Leseprobe – Böse Geister


Zum Roman

 

Prolog

Wien, Palais Hansen Kempinski

 

Die Konferenz entwickelte sich erstaunlich positiv. Jane reckte vorsichtig die Arme in die Höhe und rotierte mit den Schultergelenken. Sie hatte sich eine ruhige Ecke im Innenhof des Wintergartens ausgesucht, in der Hoffnung, hier einige Minuten ungestört zu sein. Janes Aufgabe als Beraterin in Sicherheitsfragen verführte die Teilnehmer der amerikanischen Delegation dazu, sie mit Fragen zu bombardieren.

»Ganz schön anstrengend, immer auf alles eine Antwort haben zu müssen, oder?«, meldete sich eine Frauenstimme.

Hastig stellte Jane ihre Lockerungsübungen ein und wandte sich um. Die aparte Blondine in dem exklusiven Hosenanzug aus dem Hause Windsor lächelte sie vergnügt an. Es war ihr ein Rätsel, wie die deutsche Kanzlerin nach den endlosen Diskussionen noch so frisch wirken konnte.

»Ja, besonders wenn es immer die gleichen Fragen sind«, rutschte es Jane heraus.

Sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. Was für ein schwerer Fauxpas. Jane sollte langsam die Spielregeln auf dem diplomatischen Parkett besser beherrschen und niemals ihre wahren Gedanken nach außen dringen lassen. Zu ihrer Erleichterung lachte die Kanzlerin laut auf.

»Das Dilemma kenne ich bestens. Sie glauben gar nicht, wie schlecht sich die meisten Konferenzteilnehmer vorbereitet haben. Wir könnten …«, erwiderte sie und brach dann ab.

Der Boden bebte und die Glastüren zersprangen in tausend kleine Scherben. Sowohl Jane als auch die Kanzlerin duckten sich, als die heftige Explosionswelle durch das Hotel rollte. Die beiden Bodyguards der Regierungschefin aus Deutschland hatten weniger Glück. Sie hatten sich diskret im Hintergrund gehalten und dabei eine Position eingenommen, die ihren Tod bedeutete. Ein Teil der Mauer krachte zusammen. Die Trümmerteile begruben die Leibwächter unter sich. Kaum hatte sich der Lärm der eigentlichen Explosion gelegt, vernahm Jane das typische Rattern von automatischen Waffen. Laute Kommandos hallten durch die Lobby des Palais Hansen Kempinski.

»Das ist ein terroristischer Angriff! Wir müssen uns verstecken«, rief Jane.

Der Wintergarten bot allerdings wenig Möglichkeiten, sich zu verbergen. Janes Blick ging zu einer Tür, die durch die Bepflanzung nahezu unsichtbar war. Während ihrer Lockerungsübungen hatte sie diese nur entdeckt, weil Jane eine ungewöhnliche Kopfhaltung eingenommen hatte. Sie berührte die Kanzlerin am Arm und deutete auf die Stelle, an der sich die Tür befand.

»Wir müssen dort hindurch. Wenn uns das gelingt, sind wir vorerst außer Sichtweite«, erklärte sie.

Zum Glück behielt die deutsche Regierungschefin die Nerven und reagierte sofort. Jane blieb hinter der Kanzlerin. Fast hätten die beiden Frauen es geschafft. Als die Kanzlerin bereits die Hand auf die Klinke legte, rief eine dunkle Männerstimme in ihrem Rücken eine Anweisung. Vorsichtig drehten die beiden Frauen sich um.

»Nicht schießen! Wir sind unbewaffnet«, erwiderte Jane und ging dabei langsam auf den Mann zu.

Er trug eine schwarze Uniformhose mit seitlich aufgesetzten Taschen, eine passende Jacke dazu und auf dem Kopf eine ebenfalls schwarze, flache Kappe. Er bedrohte die Frauen mit einer AK-47. Seine dunklen Augen funkelten hart unter den buschigen Augenbrauen. Jane lächelte ihm zu und spreizte beide Arme seitlich vom Körper ab. Schritt um Schritt kam sie ihm näher. Sie bewegte sich so, dass der Terrorist möglichst wenig von der Kanzlerin sehen konnte.

