Leseprobe – Jäger des Mysteriums


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1 – Landung auf Morach-Center

Trampkapitän Arkai Shanohyr IV. stieg am Stadtrand aus dem Shuttle, überquerte auf der lianenüberwucherten Sternenbrücke die Piste und sah sich schweigend um, als er die Doppelzeile der Läden, Geschäfte, Märkte und Servicebetriebe unter den mächtigen Baumkronen erreicht hatte. Energiereiche Spannung, zusammen mit rußschwarzen Wolken, kündigte das Gewitter an. Menschen und Nonhumanoide hasteten zwischen Fontänen, Blumenhecken und prächtigen Statuen durch Schatten und Sonnenlicht Unerträglich schwül brütete die Luft zwischen den Gebäuden. Arkai gehörte zum Kosmischen Klan der langsam sprechenden Zeichendeuter; er sah zwischen einem Tätowierer, dessen Ladenschild in unsystematischen Farben und Strukturen glitzerte, und einem Safari Shop, dessen Schaufensterpuppen falsche Bewegungen ausführten, den harmonischen Eingang zu einem Grillroom & Bar. Zum Mutigen & Vorurteils-Losen Stemenreysenden.

Arkai ging auf die verspiegelte Panzerglastür zu, gönnte sich ein zuversichtliches Grinsen und wartete, bis die Scheibe zur Seite summte. Das Innere der Bar, in der Leder, Alkohol und exotisches Räucherwerk den richtigen Geruch verströmten, war kühl und leer; hinter der Theke prüfte ein breitschultriger, großer Mann die Sauberkeit von Gläsern. Die Tür schloss sich; Arkai sah durch den einseitigen Spiegel das erste Wetterleuchten, in dessen Glanz eine steinerne Sphinx zwinkerte.

»Einen fetten Imbiss und ein gutes Eridanis-Bier?«

Der Wirt nickte, deutete auf die drei Dutzend Hocker und grinste. Kleine, dunkle Augen musterten den Raumfahrer. Als sich der Wirt ins Licht der Tiefstrahler schob, sah Arkai die Narben und Falten und den fast haarlosen Schädel des hoch gewachsenen Mannes. Bier schäumte in einem Pokal; jede Bewegung ließ große Kraft und völlige Kontrolle erkennen. Arkai atmete erleichtert aus und lehnte sich zurück. Es war der harmonische Platz für die erste Nacht nach der Landung. Er nahm einen angenehm tiefen Schluck, wischte den Schaum mit dem Handrücken ab und sagte:

»Ich weiß, dass ich mit Ihnen gut und langsam sprechen kann. Ich bin Trampkapitän Shanohyr der Vierte. Alligator-Hirsch-Ragout königliche Art, mit Garam masala, Grasnudeln und Chapattis?«

»Sie können auch schnell sprechen, Käpten.« Der Wirt redete mit dröhnendem Bass. »Dauert zwanzig Minuten. Probleme mit den Behörden? Schmuggelgut? Unorthodoxe Überzeugungen? Politische Inkorrektheiten?«

Arkai vollführte die Geste des ehrlichen Verneinens.

»Nicht im geringsten. Vielleicht hat das Imperium Probleme, wenn die Verantwortlichen wissen, was ich weiß.«

»In diesem Fall« – der Wirt grinste und entblößte weiße Zähne, während er eine Pranke auf die Brust legte – »werden Sie schneller kompetente Gesprächspartner finden, als Sie hoffen konnten. Mein Freund löst schwierige Probleme für das Imperium. Richten Sie sich auf eine interessante Nacht ein. Übrigens: Ich bin Jadar Kastor. Manche nennen mich den Hässlichen Wirt.«

Arkai nahm einen gewaltigen Schluck, rülpste leise und musterte den Pokal, als sei er eine Granate mit summendem Auslöseelement .

