Leseprobe – Tanz ohne Morgen


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Prolog

Die Schritte der grauhaarigen Frau verlangsamten sich, als sie den Friedhof betrat, und sie blieb kurz darauf stehen, um einen tiefen Atemzug zu tun.

Das Wetter hätte an diesem Tag nicht schöner sein können, die Strahlen der späten Herbstsonne brachten die Farben der bunten Blätter zum Leuchten und die leichte Brise, die sich jetzt erhob, erinnerte an ein laues Lüftchen im Frühling.

Maria Berthold sah und spürte dies alles in ihrer Trauer nicht und setzte schweren Herzens ihren Weg fort. Vor einer Woche hatte ihr Mann hier seine letzte Ruhe gefunden und wie an jedem Tag besuchte sie auch heute sein Grab, auf dem die Kränze und Blumen bereits erkennbar welkten.

Einige Minuten lang stand sie regungslos und in Erinnerungen versunken vor diesem Stück Erde, das jetzt den Körper ihres Mannes barg, und hielt mit dem Verstorbenen Zwiesprache. Fast vierzig Jahre lang waren sie verheiratet gewesen, ja, sie nickte, nahezu glücklich. Ein kleines Lächeln huschte über ihr von Trauer gezeichnetes Gesicht, das wieder erlosch, bevor es ihre Augen erreichte, die sich jetzt wieder mit Tränen füllten.

Die Witwe beugte sich, einem Impuls nachgebend, hinunter und griff energisch nach einem der großen, verwelkten Blumensträuße.

›Ich kann das nicht mehr‹, dachte sie, ›all dieses Sterben raubt mir den Verstand. Ich muss Ordnung schaffen!‹

Sie richtete sich mit dem Strauß in der Hand auf und straffte die Schultern. Die Blumen mit ausgestreckten Armen vor sich hertragend ging sie entschlossenen Schrittes zum Komposthaufen und warf sie mit einer endgültigen Geste zu den Grünabfällen.

Der Strauß blieb jedoch nicht auf der Spitze des überquellenden Laubhaufens liegen, sondern rutschte ein gutes Stück wieder herunter, was Maria Berthold, die sich bereits zum Gehen wandte, dazu veranlasste, stehen zu bleiben, um sicherzugehen, dass die welken Blumen nicht irrtümlich wieder auf dem Gehweg landeten. Aber gerade, als sie den Blick beruhigt wieder abwenden wollte, versetzte sie etwas, das sie aus den Augenwinkeln wahrnahm, in angespannte Alarmbereitschaft. Frau Berthold öffnete die Handtasche, entnahm ihr hastig die Brille, setzte sie auf und musterte den Abfallhaufen jetzt noch einmal genauer.

Und dann sah sie es – klar und deutlich. Ihr Kopf jedoch weigerte sich zunächst, an das zu glauben, was sie dort erblickte. Es war ohne Zweifel eine Hand, die aus einem verwelkten Strauß gelber Chrysanthemen hervorragte, die Finger wie Blütenstängel in die Luft gereckt.

Wie lange Maria Berthold dort gestanden und auf eben diese Stelle gestarrt hatte, wusste sie später nicht mehr. Und auch nicht, dass sie die Polizei von ihrem Handy aus informiert hatte, die kurz darauf bereits an Ort und Stelle war.

 

Kapitel 1

Hauptkommissarin Hanna Winter erreichte der knappe Anruf ihres Chefs kurz nach dem vegetarischen Mittagessen, das sie mit ihrem befreundeten Team-Kollegen, Kommissar Bernd Keller, in der Kantine des Polizeipräsidiums eingenommen hatte. Der flotte Spruch, den sie sich gerade als Kommentar auf Bernds neuerdings völlig verändertes Essverhalten auf der Zunge zergehen lassen wollte, verpuffte zu ihrem Bedauern durch die Unterbrechung, und Hanna, die den humorvollen verbalen Schlagabtausch mit ihrem Kollegen liebte, schaute ihn jetzt stattdessen ernst an.

