Leseprobe – Sindbad – Der Gesandte des Kalifen


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Prolog

Der Bote des Kalifen

Undeutliche Geräusche, die nach Drohung und Gefahr klangen, bestimmten das Ende des Traums und rissen Khordâdbeh aus dem Schlaf. Er hob lauschend den Kopf, erkannte aufgeregte Männerstimmen, metallisches Klirren und leises Wiehern von Pferden, und stand langsam und ohne einen Laut vom Mittagslager auf. Einige Atemzüge lang würgte ihn schwarze Angst: Der Große Kalif war tot, der Streit zwischen den Söhnen hatte mit dem Tod Amins geendet, und seit einer Hand voll Jahren regierte Kalif Ma’mun.

Das stetige Plätschern des Wassers, das aus den Krügen des Schöpfrads ins Auffangbecken rann, schien zum Tosen einer vernichtenden Brandung zu werden, die zwar noch fern gischtete, aber unaufhaltsam näher raste. Und nachdem die gnadenlose Sonne nach einem Jahrzehnt misslicher Herrschaft Amins dessen Kopf auf der Tigrisbrücke zu krümeliger Lederhaut und weißen Knochen gebrannt hatte, trieb jetzt sein siegreicher Bruder alte Rechnungen mit Gift und Schwert ein; Kalif Al-Ma’mun, Sohn Harûn ar-Raschids und einer persischen Sklavin, und persisch erzogen.

Während sich Khordâdbeh ankleidete, glitt sein Blick über den ausgestreckten Körper der Djaria-Sklavin. Bilkîs schlief zwischen den Falten des Lakens, die im Bernsteinlicht keine Schatten warfen; als Khordâdbeh seinen Turban schlang und das Ende des Tuchs einen kaum spürbaren Luftzug erzeugte, roch er das Gemisch aus Rosenduft und Schweiß aus den Achselhöhlen der Dunkelhäutigen. Nachdem er sorgfältig das Gemächt, die Hände und das Gesicht gewaschen und getrocknet hatte, schob er die Ringe über die Finger. Das Gold und die Steine blieben im Zwielicht stumpf, wie in Staub getaucht.

Baghdad, die Große Stadt, war so fern, dass sie meist bedeutungslos schien. Eine jähe Schwäche lahmte Khordâdbehs Knie; er setzte sich auf den Rand des Lagers, legte die Hand auf Bilkîs’ Hals und schloss die Augen. Seit Harûn ar-Raschid seinen treuesten Wazir, Dscha’far den Barmakiden, hatte köpfen lassen, seit dem Bürgerkrieg während der Belagerung Baghdads und dem Ende der Herrschaft Amins, war Baghdad für Khordâdbeh wie eine große schwarze Wolke, aus der es unvermittelt Felsbrocken oder geschliffene Speere regnen konnte. Er legte zwei Finger auf Bilkîs’ pflaumenfarbige Brustspitze, straffte die Schultern und verließ den Raum. Behutsam und gründlich schloss er die dicken Staub-und-Nebel-Vorhänge; erst jetzt dachte er an seinen Sohn Marwân, der in Baghdad lebte und lernte.

Aufseher Nâsir, der die Turmstufen heraufgehastet war, verbeugte sich. Khordâdbeh nickte und hob, innerlich bebend, abwartend die dunklen Brauen.

»Herr! Ein Abgesandter des Kalifen ist gekommen, mit sieben grimmigen Bewaffneten zu Pferde und ein paar Saumtieren.«

»Eure Stimmen haben mich geweckt. Hat er dir gesagt, was er auszurichten hat?«

»Nein, Herr. Der Amîr will nur dir berichten.«

Sie gingen zur Treppe des Nebenturms, die zum Absatz vor dem Eingang des Arbeitszimmers führte. Im Haus herrschte nachmittägliche Stille; sie füllte sich mit dem Unbehagen der Erwartung einer schrecklichen Nachricht. Khordâdbeh blieb zögernd auf den türkisfarbenen Fliesen stehen.

