das Funkgerät angeschlossen worden war. Kein Wunder, dass die Landeverweigerung stereotyp gewesen war …
Nick betrachtete sich jede Einzelheit des Raums erneut, als hoffte er, so eine Antwort zu erhalten. Schließlich schüttelte er den Kopf. Was mochte auf diesem Schiff geschehen sein?
Er beschloss, in die Laboratorien zu gehen. Vielleicht gaben sie ihm mehr Aufschluss. Über den zentralen Treppenkorridor gelangte er in den Bauch des Schiffes, der fast vollkommen von der Laborsektion eingenommen wurde. Ein Schott stand sperrangelweit offen. Nick sah auf einen Blick, dass etwas nicht stimmte.
Außer den üblichen Schalttafeln, die fest an den Wänden montiert waren, befanden sich hier keine Geräte, die auf außerordentliche Forschungen oder Experimente schließen ließen.
Nick atmete tief durch. Es gab nur eine Schlussfolgerung: Jemand hatte sie entfernt. Jemand, der keine Mittel gescheut hatte, um sich der Erfindung von Professor Raskin zu bemächtigen!
Er musste einräumen, dass das Vorgehen geradezu genial war. Der Weltsicherheitsrat nahm an, dass sich die Experimente Professor Raskins über einen langen Zeitraum erstreckten. Es wären bestimmt noch Monate vergangen, bis die Entführung entdeckt worden wäre – denn dass sein Freund entführt worden war, darüber bestand für Nick kein Zweifel.
Leider konnte er keine Spuren finden, die ihm Aufschluss gaben. Also beschloss er, um Hilfe zu funken.
Er eilte durch den Schiffsrumpf zurück zum Kommandostand und griff nach dem Tonbandgerät, um es vom Funkgerät zu entfernen, als er ein leises Zischen vernahm und eine helle Stichflamme am Gerät auflodern sah.
Instinktiv riss er die Arme hoch und sprang zurück. Über ihn fauchte eine heiße Feuerlohe hinweg und ein heftiger Knall betäubte seine Ohren. Nick taumelte zu Boden. Selbst durch die geschlossenen Augen konnte er den grellen Explosionsblitz deutlich wahrnehmen.
Rauch erfüllte die Kommandobrücke. Nick musste husten. Er wartete, bis sich die Schwaden verzogen hatten, und sah sich um. Um ihn herum herrschte ein Bild der Zerstörung. Trümmerteile lagen verstreut am Boden. Ihm wurde bewusst, was für ein Glück er gehabt hatte. Seine Fliegerkombination hatte die größte Wucht der Druckwelle abgefangen.
Die Instrumententafel hatte es am schwersten erwischt. Ganze Armaturenbanken waren aus ihrer Verankerung gerissen worden. Das Funkgerät war zerstört, stellte er resigniert fest. Dort, wo es sich befunden hatte, ragten verbogene Metallsplitter in die Luft. Die Burschen, die Professor Raskin und die Mannschaft entführt hatten, waren kein Risiko eingegangen – und sie zeigten keine Skrupel, das Leben anderer Menschen zu gefährden.
Nick sah zu den Instrumenten auf der rückwärtigen Seite. Er mochte wetten, dass auch diese Kontrollen explodierten, wenn man sie berührte. Es war besser, wenn er die Finger davon ließ.
Ein Gedanke ging ihm durch den Kopf. Die Weltsicherheitsbehörde stand bestimmt in regelmäßiger Verbindung mit dem Schiff. Da jetzt die vereinbarten Funksignale ausblieben, würde es nicht lange dauern, bis sie nach dem Grund des Schweigens forschten. Er musste also nichts anderes tun als abzuwarten, bis man ihn fand.
Diese Zeit wollte er nutzen, um sich noch einmal im Laboratorium umzusehen. Vielleicht entdeckte er doch noch etwas, das ihn auf die Spur der Entführer brachte. Er verließ die Brücke und durchschritt das Schiff. Als er sich auf halbem Wege befand, wurde die ›Ozeana‹ von einer gewaltigen Detonation erschüttert. Nick wurde von den Füßen gerissen und zu Boden geschleudert. »Himmel!«, entfuhr es ihm.
Schnell neigte sich der Rumpf zu einer Seite. Der Weltraumfahrer hatte alle Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Ein dumpfes Grollen drang durch das Schiff, begleitet vom Kreischen aufgerissenen Metalls. Nicks Atem ging schneller. Er ahnte, dass ihm nicht viel Zeit blieb.
Das Schiff sank. Er musste sich beeilen, wenn er nicht mit ihm untergehen wollte. So schnell er konnte, hastete er durch die Korridore zum Laboratorium. Wasser drang bereits gurgelnd durch das Treppenhaus von den unteren Decks her ein.
Er öffnete die Schubladen aller Schränke und suchte nach einem Anhaltspunkt, der ihm entscheidende Hinweise geben konnte. Doch alle Fächer waren geleert worden. Er wollte schon aufgeben, als er einen kleinen Notizblock ausmachte, der auf einem Arbeitstisch lag.
Das Wasser stieg immer höher. Schon reichte es ihm bis zu den Oberschenkeln. Nick griff nach dem Block und hielt ihn in die Höhe, um zu vermeiden, dass jedwede handschriftliche Notiz verwischt wurde.