»Komm, Bernd, wir müssen zum Melaten-Friedhof. Dort hat man die Leiche einer jungen Frau gefunden.« Hanna seufzte und erhob sich. »Aus unserem gemütlichen Kaffeetrinken, das wir uns redlich verdient haben, wird also wieder nichts.«

*

Die Spurensicherung war schon emsig bei der Arbeit, als die beiden Kollegen den Friedhof erreichten, und auch Gerichtsmediziner Dr. Henning Brandenburg verbreitete in seiner Geschäftigkeit den Eindruck, als agiere er am Fundort der Toten nicht erst seit einigen Minuten, sondern schon seit Stunden.

»Sie sind ja schon wieder schneller als der Schall, Dr. Brandenburg«, sagte Hanna lächelnd. »Wie machen Sie das nur?«

»Vielleicht brauche ich einfach weniger Zeit, weil ich mich auf das Wesentliche konzentriere, schöne Kollegin.« Der Arzt richtete sich auf und schenkte Hanna einen seiner herausfordernden Blicke, wobei seine Mundwinkel sich in bekannt süffisanter Weise verzogen.

»Man könnte glauben, er arbeitet als Gärtner, so wie er gerade die Tote ignoriert hat, als du auf der Bildfläche erschienen bist, Hanna«, raunte Bernd seiner Kollegin zu, die die Bemerkung sofort mit einer ungeduldigen Handbewegung quittierte.

»Unsinn, du weißt doch, wie Brandenburg ist. Erst einmal interessiert ihn mit Sicherheit nur die Tote, genauso wie das bei uns auch der Fall ist«.

»Erst einmal vielleicht …«, antwortete Bernd grinsend und setzte rasch eine unbeteiligte Miene auf, als Hanna ihn strafend ansah und den Mund zu einer Erwiderung öffnete, ihn dann allerdings wieder schloss.

Stattdessen verwandte sie – ungeachtet ihrer eleganten Stiefeletten – ihre Konzentration darauf, über die kniehohe hölzerne Absperrung in den Kompost zu klettern, um sich nach einigen versinkenden Schritten neben den Gerichtsmediziner zu stellen. Hannas Blick fiel zum ersten Mal auf das bleiche, von dunklen Locken umrahmte Gesicht einer jungen Frau, dessen Schönheit auch der Tod bis jetzt nichts hatte anhaben können.

»Mein Gott, wer ist in der Lage und tut einem solchen Wesen etwas an?« Hannas Stimme geriet zu einem Flüstern, worauf der Pathologe sie aufmerksam von der Seite ansah.

»Nicht wahr, das Böse holt uns in unserem Beruf immer wieder aufs Neue ein«, sagte er ernst. »Wenn wir nicht lernen, die beruflichen Extreme, so gut es geht, außen vor zu lassen, schnappen wir eines Tages über, obwohl wir uns alle einmal geschworen haben, den Verbrechern um jeden Preis das Handwerk zu legen.«

Hanna nickte langsam, dann schaute sie ihn abwartend an.

»Der Tod muss letzte Nacht zwischen zwei und drei Uhr morgens eingetreten sein. Das Opfer ist ganz einfach zu lange betäubt worden, um es mal salopp auszudrücken. So viel kann ich schon sagen. Ich vermute, mit Gas. Kampfspuren gibt es nicht. Genaues werden wir aber erst nach der Obduktion wissen.« Dr. Brandenburg blickte von Hanna zu Bernd, der sich inzwischen auch zu ihnen gesellt hatte, nickte ihnen kurz zu und schloss seinen Arztkoffer, wobei er den Beamten der Spurensicherung noch abschließende Anweisungen gab.

»Und, Kollege«, wandte Bernd sich an einen Beamten, der sich jetzt aus seiner gebückten Haltung erhob, »habt ihr schon irgendetwas Brauchbares gefunden? Ich nehme an, dass weder eine Handtasche noch Papiere gefunden wurden oder sonst etwas, was über die Identität der Toten etwas aussagt?«

»Genau, aber hier hinten gibt es ein paar Schleifspuren und an den trockenen Zweigen dort hingen ein paar Fasern – Baumwolle wahrscheinlich. Sieht ganz so aus, als befände sich etwas eingetrocknetes Blut daran. Vielleicht hat der Täter sich ja beim Entsorgen der Leiche verletzt. Aber Genaueres wird erst die Analyse ergeben.«

»Das hört sich doch schon ganz gut an«, nickte Bernd anerkennend und blickte sich dann suchend nach Hanna um, die gerade damit beschäftigt war, die nähere Umgebung der Leiche vorsichtig unter die Lupe zu nehmen.

