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1.

 

Das Gelände der ›Chrosnowsky-Recycling-Company‹ umfasste eine Fläche von einem knappen Quadratkilometer und bestand aus einer parkähnlichen Anlage, in die Labors, Rechenzentren und Verwaltungsgebäude harmonisch eingebettet waren. Die Firma befasste sich mit der Wiederverwendung von Abfällen, insbesondere solchen aus modernem Plastikmaterial.

Einem Chemikerteam war es vor einiger Zeit gelungen, die Molekularverbindungen so aufzuspalten, dass nicht nur die Ausgangsstoffe wieder entstanden, sondern dass sie sogar in ihre Elemente zerlegt wurden. Noch waren die Experimente nicht so weit fortgeschritten, dass man an eine kommerzielle Nutzung denken konnte, aber da die Grundlage dazu geschaffen war, war das nur noch eine Frage der Zeit.

›Chrosnowsky-Recycling-Company‹ war den anderen Unternehmen der Branche somit um einiges voraus, und es lag auf der Hand, dass die Konkurrenten danach trachteten, die Forschungsergebnisse in ihren Besitz zu bringen.

Das Chrosnowsky-Management wusste um das Bemühen der anderen und hatte nicht gezögert, wirksame Abwehrmaßnahmen zu treffen. So kam es, dass aus dem idyllischen Fleckchen Erde vor den Toren Moskaus eine uneinnehmbare Festung wurde, eingehüllt in eine gewaltige Energiekuppel. In ihrem Innern gab es noch zusätzliche Alarmeinrichtungen, und etliche bewaffnete Robotpatrouillen durchstreiften das Gelände auf willkürlichen Routen.

Ein eventueller Eindringling ‒ sofern er überhaupt das Energiefeld überwinden konnte ‒ wäre nicht einmal zehn Sekunden lang unentdeckt geblieben. Das hatten die Ingenieure, die die Abwehranlagen konstruiert hatten, nicht nur versichert, sondern auch bewiesen; schließlich gehörte das System, das das Areal absicherte, zu den modernsten Einrichtungen seiner Art.

Natürlich bezog sich diese Aussage nur auf die terranische Technik, aber wer ging schon davon aus, dass es Außerirdische gab, deren Standard höher entwickelt war? Und selbst wenn das unterstellt wurde ‒ welches Volk der Milchstraße würde sich dann für irdische Abfallverwertung interessieren? Da keiner von den Anura wusste, wurden diese Fragen gar nicht erst aufgeworfen.

*

Vor vier Stunden war es dunkel geworden. Während Moskau unter dem Schleier der Nacht lag, lediglich an seinen erleuchteten Straßen und Häusern erkennbar, war die Umgebung der ›Chrosnowsky-Recycling-Company‹ in bläuliche Helligkeit getaucht. Der strahlende Energieschirm spendete so viel Licht, dass es hier niemals dunkel wurde, allenfalls ein wenig dämmrig.

Von der Stadt her näherte sich ein Luftkissenfahrzeug, es war unbeleuchtet. Noch bevor es die helle Fläche erreichte, stoppte es ab und sank zu Boden. Pfeifend erstarb der Antrieb, eine Tür klappte, dann war es wieder still.

Aus dem Schatten des Gleiters traten zwei Männer. Einen Moment verharrten sie auf der Stelle und blickten sich aufmerksam um, bevor sie sich wieder in Bewegung setzten.

Sie wirkten unauffällig; waren in einfache Kombinationen gekleidet und führten keinerlei Gerät mit sich. Ihr Ziel war zweifellos die Energiekuppel, denn sie schritten zielstrebig darauf zu. Kurz bevor sie den von der Kuppel erleuchteten Kreis erreichten, verhielten sie erneut. Sie zupften an ihrer Kleidung, hantierten daran herum und benahmen sich, als ob sie sich selbst durchsuchen würden. Schließlich beendeten die Männer ihr merkwürdiges Tun und legten sich flach auf den Boden.

Einer zog einen dünnen Draht mit kugelförmigem Ende aus einer Anzugtasche und steckte ihn so in die Erde, dass die Kugel gerade noch aus dem Boden ragte. Wie auf Kommando hielten die beiden Männer die Ohren an die Kugel und lauschten angestrengt.

