Leseprobe – Sigurd – Zwerge und Kobolde


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EINS

Es war früher Nachmittag. Die Sonne hatte seit zwei Stunden ihren Zenit überschritten. Drei Reiter waren auf etwas unebener, staubiger Wegstrecke auf ihren Pferden in leichtem Galopp unterwegs. In der Ferne erhob sich eine lang gezogene Bergkette.

Wieder einmal lag ein gefährliches Abenteuer hinter Ritter Sigurd von Eckbertstein und seinen Freunden, Ritter Bodo von Brauneck und Junker Cassim. Nun waren sie auf dem Heimweg, und ihre Stimmung konnte nicht besser sein. Die Aussicht auf köstliche Speisen, eine bequeme Lagerstatt und eine ruhige Zeit auf der heimatlichen Burg ließ ihre Gesichter förmlich erstrahlen.

So kamen sie seit einer Weile wortlos voran und waren in Gedanken schon längst am Ziel der lockenden Erholung von überstandenen Geschehnissen. Während Sigurd die kleine Gruppe anführte, folgten ihm Bodo und Cassim dichtauf.

Als sie um eine Wegbiegung ritten, kam ihnen ein Pferdegespann mit großem Tempo entgegen. Der Fahrtwind spannte die Plane des Wagens fast zum Bersten, aber noch war die Ladung geschützt. Sigurd erkannte die Situation sofort.

»He! Dem Kutscher sind die Pferde durchgegangen.«

Schon ratterte der Planwagen mit den zwei Zugpferden im wilden Galopp an ihnen vorüber. Dem verzweifelten Mann waren just in diesem Moment die Zügel aus den Händen entglitten.

»Hilfe!«, ertönte es verzweifelt aus dem Gefährt.

Mit einem Schenkeldruck trieb Sigurd seinen Braunen an und jagte dem Gespann hinterher. Die Zeit schien für den Kutscher stillzustehen. Doch endlich erreichte Sigurd den Wagen, ritt an ihm vorbei und lenkte sein Pferd direkt vor die Zugtiere. Mit seinen starken Armen ergriff er das Zaumzeug des rechten Pferdes.

»Halt!«, schrie er, so laut er konnte, zog das Geschirr mit aller Kraft an sich und brachte das Fuhrwerk endlich zum Stehen.

Kurz darauf kamen auch Bodo und Cassim auf ihren Pferden herangesprengt und erreichten Sigurd, der noch immer die schnaubenden und unruhigen Zugtiere fest in seinem Griff hatte. Endlich beruhigten sich die Tiere, und er konnte das Zaumzeug loslassen. Zur Sicherheit standen nun unsere Freunde im Halbkreis vor dem Gespann, um einen weiteren Panikausbruch zu verhindern.

Der Kutscher, der dem sicheren Tod schon ins Antlitz geblickt hatte, riss die Arme in die Höhe. »Dank! Vielen Dank, Ihr Herren! Ah, was mir widerfahren ist … entsetzlich, entsetzlich!«

»Beruhigt Euch, guter Mann! Hat man Euch überfallen?«, fragte Sigurd in ruhigem Ton.

»Nein, nein! Ich bin Kaufmann Bertrecht … und wollte den Weg abkürzen. Deshalb bin ich durch den Zauberwald gefahren. Ich habe alle gut gemeinten Warnungen in den Wind geschlagen. Es war furchtbar … grauenhaft! Zwerge, Dämonen, Geister! Geht nie in den Zauberwald! Lebt wohl und vielen Dank!«

Verdutzt schaute Sigurd den Kutscher etwas verständnislos an, da nahm dieser auch schon die Zügel in seine Hände und trieb die Pferde wieder an.

»He«, rief Cassim überrascht hinterher.

Sigurd zuckte nur mit den Schultern. »Der Arme scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein. Zwerge, Dämonen, das sind doch Ammenmärchen!«

*

Die Freunde ritten, über den Vorfall nachdenklich geworden, langsam weiter. Etwas später trennte sie nur noch ein quer verlaufender Pfad von dichtem Gehölz. Sigurd nahm das Gespräch wieder auf.

»Da drüben beginnt der Zauberwald. Ich wusste gar nicht, dass ein Weg hindurchführt! Man erzählt …«

»Still! Hört ihr es auch? Das sind Hammerschläge«, unterbrach ihn Bodo.

Cassim fing an zu lachen. »Hi, hi, wahrscheinlich Zwerge, die Zauberringe schmieden.«

Lächelnd drehte sich Sigurd um. »Kommt, wir sehen uns die Zwerge mal an!«

Sie folgten dem Klingen der Hämmer. Bald erscholl es nah, dann wieder ferner. Immer tiefer ritten sie in den dichten Wald, bis sie feststellen mussten, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatten. Sie hielten an.

