Der gedrungene Rumpf der L’ART DU VOYAGE schüttelte sich nur kurz, als sie ins Gefüge des dreidimensionalen Raumes zurückglitt. Ismael Perseus Vonsagraves-Pym registrierte jedes einzelne der überlauten und scharfen Geräusche und erkannte, ohne darüber nachzudenken, dass sein Schiff völlig in Ordnung war. Die Bildschirme zeigten, was Ismael erwartet hatte: pulveriges Grau und stumpfes, lichtschluckendes Schwarz. Unregelmäßig verteilte diffuse Lichtnester – Sonnen unterschiedlicher Klassen und Farben – waren identisch mit den Markierungen der Ortungsgeräte. In Abständen von genau 720 Minuten verließ das alte, zuverlässige Schiff den Hyperraum.
»Dunst, Nebel und üble Finsternis.« Ismael lauschte auf klickende, sirrende und dumpf dröhnende Laute aus allen Teilen des gedrungenen Rumpfes. »Was hab ich sonst erwartet?«
Ein Energiefeld vor dem Bug schirmte die Hülle der VOYAGE vor Staub und kleinen Partikeln ab. Ismaels Hände lagen um die Griffe der kantigen Baukastenelemente, von denen der Steuerstand umgeben war; die Muskeln traten hart hervor und verrieten die innere Spannung. Ismael drang in unbekanntes galaktisches Gebiet vor und flog die VOYAGE, eigentlich ein Zweimannschiff, wieder einmal allein. Deswegen war der Widerhall jedes Geräusches ein Mittel von vielen gegen Raumkoller, klaustrophobische Anfälle und Wahnsinn. Kaum ein anderer Raumfahrer kannte die. Gefahren eines derartigen Alleinfluges besser; Ismael war entschlossen, mit gesundem Verstand zurückzukommen. Er setzte die Lautstärke der stark rhythmischen Musik – ebenfalls ein belebendes Element – herauf und murmelte:
»Und darüber hinaus, beim Zentrum der Einsamkeit, endlich, mit dem größten Erfolg meines Lebens!«
Der Kubus aus farbiger Energie, ein Ausschnitt der wenig hilfreichen Sternkarte, veränderte sich in langen Abständen.
Der Teil des summenden Bordrechners, der die Holografie projizierte, war im linken Teil des Steuerstandes eingebaut. Jede Information der Ortung wurde verwendet und gespeichert. Zumindest, sagte sich der Späher-Prospektor, brachte er einwandfreie Sternkarten aus der Dunkelwolke zurück – wenn er den Flug überlebte.
Mit halber Lichtgeschwindigkeit fegte die L’ART DU VOYAGE geradeaus, dem Schwarzen Loch im Zentrum der Galaxis entgegen. Der stellarmathematische – völlig unbekannte! – Mittelpunkt, achtzehntausend Lichtjahre entfernt, war nicht das Ziel Ismaels; er sah seine Chance im Versuch, Planetensysteme jenseits der trennenden Dunkelwolken oder innerhalb dieser Zone für das Imperium zu entdecken und die gefahrlosen Flugrouten zu diesen Welten. Natürlich träumte er vom Fund des Jahrzehnts: ein Planet, schön, reich an wilder Natur und wertvollen Bodenschätzen, unbesiedelt, ohne gefährliche Spezimen, im Licht einer gelben Sonne – die Imperiumsbehörden machten jeden Entdecker zum reichen Mann.
Minutenlang sah Ismael zu, wie innerhalb der Entfernungsmarken sich die Informationen konzentrierten und die Sternkarten verbesserten. Energetische Wirbel weit hinter dem Heck der VOYAGE zeichneten deren Weg nach; immer wieder dachte Ismael an Charontes, den schweigenden Totenfährmann im Nebel, der gierig Licht und Geräusche einsog. Die Ziffern des Chronometers wechselten langsam. Ismael ging zur Kombüse und bereitete einen Imbiss. Während er darauf wartete, arbeitete er eine Viertelstunde lang an den Trainingsgeräten, bis er schweißnass war. Er schlang das Essen herunter, zapfte eine Erfrischung und verrührte einen Vitaminwürfel darin, und ständig warf er lange Blicke auf die Kontrollen.
Als er, geduscht, rasiert und massiert, in blütenweißer Bordkombi und barfuß in den Aufenthaltsraum zurückkam, hatte sich etwas verändert. Er bemerkte es nicht sofort; in dem Raum, der nicht viel mehr war als ein breiteres, weniger hochtechnisch ausgestattetes Stück Schiffskorridor, blitzte auch der winzigste Winkel vor keimfreier Sauberkeit. Sein Blick fiel auf die sieben Monitore, die im Steuerstand den uneingeschränkten Ausblick im 210°-Winkel erlaubten.