»Inshallah. ER ist mit den Gerechten«, murmelte er. »Bewirte die Reiter, als wären sie meine Freunde. Lass die Pferde von den Sklaven versorgen. Und führe den Boten hier hinein.«

»Wie du wünschst, Herr. Ich höre und gehorche.«

Khordâdbeh schob eine dicke Holztür zur Seite und betrat den hellen, runden Raum. Vor dem Fenster stand ein elf Ellen breiter Tisch, mit hellem Leder bespannt und mit Krügen voller Pergamentrollen und Pinseln, faustgroßen Steinen, Holzfiguren und einer Menge schwer deutbarer Gegenstände übersät. Aus Rohr geflochtene Gestelle, die bis zur Decke reichten, enthielten hunderte Pergamentrollen, steinerne Figürchen und zerbrochene Schnitzereien. Durch das Leinengespinst in den Rahmen, das störenden Wind und lästige Fliegen, Mücken und Falter aussperrte, sah Khordâdbeh die schmale Nauru, das Schöpfrad, die gemauerten Wasserkünste und jenseits von Baumwipfeln und Mauer das Meer. Er schob mit dem Fuß zwei Lederkissen an den kniehohen Tisch und wartete, die Handgelenke im Rücken gekreuzt.

»Herr! Der Bote. Ihn hat der Kalif selbst geschickt.« Der Verwalter betrat vor dem weißbärtigen, kleinen Reiter den Raum, verbeugte sich und deutete auf den Hausherrn. Stiefel, Kleidung und Turban des Boten waren von gelbem Staub bedeckt; er hatte nur Gesicht und Hände gereinigt. Er bewegte sich trotz seines hohen Alters sicher, aber hastig. In Khordâdbehs Gehirn festigten sich die Bilder von Kämpfen und Belagerung und vom Niederbrechen der Mauer um sein ausgedehntes, reiches Besitztum. Plötzlich grinste er und sagte:

»As-Salaam aleykum! Wir kennen uns, o Reiter reichlichen Staubes. Amîr Husain ibn Akmâr, Vertrauter der Garde des alten Kalifen, nicht wahr? Allah möge ihm paradiesische Freuden bereiten.«

Der Alte, dessen misstrauische Blicke durch den Raum zuckten, nickte kurz. Er berührte den Mund, die Stirn und die Brust mit den Fingerspitzen. »Wa aleykum As-Salaam.«

»Bring kalte und heiße Getränke«, sagte Khordâdbeh und sah dabei die Gestelle vor der Wand an. Der Fenstervorhang aus ägyptischer Wolle war geschlossen und hing reglos herunter.

»Husain aus Baghdad«, murmelte der Reiter. »Und nun auf dem Landgut Khordâdbehs, des Persers, den Harûn ar-Raschid auszeichnete. So ist es, Gutsherr!« Die Männer umarmten sich kurz, aber fest. »Der Sohn Harûns schickt mich, ohne Brief, mit mündlicher Botschaft, etlichen Ledertruhen und mehreren Beuteln Golddinaren. – Du lebst weit weg von Baghdad und Basra, alter Wundersucher und Weltenbeschreiber.«

»Wie viele Tagesritte hast du erlitten?«

»Ich werde alt und reite auf geduldigen Mähren.« Das Grinsen des Amîrs blieb staubig. »Fünf knochentrockene Tagesritte, nachdem wir Abadan verlassen hatten. – Danke für die Gastfreundschaft.«

»Die du noch kaum genossen hast. Sollen wir in wohligen Bädern weiter miteinander reden?«

Amîr Husain schüttelte bedächtig den Kopf und ließ sich auf das Kissen fallen.

»Später. Greise wie ich vergessen schnell. Die Botschaft entbehrt nicht einer gewissen Wichtigkeit. Kalif Ma’mun sendet dir Grüße und etliches Gold. Nun scheint es sicher, dass er im zweihundertsten Jahr des Propheten seine Herrschaft gefestigt hat!«

Im Jahr 815 in der Rechnung der Ungläubigen, dachte Khordâdbeh spielerisch. Alle Nachrichten aus Baghdad, die er empfing, waren aus zweiter oder dritter Hand, aus Basra oder dem Meerhafen. Der Bote, der sechzig Jahre zählen mochte, ebenso viele wie Khordâdbeh, redete mit heiserer Stimme weiter. Zwei barfüßige Diener brachten Krüge, Schalen voller Essen und silberne Becher. Khordâdbeh nickte ihnen zu, deutete zur Tür und füllte die Becher.