»Jetzt ist alles still. Nur die Vögel zwitschern«, meinte Sigurd immer noch entspannt.

Bodo schien etwas verunsichert. »Wie sollen wir jemals aus diesem verflixten Wald wieder ins Freie gelangen? Ich habe die Orientierung vollkommen verloren!«

Cassim nickte bestätigend. »Mir geht es nicht anders! Es ist wie verhext!«

Sigurd suchte, ohne aufgeregt zu sein, nach einer Erklärung. »Das Klingen der Hämmer war einmal näher, dann wieder weiter entfernt zu hören! Als ob es uns absichtlich zum Narren halten wollte.«

Cassim ging nicht auf Sigurds Erklärungsversuch ein und blickte nun doch etwas verängstigt um sich. »Hoffentlich finden wir jemals wieder aus diesem Urwald hinaus«, schloss er sich Bodos Meinung an. »Wir …«

»Still«, unterbrach ihn Sigurd mit einer Handbewegung. »Das Hämmergeräusch ist wieder zu hören.« Mit seinem erhobenen Arm deutete er nach links.

Aber in diesem Moment zeigte Cassim nach rechts. »Oh! Jetzt klingt es auch aus dieser Richtung!«

Nun meldete sich auch Bodo, etwas unruhig geworden. »Langsam wird es mir unheimlich, Freunde.«

Cassim legte nachdenklich die Hand an sein Kinn. »Sollten wir dem Kaufmann unrecht getan haben? Vielleicht ist dieser Wald … wirklich verhext?«

»Unsinn«, entgegnete Sigurd bestimmt.

Bodo schien sich wieder etwas gefasst zu haben. »Wo bleibt deine Sicherheit, Cassim? Hast du nicht vorhin noch über den Kaufmann gelacht? Als wir das Hämmern hörten, hast du gesagt: ›Hi, hi, wahrscheinlich schmieden die Zwerge Zauberringe‹!«

Cassim ballte seine rechte Faust. »Mir ist das Lachen vergangen! Dir wird es auch noch vergehen, wenn du dich noch länger über mich lustig machst.«

Sigurd versuchte, den etwas verärgerten Cassim wieder zu beruhigen. »Hört auf zu streiten. Kommt! Wir versuchen es noch einmal! Es muss doch festzustellen sein, wer da hämmert!«

Die Freunde ritten ein paar Schritte an, als plötzlich eine helle, schnarrende Stimme von der Seite ertönte. »Ich glaube es nicht, aber versucht doch euer Glück, ihr Narren, hi, hi, hi!«

»He«, rief Bodo. Die Freunde hielten die Pferde wieder an.

Sigurd drehte sich fragend um. »Warst du das, Cassim?«

»Nein, die Stimme kam dort aus dem Busch«, beteuerte der Junker und zeigte nach schräg unten.

»Was?«, auch Bodo drehte sich nun sehr überrascht um.

Sigurd wollte jetzt der Sache endgültig auf den Grund gehen und stieg von seinem Pferd. Etwas mühsam drang er in das dichte Gebüsch ein. »Hier ist niemand!« Plötzlich beugte er sich nach vorne und sagte nur »Oh!«

»Was ist?«, fragte Bodo gespannt.

Sigurd richtete sich wieder auf und hielt etwas in seiner linken Hand in die Höhe. Bodo und Cassim versuchten von ihrem Standpunkt aus zu erkennen, was Sigurd ihnen wie eine Trophäe entgegenhielt. Die Freunde ritten ein Stück näher heran. »Hier! Ein langes, weißes Haar!«

Erschrocken zuckte Cassim zurück. »Vom Bart eines Zwerges.«

Jetzt wurde es Bodo zu bunt. »Nun höre aber langsam mit dem Unsinn auf, Cassim!«

Da ertönte die helle Stimme wieder. Diesmal allerdings von der anderen Seite. »Wieso Unsinn? Der Kleine hat recht, hi, hi, hi!«

Mit einem ängstlichen »Ah« drehte Cassim den Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam.

Sigurd hatte so langsam die Nase voll. Mit einem »Bei allen …« stürmte er über den schmalen Weg auf die gegenüberliegende Seite. Aber er kam nicht weit. »Das Brombeerdickicht ist undurchdringlich«, rief er ärgerlich aus. Und als ob das nicht alles schon verrückt genug wäre, ertönte die Stimme jetzt wieder von der anderen Seite.