Er musste gegen den Sog des Wassers ankämpfen, das nun schon seine Hüften umspülte. In seinen Beinen machte sich ein schmerzhaftes Ziehen breit. Jeder weitere Schritt war, als watete er durch einen zähen Sumpf.
Endlich erreichte er das Treppenhaus und zog sich am Geländer nach oben. Sobald er das Hauptdeck erreicht hatte, suchte er nach einer Möglichkeit, von Bord zu kommen. Doch er musste feststellen, dass die Rettungsboote des Schiffes von den unbekannten Entführern unbrauchbar gemacht worden waren.
Der Bug lag schon tief unter Wasser, als Nick in einer Kiste endlich ein Schlauchboot fand. Ohne weitere Zeit zu verlieren, verstaute er den Notizblock unter seiner Kombination. Er konnte nur hoffen, dass das Papier nicht aufweichte. Dann packte er das zusammengedrückte Schlauchboot, griff nach dem Paddel, das sich ebenso in der Kiste befand, und sprang mit einem beherzten Sprung über die Reling.
Nick beeilte sich, so viel Entfernung wie möglich zwischen sich und das untergehende Schiff zu bekommen. Der Sog würde ihn unweigerlich in die Tiefe ziehen und dann wäre er verloren. Er schwamm unter Wasser, so weit er konnte. Als er endlich auftauchte, zog er an der Schnur des gelben Schlauchbootes, das sich binnen Sekunden aufblies. Es schaukelte auf den Wellen. Nick benötigte mehrere Versuche, sich hochzuziehen.
Am liebsten hätte er sich ausgeruht, doch er griff nach dem Paddel und vergrößerte den Abstand zum Schiff weiter, um sich in Sicherheit zu bringen.
Endlich wagte er einen Blick zurück. Dicker schwarzer Qualm quoll aus dem Schiffsrumpf. Das Heck der ›Ozeana‹ ragte nun hoch in die Höhe. Nick hörte auf zu rudern und sah dem schrecklichen Schauspiel zu. Es dauerte nur wenige Minuten, bis der Rumpf völlig von den sprudelnden Wassermassen umschlossen wurde und nicht mehr zurückblieb als die Stille des Pazifischen Ozeans, als sei nie etwas geschehen.
Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass bald ein Flugzeug der Weltsicherheitsbehörde auftauchte. Er untersuchte die Vorräte, die in wasserdichten Boxen im Schlauchboot verstaut waren. Schnell machte sich Ernüchterung in ihm breit. Er hatte Nahrungsmittelkonzentrate für zwei Tage, aber kein Wasser. Seine Lage war nicht gerade rosig.
Unschlüssig sah Nick über die Wasseroberfläche hinweg und entdeckt einen dünnen Gegenstand, der aus den Wellen ragte. Es war die Mastspitze der ›Ozeana‹, die dem Untergang getrotzt hatte. Nick ruderte auf die Stelle zu und band sein Schlauchboot am Mast fest. So vermied er, abgetrieben zu werden.
Jetzt begann ein zermürbendes Warten. Nick schonte seine Kräfte, so gut er konnte, und vermied jede unnötige Anstrengung. Alleine aber die Wärme in diesen Breitengraden forderte ihren Tribut.
Aus endlosen Stunden wurden Tage und Nächte. Bei Anbruch des dritten Tages sah Nick seinen Widerstand schwinden. Seine Zunge fuhr über die spröden Lippen. Er konnte nur noch krächzen, so rau war sein Hals.
Ich … ich kann nicht mehr, gestand er sich ein. Dieser Durst …
Er hob seinen Kopf. Schon gestern waren ihm die breiten Rückenflossen aufgefallen, die aus dem Wasser ragten. Erst waren sie noch in respektvollem Abstand geblieben, doch sie kamen immer näher und schlossen den Kreis um ihn enger. Nick lächelte müde. Die Haifische schienen zu wittern, dass sie bald eine Beute bekamen. Er sackte förmlich in sich zusammen und kauerte sich gegen die wulstige Wandung des Schlauchboots. Mit ihm war es aus.
So gut er konnte, riss er sich zusammen. Unwillig hob er den Kopf und sah zum Himmel empor. Gewaltige Wolkenbänke schoben sich über ihn hinweg. Inmitten der Wolkenschichten entdeckt er mit einem Mal einen kleinen, unscheinbaren Punkt, der sich rasch bewegte.
Täuschten ihn seine entzündeten Augen oder sollte das wirklich ein Flugzeug sein?
Er hoffte, dass er nicht nur einer Halluzination erlag, und konzentrierte sich auf den Punkt. Nicks Herz machte förmlich einen Sprung, als dieser sich nicht auflöste, sondern sich immer deutlicher von den Wolken abhob.
Es war keine Täuschung! Doch er musste die Besatzung auf sich aufmerksam machen. Hastig sah er sich um. Seine Hände zitterten, als er die Strahlenpistole aus dem Holster hervorzog. Er hob sie in den Himmel und drückte den Abzug so lange durch, bis er sicher war, dass der Feuerschweif deutlich sichtbar war.
Nick nahm nur noch wahr, dass es ein Hubschrauber war, der sich ihm näherte, dann verlor er das Bewusstsein.

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