Leseprobe – Hakonwulf von Thule


Zum Roman

 

Prolog

Herr Kaye, der grauhaarige Verwalter des Hochkönigs, füllte die Becher. Bräunlicher Bierschaum floss über die Ränder und zeichnete Ringe auf das weiße Holz der Tischplatte. Bruder Bjardni hob den Holzbecher und sagte leise:

»Habt Dank, Herr Kaye. Ja, ich kenne Thule recht gut. Ich war drei Jahre dort, bis die Nordmannen das Kloster überfielen und niederbrannten.«

»Berichte mir, was du über Thule weißt, Bjardni.«

»Es ist eine wundersame, schöne Insel, fern im endlosen Nordmeer, das voll treibenden Eises ist, und in dem ungeheuerliche Fischbestien wüten«, sagte der alte Mönch und nahm einen kräftigen Zug. »Sie besteht aus Eis, Flammen, Rauch, Dampf und Wäldern, aber jeder, der sie im Inneren kennt, sagt, sie sei ein Paradies …«

»Ein Paradies aus Eis, Feuer und Rauch?«

Bruder Bjardnis Bericht, mit ruhiger Stimme vorgetragen, war von einer gewissen Weitschweifigkeit geprägt, die mit bildhafter Genauigkeit einherging. Es schien Kaye, als habe Bjardni jede wunderliche Einzelheit selbst gesehen und erlebt:

In den Jahren, in denen die ganze Welt glaubte, sie würde in Feuer, Seuchen, Tod und ungeheuren Wasserfluten untergehen, in der Zeit vor dem Tausendsten Jahr nach Christi Geburt, bot auch die Insel Thule dem einsamen Meeresfahrer einen erschreckenden Anblick. Jeder, der sich zu Schiff näherte, sah zuerst gegen Norden hin einen hohen Berg im Ozean, mit Nebelwolken um den Gipfel, der Flammen und Feuersäulen gen Himmel spie, wenn sich die brodelnden Wolken teilten. Wenn der Wind die Schiffe durch einen Wirrwarr von Klippen und Vorinselchen näher trieb, wurden die Nächte so hell, dass die Meeresfahrer selbst nachts die Läuse aus ihren salzstarren Gewändern klauben konnten. Diejenigen, die wahrhaftig die Insel umsegelt und dennoch überlebt hatten, haben berichtet, dass sie im Auge des Seeadlers aussähe wie eine Hand mit rundherum mehr als fünfzehn Fingern oder wie ein vielgliedriges Wesen aus dem unergründlich tiefen Meer, das man manchmal zwischen Tang und Algen von seltsamem Aussehen und glühenden Farben an ihren Stränden fand. Jeden Sommer geschah das gleiche Wunder: Die Sonne ging niemals unter, sondern verharrte über dem Meereshorizont, als fürchte sie das salzige Wasser. In den langen Nächten des Nordens wehten und waberten riesige Flammenwälle und Feuertücher als Zeichen des nahen Weltendes vor den Sternen, größer als zwei Drittel des Himmels; rote, gelbe und eisblaue Schleier von furchtbarer Lautlosigkeit.

Ein Eiland aus Eis, Flammen und Feuer; die Insel Thila oder Thule schien gleichermaßen das schauerliche Beispiel für den erwarteten Weltuntergang und das Land der Rettung zu sein: Hier würden jene, die ein göttliches Zeichen trugen, Armageddon oder die Apokalypse oder das Jüngste Gericht überleben. Die Boote furchtloser irischer Mönche, zerbrechliche, verknotete und vernähte Nachen aus Ruten und Ästen, Leder und Fellen, näherten sich bisweilen der Insel aus Eisfeldern, Felsabstürzen und schroffen Klippen; die Insassen waren sicher, dem Weltuntergang nicht entflohen zu sein, sondern ihm entgegenzusegeln. Die Flut warf sie an Land, die Ebbe enthüllte weite Strände aus dunklem Sand. Nur der Reichtum an Vögeln bewies, dass die Besucher kein totes Land betraten. Gänse, Kormorane, Tauchervögel und Möwen, Schnee-Eulen, Lummen und Enten, Schneehühner und Kolkraben umflatterten die schroffen Küsten aus mörderischen Felsabstürzen und die Bäume der Birkenwälder, die im Windschutz der Felsen rauschten.