»Hi, hi, hi.«

»Das ist ja … jemand hält uns zum Narren!« Sigurd wendete sich wieder der ursprünglichen Seite zu. Die rechte Hand ärgerlich zur Faust geballt, deutete er mit dem linken Arm und ausgestrecktem Zeigefinger in die Richtung, aus der zuletzt die Stimme zu hören war.

»Hört zu«, rief er laut und verärgert in den Wald. »Wir lassen nicht mit uns spaßen! Zeigt Euch!«

»Zu gegebener Zeit, edler Ritter, zu gegebener Zeit«, kam die hohle Antwort.

Nun hielt es Cassim nicht mehr. »Weg von hier, nur weg!«

Bodo ritt neben ihn und legte väterlich eine Hand auf seine Schulter. »Ruhig, Cassim!«

Der Junker war von Panik erfüllt. »Ich will aus dem Wald sein, bevor es Nacht wird! Ich … ich habe Angst!« Seine Verzweiflung war nicht zu übersehen.

»Kommt!«, ertönte Sigurds kräftige Stimme. Mit einem gekonnten Sprung schwang er sich in den Sattel seines Pferdes und ritt los. »Haltet die Augen offen! Vielleicht erwischen wir den seltsamen Spaßvogel doch noch.«

Bodo und Cassim folgten ihm, ohne weitere Fragen zu stellen. Ihnen wäre es lieber gewesen, diesen schattenreichen, dunklen Wald so schnell wie möglich zu verlassen. Nach einiger Zeit öffnete sich tatsächlich das dichte Buschwerk und gab eine kleine Lichtung frei. Sigurd ritt auf eine alte, mächtige Eiche zu.

»Ich klettere auf den Baum dort und hoffe, dass wir uns dann orientieren können.«

Genau unter den dicken Ästen zog er die Zügel seines Braunen an. Das treue Tier stoppte sofort. Mit seiner ganzen Kraft stieß er sich von seinen Steigbügeln in die Höhe und ergriff einen überhängenden Ast. Bodo und Cassim schauten Sigurd gespannt nach, der sich geschickt durch das Astwerk nach oben kämpfte. Doch die Eiche war kein Himbeerstrauch. Immer wieder musste Sigurd ein kleines Stück abwärts klettern, um das dichte Geäst an einer günstigeren Stelle zu bezwingen.

Endlich hatte er die immer noch von dicken Ästen gebildete Baumkrone erreicht. Über die Blätter hinweg blickte er nach vorn und rief nach unten: »Dort drüben ist der Weg! Wir sind gar nicht weit vom Waldrand entfernt, Freunde.«

Ein erleichtertes »Gott sei Dank« klang herauf.

Sigurd drehte sich, um wieder hinunterzuklettern. Da wurde er auf eine dunkle Öffnung am Steilhang eines nun näheren Berges aufmerksam. Sein Gehirn arbeitete sogleich zielgerichtet. »Oh! Das sieht ja wie der Eingang zu einem Stollen aus. Daher muss das Hämmern gekommen sein, das wir zuerst gehört haben … Aber jemand hat uns beobachtet und uns mit ähnlichen Hammergeräuschen davon abgelenkt.«

Während Sigurd gewandt an den knorrigen Ästen des gewaltigen Baumstammes hinunterkletterte, zog er seine Schlussfolgerung. »Da stimmt etwas nicht! Am liebsten würde ich …« Schon hatte er den untersten Ast erreicht, da sprang er geschickt in den Sattel seines Pferdes und zeigte gleichzeitig nach links. »Das ist die Richtung, Freunde. Reitet schon voraus, ich komme bald nach!«

Cassim brachte nur ein verständnisloses »Wie??« hervor, während Bodo immerhin eine konkrete Frage stellen konnte. »Was soll das?«

Sigurd, der in die entgegengesetzte Richtung losgeritten war, drehte sich noch einmal um. »Wenn man schon einmal die seltene Gelegenheit hat, Zwerge bei der Arbeit zu sehen, dann möchte ich sie mir nicht entgehen lassen.«

»Aber Sigurd! Bleib hier«, rief Bodo ihm sorgenvoll nach.

Auch Cassim meinte etwas kleinlaut: »Ja bitte, komm mit uns!«

Von den Freunden unbemerkt, schoben sich in diesem Moment zwei kleine Hände mit langen, roten Fingernägeln durch die Blätter eines dicht belaubten Busches. Sie wirkten irgendwie krallenartig und legten gerade einen Stein in einen gelbbraunen Lederbeutel, an dem zu beiden Seiten ein langer Riemen nach oben führte, der um das rechte Handgelenk gewickelt war.