»Ich hab’s gewusst, als ich Ihr Etablissement sah!«

Der Wirt verschwand hinter einem Paravent. Arkai hörte leise Gespräche, Klirren und Klappern und kurzes Gelächter.

Der Geruch scharfer Gewürze wehte hinter Jadar Kastor her.

»Bevor mich die Neugierde zerreißt«, sagte Kastor und griff nach einer bauchigen Flasche. »Was beunruhigt Sie, Käpten? Mein Freund ist ein guter, ehrlicher und zuverlässiger Mann, ganz oben in der Hierarchie. Seine Freunde halten Macht in den Händen, seine Gegner sind die Einfallslosen, Faulen und Bestechlichen des Imperiums. Zufrieden?« Er stellte einen fingergroßen Tonbecher vor Arkai auf die Theke aus tief lasiertem Bronzebaumholz.

»Ein Schluck Naqnaq. Bereitet den Magen auf Garam masala vor.«

»Danke, Meister Kastor. Ich hab mich verflogen. Unser Wasser wurde knapp. Wir haben eine Vergessene Welt gefunden. Ich kann zehn Nächte lang erzählen. Die Leute dort sind mindestens halb verrückt. Jeder Stamm kämpft gegen den Nachbarn. Ehe ein anderer Trampkapitän anfängt, mit Waffen zu handeln, spreche ich lieber mit den richtigen Leuten; sonst rotten sich die Schwarzhäutigen gegenseitig aus.«

Der Wirt ersetzte den fast leeren Pokal durch einen vollen; der gletscherweiße Schaum knisterte leise.

»Sie reden seit ein paar Minuten mit einem der Richtigen, Käpten.« Er sah auf ein Multifunktionsarmband. Obwohl Ziffern und Skalen ebenso groß waren wie das Stahlgliederband, wirkte sie an seinem Handgelenk wie ein Spielzeug. »In zwei Stunden treffen wir hier meinen Freund. Koordinaten? Bilder? Informationen?«

Arkai klopfte auf die Unterarmtasche der Lederjacke.

»Alles hier. Meine Crew kennt nur die unwichtige Hälfte der Unterlagen.«

Aus der Küche ertönte ein Fluch. Jemand hustete lange. Ein orangehäutiger, gedrungener Mann, in weißer Schürze brachte das Essen. Seine Augen tränten; im Glaszylinder glühte das frisch gemörserte Garam masala. Der Geruch erinnerte Arkai an den Brand der Oase, am Savannenrand des Vergessenen Planeten.

 

Über Pulsar Park rauschte der letzte Schauer des Gewitterregens nieder. Ein fahler Regenbogen mit starkem Rotband baute sich auf Cade Chandra. hob den Kopf und betrachte voll plötzlicher innerer Unruhe durch das Panoramafenster den Glanz auf den nassen Blättern. Sein Blick richtete sich auf den Schmuck der Kommunikationswand; kubische Holosternkarten, die Planetenkarten von Ghada Kag/Khalakwolt, 2001 Islands. Pharlevinc und Naronthene, unterschiedlich große Monitore, das Organogramm der Verwaltung und, langsam in einem Antigravfeld rotierend, den Jadewürfel. Seit vierzig Tagen und Nächten arbeitete Cade in seinem neuen Büro mit Blick auf Stadtrand und Raumhafen; die Last der Verantwortung war trotz des dicken silbergrauen Teppichs nicht geringer geworden. Er holte tief Luft, lauschte dem prätelepathischen Flüstern der Zeitansage und senkte, als grelle Blitze über Park und den Turm der Administration zuckten, den Blick auf die schneeweiße Bildplatte im Schreibtisch. Er las schweigend einen längeren Text, stoppte den Fluss der Zeilen und sagte:

»Die Bewohner dieses Landstrichs finanzieren mit ihren Goldfranken unter anderem auch die Flotte, das Militär und vielfältige Organisationen, die sich bis heute selbst verwalten und gelangweilt technisches Gerät polieren. Ich ordne an: Das Siebente Eingreif-Geschwader, die Straßenbaubrigade, Techniker und Material für die fraglichen Pisten und die sechs Brücken sind augenblicklich in Marsch zu setzen. Die Baumaßnahmen sollten in sechs Monaten auf herkömmliche und gute Weise erledigt sein können.« Er räusperte sich; seine Stimme wurde scharf. Donner hallte zwischen den Gebäuden. »Falls die Kommune Schwierigkeiten hat, Material und Unterbringung der Pioniere zu bezahlen, soll sich Maître Altovise direkt an mich wenden. Gezeichnet: Cade Chandra, Generaladministrator. Ende.«

Sein Grinsen war kalt und distanziert. Wieder starrte er den rotierenden Jadewürfel an und sah die vier eingravierten Versalien: viermal C. Cade Chandras Cosmischer Codex. Cade schaltete auf die nächste Vorlage, eine Anfrage der schwer geprüften Beta-Eridanis-Welt Tai-Tai-An:

»Eine Schadensbeseitigung und Rekultivierung des Geländes ist Sache derer, die Schätze des Planeten ausgebeutet haben. Das Imperium lehnt jede Verantwortung für die vorgeschlagenen, oder besser: erbetenen Arbeiten ab. Ohne jede Präjudizierung hilft das Imperium: Zwei Großgeräte mit Mannschaft und Material werden landen und die verseuchte Erde waschen. Die Aktion ist nach einem planetaren Jahr zu beenden; ich erwarte, dass sich die Bevölkerung in nennenswertem Maß an den Arbeiten beteiligt. Gezeichnet Cade Chandra, Generaladministrator. Ende.«

Zugleich mit Blitz und Donner und dem letzten Aufflammen der Sonne hinter schwarzen Wolkentürmen ertönte das Türsignal, ein Motiv der Savannengräser von Peter Gray. Die schalldichte Platte des Schotts zog sich fauchend in die Decke zurück. Amourea Gonavard kam herein. Cade stand auf, umarmte seine Freundin und murmelte:

»Willkommen, Prinzessin! Treibt dich die Angst vor dem Gewitter endlich in meine Arme?«

Amourea schüttelte ihr langes schwarzes Haar in den Nacken und lächelte. Sie schenkte sich ein Glas terranischen Champagners ein und watete genussvoll durch den Teppich.

»Cade, von Silberhaut-Psoriasis genesener General. Ich fürchte nicht einmal dich.« Sie setzte sich ihm gegenüber an den monströsen Schreib- und Arbeitstisch. »Ein orthodoxes Gewitter lässt mich kalt. Wie lange hast du noch zu arbeiten?«

»Endlos lange. Heute noch etwa zwei Stunden, Herrscherin meiner Träume.«

»Jadar hat angerufen. Er will einen Narontene-Erinnerungsabend zelebrieren. DuRoy kommt auch, sagt er. Vielleicht auch Tsamourgeli. Ich bin für heute fertig, Geliebter.«

»Wie schön für dich, Amou.« Schnell, wie im Licht des nächsten Blitzes, zogen die Erlebnisse auf dem Planeten, auf dem er mit Psoriasis stellaris ausgesetzt worden war, vor Cades innerem Auge vorbei: Der Silberne Mann, der die Umweltkatastrophe eines Planeten erkannt, bekämpft und mit Imperiumshilfe aufgehalten hatte. »Wir gehen zu Jadar, selbstverständlich. Ich muss nur noch neunzig Minuten lang den starken Unwillen etlicher Politiker erregen. Noch sechs Tage, dann sind alle technischen Abteilungen der Imperiumsflotte, Pioniere und sämtliches Gerät an vielen Brennpunkten der Galaxis verstreut und endlich sinnvoll angewendet. Mit schwerem Kampfgerät kann auch Boden umgepflügt werden. Ich erwarte eine Menge herrlichen Ärger! Verlass dich drauf.«