»Kalif Ma’mun, Allah schenke ihm Unsterblichkeit, wird bald ein Bait Al-Hiqma einrichten, ein Haus der Weisheit, denn er war seit jeher ein Freund der Sternenwissenschaften und anderer Künste. Er hat jüngst Befehl gegeben, den Grad eines Meridians zu messen – was immer das ist! –, damit man den Umfang der Welt genau berechnen kann. Ehe ich’s vergess: hier, von deinem Sohn.« Husain ibn Akmâr griff tief ins Innere des Reiterhemds und zog, während etwas Staub der Wüste aus den Ärmeln rieselte, eine wachsgesiegelte Papyrusrolle hervor und reichte sie über den Tisch, Khordâdbeh legte sie ungeöffnet neben den Krug.

»Vielleicht hängt’s mit den unzählbar vielen Farsah oder Parasangen dieses ›Meridians‹ zusammen, was ich dir sagen soll. Allah mag es wissen! Man hat in Baghdad etliche Märchen oder Erzählungen gehört, ob sie zutreffen oder erlogen sind – niemand weiß es mehr. Berichte von den Reisen eines Kaufmanns, der ein Freund, ein Nadim, des Kalifen Harun ar-Raschid war.« Amîr Husain zuckte mit den staubigen Schultern. »Er ist verschwunden, tot, erschlagen, ertrunken, verschollen – fort. Im Haus, das ihm einst gehörte, ein kleiner, gediegener Palast am Stadtrand, fand man einen alten Mann, der auf einer Truhe saß und von der größten Reise der Welt lallte. Er wartete auf den Verschollenen.

Der Alte verschwand ohne Spur; die Kiste voller muffiger Pergamente, vergilbtem Papier und seltsamer Kleinigkeiten hab ich deinem Verwalter übergeben. Ein paar Säcke und Truhen, in denen sich wahrscheinlich ähnliche geschriebene Weisheiten verbergen, haben wir auf Geheiß des Kalifen zu dir geschleppt.«

Der Weißbärtige reinigte seine Hände im Strahl aus Rosenwasser, trocknete sie mit dem weißen Tuch und leerte einen handgroßen Becher in zwei Zügen. Er atmete erleichtert aus. Khordâdbeh betrachtete die zerfurchten Gesichtszüge seines Gegenübers und genoss die beginnende Erleichterung. Er stand auf und schob den Vorhang zurück. Das rhythmische Geräusch des Schöpfrads schien lauter und kraftvoller zu werden. Leise sagte er:

»In der Sternkunde ist ein Meridian der Mittagskreis, in der Erdbeschreibung ist er ein Halbkreis von Pol zu Pol, von den Stellen, an denen es dem Schöpfer beliebt hat, die Achse durch unsere Weltkugel zu stecken. Schon Dscha’far der Barmakide ließ in aller Welt nach solcherlei klugen Schriften suchen.«

»Gleichviel, alter Perser. Allah hat es auch gefallen, Dscha’far und so viele andere gute Männer von unserer Welt zu sich zu rufen. – Zurück zu meiner Botschaft: Höre, o Gutsherr! Der Kalif, Allah tröste ihn mit schönen Träumen, hat sich dieses ausgedacht: Alle Zeugen, die man befragen könnte, sind längst gestorben. Oder unauffindbar. Sinnlos, nach ihren Spuren im Land zu suchen oder in den Häfen der Inseln und Ozeane. Also sollst du das Geschriebene lesen, wenn du’s vermagst, und ein dickes, großes Kitab Al-Hiqma daraus schreiben.«

Er legte die Finger an die Schläfen, blickte zu Boden und schien sich mühsam erinnern zu müssen.