Im nächsten Augenblick bäumte sich Cassims Pferd, vor Schmerz laut wiehernd, auf … und galoppierte geradewegs in die Büsche. Es war nur noch ein erschrecktes »He« und »Hilfe« zu hören.

»Schnell, Bodo! Ihm nach«, rief Sigurd sofort.

Doch da bäumte sich auch Bodos Pferd auf und warf seinen Reiter ab. »Himmel!« Mehr konnte er nicht mehr sagen, denn schon stürzte er mit dem Rücken auf den zum Glück weichen Waldboden.

Cassim war es inzwischen gelungen, auf einer Schneise sein verängstigtes Pferd zu zügeln. »Ruhig Brauner, Ru… ah!« Mehr brachte er nicht mehr heraus.

Direkt vor ihm stand auf einer Baumwurzel eine zwergenhafte Gestalt mit einer langen, roten Zipfelmütze auf dem Kopf. Der weiße Bart reichte fast bis zu den Oberschenkeln. An seinem Gürtel hing ein kleiner, gelbbrauner Lederbeutel, während die Hände auf einem fast schulterhohen Stock ruhten.

»Na, mein Kleiner? Vom Weg abgekommen?« Die Ironie in der Cassim bereits bekannten Stimme war nicht zu überhören. Er schlug entgeistert seine linke Hand vor den Mund. »Hab’ keine Angst! He, he, he«, knarzte der Zwerg.

Urplötzlich drangen weitere, geisterhafte Kobolde und Zwerge hinter den Bäumen hervor. »Wir helfen dir, den richtigen Weg wiederzufinden«, rief der Gnom mit dem Stock. Dann begannen die kleinen Gestalten Cassim zu umzingeln, und kurz darauf tanzten kleine Teufel, Zwerge und Kobolde im Kreis um ihn herum.

Cassim war außer sich vor Angst. Nur noch ein lautes »Hilfeee« drang aus seinem Mund.

Während Sigurd bereits mit gezogenem Schwert in seine Richtung durch die Büsche preschte, versuchte er, seinem jungen Freund Mut zu machen. »Ich komme, Cassim!«

Derweil sprang Bodo in den Sattel seines Pferdes und hetzte hinterher. Wie ein abgeschossener Pfeil sprengte Sigurd durch das Unterholz. »Cassim! Wo bist du? Cassim!«

Kurz darauf ritt er auf die Lichtung. Von den Gestalten war nichts mehr zu sehen, nur Cassim lag bäuchlings auf dem Boden. Dicht daneben stand sein Pferd. Mit einem »Allmächtiger« sprang Sigurd von seinem Braunen, immer noch das Schwert in seiner Hand, aus dem Sattel. Sorgenvoll kniete er sich neben dem Junker nieder.

»Cassim! Junge, sag‘ doch etwas!«

In diesem Moment erreichte auch Bodo die Freunde. Er sprang behände von seinem Pferd und lief auf sie zu. »Was ist mit ihm?«

Sigurd wandte sich zu Bodo um. »Er ist ohnmächtig! Fass mit an! Wir legen ihn auf sein Pferd … und dann fort von hier, aber schnell!«

Vorsichtig hoben sie ihn vom Boden auf und legten ihn behutsam quer über seinen Sattel. Danach sicherte Sigurd ihn mit einer Leine. Sie bestiegen ihre Pferde und ritten los.

Der Pfad wurde nicht besser. Wortlos und konzentriert mussten sie auf den immer noch sehr unebenen Weg achten. Endlich erreichten die Freunde unangefochten den Waldrand. Das Tageslicht hatte sie wieder.

*

Während sie nebeneinander in schnellem Ritt das finstere Gehölz hinter sich brachten, ließ Bodo seinen Gedanken freien Lauf.

»Seltsam! Sobald wir auf dem Weg nach der Straße waren, hörten die Stimmen auf. Ich verstehe das alles nicht, Sigurd! Erst sind wir von dem Gehämmer in den Wald gelockt worden, und jetzt scheinen unsere unbekannten, merkwürdigen Spaßvögel froh zu sein, dass wir wieder draußen sind.«

»Ja, merkwürdig! Außerdem sind die Spaßvögel erst ruppig geworden, als ich mich von euch trennen wollte.«

Während des ganzen Ritts führte Sigurd Cassims Pferd mit ihrem jungen Begleiter an einer Leine mit. Er wies in Richtung der Bergkette. »Dort drüben ist ein Bach. Das kühle Wasser wird Cassim wieder zu sich bringen.«

Nachdem sie den Uferstreifen erreicht hatten, stiegen sie von ihren Pferden und legten ihn gemeinsam in den weichen Sand. Bodo entnahm seiner Satteltasche einen Trinkbecher und ging zu dem rasch dahinfließenden Bach. Er kniete sich nieder und streckte seine Hand mit dem Becher über die Uferkante. Dann füllte er das kleine Gefäß mit dem aus den Bergen kommenden klaren Wasser und lief vorsichtig das etwas ansteigende Ufer hinauf. Er reichte den Becher Sigurd, der Cassims Stirn mit dem kalten Nass berieselte.