»Nein, hier ist offenbar nichts, was uns noch weiterhelfen würde«, stellte sie kopfschüttelnd fest. »Alles andere muss uns die Tote selbst mitteilen, denn ich bin sicher, dass sie uns noch etwas über den Täter verrät. Ach, da sind die Kollegen, die sich um den Abtransport der Leiche kümmern.«

»Frau Winter, das ist übrigens die Dame, die die Tote sozusagen gefunden hat.« Eine Beamtin wies auf Maria Berthold, die zusammengekauert wie ein Häufchen Elend unweit des Komposthaufens auf einer Bank saß.

Hanna ging freundlich lächelnd auf die verunsichert wirkende Frau zu, setzte sich neben sie und reichte ihr die Hand.

»Guten Tag, ich bin Hauptkommissarin Hanna Winter und das ist mein Kollege, Kommissar Keller.« Hanna wies auf Bernd, der sie begleitet hatte. »Frau …?«

»Berthold, Maria Berthold«, ergänzte die andere und versuchte, Hannas Lächeln zu erwidern.

»Frau Berthold, erzählen Sie uns doch bitte, wie Sie die Tote gefunden haben.«

»Na ja, so richtig gefunden habe ich sie ja nicht.« Sie schüttelte sich bei der Erinnerung an das, was ihr eben widerfahren war. »Letzte Woche habe ich meinen Mann hier beerdigt«, Maria Berthold senkte den Kopf und das Weitersprechen fiel ihr schwer. »Seitdem komme ich jeden Tag hierher. Früher hätte ich so etwas gar nicht für möglich gehalten. Ich bin nicht sehr gläubig, wissen Sie, und mein Mann war es auch nicht, aber ich brauche das irgendwie, um Zwiesprache mit ihm zu halten. Außerdem welken die Blumen und Kränze auf seinem Grab jetzt, deshalb schaue ich jeden Tag nach dem Rechten. Heute war es ein großer verwelkter Strauß, der wohl – als ich ihn auf den Kompost warf – anderes Grün mit sich gerissen haben muss. Und da sah ich diese Hand.« Frau Berthold schwieg einen Moment, dann fuhr sie fort: »Daraufhin muss ich wohl die Polizei angerufen haben.« Sie zuckte ratlos mit den Schultern. »Erinnern kann ich mich allerdings nicht daran.«

»Doch, das haben Sie«, nickte Hanna freundlich. »Ist Ihnen sonst nichts aufgefallen? Haben Sie vielleicht jemanden gesehen, der hier vielleicht gar nicht so recht her passt, oder haben Sie etwas gehört?«

Maria Berthold lächelte matt. »Wissen Sie, bis vor Kurzem hätte ich das von mir auch noch behauptet, aber jetzt ist es doch so gekommen.«

»Verzeihen Sie, Frau Berthold, ich habe mich falsch ausgedrückt. Natürlich haben Sie recht mit dem, was Sie sagen. Aber es ist Ihnen auch niemand begegnet, der Ihnen verdächtig erschien?«

Die Angesprochene schüttelte den Kopf. »Nein, niemand.«

»Dann danken wir Ihnen erst einmal«, schaltete Bernd sich ein. »Darf ich Sie jetzt noch um Ihre Personalien bitten, falls wir noch Fragen haben? Ich denke, das wäre dann erst einmal alles.«

Wieder im Büro, überprüfte Bernd die Vermisstenanzeigen der letzten Tage, aber es war nichts dabei, was mit der Toten in Zusammenhang gebracht werden konnte.

*

»Habe ich dir übrigens schon gesagt, dass Juliane und ich heute zur After-Job-Party gehen, Hanna?«, fragte Bernd wenig später, als sie in einer Pause bei einer Tasse Kaffee zusammensaßen. »Habt ihr nicht Lust mitzugehen? Morgen ist doch Samstag, also können wir ausschlafen.«

»Oh, also ich hätte schon Lust, mal wieder so richtig zu schwofen. Das habe ich schon ganz lange nicht mehr gemacht. Komisch eigentlich. Warte mal, seit wann ist das eigentlich so?« Sie überlegte einen kurzen Moment. »Ich muss das ein bisschen aus den Augen verloren haben, seit ich Michael kenne.« Hanna lachte. »Das darf doch wohl nicht wahr sein!«

»Ja, aber anscheinend ist dir das bis jetzt überhaupt nicht aufgefallen. So schlimm kann es dann also doch nicht gewesen sein, dir waren wahrscheinlich andere Dinge wichtiger.« Bernd schmunzelte und verkniff sich jede weitere Bemerkung zu diesem Thema.