»Was können Händler, Kaufleute und Gelehrte über die Inseln und Länder lernen, aus denen der Verschollene zurückkehrte? Hat er eine achte Reise unternommen? Fälscht der Qussa, der Märchenerzähler Abdallâh die Wahrheit, wenn er sich erdreistet, von Sindbads Reisen zu erzählen? Das Kitab soll am Anfang beginnen und gegen den Schluss hin sein verständliches Ende finden.«

Khordâdbeh lachte und schnalzte mit der Zunge. »Ein nachfühlbarer Wunsch. Ein Buch der Weisheit also. Begreifbar für jeden Lesekundigen. Wer ist Abdallâh? Wie viele Truhen, sagst du?«

»Ein alter, sehr rüstiger Greis: Abdallâh ibn Abi Kilâba. Er erzählt von diesen Reisen, sagt man, als ob er dabei gewesen sei, jeden Tag, Jahr um Jahr. Überaus seltsam, sagt der Kalif.« Der Bote zuckte mit den Schultern. »Sieben verschieden große Behälter sind’s. Aber jeder stinkt wie der nasse Balg eines ausgestopften Wüstenfuchses.«

»Mitunter geht Wissen einher mit üblem Geruch, und manche Erinnerungen stinken«, sagte Khordâdbeh brummig und merkte sich den Namen des Erzählers. Er füllte die Becher wieder. Amîr Husain kaute auf kalten Bratenwürfeln, schluckte und redete undeutlich weiter.

»In Baghdad, während der dreiundzwanzig Jahre des Kalifen Harun, den jedermann liebte, war der seefahrende Kaufmann bekannt wie ein dreihöckriges Dromedar. Er erzählte Seltsames von fremdartigen Inseln, erstaunlichen Stranden und Häfen, und türmte hohe Lügengebirge auf, arg zerklüftet und in vielfarbige Wolken gehüllt, an Erfindungen reicher als an Regentropfen. Jedermann, der damals zuhörte, bestaunte die Abenteuer; viele erzählten sie ihren Söhnen und Frauen. Du aber sollst Wahres von Lügen und Staunenswertes von Erfundenem trennen, wenn es dir denn möglich ist. Kalif Ma’mun las den Inhalt der Truhen nicht, und ich will ihn nicht lesen müssen. Noch etwas: In der Nähe des Kalifenthrons sitzt jeder Kopf so locker wie eine Schwalbe auf dem Sims. Al-Ma’mun, Allah gebe ihm Heil, ist leicht zu verärgern. Am meisten hasst er Säumige und solche, die seine Wünsche missachten.«

»Der Wunsch des Kalifen ist wie ein Wort des Propheten«, sagte Khordâdbeh heiser. »Für mich – ein Befehl. Überdies, mein Sohn in Baghdad, man könnte ihn als Geisel nehmen.«

Husain kicherte, griff nach dem Kräuteraufguss und schien seine Finger am Becher wärmen zu wollen. Dann lehnte er sich zurück und forschte blinzelnd in Khordâdbehs Gesicht; aus seinen Augen sprachen Erschöpfung und Schlafbedürfnis. Khordâdbeh hüstelte und hob die Brauen.

»Besitzt jener seefahrende Kaufmann einen Namen, den ich kennen sollte?«

»Harûn ar-Raschid nannte ihn Sindbad. Eigentlich hieß er es-Sindibâd. So nannte sich auch der alte Mann in Sindbads leerem Haus. Mehr weiß ich nicht.«

»Hast du jetzt, o Fünftagesreiter, deine Botschaft ausgerichtet?«

»Ja. Und ich bin sicher, dass ich nichts vergessen hab.«

Das rötliche Licht der sinkenden Sonne warf den kreiselnden Schatten der Na’ura an die Wand über den Männern. Amîr Husain reinigte seine Hände im weiß glasierten Becken und hob den Kopf. Über sein zerknittertes Gesicht huschte ein müdes, listiges Lächeln.

»Kalif Ma’mun erwartet von dir, ohne dass er deswegen seine Stimme erhoben hätte, rasches Lesen, Ordnen und Zusammenfügen. Bevor ihn Allah zu sich ruft, hat er angedeutet, will er die Rätsel gelöst und alle Fragen beantwortet wissen.«

Khordâdbeh biss sich auf die Unterlippe, zupfte an einigen Barthaaren und stand auf. In seinen Knien nistete noch die Schwäche der ausgestandenen Furcht. Er klatschte in die Hände und wandte sich wieder Husain ibn Akmâr zu.

