Leseprobe – Tibor – Am Rande der Hölle


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EINS

Steil und zerklüftet erhoben sich die Felsen, über denen das Plateau der Ogk-Menschen lag. Seit dem Aufbruch von Kurdals Schiff hatte sich Tibor keine Rast gegönnt. Nun, da er die Ausläufer des Berges erreichte, hielt er zum ersten Mal inne. Voll stand der Mond am wolkenlosen Nachthimmel, seine gelbe Scheibe schwamm über den Klippen und dem Urwald, der sich an ihrem Fuß erstreckte.

Schwere Tage und Wochen lagen hinter dem Sohn des Dschungels, doch die Strapazen, die zahlreichen Kämpfe und Abenteuer hatten sich gelohnt. Es war ihm gelungen, den grausamen Tyrannen Abal zu stürzen und Gemals Land zu befrieden. Dem Jungen drohte nicht länger die Gefahr, umgebracht zu werden, sobald er in seine Heimat zurückkehrte.

Schwerer Flügelschlag drang durch die Nacht und als Tibor hinaufschaute, erblickte er vor der leuchtenden Scheibe des Mondes zwei schwarze Schatten, die vom Berg herabgeflogen kamen. Es waren Raks, die abgerichteten Flugsaurier der Ogks. Der Flügelschlag ihrer mächtigen Schwingen schickte Wind voraus und schon bald erkannte Tibor, dass sie Reiter trugen.

»Lange brauchen wir nicht zu warten«, sagte Tibor zu Kerak. »Das Empfangskomitee wartet bereits auf uns.«

Er war froh darüber, denn das ersparte ihnen die Kletterei den Berg hinauf. Die Raks landeten zwischen den Bäumen und legten ihre Flügel zusammen. Mit ihren großen, keilförmigen Köpfen und den spitzen Schnäbeln wirkten sie furchteinflößend, doch Tibor hatte sie als gehorsame Kreaturen kennengelernt, die jeden Befehl ihres Herrn befolgten. Die beiden Ogks glitten vom Rücken der Tiere und begrüßten den Besucher freudig.

»Du warst lange fort«, empfing ihn Orag. »Wir fürchteten schon, dir sei etwas zugestoßen.«

»Nein, es ist alles gut verlaufen«, erwiderte Tibor lächelnd. »Ich möchte dem Herrn über alle Raks so schnell wie möglich berichten. Wie geht es Gemal und Professor Dobbs?«

»Gemal fühlt sich wohl bei uns, aber der weiße Mann befindet sich nicht mehr bei unserem Stamm. Er wollte unbedingt aufbrechen«, erklärte Nurk.

»Das darf doch nicht wahr sein!« Tibors Freude über die Rückkehr erlitt einen herben Dämpfer. »Der weiße Mann ist hilflos in der Wildnis. Ich habe mich darauf verlassen, dass ihr auf ihn aufpasst. Ihr hättet ihn nicht gehen lassen dürfen.«

»Sei ohne Sorge«, beschwichtigte Orag den Herrn des Dschungels. »Der weiße Mann ist sicher. Der Häuptling wird dir alles genau berichten.«

»Worauf warten wir dann noch?«, fragte Tibor seufzend.

»Klettere auf Nurks Rak«, lud Orag ihn ein.

Kopfschüttelnd kam Tibor der Aufforderung nach. Dobbs war wirklich unbelehrbar. Der Professor mit seinem Sturkopf hatte ihm schon vor dem Abenteuer mit Abal eine Menge Schwierigkeiten bereitet. Wenn es hieß, aus Schaden würde man klug, so traf das auf den Forscher ganz gewiss nicht zu.

»Ich schicke euch gleich einen Mann mit zwei freien Raks«, vertröstete Orag Nurk.

Der Gorilla grunzte geduldig, obwohl er nur ungern von der Seite seines Freundes wich. Tibor ergriff die Leine des Raks. Die beiden Flugechsen erhoben sich in die Luft und trugen ihre Reiter dem Plateau entgegen.

*

Im Dorf der Ogk-Menschen wurde Tibor nicht weniger herzlich empfangen. Die Ogks hießen ihren Freund willkommen und begrüßten ihn stürmisch. Trotz der fortgeschrittenen Nacht war schon bald die ganze Dorfgemeinschaft auf den Beinen. Der Herr über alle Raks trat aus seiner Hütte und streckte dem Ankömmling die Hand entgegen.

»Herzlich willkommen! Meine Hütte ist deine Hütte«, verkündete er feierlich.