Amou strahlte ihn mit großen blauen Augen an und nippte lächelnd am Champagner. »DuRoy deckt dich auf breiter Front. Die Heere der Inkompetenz formieren sich schon, in und hinter den Kulissen.«

»Ich weiß. Es läuft wieder auf eine Kraftprobe hinaus.«

Gleichzeitig blickten sie den Jadewürfel an. Cades CCCC-Codex drückte universale Erkenntnisse aus:

A. Das Leben ist hart, aber es geht vorbei.

B. Wenn etwas schiefgehen kann, geht es auch schief, und dies im schlimmsten und größten Ausmaß; rechne stets mit Katastrophen!

C. Wenn du jemanden brauchst, ist keiner da; und es kommt auch keiner.

D. Den ärmsten Gläubiger behandeln die Schuldner stets am miesesten.

E. Verlass dich auf dich und sonst auf niemanden im Universum!

F. Jeder, der handelt, ist dem klügsten Denker überlegen.

G. Das Leben ist schauerlich, (meist ungerecht) hart und gnadenlos.

Lautlos rotierte der Kubus weiter. Cade zuckte mit den Schultern und sagte halblaut: »Ich sitze hier, versuche nachdrücklich, Verwaltungskosten zu minimieren und eine martialische Flotte in Zeiten des Friedens sinnvoll zu beschäftigen, mache mir tagtäglich neue Feinde – Gründe genug, fröhlich zu sein. Trotzdem bin ich grämlich und unzufrieden. Kannst du mir erklären, Amou, warum ich unruhig bin? Nervös und voller Spannung?«

Sie stellte das Glas klirrend ab und beugte sich vor.

»Seit den zauberhaften Tagen und Nächten unserer Genesung in Chandras Paradies, in der herrlichen Bucht Narontenes, sind dreizehn planetare Monate vergangen. Du langweilst dich, mein Lieber: im neuen Büro, im obersten Stockwerk, an diesem Schreibtisch und mit uralten Problemen!«

Cade runzelte die Stirn, schloss im Reflex des Blitzes die Augen und wartete auf den Donner. Ein Raumschiff orgelte über die Landzunge hinweg und durchstieß den grauschwarzen Gewitterturm. Cade erinnerte sich an Iroyde, die auf Narontene gemeinsam mit Cade und Amourea die unvergessliche Taioli gesundgepflegt hatte, an blaue Milane, sterbende Narroptes und an die letzten silbernen Schuppen seiner Haut. Er zwinkerte in Amoureas Augen.

»Wahrscheinlich hast du Recht, Amou. Ich bin hier, um zu tun, was meine Aufgabe ist. Der einzige Trost in dieser halbwegs funktionierenden Administration bist du. Ich warte auf ein neues Abenteuer – mich dünkt, es kommt keines mehr. Obwohl die Opticomps der Eridanis-Universitäten rechnen wie verrückt.«

Er hob den Arm und deutete anklagend auf die Planetenkarten; zwischen den Kollisionsbahnen der Planetoiden Khalakwolt, den halbentschlüsselten Glyphen des Ebbetempels von 2001 Islands, dem gewaltigen Figurenpuzzle Pharlevincs und den Dherra-Kugeln und Aufzeichnungen aus dem verschrotteten Riesenraumschiff Narontenes bestanden Verbindungen aus dreieinhalb Jahrtausenden alter Vergangenheit, die ein menschlicher Verstand noch nicht verknüpfen konnte, vielleicht vermochten es die Optischen Computer der Universität. Cade Chandra und seine Freunde ahnten, dass sie sich in dem Moment, an dem sich die Seltsamkeiten verbanden und erklärbar wurden, einem einzigartigen kosmischen Geheimnis gegenübersehen würden; wahrscheinlich einer furchtbaren Gefahr, die das gesamte Imperium oder große Teile der Planetengemeinschaft bedrohte. Cade verschränkte die Arme im Nacken, legte die Füße auf den Tisch und meinte:

»Wahrscheinlich hast du Recht, Amou. Die wilden Tage mit Storzia, Jadar und Mokanjis Reiterinnen sind wohl endgültig vorbei.« Er tippte auf eine Taste: Ein anderes Problem in schriftlicher Ausarbeitung erschien auf dem Flachbildschirm.