»Schrecken der Galaxis!« Seine Stimme wurde heiser. »Ich bin durch! Wir haben den verfluchten Staub hinter uns, Schiff!«
Wenn das stimmte, konnte er sich zum Abendessen mit einer Dose Weißwein belohnen. Mit sechs Schritten war er am Pilotensessel, umklammerte die Lehne und drehte langsam den Kopf. Jede Sekunde erkannte er vor sich weitere Einzelheiten und hatte Schwierigkeiten, das Gesamtbild richtig zu deuten.
Klickend schaltete die Künstliche Intelligenz, die KI, auf die neuen Distanzen um; auch die Färbung des Hologramms hatte sich verändert. Ohne hinzusehen, schaltete Ismael Mikrophone ein, Lautsprecher aus, setzte den Sauerstoffanteil der Atemluft herauf und räusperte sich.
»Späher-Prospektor Ismael Perseus Vonsagraves-Pym an Bord der L’ART DU VOYAGE, am fünfundzwanzigsten März, Nullsieben Uhr vierunddreißig Generalzeit. Ich habe einen Bereich entdeckt, der einmalig sein dürfte. Die Schwierigkeiten liegen darin, ihn richtig zu schildern. Also … es ist, als wäre die VOYAGE durch eine gigantische Blase gestoßen, durch einen Ballon, der, wie die Ortung zeigt, tatsächlich absolut perfekte Kugelform hat. Die Ausdehnung ist noch nicht ermittelt, beträgt aber mehr als fünfzehn Lichtjahre Durchmesser. Die Vorstellung erreicht schwindelnde Größenordnungen; in einem Durchmesser von fünfzig Lichtjahren kennen wir im offenen Kugelsternhaufen der Plejaden etwa vierhundert Sonnen! Ich sehe: Sonnenwind und Lichtdruck haben den Innenraum der Hohlkugel vom Staub befreit und ihn an alle Innenflächen gedrückt. Wie ein alter, sehr blinder Spiegel zeigen die Innenflächen einen Teil des Lichtspektrums von mindestens zwanzig Sonnen, die in gehörigem Abstand voneinander stehen. Es ist noch zu früh, die genaue Ausdehnung und die Menge der Sonnen ermitteln zu können, zu früh auch, Gestirne systematisch anzufliegen und nach Planeten zu suchen. Ich kann nur wenige Stichproben machen. Eine seltsame Art kosmisches Dunkel herrscht hier; die fernen Spiegel der Innenwand ändern nichts daran. Etwas mythisch das Ganze. Ein weiterer Eindruck: Rasch werden sich hier unter Raumfahrern erste Krankheitsbilder diffuser Orientierungslosigkeit zeigen.«
Ismael machte eine Pause, betrachtete die lautlosen Veränderungen des neuen Sternenkarten-Holos und übertrug die Koordinaten einer gelben Sonne, rund vier Lichtjahre von der Innenschale und der VOYAGE entfernt, mit großer Sorgfalt in den Autopiloten. Er hob den Kopf; fast fassungslos blickte er in der riesigen Hohlkugel herum, verstört und unsicher, als ob er nicht wirklich davon überzeugt sei, was er sah. Obwohl reine Neugierde, mühsam kontrolliert durch wissenschaftlich nüchterne Vorsicht, seine Finger zittern ließ, zwang sich Ismael zur Ruhe. Abwarten! Langsam! Nichts Übereiltes tun!
»Verdammt!«, rief er. »Bin ich auf einem Entdeckungsflug oder auf der Flucht?«
Er ging betont langsam zu einer der vier Laderaum-Überlebensschleusen, öffnete das Schott bedächtig und sah sich den Vorderflächen gestapelter Vorratswürfel gegenüber. Im Notfall überlebte er in diesem Raum drei Normmonate lang. Er öffnete eine Klappe der meist leeren Schrankelemente, nahm drei mit Multiband miteinander verbundene Würfel heraus und verschloss das Vorratsfach mit jener Sorgfalt, die zu seiner zweiten Natur an Bord geworden war; sein besseres Ich ging mit allen Dingen weitaus sorgloser um. Er trennte die Würfel, schraubte einen auf und leerte einen halben Liter moussierenden, nebelfarbenen Wein in einen prunkvoll gearbeiteten Pokal aus durchsichtigem Kunststoff.