»Antworten auf alle Fragen? Die kennt nur der Allerbarmer, der Allmächtige. Lasst uns nachsehen, was die Vergangenheit von jenem verschwundenen Weitgereisten übriggelassen hat.« Er deutete auf die Brust des Verwalters, der die Tür aufschob. Die Steine in den Ringen leuchteten in einem roten Sonnenstrahl auf.

»O Nâsir! Bringt alle Truhen und Beutel hierher. Richtet den Staubreitern reinigende und erfrischende Bäder, nach dem Gebet für uns alle ein feines Mahl und kühles Nachtlager. Bilkîs und Sanina sollen hier für viel Licht sorgen.« Er legte die Hand auf Amîr Husains Schulter. »Geh mit dem Verwalter, Amîr. Er wird für euch sorgen wie dein Bruder.«

»Ich bezweifle, dass du den Geiz meines Bruders gekannt hast.« Als der Bote zur Tür ging, hinterließen seine Sohlen dünne Staubspuren. »Vor seinen Schüsseln und Brotkörben sind manche Gäste verhungert.«

Bilkîs breitete weiße Tücher über den Teppich, die Diener schleppten die Truhen und Ledersäcke herein, öffneten die dick bestaubten Behälter und leerten den Inhalt vorsichtig in neue Körbe aus Schilfgeflecht. Khordâdbeh nahm die bespannten Rahmen aus dem Turmfenster und befahl, die stinkenden Behälter im Badhaus zu verbrennen. Träge zog der Staub aus der Maueröffnung; der Geruch schimmelnder Schreiblederfetzen breitete sich aus. Eine halbe Stunde später, im gesamten Raum verteilt, flackerten die Flammen von zwei Dutzend Öllampen.

Khordâdbeh legte die schweren Lederbeutel, in denen es verheißungsvoll klirrte, auf den Marmorsims, setzte sich vor ein leeres Stück der Tischplatte und brach das Siegel der Pergamentrolle auf. Er las, ohne die Lippen zu bewegen, dann lehnte er den Kopf an die Querstreben des Sessels und sah in den dämmerigen Garten. Das Zwitschern und Trillern der Vögel übertönte den Lärm der Zikaden.

Marwân ibn Khordâdbeh, sein siebzehnjähriger Sohn, war noch immer wie geblendet von der Pracht der größten und schönsten Stadt der Welt, lernte eifrig – so schrieb er –, erfreute sich des Wohlwollens der brüderlichen Gastfamilie, verschwendete keinen Silberdirham und grüßte den Vater und die wenigen Verwandten im Gutshof voller Ehrerbietung. Er dachte daran, sich in einigen Jahren als Barid zu bewerben, als reisender Bote des Brief- und Nachrichtendienstes, um mehr von der Welt kennen zu lernen als das Ufer des Persischen Meeres Al-Khalieg Al-Farisiy und die Städte Abadan, Basra und Baghdad, den edelsteingeschmückten Nabel der Welt. Khordâdbeh beschwerte das Schriftstück mit einer goldfarbenen Sandrose und seufzte leise.

»Wenigstens habe ich ihn lesbar und schön zu schreiben gelehrt«, brummte er. »Allahs Schutz und der Segen des Propheten sollen mit ihm sein.«

Er stützte das Kinn in die Hand und starrte die Körbe an. Aus ihnen stiegen mit dem säuerlichen und ätzenden Geruch undeutliche Vorstellungen aus der Vergangenheit auf; gab es in diesen ungeordneten Haufen aus Fetzen von Pergament, Papier und Papyrus, zwischen denen er abgeblätterte Wachstäfelchen und morsche Brettchen erkannte, wirklich eine Nachricht, die Kalif Ma’mun suchte? Eine Aufzeichnung, die aus einem früheren Jahr als 170 nach der Hedschra stammte, jenem Jahr, in dem Harûn ar-Raschid das Kalifat übernommen hatte?