»Mit unserer administrativen Arbeit helfen wir immerhin vielen Planeten und unzähligen Menschen. Ich bin um acht Uhr bei Jadar. Treffe ich dich dort?«

Amou nickte und strich, als sie hinter Cades Arbeitsplatz vorbei zur Tür ging, über sein Haar. Cade küsste Amous Handrücken und begann weiterzuarbeiten, ehe sich die Tür geschlossen hatte. Während über Stadt und Raumhafen ausdrucksvolle Blitze flackerten, Donner dröhnte und breite. Regenbänder hinwegrauschten, setzte Cade Truppen, Schiffe und Material des Imperiums ein, verteilte Steuergelder, bestimmte den Einsatz von Verantwortlichen und Controllern, tadelte, lobte und forderte auf, mahnte Ergebnisse an und versprach grimmige Strafen.

Die unbestechlichen Frauen und Männer der nachgeordneten Teams, von ihm handverlesen und bei jeder Aktion gedeckt, sorgten für blitzschnelle Erledigung. Obwohl General Chandra dafür sorgte, dass sein privater Kosmos ein Höchstmaß heiler galaktischer Welt widerspiegelte, blieb ein Rest schaler Unzufriedenheit: Er fühlte sich wie ein zahnloser Tiger oder ein Raubvogel mit stumpfen Krallen und gestutzten Schwungfedern. Cade ließ in der folgenden Stunde dieses Gefühl erst gar nicht aufkommen und erledigte bis zum letzten Wetterleuchten das volle Pensum dieses Monats.

 

Neben dem stählernen ›Auge der Zeit‹, in dessen Wölbung sich Sterne und Mond spiegelten, blieb Cade stehen und sog die kühle, reine Luft in die Lungen. Das Gewitter zog weit im Osten über die Berge. Cade warf einen Blick hinauf zu den Fenstern seines Büros und ging durch den nachtschwarzen Park, vorbei an kleinen indirekten Lichtern, zum Platz des Stadtviertels.

Sein Magen knurrte. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Härchen seiner Unterarme und im Nacken aufrichteten. Die Tür des Sternenreysenden glitt zur Seite; aus dem Winkel der Bar winkten Amourea, Jadar und ein unbekannter Mann mit schmalem Gesicht und nackenlangem weißen Haar.

»Hier kommt der Doyen phantastischer Abenteuer«, rief Amou. »Her zu uns, Cade.«

Jadars Bar war etwa zu einem Drittel gefüllt. Hübsche Kellnerinnen huschten hin und her. Jadar thronte hinter der langen Bar; nichts entging seinen Augen. Er deutete auf Cades Stammsessel unter einigen Pharlevinc-Landschaften. Als Cade die silbernen Insignien auf der linken Brustseite des Weißhaarigen sah, wusste er, dass er gleich einem Trampkapitän gegenübersitzen würde – und plötzlich wusste er auch, dass seine Unruhe nicht grundlos war.

»Trampkapitän Arkai Shanohyr der Vierte hat gut gegessen und getrunken.« Jadar stellte unaufgefordert ein großes alkoholarmes Bier vor Cade hin. »Er will mit jemandem sprechen, der sein Wissen nicht missbraucht. Was die Prinzessin und ich bisher erfahren haben, klingt sehr wichtig. Es geht höchstwahrscheinlich um eine Vergessene Welt.«

Cade schüttelte die Hand des Kapitäns. Die Männer tasteten einander mit den Blicken ab. Hinter der Müdigkeit, die nur zum Teil dem Alkohol zuzuschreiben war, glaubte Cade Härte, Besonnenheit und die wortarme Klugheit eines Raumfahrers zu erkennen, der viele Abenteuer überlebt hatte. Amou berührte Cades Arm.