»Stopp!«

Der harte Befehl kam zu früh. Jane war nicht weit genug herangekommen, um den Mann mit einem Angriff zu übertölpeln. Sie hielt an und spähte möglichst unauffällig umher. Als ihr Blick den umgestürzten Stuhl links von sich ausmachte, sah Jane eine geringe Chance darin. In einer verzweifelten Geste drehte sie die Handflächen nach außen und flehte um Gnade. Sie erwartete keine Sekunde, dass ein Terrorist sich davon erweichen lassen würde. Jane riskierte es und machte einen Schritt zur Seite.

»Bleib stehen, du dreckige Hure!«, fauchte der Terrorist in gebrochenem Englisch.

Es war schon ein kleines Wunder, dass er immer noch nicht den Abzug des Sturmgewehrs betätigt und die beiden Frauen mit Kugeln durchsiebt hatte. Janes linker Fuß hatte sich unbemerkt unter die Armlehne des am Boden liegenden Stuhls geschoben. Mit aller Kraft riss sie das Bein hoch und schleuderte ihn dem Terroristen entgegen. Er hatte nicht mit Widerstand gerechnet, daher kam sein Reflex den berühmten Bruchteil einer Sekunde zu spät. Der Stuhl traf ihn am Oberkörper, wodurch er die Waffe verriss. Sein Finger krümmte sich um den Abzug, doch die Geschosse schlugen in die Decke des Wintergartens ein, ohne die Frauen zu gefährden. Jane war heran, packte die AK-47 und entriss sie dem überraschten Terroristen. Blitzschnell drehte sie die Mündung um und drückte kurz den Abzug durch. Die Wucht der fünf Geschosse nagelte den Mann am Boden fest. Der Blick seiner brechenden Augen genügte Jane, um auf dem Absatz kehrtzumachen und mit langen Schritten zur Kanzlerin zurückzukehren. Die schaute mit bleichem Gesicht auf den Toten.

»Schnell jetzt! Wenn seine Kumpane ihn vermissen, werden sie nach ihm suchen und erkennen, was passiert ist«, rief Jane und schob die blonde Politikerin hastig durch die Seitentür.

Der Gang dahinter war leer. Jane war heilfroh, dass ihr Schützling den Schock schnell abstreifte und losrannte. Sie eilten an verschiedenen Türen vorbei, die in den Servicebereich des Hotels führten. Jane betete zu Gott, dass die Tür am Ende des Ganges ins Freie führte und unverschlossen war. Sie hatten Glück. Keine Minute nach ihrer Flucht aus dem Wintergarten standen die beiden Frauen schwer atmend auf dem Schottenring.

 

Kapitel 1

Wien, Amerikanische Botschaft

 

Schon als Chester McKay aus dem Taxi stieg, bemerkte er die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen in der amerikanischen Botschaft. Sein Blick erfasste die Scharfschützen auf dem Dach. Vermutlich musterte der Sniper im gleichen Augenblick den Fahrgast, der sich unmittelbar vor dem Tor hatte absetzen lassen, durch das Zielfernrohr seines M40A5. Chester verkniff sich ein lässiges Winken. Stattdessen ging er zu dem Wachposten und zeigte seinen Ausweis vor.

»Senior Special Agent Chester McKay von der C.T.O.«, stellte er sich vor.

Der Staff Sergeant des Marine Corps nahm den Ausweis und legte ihn auf einen Scanner. Während er auf die Freigabe oder Ablehnung wartete, zielte ein sichtlich nervöser Private First Class auf Chester. Als ehemaliger Army Ranger wusste der, welche Gefahr von einem unerfahrenen Soldaten in einer Krisensituation ausging. Entsprechend ruhig verhielt Chester sich und nahm schließlich seinen Ausweis entgegen sowie einen Besucherausweis an einem Clip.

»Sie werden im Büro von Agent Bogard erwartet, Sir«, sagte der Staff Sergeant.

Der Private senkte die Mündung seines M16 Sturmgewehrs.

»Danke, Staff Sergeant. Ich kenne den Weg«, antwortete Chester.

Er passierte das Tor und eilte wenige Augenblicke später durch die Lobby der Botschaft. Auch hier patrouillierten Streifen der Marines in voller Kampfmontur. Als Chester im zweiten Stockwerk aus dem Lift stieg, blieb er verblüfft stehen. Hier oben ging es zu wie in einem Ameisenstaat. Männer und Frauen hasteten umher. Die hektische Betriebsamkeit ließ Chester leicht den Kopf schütteln. Er ahnte, was sich hinter den Türen abspielte, und setzte sich schleunigst wieder in Bewegung. Als ihn nur noch zwei Yards von Bogards Bürotür trennten, flog diese auf und zwei Männer in schwarzen Anzügen rannten Chester fast über den Haufen. Ihr Auftreten und die arrogante Haltung ließen wenig Zweifel aufkommen, welcher Behörde sie angehörten. In der offenen Bürotür tauchte der hemdsärmelige Robin Bogard auf. Die finstere Miene des Regional Security Officer des Diplomatic Security Service hellte sich bei Chesters Anblick umgehend auf.