»Ich rufe Michael am besten gleich mal an.« Hanna ging nicht auf Bernd ein. »Wie spät ist es denn? Hm, um die Zeit macht er meistens auch eine Kaffeepause.« Sie zog ihr Smartphone aus der Jackentasche und wählte Michaels Nummer. Schon beim ersten Klingelzeichen nahm er ab.

»Was verschafft mir denn die Ehre, dass du mich noch vor Dienstschluss anrufst, mein Herz? Ist etwas mit Julian?«

»Nein, Michael, mit ihm ist alles in Ordnung. Bernd erzählt mir nur gerade, dass er heute Abend mit seiner Juliane zur After-Job-Party geht. Hättest du nicht auch mal wieder Lust auf einen richtigen Discoabend für die reifere Jugend?«

»Das hört sich gut an. Wie wär’s, wenn du Rolf und Konrad auch noch fragst? Dann sind wir schon eine richtige Clique.«

*

Hanna und Michael kannten sich seit fast zwei Jahren. Die Liebesgeschichte zwischen der Kommissarin und dem Anwalt hatte damals im Flugzeug auf dem Rückflug von Sardinien begonnen, als sie zufällig nebeneinandersaßen und Michael versuchte, Hannas offensichtliche Flugangst durch ein Gespräch in für sie erträgliche Bahnen zu lenken. Danach hatten sie sich zwar erst einmal aus den Augen verloren, aber weil das Schicksal beschlossen hatte, die beiden wieder zusammenzuführen, trafen sie sich eines Abends bei einer Autorenlesung in einer Kölner Buchhandlung wieder, weil Hannas bester Freund Rolf, der selbst Schriftsteller war, an jenem Abend unbedingt darauf bestanden hatte, dass sie ihn begleitete.

Julian, Hannas halbwüchsiger Sohn, war eine ganze Zeit lang mit dem neuen Partner seiner Mutter überhaupt nicht einverstanden gewesen, obwohl Michael sich immer wieder um ihn bemüht hatte. Das Verhältnis der beiden hatte sich erst unlängst gebessert, als der sechzehnjährige Junge – knapp einer brenzligen Situation entkommen – Michaels tiefe Sorge um ihn erkannt hatte.

Seitdem ging es auch Hanna besser, die die Rolle der Vermittlerin zwischen den Fronten viel Kraft gekostet hatte.

*

Auch Rolf war, genau wie sein Lebenspartner Konrad, von der spontanen Idee, tanzen zu gehen, begeistert. Einer vergnüglichen Abendgestaltung stand also jetzt nichts mehr im Wege und die Vorfreude darauf hätte ungetrübt sein können, wenn … ja, wenn der nachmittägliche Termin in der Gerichtsmedizin nicht gewesen wäre, der wie Blei auf Hannas Seele lastete.

Trotz aller beruflichen Routine hatten die Besuche in der Gerichtsmedizin für Hanna niemals ihren Schrecken verloren. Sie machte sich immer wieder Gedanken darüber, warum das so war, fand aber die rechte Antwort nicht. Es musste der Gesamteindruck aus Situation, Räumlichkeiten und vor allem dem Geruch sein, wobei sie neuerdings versuchte, ihre Angst durch autogenes Training in den Griff zu bekommen.

Bernd, der die verzweifelten Bemühungen seiner Kollegin insgeheim belächelte, bemühte sich bewusst darum, sie das nicht spüren zu lassen, damit Hannas Konzentration nicht augenblicklich in eine spitzzüngige Bemerkung umschlug, wobei es durchaus Gelegenheiten gab, in denen er Hannas Unmut bewusst provozierte, um sie abzulenken.