»Was immer du entdeckt hast, Ismael«, sagte er laut und hob das Gefäß den Sonnen entgegen, »es ist einmalig. Vielleicht bringt es dich um, aber das hat vor dir noch keiner gesehen.«.
Er bedauerte jetzt, keinen Gesprächspartner zu haben. Seit er aus der Imperiumsflotte ausgetreten war, flog er allein. Männer wie Horatio DuRoy oder Joi Scavalder hätten ihm auf die Schultern geschlagen und mit viel Wein auf diesen historischen Augenblick angestoßen. Oder dieser andere Typ, den sie mit Pseudolepra oder Psoriasis stellaris ausgesetzt hatten … Chandra? Richtig: Cade Chandra. Ismael nahm einen tiefen Schluck, stellte den Pokal zwischen Sumlog und Krängungsmesser und schob die Fahrthebel langsam vor. Hinter ihm ächzte, rumpelte und jaulte der Antrieb. Kurze Vibrationen zerrissen den Spiegel des Weines im Pokal, die VOYAGE beschleunigte und richtete die stumpfe Nase auf die bewusste gelbe Sonne. Ismael holte tief Luft. Es klang wie ein Seufzer.
»Pilot an Bordtagebuch«, sagte er. »Ich nehme Kurs auf den gelben Stern voraus. Hauptreihenast, G 0-Typ. Berichte wieder aus dem Sonnenorbit, oder wenn ich einen verdammten Planeten gefunden habe.«
Er zwang sich, geduldig zu warten, trank den herb prickelnden Wein in winzigen Schlucken und konnte sich nicht satt sehen an dem kosmischen Wunder dort draußen. Je tiefer er in die Hohlkugel vordrang – mittlerweile befand er sich noch immer dicht an der Innenwandung, trotz der Sekundengeschwindigkeit von fast zweihunderttausend Kilometern –, desto geheimnisvoller, mystischer und schöner kam ihm der Weltraum vor. Er brummte:
»Das bildest du dir nur ein, Vonsagraves-Pym. Wahrscheinlich hörst du bald den Gesang der Sirenen und zerschellst zwischen Kannibalen, feuerspeienden Zwergen oder den satanischen Brüdern der Gryphons.«
Er fragte den Computer ab und zuckte zusammen: Seit dem Start nahe Lambda Elf, wo der überaus prächtige Stern Suhail Hasdrubal den Himmel beherrschte, hatten sie mehr als vierhundertzehn Lichtjahre zurückgelegt – er und die wackere L’ART DU VOYAGE! In Gedanken konstruierte er ein gleichschenkliges Dreieck, dessen Eckpunkte, nicht auf Bogensekunden genau, die Sonne Lambda Elf, die Beta-Eridanis-Zentralregion um Morach-Center und … der Innenrand dieser Hohlkugel darstellten. Ismael pfiff durch die Zähne.
»Verdammt will ich sein, wenn das nicht etwas zu bedeuten hat. Was? Mehr als eine stellarometrische Figur. Ich glaube, mir täte ein langer, tiefer Schlaf gut.«
Er bereitete sich und das Schiff auf den nächsten Sprung vor, rechnete jede Einzelheit dreimal durch und programmierte den Vorgang, der ihn in eine ungefährliche Sonnenumlaufbahn bringen sollte. Eine Stunde danach gab es das gewohnte Lärminferno im hinteren Teil des Schiffes, und jeder einzelne Laut war richtig und klang gut, gesund und technisch sauber.
»Wie hat Commander DuRoy immer gepredigt? Nur ein ausgeruhter Raumfahrer ist ein guter Raumfahrer. Kann er haben«, murmelte Ismael, füllte eine geringe Menge Wein in den Pokal und leerte ihn, während er die Schlafkoje aufräumte, die Atemluft mit einem milden ätherischen Schlafmittel anreicherte und sich ausstreckte. Die akustische Kulisse zuverlässig arbeitender Schaltungen begleitete ihn in tiefen Schlaf. Er wachte auf und war völlig sicher, weder von Gryphons noch Sirenen geträumt zu haben.