»Danke, Häuptling. Es ist schön, wieder bei euch zu sein.«

»Tibor!«, erklang ein heiserer Schrei. Der Sohn des Dschungels sah einen blonden Halbwüchsigen auf sich zukommen. Es war Gemal, der eine besorgte Miene aufsetzte. »Du kommst alleine zurück? Was ist geschehen? Wo ist Urak?«

»Keine Angst, ihm geht es gut«, beruhigte Tibor den Jungen. »Urak lässt dich grüßen. In deinem Land hat sich alles zum Guten gewendet.«

»Zum Guten? Wie soll ich das verstehen?«

»Das bedeutet, dass man dich mit Sehnsucht erwartet«, erklärte Tibor. »Das ganze Volk wartet auf dich, seinen rechtmäßigen Herrscher.«

»Bei allen Göttern!« Gemal schwankte. »Ist das wirklich wahr?«

»Ja.«

»Aber das kann doch nicht sein. Abal würde das niemals zulassen.«

»Abal ist tot«, verriet Tibor. »Seine Schreckensherrschaft ist vorbei. Kurdal ist mit drei Schiffen auf dem Weg hierher, um dich heimzuholen. Du hast nichts mehr zu befürchten.«

»Höre ich richtig?«, mischte sich der Häuptling ein. »Abal ist wirklich tot?«

»So ist es«, bekräftigte Tibor noch einmal. »Auch ihr braucht den Tyrannen nicht länger zu fürchten. Da du und dein Stamm Freundschaft mit Gemal geschlossen habt, steht euch allen eine rosige Zukunft bevor, denn von nun an ist Gemal der Herrscher der hellhäutigen Krieger.«

Der Anführer der Ogks atmete auf. »Dem Himmel sei Dank! Und dir nicht weniger, Tibor, weil du mich überredest hast, Gemal bei uns aufzunehmen. Trotz meiner Angst vor Abal war es gut, dass ich auf dich gehört habe.« Der Häuptling wandte sich an den Jungen. »Wir bleiben doch Freunde, hoffe ich, auch wenn du jetzt über ein großes, starkes Volk herrschst?«

»Sogar mit Freuden«, versicherte Gemal. »Denn ich werde nie vergessen, was ihr für mich getan habt, obwohl ihr Abals Rache fürchten musstet.«

»Schlagt die Trommeln«, forderte der Häuptling seine Männer auf. »Dies ist ein Grund zum Feiern. Tragt das Beste auf und singt die Lieder unseres Stammes.«

Die Ogks ließen ihren Anführer sowie Tibor und Gemal hochleben. Kein einziger Krieger dachte daran, dass sie normalerweise um diese Zeit mitten in der Nacht schliefen. Während sie mit den Vorbereitungen für ein großes Fest begannen, bat der Häuptling Tibor als Gast in seine Hütte. Der Herr des Dschungels nahm die Einladung gerne an, denn sie bot ihm Gelegenheit, unter vier Augen über die weniger erfreulichen Dinge zu sprechen, die ihm auf der Seele lagen.

*

»Du machst einen besorgten Eindruck«, stellte der Herr über alle Raks fest.

»Allerdings.« Tibor verzichtete darauf, um den heißen Brei zu reden. »Warum habt ihr den weißen Mann fortgehen lassen? Der Dschungel ist nicht für ihn geeignet. Er ist leichtsinnig und erkennt die Gefahren nicht, die auf ihn lauern. Außerdem war er verletzt. Bestimmt ist er in der Wildnis bereits umgekommen.«

»Wenn das deine einzige Sorge ist, kann ich dich beruhigen.«

»Das verstehe ich nicht.«

Der Häuptling schlug die schweren Vorhänge vor den Eingang, neben dem eine farbenprächtige handgeschnitzte Maske hing. Er machte eine auffordernde Handbewegung und sie ließen sich auf dem Boden nieder. Obwohl es eine milde Nacht war, brannte in der Mitte des Zeltes ein kleines Feuer. Der Rauch stieg auf und entfloh durch einen schmalen Luftzug nach draußen.