»Wir haben ihm von den vier Vergessenen Planeten erzählt.«

Sie fächelte mit der kleinen Speisekarte vor ihrem Gesicht.

»Arkai weiß, Wen er vor sich hat. Ich hab angerufen: DuRoy und Tsamourgeli El Sayr kommen später.«

Cade trank, stützte die Ellbogen auf und sagte:

»Berichten Sie, Kapitän. Wie lange waren Sie seit dem Start von diesem Planeten unterwegs? Ich nehme an, diese Welt hat keinen Namen, die Sonne ihres Systems ist nicht katalogisiert?«

»Richtig. Aber … der Kurs meiner CRYSTAL PYRAMID lässt sich natürlich zurückverfolgen, und mein Erster hat unmäßig viel Stellarfotos gemacht. Vor siebzehn Tagen sind wir gestartet, von der Savanne in Äquatornähe …«

Jadar, Amourea und Cade hörten schweigend zu. Cade stellte insgesamt fünf knappe Fragen. Die Geschichte begann fast alltäglich und endete reichlich verwirrend: Die CRYSTAL PYRAMID war an unbekannter Stelle in den vierdimensionalen Kosmos zurückgefallen und raste auf eine Fünferkonstellation gelber und weißer Sonnen zu, die vor der Kulisse einer lichtdurchglühten Wolke aus Staub und Gas leuchteten. Die Crew versuchte in steigender Verzweiflung, sich zurechtzufinden; die Musterung ergab, dass kein einziger Stern bekannt war. Zwei Sonnen besaßen Planetensysteme. Die PYRAMID näherte sich in vorsichtigen Sprüngen und fand schließlich einen Planeten mit sauerstoffreicher Atmosphäre; die vierte Welt der gelben Sonne vom GO-Typ. Nach einigen Orbits in unterschiedlicher Höhe werteten die sieben Männer des Schiffes die Aufnahmen und Analysen aus.

»Oberflächeschwerebeschleunigung ist neun Komma zwei der alten Terra-Norm. Die Luft: einfach herrlich, noch sauberer und leichter als hier, General Chandra. Ein einziger riesiger Kontinent, auf dem die nördliche Polkappe aufliegt, zerklüftet, voller Gebirge und Buchten, reicht fast bis zum Südpol, der ebenfalls vereist ist. Wir haben die Inseln um den Koloss nicht gezählt – Sie werden die Bilder leicht interpretieren können.«

Die Männer tranken durstig. Zerstreut bestellte Cade ein exotisches Sandwich, mit Käse und Rentierschinken, überbacken.

Shanohyr sprach weiter.

»Unzählbar viele Inseln, kaum eine ist bewohnt. Vom Nordpol bis zum südlichen Delta zieht sich ein Fluss, ein Strom, der Dutzende Nebenflüsse hat, die ihrerseits von vielen Bächen und Flüsschen gespeist werden. Im nördlichen Eisland bis hinunter zu den Schilfsümpfen, überall an den Wasserläufen leben dunkelhäutige Menschen. Kleine Stämme, mit eigenen Tabus und Fetischen und einem teuflischen Arsenal armseliger Waffen. Giftige Dornen, Pfeile, Schleudereisen, keine Explosivwaffen oder Strahler. Narben und Verstümmelungen gibt’s; die Krieger sehen aus wie die Vorstufe zum Gulasch. Übertriebene Ehrbegriffe; sie rauben Frauen, und die meisten haben etwas dagegen, wenn etwas mit dem ›heiligen‹ Flusswasser passiert: Umleiten, Staudämme, Wassermühlen – alles ist Frevel. Nicht einmal in den Wadis, den periodischen Wüstenflüssen, darf etwas verändert werden. Also ein reiches Betätigungsfeld für überaus komplizierte und blutige Stammesfehden. Dabei könnten sie alle steinreich sein.«

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