Er rief Bilkîs; sie musste die Flammen bewachen. Dann ging er die vielen Stufen im Nebenturm hinunter, zum Haupthaus und zum Speiseraum. Er brauchte nur dem Frauengelächter aus dem Harîm, dem gewohnten Lärmen und den Wohlgerüchen zu folgen, die unter den Vordächern hervor in den Innengarten drangen. Khordâdbehs Gedanken kreisten unaufhörlich um drei Dinge: den Sohn in Baghdad, das Buch Sindbads und die todbringende Ungeduld des Kalifen.

 

Saftig grüne Felder, Palmenhaine und schmale Kanäle, auf deren trägem Wasser das Morgenlicht blitzte, erstreckten sich hinter dem Strand, den wenigen Felsen und Riffen und dem breiten Schilfgürtel bis zum südlichen und nördlichen Horizont; an einigen Stellen arbeiteten Sklaven und Diener. Amîr Husain ibn Akmârs Blick kehrte zurück zur Na’ura, die der Wohnturm Khordâdbehs nur um wenige Ellen überragte. Der Blick von der Plattform, unter dem Sonnensegel, ging nach Westen ungehindert aufs Meer hinaus und bis zu den karg bewaldeten Hügeln im Osten. Ein gemauerter Kanal führte das Wasser von der untersten Staumauer in gemächlichen Windungen durch die halbe Fläche des Besitzes und den Garten; das Flüsschen war bis weit hinauf zwischen die ersten Berghänge neunmal gestaut und während der vergangenen zwanzig Jahre nur einmal ohne Wasser gewesen.

»Ein klug ersonnenes Spielzeug.« Amîr deutete auf die Säulen, Verzweigungen und die hölzernen Rohrleitungen. Sie brachten das in die Höhe beförderte Wasser in alle Teile des Gartens und dienten zahlreichen blühenden Ranken als Halt. Im Stall schrien hungrig einige Milchkühe. »Hast du es erfunden, Khordâdbeh?«

»Der Vater meines Vaters.« Er hatte mit viel Fleiß, Umsicht und Sklavenarbeit den Reichtum der Familie begründet, nachdem ihm der Großvater Harûn ar-Raschids das verwahrloste Land beiderseits der salzversumpften Flussmündung überlassen hatte. »Und zu dieser Wasserkunst haben wir einen unterirdischen Qanat und Brunnen mit gutem Wasser. Die Charadsch-Abgaben an den Palast sind nicht unbeträchtlich.«

»Wirst du aus diesen halb verschimmelten Haufen von Schriftlichem ein sinnvolles Ganzes machen können, alter Perser?«

»Die Hälfte der Nacht hab ich, zusammen mit den Sklavinnen, gesucht und schon geordnet. Viel Seltsames haben wir gefunden.«

»Tausend Dschinn! Mit deinen Sklavinnen? Können sie etwa lesen?«

»Und schreiben. Der Allwissende hat sie erleuchtet und beides lernen lassen; etliches Nützliches und Unnützes dazu. Ich hab ihn dabei unterstützt.« Khordâdbeh lachte, als er die Verwunderung in den Zügen des Boten sah. »Während der Winterstürme schenkt uns Allah viel Zeit. Sage dem Kalifen, dass ich mein Bestes tun werde.«

»Stimmt es, dass du alle Abschriften und Übersetzungen der alten Gottlosen kennst? All die Rollen in den Wandfächern?«

»Längst nicht alle. Wir Muslime kennen nur Teile davon. Jeder Kalif der Abbasiden, von dem ich weiß, hat Schriften wie jene des Ptolemaios, des Euklid und Hippokrates übersetzen lassen.« Khordâdbeh hob die Arme, als erflehe er Erleuchtung. »Sie schreiben viele kluge Dinge über die Welt. Müssten wir all das neu entdecken, müssten tausende von uns in alle Richtungen der Welt ausschwärmen, und dann musste ich hunderte solcher Truhen und Säcke voll zerfetzter Wissenstexte lesen, ordnen und als endlos lange Rolle nach Baghdad schicken. Der Ewige bewahre uns davor!«