Cade Chandra kam gähnend in die Steuerkanzel der CAPSIZAL, blinzelte in die verschiedenfarbigen Skalen, Anzeigen, Uhren und Monitoren und lehnte sich gegen die Kopfstütze des Pilotensitzes. Das Schiff lag exakt auf Kurs, und sämtliche angezeigten Werte bewegten sich in beruhigenden Bereichen. Cade tappte auf bloßen Sohlen in die Pantry und braute sich einen dreifach starken Kholk; ein exotisches Getränk, das irdischem Mocca sehr nahe kam. Sorgfältig verrührte er Zucker und Sahne hinein und fügte einige Tropfen Naqnaq hinzu. Der Geruch des edlen Alkohols zog zu den Gittern der Umwälzanlage.
»Verdammter weißer Mond«, brummte Cade. »Seit der Beinahekollision haben wir beide Alpträume. Und alles wegen der Legenden dieser makabren Welt namens Inferru.«
Er trank den Kholk mit winzigen Schlucken. Der knielange Bademantel, schneeweiß mit dezenter Goldstickerei, war ein Geschenk des Psammarch Habaqoc Jezirah Tshan aus der Oase Xaymaqqa. Cade Chandra und Amourea Gonavard dachten häufiger an Pharlevinc, den dritten Planeten ihrer exotischen Einsätze, als ihnen lieb war. Cade hockte sich auf die Kante des Terminalsessels, aktivierte den Optischen Computer, und als sich der schwarze, dreidimensionale Achaierhelm manifestierte, in dessen Innerem die Eule ihm ein riesiges Auge zuwandte, schaltete Amourea in der Doppelkabine das Musikprogramm ein. Morgenaktive Musik Singh Boncards schwebte durch den heruntergekühlten Aufenthaltsraum in der Schiffsmitte.
»Guten Morgen.« Cade unterdrückte ein Frösteln. »Hoffentlich gilt es für vierundzwanzig Stunden.«
Er sprach leise ins Mikrophon des Schiffscomputers: »Sämtliche Daten und Verknüpfungen, die unter den Stichworten wie folgt gespeichert sind, auf den Hauptmonitor: Khalakwolt oder Ghada Kag, Zweitausendein Islands, Pharlevinc, Narontene Vier und Inferru.«
»Schon wieder? War doch erst gestern dran!«, krächzte die holografische Eule, das Wappentier Pallas Athenes, der Göttin der Klugheit. Sie blinzelte, hob kokett einen Flügel und verschwand. Amourea kam in den Aufenthaltsraum; hinreißend braungebrannt von Wüsten und Inseln Lu Inferrus. Auch sie gähnte.
»Wieder Alpträume, Geliebter?« Amou lächelte; Cade zuckte mit den Schultern und bereitete schweigend neuen Kholk.
»Nicht gerade Alpträume.« Langsam wechselten Bilder und Schriftblöcke auf dem vier Quadratmeter großen Bildschirm.
»Zugegebenermaßen verfüge ich nicht über einen Funken Hell- oder Weitsicht, aber ich sage dir genau, was zwischen jetzt und dem Zeitpunkt der Landung auf Morach-Center passieren wird.«
»Ich höre. Etwa ein Überfall der schrecklichen, sagenhaften Gryphons?« Sie ordnete eine blauschwarze Haarsträhne.
»Nein. Uns wird bald ein Hyperraumfunkspruch von Commander Vance DuRoy erreichen, der sich noch mit der Einführung von Plastikgeld, Demokratie und freier Marktwirtschaft a la Imperium beschäftigt, und zwar auf dem Planeten, den wir vor einer Handvoll Tagen verlassen haben, Prinzessin.«
»Erwartest du das tatsächlich, General Chandra?«
»Tatsächlich und ernsthaft rechne ich damit.«
»Und weiter?«
»Weiter rechne ich mit der Möglichkeit, dass dieser schöne Mond, ein riesiges Raumschiff, auf dem Weg nach Inferru schon gelandet ist oder im Meer schwimmt. Ich habe einen absolut unbeweisbaren Verdacht: Der Insasse des weißen Mondraumschiffes und das gewaltige Monument des Ufergebirges sind ein und dieselbe Sache.«
Amous strahlendblaue Augen wurden plötzlich stumpf. Sie sank in den Kopilotensitz, drehte ihn herum und flüsterte: »Cade Chandras Cosmischer Codex! Nimm stets das Schlimmste an und richte dich danach!«
»Wird noch schlimmer, Prinzessin. Der Schwarze Sternenkrieger, der aussieht, als sei er aus zweieinhalb Dutzend Widerwärtigkeiten geklont, der Kerl aus dem Silikattempel unserer Tonmasken-Freunde, scheint zu den kosmischen Gegenspielern der Weißer-Mond-Leute zu gehören. Und zwar seit Urzeiten.«
Er machte eine Pause, lief wie ein gefangener Geopard hin und her, zurrte den Knoten des weichen Mantels straff und hob in prophetisch-dramatischer Geste die Hand.