»Atme ruhig und gleichmäßig.« Bernd konnte es doch nicht lassen und seine sonore Stimme klang beschwörend, als sie einige Stunden später vor der großen Flügeltür standen, hinter der sich für Hanna das Grauen verbarg.

»Jetzt mach dich nicht wieder lustig über mich«, regte sie sich auf. Bernd grinste, weil er aus Erfahrung wusste, dass Hanna sich jetzt erst einmal auf ihren Ärger konzentrieren würde, ein Effekt, der jedoch leider nicht lange vorhalten würde.

Die große Flügeltür schwang auf und Hannas Ärger schrumpfte mit dem Betreten der Räume zu einem Nichts zusammen.

»Ah, Frau Winter, wie schön, Sie zu sehen!« Dr. Hennig Brandenburg, der Tom Cruise der Gerichtsmedizin, kam auf sie zugeeilt und streifte sich eilig den rechten Gummihandschuh ab, um Hanna mit einem vollendeten Handkuss aufzuwarten. »Tag, Herr Keller«, setzte er mit einem raschen Seitenblick auf ihren Kollegen hinzu, dann breitete er einladend die Arme aus, um in großer Geste ein »Willkommen in meinen Hallen« hinzuzufügen.

Bernd schüttelte belustigt den Kopf, während Hanna keine Miene verzog und stattdessen erfolglos nach einem Taschentuch suchte.

»Desinfektionsläppchen gefällig, Gnädigste?« Der Gerichtsmediziner reichte Hanna schwungvoll eine Plastikbox, aus deren Öffnung ein Tuch ragte.

»Danke.« Das Wort war nur zu ahnen, während Hanna das Tuch mit einem Ruck aus der Packung zog, es sich augenblicklich vor Mund und Nase presste und dabei versuchte, den Teller mit dem Carpaccio und den Parmesanhobeln zu übersehen, bei dessen Verzehr sie den Pathologen gerade gestört hatten.

»Gar nicht so schlecht, das Läppchen, was?« Brandenburg hob beifallsheischend die Augenbrauen. »Riecht wenigstens frisch.«

Hanna nickte, obwohl ihr das Desinfektionsmittel in der Nase brannte.

»Ja, dann kommen Sie mal mit. Das schöne Kind liegt hier vorn.«

Hanna versuchte, ihren Blick auf die tote junge Frau zu konzentrieren und ihn nicht zum daneben liegenden Präparationstisch abgleiten zu lassen, auf dem die Leiche eines Mannes mit geöffnetem Brustkorb lag.

Die junge Frau mit dem Engelsgesicht sah aus, als ob sie schliefe.

»Sehen Sie«, sagte Dr. Brandenburg und warf das Laken zurück, das die Tote bedeckte, während Hanna augenblicklich versuchte, die großen Nahtstellen der Obduktion zu übersehen, »eine äußere Gewalt ist nicht erkennbar. Es gab auch keine Vergewaltigung.« Er deckte die Leiche wieder zu. »Kohlenmonoxid. Geruchlos, atemlähmend, praktisch tödlich – oder tödlich praktisch«, versuchte er zu scherzen, was ihm einen vernichtenden Blick eintrug, den Hanna ihm zuwarf. »Seien Sie nicht wieder so streng mit mir, schöne Frau. Ich versuche doch nur, Ihnen zu helfen.« Hanna nickte und winkte müde ab, um sich schnell das Tuch wieder vor Nase und Mund zu halten.

»Wie kann der Täter das bewerkstelligt haben?«, fragte Bernd nachdenklich.

»Ich nehme an, er hat das Opfer in irgendeinen hermetisch abgeschlossenen Raum gelockt, der vielleicht zuerst gar nicht als solcher zu erkennen war, und hat dann das Kohlenmonoxid-Gas eingeleitet.« Der Gerichtsmediziner legte den Kopf schräg und überlegte. »Wenn man ein Auto richtig präpariert, wäre auch das möglich«, setzte er hinzu.

»Hm, das setzt Vorstellungen in Gang, die mit einer dunklen Vergangenheit zu tun haben«, sagte Bernd ernst, worauf die anderen beiden nickten.

»Ich danke Ihnen, Herr Doktor«, sagte Hanna und reichte ihm zum Abschied die Hand. »Wenn wir Genaueres über den Fall wissen, informieren wir Sie.«

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