Stöhnend kam der Junker kurz darauf wieder zu sich. Er fasste an seinen Kopf und erhob sich noch etwas schwankend. Sigurd und Bodo waren froh, dass alles zu guter Letzt noch glimpflich ausgegangen war. Dennoch war Cassims Gesichtsausdruck immer noch ängstlich.

»Es war entsetzlich, Freunde! Ich … ich habe sie gesehen! Zwerge und Kobolde! Ich muss vor Schreck ohnmächtig geworden sein.«

Cassim zeigte mit einer Hand ungefähr auf die Hälfte seiner eigenen Körpergröße. »Sie waren nur so groß, aber furchtbar!«

»Beruhige dich, Cassim«, versuchte Sigurd die Angst von ihm zu nehmen. »Du bist sicher mit dem Kopf gegen einen überhängenden Ast gestoßen, als dein Pferd durchging. Du hast deine Zwerge und Kobolde nur geträumt.«

»Nein, nein«, wehrte Cassim ab und blickte Sigurd drängend an. »Ich habe sie ganz deutlich gesehen. Sie kamen aus dem Dickicht und hinter Bäumen hervor. Dann tanzten sie in wilden, unheimlichen Sprüngen um mich herum. Untersucht meinen Kopf! Ich habe keine Schramme oder eine Beule!«

»Hm …«, meinte Sigurd, etwas nachdenklich geworden.

Cassim ließ sich nicht beirren. »Der Wald ist verhext! Das haben auch unsere Pferde gespürt. Warum sollten sie sonst plötzlich durchgegangen sein?«

Sigurd ging zu den Pferden und untersuchte sie gründlich. »Dafür gibt es eine bessere Erklärung als Hexerei! Beide Pferde sind von Steinen getroffen worden. Wahrscheinlich durch eine Schleuder.«

»Oh«, antwortete Cassim überrascht.

»Glaubst du immer noch an Zwerge und Kobolde, Cassim?«

Etwas Verunsicherung sprach aus seiner Antwort. »Ich … ich weiß nicht … aber ich habe sie leibhaftig gesehen!«

Sigurd, der schon immer etwas gegen Aberglaube und Spuk gehabt hatte, versuchte weiter, Cassim zu überzeugen. »Dann war es Mummenschanz!«

Etwas kleinlauter kam die Antwort. »Ich sagte doch schon … sie waren nur so groß!« Wieder zeigte Cassim auf seine halbe Körpergröße.

Doch Sigurd wehrte Cassims Meinung abermals mit einer Handbewegung ab. »Auch dafür muss es eine Erklärung geben. Ich kann jedenfalls nicht nach Eckbertstein zurückreiten, als wäre nichts geschehen.«

Entschlossen bestieg Sigurd sein Pferd. Bodo und Cassim blieben noch unschlüssig stehen. »Lasst uns weiterreiten. Ich nehme an, man beobachtet uns vom Waldrand aus. Hinter den Felsen dort warten wir die Nacht ab, dann …«

Hastig unterbrach ihn Cassim. »Du willst doch nicht etwa …«

Während Sigurd einfach losritt, zögerten die Freunde noch einen Augenblick. Schließlich blieb den beiden nichts anderes übrig, als ebenfalls in die Sättel zu steigen und ihm nachzureiten. Nachdem sie fast auf gleicher Höhe waren, ließ sich Sigurd etwas zurückfallen und blickte nach hinten. »Gut! Es folgt uns niemand.«

Wenig später hatten sie den Fuß des Bergausläufers erreicht und zügelten die Pferde.

Noch einmal versuchte Cassim, seinen Freund Sigurd von seinem Vorhaben abzubringen. »Sigurd, ich bitte dich … was geht es uns an, was im Zauberwald geschieht? Lass uns …«

Doch Sigurd wollte sich auf keine weiteren Diskussionen einlassen und unterbrach ihn bestimmt. »Reite allein nach Eckbertstein zurück, Cassim. Bodo kann dich begleiten, wenn er will. Ich bleibe!«

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