»Der weiße Mann hat seine Verletzung längst überstanden«, berichtete der Anführer der Ogks. »Dank der Kunst meiner Medizinmänner ist seine Wunde rasch und gut verheilt, ohne dass Nachwirkungen zurückblieben. Als er wieder ganz gesund war, wurde er von Tag zu Tag unruhiger. Es hielt ihn nicht mehr in unserem Dorf. Da er unsere Sprache in der Zwischenzeit einigermaßen erlernt hatte, war es möglich, uns miteinander zu verständigen. Er weigerte sich, noch länger bei uns zu bleiben. Er drängte auf den Aufbruch und wollte sich nicht festhalten lassen.«

»Sondern?«, fragte Tibor. »Was wollte er stattdessen?«

»In seine Heimat zurückkehren. Er sprach ständig von seinem Land, in dem alles groß und herrlich sein muss, und dass er wieder dorthin wolle.«

»Aber er konnte doch nicht ohne seine Gefährtin aufbrechen«, wunderte sich der Herr des Dschungels. Miss Hudson, die Assistentin des Professors, hielt sich noch bei Kurdal auf. »Er hätte mit seinem Aufbruch zumindest bis zu ihrer Rückkehr warten müssen.«

Der Häuptling hob bedauernd die Hände. »Ehrlich gesagt, hielten wir sie und dich für verloren. Ihr wart lange weg, viele Monde. Der weiße Mann war fest davon überzeugt, dass wir euch nie wiedersehen. Dann begann er von Dingen zu sprechen, die uns Ogks unbekannt sind. Er versprach mir Wunderwaffen, die ein großes Tier mit Donner und Blitz töten können, sogar auf große Entfernung, viel weiter, als unsere Speere fliegen.«

Allmählich begann Tibor zu verstehen. Dobbs hatte den Ogks das Blaue vom Himmel versprochen. »Für seine Versprechungen hast du ihm vermutlich Krieger als Schutz und Führer mitgegeben.«

»Ja.« Der Anführer nickte. »Zwanzig Mann. Vorher hat der ganze Stamm jedoch eine große Jagd veranstaltet. Wir haben eine Raubechse für den weißen Mann gefangen.«

Tibor fuhr vom Boden in die Höhe. »Was? Aber wozu?«

»Er sagte, er wolle die Echse mit in sein Land nehmen, weil es dort keine solchen Tiere gäbe. Das muss ein glückliches Land sein, wo man keine Angst vor den gefährlichen Raubechsen haben muss, nicht wahr?«

Der Sohn des Dschungels verdrehte die Augen. »Du bist ein Narr«, rutschte es ihm unbedacht heraus.

»Wie bitte?« Auch der Häuptling erhob sich nun vom Boden. Verärgerung trat in seine Züge. »Du beleidigst mich, noch dazu in meiner eigenen Hütte?«

»Entschuldige«, beeilte Tibor sich zu sagen. Er erkannte, dass er zu weit gegangen war. »Du trägst keine Schuld, denn du kannst schließlich nicht wissen, was du angerichtet hast.«

»Nein, das verstehe ich wirklich nicht. Was ist so schlimm an dem, was wir getan haben?«

»Der weiße Forscher wird dir keine Wunderwaffen schicken«, klärte Tibor sein Gegenüber auf. »Und deine Krieger siehst du auch niemals wieder. Stattdessen werden viele, sehr viele weiße Männer kommen und euer Land auf den Kopf stellen, bis du es nicht wiedererkennst.« Genau das hatte Tibor von Anfang an befürchtet. Wenn Dobbs von seinen Entdeckungen berichtete und als Beweis zudem einen lebenden Tyrannosaurus Rex vorzeigte, würde es nicht lange dauern, bis die Zivilisation in den Dschungel einfiel und alles zerstörte, was ihr im Weg stand. »Ich muss den weißen Mann einholen und zur Vernunft bringen, bevor er die toten Sümpfe erreicht. Wenn mir das nicht gelingt, ist der Untergang deines Stammes besiegelt.«

Der Häuptling starrte ihn aus großen Augen an. »Ihr großen Götter, was habe ich getan?«

»Wann ist der weiße Mann aufgebrochen?«

»Er ist mit den Kriegern seit einem halben Mond fort. Sicher kommen sie mit dem gefangenen Tier nicht schnell voran. Dennoch haben sie inzwischen einigen Vorsprung.«

Umso schneller musste Tibor handeln. »Ich mache mich umgehend auf den Weg. In Kürze bringt Kurdal die Gefährtin des weißen Forschers in euer Dorf. Sie darf sich auf keinen Fall von dem Plateau entfernen. Behandelt sie gut, aber haltet sie fest, bis ich zurückkomme.«

»Verstanden.« Berührt von der Eindringlichkeit des Appells nickte der Häuptling.

Als Tibor die Hütte verließ, stellte er zu seiner Erleichterung fest, dass Kerak inzwischen ebenfalls eingetroffen war. Ohne sich um die einsetzenden Feierlichkeiten zu kümmern, bestiegen die Freunde zwei Raks und erhoben sich in die Luft.

*

»Die Tiere sind unwillig«, stellte Kerak fest.