»Inzwischen sind die Informationen« – er deutete auf den Bildschirm, wo fünf unterschiedlich strukturierte Planeten langsam rotierten – »über jene Welten zum Imperiums-Rat vorgedrungen. Wir wissen, dass die Einsichten der Räte eine Ewigkeit bis zur Diskussionsreife dauern.«
Innerhalb des Achaierhelms erschien wieder Athenes nächtlicher Mäusejäger und strahlte aus dem rechten Auge flackernde Signalblitze. Auch in der Frontplatte des Funkschrankes blinkten aufgeregt einige Farbfelder. Weder Amou noch Cade blickten in diese Richtungen.
»Aber wenn sie einmal eine Information intellektuell bewältigt haben, lassen sie die gesamte Maschinerie des Imperiums und hauptsächlich der Flotte anlaufen, weil sie sich auf jeden einzelnen Mann, bis hinunter zum Laderaumpolierer, verlassen können«, sagte Amourea und dachte an mögliche Erfolge ihrer Stellvertreterin, die eigentlich auf Cades Märtyrersessel saß und versuchte, Entscheidungslinien zu verkürzen.
»Unter anderem dank meiner Rationalisierungsarbeiten; mittlerweile sitzen auf drei von fünf Posten die richtigen Frauen und Männer – man wird nie wieder Urlaubsplaneten verwechseln, wie mit uns geschehen.«
»Ich weiß es, du mein Held im Kampf gegen die saumselige Administration. Was wolltest du sagen?«
»Ich verlor den Faden und finde ihn gleich wieder.« Cade drehte den Kopf und näherte sich zögernd der Terminalnische.
»Dass wir oder ich in Kürze dem Rat das Große Planetare Rätsel werden vorlegen müssen. Thema: Vergessene Welten. Und sie werden’s auch nicht schaffen, die Bedeutung herauszufinden, weil sie die profunden Kernaussagen dessen, was wir am eigenen geschundenen Leib erfahren haben, nicht verknüpfen und deuten können.«
Er machte fünf lange Schritte. Beim dritten krächzte die Eule, die ständig die Farbe des Gefieders wechselte:
»Kontakt! Kontakt! Dringendes Hyperfunkgespräch für General Chandra. Ist jemand gleichen Ranges an Bord?«
Cade kippte einige Schalter und wartete, bis der Monitor ein brauchbares Bild aufbaute. Er wurde endgültig wach, als er Walentym Akkay erkannte, den Sekretär des Rates des Imperiums. Akkay musterte ihn mit wortloser, eindrucksvoller Missbilligung.
»General Cade Chandra an Bord der CAPSIZAL?«
»Bei der Arbeit, Sir«, sagte Cade und salutierte übertrieben martialisch. »Was verschafft mir die Ehre, das Vergnügen und die Seltsamkeit Ihres Funkanrufes, Sekretär?«
Die wenigen Male, die Cade mit Akkay gesprochen hatte, waren Cade in Erinnerung geblieben; der Sekretär, ein wahrhaft passabler Mann, bewegte sich wie eine Steinskulptur mit Scharnieren. Jetzt verhielt er sich, als fehle den Scharnieren der Schmierstoff.
