Leseprobe – Mord im Koog


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PROLOG

Die vier Urlauber aus dem Sauerland waren nach einem Einkaufsbummel über einen Markt mit regionalen Produkten in Richtung des kleinen Hafens von Büsum geschlendert. Dort standen die beiden Ehepaare nun verstört vor einem mit festen Tauen an Pollern gesicherten Segelboot, aus dessen Inneren seltsame Geräusche kamen.

»Das ist ein Kleinkind«, sagte Monika Faller.

Ihr Mann lauschte angestrengt und schüttelte dann mit geschürzten Lippen den Kopf.

»Nö. Das klingt nach einem Hund, der sich verlassen fühlt«, widersprach Hellmut.

Es begann eine kontroverse Diskussion, immer wieder von einem auf- und abschwellenden Wimmern unterbrochen.

»Kurt!«

Der laute Schrei kam aus Marianne Kollwitz’ Mund. Ihre drei Begleiter zuckten erschrocken zusammen. Dann bemerkten sie den ausgestreckten Zeigefinger der rundlichen Frau und schauten auf die Stelle, die Marianne entdeckt hatte. Ihr Ehemann stieß einen verblüfften Pfiff aus.

»Das sind Blutflecke. Ich denke, wir sollten lieber die Polizei rufen«, sagte er.

Die Freunde musterten die verschmierten Abdrücke an verschiedenen Stellen auf dem Segelboot. Einen Moment lang starrten alle vier nur auf die Flecke. Dann überwand Monika Faller als Erste ihren Schock und übernahm sofort wieder das Kommando.

»Du rufst die Polizei an, Kurt. Ich klettere an Bord und sehe nach, woher dieses Wimmern tatsächlich kommt«, sagte sie.

»Was? Bist du verrückt?«, stieß Marianne hervor.

In einem Reflex packte sie den Arm ihrer Freundin, um sie von ihrem Vorhaben abzuhalten. Energisch löste Monika die Finger.

»Nein, aber da könnte ein Kind in Not sein. Ich werde doch nicht einfach tatenlos herumstehen und das arme Wesen im Stich lassen«, erwiderte sie entschieden.

Monika wandte sich an ihren Ehemann.

»Du kommst mit und hilfst mir«, sagte sie.

Es war Hellmut Faller anzusehen, wie wenig ihm diese Idee zusagte. Da er aber seine Monika nur zu gut kannte, fügte der kompakt gebaute Rentner sich. Er stützte seine Ehefrau, während sie vorsichtig an Bord des Segelbootes kletterte. Anschließend erklomm er mit zittrigen Knien ebenfalls das Deck und vermied es, die verschmierten Blutflecken zu berühren. Monika schob sich entschlossen voran und ging vor der Tür, die hinunter ins Innere des Bootes führte, in die Hocke. Das Ehepaar lauschte angestrengt. Doch in diesem Augenblick konnten sie lediglich die Stimme von Kurt Kollwitz hören, der offenbar mit der Notrufzentrale telefonierte.

»Ich versuch mal, die Tür aufzukriegen«, sagte Monika.

Sie schaffte es, die Verriegelung mühelos zu öffnen und stieß die Tür auf. Bevor sie einen ersten Schritt ins Innere machen konnte, setzte das schreckliche Wimmern erneut ein. Durch die offene Tür klang es wesentlich lauter und in Kurts Ohren auch bedrohlicher.

»Ehrlich, Mausi. Wir sollten besser auf die Polizei warten«, mahnte er.

»Bis die hier eintreffen, wird es dunkel. Mensch, Kurt. Dat is die Provinz und nicht Dürren«, antwortete Monika.

In ihrer Aufregung verfiel sie teilweise in ihren Heimatdialekt. Als das Wimmern leiser wurde, schob Monika sich entschieden weiter vor. Kurt murrte zwar noch ein wenig, aber er wollte seine Frau auch nicht im Stich lassen. Durch die schmalen Fenster an den Seiten der kleinen Kabine sickerte Licht hinein. Monika starrte in die Ecke, aus der das Wimmern kam. Kurt registrierte die wilde Unordnung in der Kabine. Diverse Gegenstände waren aus Regalen gerissen worden und füllten zusammen mit von Blutflecken übersäten Sitzkissen den Boden. Monika kletterte bereits über die Hindernisse und näherte sich der zusammengekauerten Gestalt. Da riss erneut das Wehklagen ab, und plötzlich richtete sich ein Mann in der Sitzecke steil auf. Er starrte Monika und Kurt mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Gesicht und seine Hände waren blutverschmiert, genau wie seine gesamte Kleidung.

»Ich bin schuld«, brüllte der Mann los.

Monika fuhr zu Tode erschrocken zurück und stolperte in Kurts Arme. Der reagierte in einem Reflex. Er packte seine Frau und zog sie schnell weg von der Sitzbank. Die ansonsten so unerschrockene Monika Faller ließ es widerstandslos geschehen, während die fassungslos auf das Elend von Mensch in der Sitzecke starrte. Gemeinsam schaffte es das Ehepaar, aus der Kabine zurück ans Deck zu gelangen. Gleichzeitig setzte wieder das grausige Wimmern des Mannes ein. Als Kurt mit Monika im Schlepptau hastig zurück auf den Kai stieg, wurden sie mit Fragen überschüttet. In der Ferne erklangen Martinshörner von sich nähernden Einsatzfahrzeugen.

 

 

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