Das Ergebnis schien sie zu befriedigen, denn sie erhoben sich. Unbekümmert überschritten sie die Peripherie und betraten die erleuchtete, nur mit Gras bewachsene Fläche. Der erwartete Alarm blieb aus. Weder das im Boden eingelassene Sensorgitter noch der gleich einem Rundumradar wirkende Abtaststrahl meldete eine Annäherung unbefugter Personen. Die elektronischen Sicherungsanlagen mussten die beiden Gestalten völlig ignorieren.

Die Männer waren ihrer Sache anscheinend absolut sicher, denn sie entnahmen den Taschen ihrer Kombinationen nun mehrere kleinere Steckelemente, die sie in aller Ruhe zu einer kaum kniehohen Pyramide zusammenfügten. Deren Spitze leuchtete rötlich auf, als einer der beiden einen Hebel umlegte. Das Leuchten steigerte sich in Sekundenschnelle, dann brach ein waagerechter Lichtstrahl hervor und traf auf das Kuppelfeld.

Wechselnde Farbspiele durchzogen den Schirm an dieser Stelle, bevor er sich wieder stabilisierte und eine Öffnung von zwei Metern Durchmesser freigab. Selbst bei Ausfall der äußeren Systeme hätte die Automatik zumindest jetzt Alarm geben müssen, doch abermals nahm sie nichts wahr.

Geschmeidig glitten die Männer durch die Strukturlücke. Die hinter der Schirmfeldwandung angebrachten Energiebarrieren und Lichtschranken meldeten keine Veränderung. Für die Eindringlinge schien es keinen Anlass zu geben, die Sicherheitsanlagen zu beachten, denn wieder erfolgte kein Alarm. Eine derartige Aneinanderreihung von Unmöglichkeiten war undenkbar. Wenn es den vermeintlichen Saboteuren dennoch gelungen war, so weit vorzustoßen, gab es nur eine Erklärung: Die Männer mussten über Mittel verfügen, die auf der Erde nicht bekannt waren und den Stand terranischer Technik weit übertrafen.

Ohne zu zögern, gingen die Eindringlinge weiter. Nach knapp zehn Metern bogen sie ab und bewegten sich auf ein dreistöckiges Gebäude zu. Nur wenige, absolut vertrauenswürdige Personen wussten, dass sich in diesem Haus der Tresor befand, in dem die verschlüsselten Formeln aufbewahrt wurden.

Kein Überwachungsgerät meldete Zwischenfälle, dennoch verlangsamten die Männer ihre Gangart. Beide zogen winzige Geräte aus ihren Taschen, richteten eine klappbare Antenne aus und gingen vorsichtig weiter.

Sie, die bisher alle schwierigen Hindernisse überwunden hatten, waren ihrer Sache auf einmal gar nicht mehr so sicher und wirkten äußerst wachsam. Innerhalb der Anlage musste es also eine Einrichtung geben, die sie nicht beeinflussen konnten und vor der sie auf der Hut sein mussten.

Noch bevor sie das fragliche Gebäude erreichten, meldeten ihre Geräte zwei Streifenrobots. Augenblicklich schlugen sich die Fremden in die Büsche, doch umsonst. Die hochempfindlichen Sensoren der Automaten hatten sie bereits aufgespürt.

Mit angeschlagenen Waffenarmen brachen die Maschinen in die Sträucher ein.

*

Wer Anwer Malek zum ersten Mal sah, hielt den dreißigjährigen Blondschopf mit den blauen Augen für einen typischen Skandinavier, und sein athletischer Körperbau ließ auf einen Sportler schließen. Er war weder das eine noch das andere.

Anwer Malek saß in der Überwachungszentrale der ›Chrosnowsky-Recycling-Company‹ und blickte gelangweilt auf die Bildschirme. Die automatischen Kameras übermittelten in wechselnder Reihenfolge die aufgenommenen Bilder ihres Sektors. Ab und zu waren die Streife gehenden Robots zu sehen, ansonsten waren die Aufnahmen von ermüdender Eintönigkeit.