Der Garten, dessen Begrenzung nicht zu erkennen war, barst vor Leben. Unzählige Vögel und kleine Tiere, im hohen Ziergras, zwischen Zwiebeln, Radieschen, Spinat und in Büschen versteckt, erfüllten die bewucherten Ecken und Winkel mit zirpenden, zwitschernden und knackenden Lauten. Amîr Husain war langsam an der Brüstung entlanggegangen, hatte schweigend gelauscht und dabei zugesehen, wie die Pferde seiner Begleiter gestriegelt und gefüttert wurden; er blieb vor Khordâdbeh stehen und sagte knurrend, fast widerwillig:

»Um die Schönheit und die Ruhe deiner Gärten beneide ich dich, schriftkundiger Perser. Aber die stinkenden Pergamente und Sklavinnen, die schreiben können – behalt sie! Morgen werde ich dich der Freude meiner Anwesenheit berauben. Ich reite durch den Staub nach Abadan und Basra zurück, nach Baghdad, dorthin, wo die Welt nicht auf dem Kopf steht! Und wo ich nichts mit Meridianen und schimmelnden Schreibledern zu tun habe.«

»Allah, der in gleicher Milde auf staubige Reiter und kritzelnde Perser blickt, schütze unsere Wege.« Khordâdbeh nickte ernst und deutete auf das Dreieck eines Segels, weit entfernt auf dem lichtüberschütteten Meer. »Auf einem zerfransten Stück Papyrus hat meine Lieblingssklavin einen Namen und eine Zahl gefunden.«

»Was hat sie dir … vorgelesen?«

Khordâdbeh kämmte grinsend den Bart mit den beringten Fingern.

»Wie es-Sindibâd-Sindbad im Jahr eins Harûn ar-Raschids zu einer Handelsreise aufbrach.«

»Allah! Sag, dass es nicht wahr ist!«

»Nun, so könnte ich es deuten. Es scheint wahr zu sein, o Amîr. Kaum leserlich, aber unbezweifelbar. Ein Geldwechsler hat einem Mann namens Sindbad 3000 Dirham in Silber und Gold ausgezahlt.«

»Das ist kein Beweis, den man ernst nehmen muss.«

»Nein«, sagte Khordâdbeh. »Aber vielleicht ist es ein Anfang.«

Amîr Husain legte die Hand auf die Brust und wandte sich zur Treppe. »Ich sage meinen Reitern, wann wir aufbrechen. Deine Gastfreundschaft sucht ihresgleichen, alter Perser. Willst du mir eine Botschaft für deinen Sohn mitgeben?«

»Du hast sie nach dem Mittagsgebet, Amîr.«

Husain warf einen langen Blick aufs Meer. Der weiße Fleck des Segels war verschwunden. Khordâdbeh folgte dem Boten in die schattige Kühle des Gartens und atmete tief ein und aus; es roch nach Lauch, Rosenknospen und frisch gewässertem Mangold. Einige Vögel begannen mit einem zwitschernden Streit. Khordâdbeh zuckte zusammen, dann lächelte er; seit Amîr Husain ihn Akmârs Ankunft vermochte er sich erst jetzt wieder über diese Laute zu freuen.

 

Einen Siebentag später, vielleicht eine Stunde vor Mittnacht, war das Öl in den ersten Lampen verbrannt. Nacheinander flackerten drei Dochte auf und verschmorten mit langen Rußfäden. Die Nacht war windstill, in der feuchtheißen Luft troff Wasser von den Spitzen aller Blätter. Fledermäuse zuckten durch die Dunkelheit, Frösche und Zikaden schwiegen, als wären sie ertrunken. Die geräuschvollen Güsse aus den Krügen des Schöpfrades waren zu klatschendem Murmeln heruntergesunken, und Schweiß drang aus allen Poren. Khordâdbeh saß auf dem Lederkissen und versuchte eine winzige Schrift auf einem Stück Leder zu entziffern; schließlich legte er den Fetzen in den größten Korb, jenen, der sich mit Zeugnissen gefüllt hatte, die Khordâdbeh nicht zuordnen konnte. Das Schreibleder und alle anderen Dinge schienen in dieser Nacht schleimige oder klebrige Oberflächen zu haben. Etwa dreißig kleine Körbe und Schalen waren, halb voll oder gefüllt mit Teilen von Papier, Pergament und Papyrus, auf dem Teppich verteilt; jeden Fetzen aus den Säcken und Truhen Baghdads hatten Khordâdbeh und die Sklavinnen mehrere Male in den Händen gehabt.