Tibor nickte. »Ich kann es ihnen nicht verdenken. Ich möchte auch lieber schlafen. Aber wir dürfen keine Zeit verlieren. Sonst erzählt der weiße Zweibeiner der ganzen Welt, was er hier vorgefunden hat.«

Dobbs’ Verhalten erzürnte Tibor. Zwar hatte er sich bereit erklärt, den Forscher in dieses Gebiet zu führen, doch nur unter der Bedingung, dass der Professor über den Urzustand des Landes hinter den toten Sümpfen Stillschweigen bewahrte. Trotz seines Versprechens hatte Dobbs es sich offenbar anders überlegt. Mehr noch, er hatte es sich in den Kopf gesetzt, einen Saurier in die zivilisierte Welt zu bringen. Sein Ehrgeiz ließ ihn wortbrüchig werden, was Tibor nicht akzeptieren wollte. Die Existenz von ausgestorben geglaubten Sauriern in diesem Teil Afrikas würde sich in Windeseile wie ein Lauffeuer herumsprechen und schon bald würden Heerscharen von Wissenschaftlern, Journalisten und anderen Neugierigen einfallen und nicht wiedergutzumachende Schäden anrichten.

Das Plateau blieb hinter den Freunden zurück und die scheinbar endlose Weite des Dschungels lag vor ihnen. Der Mond badete das Blätterdach des Urwalds wie eine wogende grüne See in seinem Licht.

Vielleicht jedoch tat Tibor dem Professor Unrecht, spann er seinen Gedankenfaden weiter. Wenn Dobbs ihn wirklich für tot hielt, fühlte er sich womöglich nicht mehr an das gegebene Versprechen gebunden. Dennoch hätte Tibor dem Forscher mehr Weitsicht zugetraut. Ein Aufschrei Keraks riss ihn aus seinen Überlegungen.

»Mein Rak versucht mich abzuschütteln!«, rief der Gorilla herüber. »Er will nicht weiterfliegen.«

Stattdessen segelte die Echse steil in die Tiefe. Schon geriet Tibor in dieselben Schwierigkeiten wie der große Affe. Auch sein Rak wurde langsamer und flog dem Boden entgegen. Alles gute Zureden erwies sich als sinnlos. Trotz Protesten ihrer Reiter wollten die Flugsaurier nicht mehr. Das Blätterdach rauschte unter ihrem Flügelschlag, als sie im Dschungel niedergingen.

»Bleib auf seinem Rücken, Kerak. Wir müssen sie anbinden.«

Doch das war leichter gesagt als getan. Der Rak schüttelte sich und es gelang ihm, den Gorilla abzuwerfen. Als Tibors Flugtier seinen Gefährten davonfliegen sah, unternahm es ebenfalls Anstrengungen, seinen Reiter loszuwerden. Es bäumte sich auf und war nicht mehr zu halten. Der Rak hackte sogar nach dem Sohn des Dschungels, der in hohem Bogen von seinem Rücken flog und zwischen die Baumkronen stürzte. Geistesgegenwärtig griff er nach einer Liane und bremste seinen Sturz. Kerak hangelte sich von Ast zu Ast.

»Bist du verletzt, Tibor?«, wollte er wissen.

»Zum Glück nicht, aber es war knapp.« Bedauernd blickte der Herr des Dschungels den in die Nacht entschwindenden Flugechsen hinterher. Sekundenlang sah er ihre kleiner werdenden Silhouetten, dann waren sie dem Blick entzogen. »Es hätte nicht viel gefehlt und der Rak hätte mich mit seinem Schnabel aufgespießt. Wir haben die Tiere nicht gut behandelt. Statt ihnen und uns Schlaf zu gönnen, haben wir sie angetrieben, weil ich Zeit sparen wollte. Und nun das!«

»Mach dir keine Vorwürfe«, versuchte Kerak seinen Freund zu trösten. »Vor uns liegt dichter Dschungel. Wir schwingen uns durch die Baumkronen, wie wir es gewohnt sind. Dann kommen wir fast so schnell voran wie mit den widerspenstigen Raks.«

Tibor lächelte sanft. Die aufmunternden Worte des Gorillas waren wirklich ein Trost. Die Freunde vertrauten sich den natürlichen Fortbewegungsmitteln des Waldes an und machten sich auf den Weg.

*

Am nächsten Morgen entdecken sie die ersten Spuren. Die Sonne war aufgegangen und der Dschungel erwachte mit vielfältigen Lauten zum Leben. Nachdenklich untersuchte Tibor die Abdrücke im weichen Gras. Professor Dobbs, die Krieger und der Saurier waren einen kaum erkennbaren Pfad entlanggetrampelt.