Im Nordosten aber, nachdem tausend Ellen hohe Bergflanken überklettert oder die Wege entlang der Bäche in den Tälern überwunden waren, im versteckten Inneren des Landes, breitete sich ein großes Tal aus, eine gewaltige Senke fetten, schwarzen, fruchtbaren Landes, geschützt durch Berge mit eisbedeckten Flanken. Das Sonnenlicht, das die Eismassen widerspiegelten, brannte so stark, dass es den Schnee im Tal schmolz; zwischen den Flammen aus Erdspalten huschten Salamander umher, flink und feurig, die nie zu Knochenasche verbrannten. Auf einer Landzunge, die sich plötzlich in einer großen Bucht zeigte, fanden sich ein Fischerdorf und ein kleiner Hafen, der Einzige Thules, wie es schien. Viele Bewohner waren seither getaufte Christen und lebten mit jenen, die noch die alten Götter anbeteten, in friedlichem Beieinander. Man jagte Rotwild, aber keine Rentiere; obwohl die Insel so weit von allen bewohnten Landen entfernt lag, heulten nachts Wölfe in den Wäldern. Elche und Schlangen suchte man vergebens; einst hatte es schwarze Bären gegeben, von denen die Bauern nur die zerbrochenen Skelette kannten. Die Mönche des verwüsteten Klosters hatten in Thule Pflanzen, Wurzeln und Pilze gefunden, die es in keinem anderen Land gab, auch vermochte niemand die Runen zu lesen oder die Gestalten zu enträtseln, die an vielen Stellen in Felswände, Findlinge und aufrecht stehende Donnerkeile aus Granit gemeißelt waren. Sie schienen aus der Zeit vor der Schöpfung zu stammen. Fische, im eisigen Winter gefangen, warf man auf das Land; sie erstarrten zu Stein und schwammen zuckend davon, wenn der Schnee das erste Mal schmolz. Mitten im Sommer, der kälter war als an anderen Orten der Welt, fuhren Schneestürme über das fruchtbare Land dahin. Eine kleine Burg aus hellem Stein und schwarzen Eichenbalken, Myngrifon, krönte einen bewaldeten Hügel, um dessen Fuß sich ringförmig ein sauberes Großdorf schmiegte, umgeben von Äckern, Weiden und Feldern; ein friedliches Bild bescheidenen Reichtums inmitten einer Landschaft aus Geysiren, Eis und Geröll, unter einem strahlenden, blauen Himmel voller schneeweißer Wolken. Wo an den unregelmäßig ausufernden Grenzen des Tales dichte Wälder an den Bergen hinaufwucherten, endete das kleine Königreich von Thule.

»Einmal haben die Nordmänner den Weg zur Burg Myngrifon gefunden, trotz der gefährlichen Meeresungeheuer«, sagte Bruder Bjardni. »Der König – ich weiß nicht, wer heute über Thule herrscht, Herr –, und seine wenigen Ritter haben die Schiffsleute zurückgeschlagen. Aber da waren die Mönche schon dahingeschlachtet, alles Silber gestohlen, ein Dutzend junge, schöne Frauen geraubt, und das kleine Kloster stand in Flammen. So war es in der Chronik zu lesen.«

Die wenigen Aufzeichnungen sprachen von Meeresungeheuern, so groß wie Inseln, auf deren Rücken Schiffe strandeten, und von Bergen aus weißem Eis, auf die sich der Himmel stützte, von riesigen Schollen, auf denen sich Seehunde und große Bären mit zotteligem, weißem Fell tummelten. Die Menschen Thules, schrieben die Mönche, redeten in einer Sprache, die dem alten Cymru-Walisischen oder dem Piktischen ähnelte, aber da seit dem Vordringen der Sachsen, Angeln und Jüten auf der Insel Britannien viele Ritter samt Waffen, Knappen und Pferden, aber auch etliche Prediger und Mönche nach Thule geflohen waren, verstanden und redeten dort viele Menschen die Sprache der Britannier; manche vermochten sie auch zu schreiben, ebenso wie ein wenig Latein.

»Mir haben die frommen Brüder gesagt, dass Thule so fern von unserer Welt liegt, dass der Untergang der Welt sie nicht verschlingen wird.« Bruder Bjardni leerte den Becher und seufzte. »Der Herr möge sie verschonen – aber warum sollte er dies tun?«

Kaye lächelte verschlossen. »Die Wege des Herrn sind unerforschlich, sagst selbst du.«

Bjarni sah zu, wie ein Falke einen Taubenschwarm über der Biegung des aufgestauten Flusses jagte. Wieder füllte Kaye die Becher. Sein Blick glitt über die Brüstung des Sitzplatzes hinweg, zwischen den Baumkronen hindurch in den Hof der Stadtburg. Knechte und Ritter sattelten die Pferde; gedämpfter Lärm erscholl herauf zum Wehrturm an der Stadtmauer Camelots.