»Kaufleute, Kapitäne, Geldwechsler.« Khordâdbeh wischte stöhnend den Schweiß vom Gesicht und warf das nasse Tuch zu den übrigen. »Namen, Namen, Namen. Und immer wieder Geldsummen; viele Dinare, wenige Dirham, viel kleine Scheidemünzen, Halb- und Vierteldinare, Habbas, Qirats oder Bronzefals. Und: Sindbad. Er hat wahrlich viel verloren, viel verdient, viel ausgegeben!«

Wieder erloschen einige Flammen. Der schwarze Rauch schleppte sich, von Mücken durchsirrt, zum Fenster. Fledermäuse jagten zuckend unter den Baumkronen. Bilkîs, die zwischen den Schalen kniete, stand langsam auf.

»Wir haben nicht viel anderes als Zahlen gefunden, Herr.«

»Aber von Perlen und Korallen haben wir gelesen, von teuren Stoffen und Edelsteinen, beschnitztem Elefantenzahn, von Pfeffer und vielen anderen Gewürzen, kostbaren Hölzern, Ambra, Moschus, Seidengewändern und eisernen Waffen.« Khordâdbeh zog sich an der Tischkante hoch und betrachtete zwinkernd die Ansammlung der Gefäße. »Von Ringen und anderem Schmuck, wir kennen die Namen einiger Schiffe und vieler Hafenstädte. Und diese seltsame … Schrift. Ich mag nicht mehr, es ist spät – viel zu schwül für ersprießliches Denken.«

Er ließ die Arme hängen und blickte die Deckenbalken an. Dann starrte er auf das stockfleckige Pergament, dessen Ecken er mit Goldmünzen beschwert hatte; sie glänzten, frisch geprägt, mit Ma’muns Namen.

»Oben werden wir sicherlich erst in der Morgenkühle schlafen können. Überdies ist Vollmond. Vielleicht bringt er Wind.«

Im Gegensatz zu den meisten Fundstücken war das Pergament, etwas größer als vier Hände, sorgfältig beschrieben; die Schrift hatte zweifellos ein Kundiger ausgeführt. Die Worte und deren Bedeutung gaben Khordâdbeh ein unlösbares Rätsel auf:

siebenmal sah ich, schmal wie die Mondsichel, die Brücke zum Paradies vor mir. Siebenmal verschwand sie, ah ich mich Alltäglichem zuwandte. Siebenmal glaubte ich Dinge hinter dem Spiegel zu ertasten, aber das Land und die Stadt aus Messing lösten sich in Nebel auf, als die Goldmünzen klirrten.

Siebenmal wandelte ich auf Inseln des ewigen Lebens und der Glückseligkeit, aber stets weckte mich das Licht der Sonne, und die Träume vergingen.

Einmal nur durfte ich vom Wein der Weisheit trinken, die reinen Klänge der Schönheit und die Liebe der Jungfrauen in den Gefilden der ewiglich Glücklichen genießen und erkennen, was die Krümmung des Horizonts verbirgt. Lob sei Ihm, den die Winde preisen in den Weiten der Meere! Dann aber sprach ich unbedacht das unerlaubte Wort aus, und ich erwachte, nackt und verzweifelt, am salzigen Strand einer schrundigen Insel. Und ich verstand: Nur wer würdig ist, ohne Bedürfnisse und Eitelkeit, darf die Inseln suchen, die im Morgenlicht liegen, wenn dort, wo wir weilen, Allahs Nacht herrscht. Acht Tore aber führen ins Paradies; so bleibt mir die Erinnerung an die letzte Ausfahrt, die einer Pilgerreise zum Mond glich oder zur Heimat der Morgensonne …

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