Malek hatte sich schon oft gefragt, ob seine Arbeit ‒ oder besser gesagt seine Anwesenheit ‒ überhaupt nötig war. Gewiss, man hatte ihm versichert, dass er das letzte und zugleich wichtigste Glied in der Kette der Sicherungseinrichtungen sei, aber er hatte doch erhebliche Zweifel an dieser Aussage.

Der autarke Rechner, der die gesamte Abwehranlage steuerte und auch die Robotwachen koordinierte, war in der Lage, bei Funktionsstörungen ohne menschliches Zutun Reparaturschaltungen zu aktivieren und den Schaden selbst zu beheben. Maleks Aufgabe, seinerseits die Elektronik zu überwachen, war demnach eine Farce und bedeutete für Anwer an drei Tagen in der Woche je fünf Stunden Langeweile.

Er arbeitete bereits seit acht Monaten hier, und obwohl schon mehrmals versucht worden war, einzudringen, hatte die Automatik das stets ohne seine Mitwirkung vereitelt.

Anwer gähnte ungeniert. Es würde wieder eine ereignislose Wache werden. Gerade hatte er sich eine Zigarette angezündet, als sich Robotstreife 7-II über die ständig auf Empfang geschalteten Lautsprecher meldete.

»Eindringlinge in Sektor Rot-Sieben-Sieben. Wir stellen sie. Ende.«

Malek saß wie vom Donner gerührt. Eindringlinge? Wie mochten sie es geschafft haben, die Abwehreinrichtungen zu überwinden? Warum hatte der Rechner keinen Alarm gegeben, warum hatten die Instrumente keine Abweichung angezeigt? Das ging nicht mit rechten Dingen zu!

Entschlossen gab Malek Vollalarm, dann schaltete er die für Sektor Rot-Sieben-Sieben zuständige Ausschnittkamera ein und stellte sie fest. Ein Schirm war jetzt nur für diese Bilder reserviert.

Deutlich sah Malek, dass zwei Männer aus einem Gebüsch sprangen. Inmitten der Gehölzgruppe waren heftige Bewegungen zu erkennen, die nur von den verfolgenden Robots stammen konnten.

Unvermittelt stach aus den Büschen ein greller Lichtblitz hervor, der Anwer blendete. Als er die Augen wieder öffnete, waren die Fremden verschwunden. Die Sträucher waren zu Asche verbrannt, von den Automaten waren nur noch zwei nachglühende, verschmolzene Metallklumpen übrig.

»Sektor Rot-Sieben-Sieben umstellen, die Streifen l-III, 4-III, 8-II und 9-II sichern Block A 3!«, schrie Malek in sein Mikrofon. »Gesucht werden zwei Männer. Sie sind unter allen Umständen festzusetzen.«

Mehr konnte er im Augenblick nicht tun, aber er war absolut sicher, dass die Fremden keine Chance mehr hatten, ihren Verfolgern zu entkommen. Er hob die Arretierung für die Ausschnittkamera wieder auf.

Auf einem separaten Bildschirm war der Tresorraum zu sehen. Alles war unverändert. Anwer lächelte. Selbst wenn die Eindringlinge den Maschinen entkommen sollten ‒ in den doppelt und dreifach gesicherten Tresorraum würden sie nie gelangen.

Oder doch? Immerhin hatten sie bisher ja auch die gesamten positronischen Abwehranlagen genarrt.

Die Positronik, was war mit ihr los? Malek schaltete den Kommunikator ein.

»Warum wurde gegen die Eindringlinge nichts unternommen?«, fragte er.

»Ich verstehe den Sinn Ihrer Frage nicht, Sir«, schnarrte der Rechner. »Von welchen Eindringlingen reden Sie?«

Malek holte tief Luft. »Du hast also nichts bemerkt?«

»Keine Vorkommnisse, Sir.«

»Du hast keine Veränderung in der Kuppelstruktur registriert, keinen Kontakt des Sensorgitters oder des Abtaststrahls?«

»Nein, Sir.«

»Was ist mit den Energiebarrieren und den Lichtschranken?«

»Nichts, Sir. Warum fragen Sie? Haben Sie eine Veränderung der Anzeigen erkannt, Sir?«

»Nein, zum Teufel, deshalb frage ich dich ja!«, schrie Anwer aufgebracht.

 

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