Thule, die Insel aus Feuer und Eis, schien unsagbar weit entfernt, so, als läge sie in einer anderen Zeit.

 

Kapitel 1

Die letzten Sterne strahlten und blinkten; ihre machtvollen Bilder schienen um das Nachtgestirn zu kreisen, eines nach dem anderen. Mondlicht flackerte silbern auf dem schäumenden Kielwasser und der Heckspur im Schwarz des Nordmeers und verwandelte die Gischt in leuchtende Bänder. Das aus Eichenplanken über einem massiven Kiel gezimmerte Drachenschiff bewegte sich durch das Wasser wie ein Schwimmvogel, von dessen Gefieder das Wasser abperlte. Es hob und senkte sich im Takt der Wellen, setzte krachend und klatschend mit dem scharfen Bug auf, legte vor dem Wind bis zur Bordwand über und erreichte, obwohl durch schwere Ladung tief im Wasser liegend, hohe Schnelligkeit. Am gestrigen Tag, eine Stunde nach Mittag, hatten die sieben Nordmänner die Küste zum ersten Mal sehen können.

»Es fliegt durch die Wellen, unser Schiffchen, bei Thors glühendem Hammer!« Hrollaug Stachelfisch stemmte sich neben den festgezurrten Schilden hoch und kletterte schwankend zum Steuermann. »Könnte aber noch schneller segeln.«

Vor dem Mond, dem drei oder vier Nächte zum Vollen fehlten, zogen durchsichtige Nachtwolken vorbei. Die Bilder der großen Sterne halfen Lyjot Großzahn, den Kurs des Drachenschiffes zu halten. Vier Männer der siebenköpfigen Besatzung schliefen zwischen Bündeln und Ballen und unter dem schrägen Dach aus Seehundfellen, in speckige Decken und feuchte Mäntel gewickelt. Dag Schwarzbart packte das Seitenruder fester.

»Nicht mit dieser schweren Ladung.«

»Außerdem – wozu die Eile?« Dag spuckte nach Steuerbord. »Wir segeln nach Thule. Zu einer Insel, die kaum einer von uns kennt. Es erwartet uns keine Beute.«

Er deutete zum kühn geschwungenen Bug, der den geschnitzten Drachenkopf hoch über der rauschenden Bugwelle trug. Das offene Schiff glitt durch den Kamm der Dünung. Nicht einer der sieben Nordmänner war je diesen Kurs gesegelt; unter welchen Sternen und bei welchem Wind die östliche Küste des reichen, aber schutzlosen Königtums Thule zu erreichen war, wussten sie von Fischern und Händlern.

Dags stämmiger Körper bewegte sich mit dem Ende des Steuerruders; er würde bis zum Sonnenaufgang den Brandungseber steuern. Für ihn und die Männer der Besatzung war diese Fahrt nicht beschwerlicher als ein langer Ausritt zu Pferde.

»Odins Wölfe! Die Leute in Thule sind allesamt selbst am Elend schuld, das unsere Ladung über sie bringen wird. Friedfertige Narren!«

»Der König hat es ihnen befohlen«, knurrte Hrollaug. »Nur er und seine wenigen Ritter dürfen richtige Männerwaffen tragen. Allen anderen sind nur Messer und Dolche erlaubt. Und Äxte, für die Baumfäller.«

»Willst du mich ärgern?« Dag glich die gleitend-harten Stöße des Schiffs mit den Knien aus. »Das kann ich nicht glauben.«

»Jeder weiß das, du Dummkopf!« Ein Windstoß fuhr ins Segel, ließ den Stoff knallen und wirbelte die Reffschnüre durcheinander. »Warum, glaubst du, bringen wir dem Kerl, diesem Oberverschwörer, kostbare Waffen? Ein ganzes Schiff voll Helme, Schilde und guter Beile? Die Verschwörer werden für uns kämpfen, an unserer Stelle! Nachher dann: Sklavinnen! Ein ganzes Pfund Silber für vier weißbäuchige Christenweiber!«

Bjarni Axtklinges Hand hatte sich an einer dicken, nassen Leine festgeklammert. Er suchte an der rissigen Bordwand nach dem Knoten, der den Metschlauch hielt. »Ein junges Weib, das sich wehrt – das fehlt mir jetzt. Auf einen Schluck, Steuermann?«

»Ja. Gegen das Salzwasser.« Dag nahm einen tiefen Schluck und schlug Bjarni auf die Schulter. »Bei Odins Raben! Wenn die Verräter erst einmal gesiegt haben, wenn sie viel Gold und Silber gesammelt haben – dann werden wir sie besuchen. Und diesen Besuch werden sie nie vergessen – er wird sie teuer zu stehen kommen!«

Das Gelächter der beiden weckte einige Gestalten, die bisher in der Finsternis nicht von Gepäckstücken und Ladung zu unterscheiden gewesen waren. Über dem Kiel und zwischen den Bordwänden klirrten in Ledersäcken die Schwerter und Wurfäxte, Eisenhelme und Lanzenspitzen, in ölgetränkte Lappen eingewickelt. Fässer und Langtruhen waren ebenso wie die anderen Bündel mit dickem Tauwerk festgezurrt.