»Der Rat, dessen Sprecher zu sein ich die Ehre habe, bittet Sie und Prinzessin Gonavard, den Kurs Ihres Schiffes ändern zu wollen. Sie werden in der Region Algol erwartet, auf dem Ratsplaneten Hammur Abi Drei. Es eilt; die Räte versammeln sich bereits. Man bittet Sie beide, nicht zu säumen. Das Imperium, vertreten durch die Herren und Damen Ratschaften, ist überaus begierig, den Bericht des größten Fachmannes für Xenosoziologie zu hören, um daraus die Notwendigkeiten des zukünftigen Handelns ableiten zu können. Commander DuRoy ist ebenfalls eingeladen. Sollten Sie für Ihren Vortrag den einen oder anderen Ihrer kostspieligen Freunde benötigen, sagen Sie es mir: man wird sie pünktlich eingeflogen haben.«
Beim Wort »Freunde« hatte sich eine Augenbraue bis fast zum Haaransatz hinaufgekrümmt. Cade bemühte sich, seinen ernsthaften Gesichtsausdrück zu behalten. Er sagte:
»Wir kommen sofort. Zusätzliche Vergnügungen, Euer Durchtriebenheit?«
Akkay verzog keinen Muskel und senkte seine Stimme um eine halbe Oktave. Sein Ausdruck wechselte; er schien zu leiden und sagte halblaut, unterbrochen durch vielfarbig flirrende interstellare Störungslinien: »Es ist ernst, General. Seit Commander DuRoys Flottenwissenschaftler den mehr als mumifizierten Körper des sogenannten Schwarzen Sternenkriegers oder -kämpfers untersuchen, nimmt das Unbehagen zu. Wann dürfen wir Sie und Prinzessin Gonavard erwarten?«
Cade antwortete nach einem sekundenlangen Zögern:
»Etwa in sechsundneunzig Imperiumsnorm-Stunden. Zufrieden?«
»Geeignete Verkehrsmittel werden am Raumhafen auf Sie warten, General Chandra und Prinzessin Gonavard.«
Er gestattete sich die Andeutung eines privaten Lächelns und schloss: »Ich entsinne mich ungern, aber lebhaft an unseren Abend in Morach-Center. Ich denke, das Imperium wird ein frisches Bier oder deren zwei erübrigen können.«
»Wenn es der Stabilität des Sternen- und Planetenreiches dient.« Cade hob grüßend die Rechte. »Wir ändern in ein paar Sekunden den Kurs, Akkay. Alles klar?«
»Nichts ist klar, General. Jeder ist in Sorge um unser aller Wohlergehen.«
»So ist es recht«, sagte Cade und grinste mit dämonischer Zufriedenheit. »Endlich kommt Leben in euren behäbigen Laden. Stell das Bier kalt und halt den Rotwein warm. Die Prinzessin und ich kommen in Eilmärschen. Ende?«
»Ende. Danke, General.«
In einem Wirbel galaktostatischer Felder verschwand sein Konterfei vom Schirm. Cade schaltete ab, drehte den Sessel und breitete die Arme aus.
»Was habe ich gesagt, Geliebte? Sie fühlen sich unsicher und bedroht, und schon jagt eine Konferenz die nächste.« Er holte tief Luft, zuckte mit den Schultern und blickte die Bilder auf dem Schirm an, als sähe er ein angreifendes Rennmammut. »Ändern wir also den Kurs. Jadar wird sich fragen, wo seine Stammgäste bleiben.«
Er rief aus dem Speicher die Koordinaten von Algol/Hammur Abi III ab, programmierte den Autopiloten neu und drückte nach der dritten Kontrolle einen breiten Schalter. Die CAPSIZAL änderte lautlos und unmerkbar den Kurs und jagte auf das neue Ziel zu. Cade brummte: »Den Vortrag brauche ich nicht vorzubereiten; was ich weiß, weiß ich. Aber vielleicht bringe ich die Formel oder etwas ähnlich Erhellendes zustande. Ich weiß es nicht – hilfst du mir, Prinzessin?«
Amourea setzte sich auf seinen Schoß, fuhr durch sein weißgrau gewordenes kurzes Haar und strich mit dem Zeigefinger seine linke Augenbraue glatt. »Natürlich, Jäger, helfe ich dir. Aber ich weiß es auch nicht. Allerdings« – sie lächelte verhalten und packte die Aufschläge seines Mantels – »habe ich zumindest eine halbwegs brauchbare Idee, wie wir es versuchen könnten.
Aber von der Idee bis zu einer verständlichen Erklärung, die auch sachlich richtig ist, klaffen kosmische Abgründe. Wir sollten nicht vergessen, dass es um das Wohl und Wehe eines Imperiums aus vielen Sonnen und Planeten geht. Was bedeuten in diesem Rahmen fünf Vergessene Planeten, Liebster?«
Er senkte den Kopf und erwiderte in tiefem Ernst:
»Sehr viel, Amou. Fast alles. Denn auf ihnen verbirgt sich irgendwie der Schlüssel einer Erkenntnis, die das Imperium im ungünstigsten Fall zersprengen und in Jahrhunderte der Agonie, Gewalttätigkeit und in einen tödlichen Krieg mit einem anderen Sternenvolk, einer anderen Rasse stürzen kann, deren Denken uns völlig fremd ist und bleibt.«
Amou seufzte, löste sich von ihm und sagte leise, aber in unüberhörbarem Ernst:
»Du, Storzia Grur, Jadar Kastor und Horze lo Venosta – ihr werdet sicherlich die Gefahr im Imperium abwenden können.«
Sie lachte nervös. »Ohne euch schmeicheln zu wollen.«