»Die einzelnen Spuren lassen sich kaum voneinander unterscheiden. Immerhin erkennt man, dass die Zweibeiner dem Raubsaurier die Hinterläufe zusammengebunden haben, damit er nur kleine Schritte machen und nicht fliehen kann.«

»Die Spuren sind alt«, deutete Kerak die Hinweise. Das Gras hatte sich längst wieder aufgerichtet. »Ich glaube nicht, dass wir die Zweibeiner einholen, bevor sie die toten Sümpfe überqueren.«

»Sie sind schneller vorangekommen, als ich erwartet habe«, bedauerte Tibor. »Merkwürdig. Selbst mit zwanzig Männern ist es nicht leicht, einen Raubsaurier unter Kontrolle zu behalten, auch wenn er gefesselt ist.«

Dennoch gelang es ihnen anscheinend. Tibor lief ein Stück weiter, bis das Unterholz zurückblieb. Der Boden zwischen den Urwaldriesen war bis auf das dichte Gras fast frei von Bewuchs. Hier ließen sich die Spuren besser unterscheiden. Der Herr des Dschungels machte eine Entdeckung, die das Rätsel löste.

»Siehst du das?«, machte er den Gorilla auf große, tiefe Abdrücke aufmerksam.

»Ja, diese Spuren sind auf beiden Seiten der Raubsaurierabdrücke zu sehen.«

»Sie stammen von den Pranken von Triceratops-Sauriern, von Gorks«, folgerte Tibor. Gork war der Namen, den die Ogks diesen riesigen Tieren gegeben hatten. »Wie du weißt, lassen sich die Gorks leicht zähmen.«

»Die Ogks reiten also auf zwei Gorks und haben den Raubsaurier zwischen sich genommen?«

»Richtig. Die Zweibeiner wenden die gleiche Methode an, die bei der Elefantenjagd benutzt wird. Ein frisch gefangener Elefant wird von zwei gezähmten Dickhäutern flankiert, wodurch er sich nicht wehren kann. Es ist ihm unmöglich, zu den Seiten hin auszubrechen.« So war es kein Wunder, dass die Gruppe schneller vorankam als gedacht. »Ich glaube nicht, dass die Krieger auf diese Idee gekommen sind. Der weiße Zweibeiner wird ihnen das Verfahren erklärt haben. Komm, Kerak!«

Plötzlich hatte Tibor es sehr eilig. Er rannte los und warf sich an die nächste Liane. Er ergriff sie mit geübten Bewegungen und schwang sich zwischen den Bäumen hindurch. Der große Affe folgte ihm mühelos.

»Hat es überhaupt noch einen Sinn, ihnen zu folgen?«, zweifelte Kerak. »Ihr Vorsprung ist sehr groß. Selbst wenn wir uns sehr beeilen, können wir höchstens ein paar Tage aufholen. Das nützt uns aber nicht viel.«

Der Herr des Dschungels war anderer Meinung. »Ich schätze, dass es uns gelingt, die Hälfte ihres Vorsprungs aufzuholen. Das hilft uns, weil sie die schwierigste Aufgabe noch vor sich haben.«

»Du meinst die Durchquerung der toten Sümpfe?«

»Genau, mein Freund.« Im Schwung ließ Tibor die Liane los. Er flog ein paar Meter durch die Luft und griff nach der nächsten. Diese Art der Fortbewegung war ihm längst in Fleisch und Blut übergegangen. »Um auf die andere Seite zu gelangen, müssen die Zweibeiner einen Urwaldriesen fällen und als Brücke benutzen. Doch es gibt nur eine einzige Stelle, an der die Sümpfe dafür schmal genug sind. Nur du und ich wissen, wo sich dieser Engpass befindet. Die Krieger waren noch niemals dort und der weiße Forscher kennt sie ebenfalls nicht. Wir haben uns damals mit dem Professor und seiner Assistentin Miss Hudson von den Adlern über das Sumpfgebiet tragen lassen.«

»Also müssen sie erst nach dem Übergang suchen«, sagte Kerak.

»Ja, und es wird eine ganze Weile dauern, bis sie die Stelle finden.«

»Außerdem müssen sie dann noch die Brücke bauen.«

»So ist es.« Die Aussicht verlieh Tibor neue Zuversicht, Dobbs noch einzuholen. »Wie du siehst, stehen unsere Chancen gar nicht so schlecht. Allerdings dürfen wir nicht langsamer werden.«

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