Bjarni setzte sich auf einen Stapel Schilde und lehnte sich an die Bordwand. »Thors Hammer! Meinst du, dass es dann im Sommer einen schönen Kampf gibt, in Thule?«

Dag lachte. »Du fragst, ob wir wieder richtig stürmen, plündern und totschlagen? Und Brände in Strohdächer schleudern? Es wird sein wie in alten Zeiten!«

»Im heißen Kampf, mit Schilden und Wurfäxten, und mit unseren Schreien, die ihnen das Blut stocken lassen.«

Es war eine Sache, dachte Bjarni, an eine fremde Küste zu segeln und eine andere, Verschwörer mit Waffen zu versehen. Aber Ragnar Weißhaar, der Oberste der Nordmänner, hatte viel weiter gedacht. Bjarni betrachtete die muskelstarrende Gestalt des Anführers mit dem langen, schlohweißen Haar und dem geflochtenen Bart, der inmitten der Mannschaft schlief; einer der besten und wildesten Schiffskrieger König Olaf Trygvessons. Bis der König von Thule erst einmal tot oder von seiner Burg Myngrifon vertrieben wäre, zusammen mit seiner Familie und den Getreuen, wartete der Jarl geduldig und würde anschließend den neuen König überfallen, der nach dem Kampf geschwächt sein würde.

»Kein Kampf morgen oder übermorgen.« Dags feuchtes rotes Haar wirbelte im Wind von achtern. Gischtspritzer flogen über die ganze Länge des Schiffes. »Wir sind nur die Bringer der Waffen.«

»Schade.« Bjarni gähnte und nahm noch einen Schluck aus dem Metschlauch. »Brauchst du mich? Oder kann ich weiterschlafen?«

»Schnarch ruhig weiter. Bis zum Sonnenaufgang.«

Weit hinter den steinernen Flanken des weißen Insellandes strahlte gleißender Sonnenschein die Nachtwolken an. In mächtigen Flächen aus Eis und Schnee spiegelte sich Hels Gestirn, die sengende Sommersonne. Ragnar Weißhaar gähnte und schabte mit der flachen Hand weiße Salzkristalle von Stirn und Nacken. »Heute soll das Treffen sein. Drei Tage vor Vollmond.«

»Glaubst du, was uns Dundhas geschworen hat? Traust du ihm?«, fragte Dag. »Einem Kerl, der noch niemals nass geworden ist?«

»Ja. Aber nicht deshalb, weil ich seinem Schwur glaube. Alle Verräter sind meineidig.« Von Steuerbord rauschte eine gischtgekrönte Welle heran und ließ das Schiff schwanken.

»Aber – warum glaubst du ihm, Jarl?«

Ragnar zog die Schultern hoch und wischte Salzwasser aus dem Bart. »Weil er viel mehr gewinnen kann als jeder, und mehr verlieren: Das Leben. Er will die Macht! Wir sind bescheiden, wollen nur Silber und Gold, Sklavinnen und alles, was für uns einen Wert hat. Vielleicht einen guten Hafen für unsere Schiffe. Er tut alles dafür, dass er bald dort hockt, wo heute ein anderer thront.«

Hrollaug lachte knarrend. »Jetzt glaub ich ihm auch.«

»Beim grimmen Odin!« Ragnar schüttelte sich, als ein Brecher von Backbord über das Heck fegte und die schlafenden Männer durchnässte. »Wie gut, dass kein Eis mehr in den Wellen treibt. Wo ist die verdammte Bucht?«

»Vor dem Bug, wo nachts Licht und am Tag schwarzer Rauch ist. Wir segeln an der richtigen Küste.«

Die ersten Sonnenstrahlen zuckten über die Wellen. Die senkrechten Abstürze der Küste schienen im goldenen Licht zu brennen. Eine Stunde lang hielt Dag das Schiff in der gleichen Entfernung von der leeren Kette schroffer Felsen. In weiten Abständen wuchsen, scheinbar aus nacktem Gestein, windverkrüppelte Bäume.