»Komm rein, alter Freund«, rief er und dirigierte Chester zu einem runden Besprechungstisch.

Der musterte den Regionalleiter und erkannte, dass die zurückliegenden drei Jahre seit ihrer letzten Begegnung ihren Tribut gefordert hatten. Bogard hatte nicht nur reichlich viele silberne Fäden in seinem braunen Haar dazubekommen, sondern auch eine deutliche Wölbung unter dem Hemd aufzuweisen. Zusammen mit den tiefen Falten links und rechts der ein wenig spitzen Nase deutete alles auf jede Menge Stress hin.

»Spar dir jeden Kommentar, Chester. Dir sieht man auch an, dass du nicht mehr im Außendienst bist«, mahnte Robin.

Die beiden Männer grinsten sich an und dann folgte eine kameradschaftliche Umarmung. Die gemeinsamen Abenteuer waren nicht vergessen und Chester war heilfroh, dass Bogard immer noch Regionalleiter des DSS in Wien war.

»Wo ist Jane?«, fragte er.

Er hatte gehofft, seine Frau hier anzutreffen, und war enttäuscht, dass es nicht so war. Jane Blair war es, die Chester in seiner Gefängniszelle in Fort Lavenworth das Angebot übermittelt hatte, für die C.T.O. zu arbeiten. Bei gemeinsamen Einsätzen war ihm bald bewusst geworden, dass Jane mehr als nur eine Kollegin für ihn war. Doch eine gemeinsame Zukunft gab es erst, nachdem Chester den Bürojob in Washington angenommen hatte. Jane verließ die C.T.O. und wurde Sicherheitsberaterin für das Außenministerium.

»Wird fast ununterbrochen verhört. Die Typen vom FBI haben sie ebenfalls hier vermutet und mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen«, antwortete Robin.

»Ihrem Abgang nach zu urteilen, hast du ihnen die Hierarchie hier in der Botschaft verdeutlicht«, warf Chester schmunzelnd ein.

Robins Kommentar bestand aus einer wegwerfenden Handbewegung.

»Was kannst du mir über die Attentäter oder den Hintergrund des Anschlages erzählen?«, fragte Chester.

Der Regionalleiter des DSS senkte den Blick und schob einige Unterlagen sinnlos hin und her.

»He, was soll das? Als leitender Agent der C.T.O. verfüge ich wohl über die erforderliche Freigabe für diese Informationen«, beschwerte sich Chester.

»Nein, nicht wirklich. Alle stehen hier mächtig unter Strom. Diese verfluchte Konferenz war dermaßen geheim, dass ich bis zum Anschlag selbst darüber keinerlei Kenntnis hatte. Verstehst du jetzt, warum ich nichts sagen kann?«, antwortete Robin verärgert.

Auch für Chester war es neu gewesen. Offiziell sollte Jane lediglich eine Wirtschaftsdelegation nach Wien begleiten und beraten. Als einer der Vizedirektoren der Defense Intelligence Agency, der man die C.T.O. organisatorisch untergeordnet hatte, in Chesters Büro kam und von dem Anschlag berichtete, hörte er erstmals von einer Geheimkonferenz.

»Die Verhöre sollen aufdecken, wer die Informationen weitergegeben hat«, stellte Chester fest.

Mehr als ein Nicken kam nicht von Robin.

»Das Thema der Konferenz waren die Kämpfe gegen die Terrorgruppen in Syrien, Irak und Afghanistan. Also muss eine davon für den Anschlag verantwortlich sein«, redete Chester einfach weiter.

Die minimalen Reaktionen in Robins Gesicht verrieten ihm, wie dicht er an der Wahrheit dran war. Der Regionalleiter des DSS furchte bereits verwundert die Stirn.

»Dann hast du auch schon eine Ahnung, welche Gruppe den Anschlag verübt hat?«, fragte er vorsichtig.

Leider kamen dafür zu viele in Betracht, um sie durch bloßes Raten zu enttarnen. Chester sah ein, dass er jetzt nicht mehr Informationen aus Robin herauskitzeln konnte.

Zum Roman