»Rauch«, rief Hrollaug heiser. »Dort! Geradeaus.«

»Dundhas. Sein Feuer.« Der Jarl grinste. »Dort wartet er auf gutes Eisen und scharfe Bronze.«

»Und ich warte auf ein trockenes Plätzchen, das nicht in den Wellen schwankt«, bemerkte Hjalti. »Und auf einen knusprigen Braten.«

»Gegen Mittag sind wir an Land.«

Nach und nach hörten die Männer zu gähnen auf, aßen und tranken und suchten schweigend die Küste ab. Ihre Augen wanderten über Brandung, Spalten und Klüfte, forschten auf den höchsten Punkten vorspringender Felsen und zwischen den kümmerlichen Gewächsen. Außer Fischen, die aus dem Wasser schnellten, großen Schwärmen jagender und aufflatternder Vögel gab es kein Lebenszeichen – nur die dünne Rauchsäule blieb. Zwischen Felsen, die wie Drachenzähne aus der Brandung ragten, öffnete sich eine halbmondförmige Bucht. Hinter dem Feuer, das am Ende des Sandstrandes schwelte, war schemenhaft eine einzelne männliche Gestalt zu erkennen; sie bewegte sich, als sich der Drachenkopf des Schiffes über die Wellen hob. Der Mann warf trockenes Holz in die Flammen; der Rauch färbte sich hellgrau und war bald kaum mehr zu sehen.

Kaum eine Stunde später knirschte der Bug des Schiffes auf dem Sand. Ohne darauf zu achten, dass sie bis zu den Hüften durchnässt wurden, sprangen einige Nordmänner ins Wasser und schoben den Brandungskeiler höher den Strand hinauf. Jarl Ragnar kletterte ächzend an Steuerbord in den Sand, schüttelte sich und klammerte sich, solange der Boden unter seinen Sohlen zu schwanken schien, an den Planken fest, an denen das Salz zu trocknen begann.

»Willkommen auf Thule, Jarl Ragnar«, rief Dundhas und stapfte auf das Schiff zu. »Das Wasser im Kessel wird bald kochen; der Braten wird schon gar sein.«

Der Jarl musterte den schlanken Schwarzhaarigen und streckte den rechten Arm aus. Er packte Dundhas’ Handgelenk, spürte dessen rauen Griff unterhalb des Armschutzes und schüttelte den Arm.

»Du hast gewartet, Fürst Dundhas Ohneland«, sagte er. »Wir haben die Bucht gefunden. Das Schiff ist voll guter Waffen.«

Dundhas zögerte, legte die Hand auf die Brust und nickte, so tief, dass es aussah, als verneige er sich. »Ich habe dir und deinen Getreuen mit dem Feuer diese Bucht gezeigt. Von hier führt eine natürliche Treppe zur Hochfläche. Von dort oben, zwischen den Felsen, siehst du den Weg zu jeder Straße in König Dragonblades Reich. Wenn du zwei Tage und Nächte entlang dieser Küste nach Norden segelst, kannst du in neun ähnlichen Buchten anlegen. Vier davon sind von oben nicht einzusehen.«

»Welche Beute kannst du uns versprechen, Dundhas Ohneland?«, grollte Jarl Ragnar.

»Gold und Geschmeide, Mädchen, weißhäutige Frauen und viele Sklaven. Wenn ich erst herrsche, kannst du dir holen, was ich versprochen habe. Das habe ich geschworen.«

Der Jarl lehnte immer noch an den Planken seines Drachenschiffes. Er war älter als Dundhas, kräftiger und mit breiteren Schultern. Das Haar und der geflochtene Bart schimmerten schneeweiß. Als Sonnenlicht Ragnars Gesicht streifte, sah Dundhas, dass die Augen des schmutzigen Nordmannen von durchdringendem Blau waren. Dundhas erschauerte unter diesem Blick.

Ragnar spuckte aus. »Wir haben es beschworen. Das ist wahr. Wie lange bleiben wir hier unentdeckt?«

»Ein paar Tage, denke ich. Niemand hat Grund, hier nach etwas zu suchen. Schon gar nicht nach einem Nordmannenschiff. Vielleicht helfen mir deine Männer, die Waffen hinaufzutragen?«

»Noch nicht.« Der Jarl kratzte sich unter der Schulter und starrte die zernagten Fingernägel an. »Sie sind müde.«

»Dann steig du mit mir hinauf. Du wirst sehen, wie einsam das Land ist. Tausend gute Verstecke für Männer und Waffen.«

 

Zum Roman