Leseprobe – Der Allround-Service


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1.

»Barockgärten!«, sagte er leise. »Jetzt weiß ich es endlich.«
Das Mädchen auf dem Barhocker drehte sich, als sie seine dunkle Stimme hörte, betont langsam um. Ihr hellgrünes Haar war spiralig um ihren Hinterkopf frisiert. Sie sah ihn aus grauen Augen unter langen Wimpern ruhig an.
»Ist Ihnen das in der letzten halben Stunde eingefallen?«, fragte sie mit leichter Ironie.
Er nickte. »Ich habe lange gebraucht, aber der grüne Schnörkel über Ihrem Nacken hat mich darauf gebracht. Barockgärten. Das ist es«, sagte er und deutete auf den leeren Hocker neben ihr. »Darf ich mich neben Sie setzen?«
Sie lächelte vorsichtig. »Was ist mit diesen verdammten Barockgärten los?«, fragte sie dann. Sie hatte eine dunkle, sehr beherrschte Stimme.
Asger setzte sich, hob den Arm und wartete, bis der Mann hinter der Bar auf ihn aufmerksam wurde. Dann sagte er halblaut: »Wir haben diese Gärten noch, in Europa, auf der Erde. Und man hat einen von ihnen nachgestaltet, weitaus prächtiger, aber in einer etwas barbarisierenden Art. Auf Omikron Zodiak. Sie sind genau der Typ, mit dem man in einem solchen Garten spazieren gehen möchte.«
Der Barmann stellte den Sekt, abgefüllt in einen Silberbecher, vor Asger hin.
»Soll das ein Kompliment sein?«, fragte sie.
»Ja. Ein beachtliches. Omikron Zodiak kann ich Ihnen nicht mehr bieten, aber Sie bleiben sicher eine Zeit lang auf der Erde?«
Sie zwinkerte zustimmend, als er den Silberkelch hob. »Vermutlich. Das hängt davon ab, wie lange Ihr Doppelgänger aufgehalten wird. Er hat bei Kartograph-Center zu tun.«
Asger steckte den Schlag mit unbewegtem Gesicht ein; es war indes riskant, nur zwanzig Lichtjahre von Dagny Tamayo entfernt eine neue Bekanntschaft zu machen, und überdies konnte nicht einmal er erwarten, das Glück seines Lebens in der Bar eines Sternenschiffes kennenzulernen. Was hatte sie gesagt? Doppelgänger. Er beschloss, hier einzuhaken.
»Sie sprachen von einem Doppelgänger. Wenn dieser Herr so viel Format hat wie ich, und das sollte er als Doppelgänger haben, dann wird er nicht versäumen, Ihnen einen Barockgarten zu zeigen. Wo ein solcher Garten zu finden ist, können Sie von mir erfahren. Ich liebe Barockgärten. Sie sind so schön manipuliert.«
Sie betrachtete einen Kondenswassertropfen, der an seinem Sektkelch herunterlief und in dem synthetischen Samt der Theke versickerte.
»Wie erstaunlich«, sagte sie leise. »Je weniger Zähne ein Mann hat, desto bissiger wird er.«
Asger lachte. Er griff in das versteckte Fach seiner Anzugjacke und legte eine Visitenkarte auf den Samt. »Mein Doppelgänger soll mich anrufen, wenn er einen Garten sucht«, sagte er ruhig. Er war gespannt auf diesen Mann. Das Mädchen neben ihm nahm die Karte auf und las; die haarfeine Lumineszenzschicht auf den Buchstaben prägte einen Gedächtniseindruck, der acht Jahre anhalten würde.
Asger Riveyra * Thirard Reenal
Allround-Service.
Darunter die Adresse; eine Insel in der Karibischen See.
»Soll ich mir darunter etwas vorstellen können?«, fragte das Mädchen. »Und außerdem … sind Sie Riveyra oder Reenal?«
»Ersterer«, sagte Asger. »Allround-Service ist eine kleine, leistungsfähige und sehr teure Agentur. Wir machen alles, gegen Bezahlung. Fast alles, Mord ausgeschlossen. Unser Slogan ist: Sie denken ‒ wir handeln.«
Das Mädchen lachte jetzt und drehte suchend den Kopf, dann hob sie leicht den Arm und winkte. Asger Riveyra erstarrte, als er den Mann sah, der durch die Bar auf ihn zukam: er war ihm wirklich so sehr ähnlich, dass man von mehr als einem Zufall sprechen musste. Etwa dreiunddreißig Jahre alt, wie Asger, ebenfalls nicht über fünfundachtzig Kilogramm schwer und größer als einen Meter neunzig. Kurzes, an den Schläfen heruntergezogenes Haar, das von wenigen silbernen Fäden durchzogen war. Der Mann stutzte, als ihn der Blick Asgers traf, dann ging er langsam weiter. Er blieb zwischen Asger und dem Mädchen stehen, beugte sich langsam herunter und küsste das Mädchen auf die Wange.
Sie sagte: »Erstaunlich ‒ hier sitzt dein Doppelgänger, Heward Yaghan!«
Asger streckte die Hand aus. »Riveyra«, sagte er leise. »Asger Riveyra. Ich stimme Ihrer Begleiterin zu: Die Ähnlichkeit ist wirklich frappierend. Wir werden doch hoffentlich nicht miteinander verwandt sein?«
»Kaum«, sagte Yaghan. »Ist es ein Zufall?«
Er blickte Asger mit unverhohlenem Misstrauen an. Asger registrierte, dass der Mann sich zu fürchten schien. Nicht vor ihm, sondern vor einer Sache, die nicht greifbar war. Er wirkte wie jemand, der unbewusst Angst vor einem Attentat hatte.
Asger zuckte mit den Mundwinkeln und sagte brutal: »Wenn Sie glauben sollten, ich habe mich an Ihre Begleiterin herangemacht, um Sie niederzuschlagen und Ihre wertvollen Dokumente zu stehlen, dann irren Sie ziemlich; Ihre Begleiterin hat meine Karte. Kidnapping oder Mord sind Dinge, die unser Service nicht einschließt. Das wollte ich in aller Freundschaft und zur Klärung der Sachlage gesagt haben. Übrigens: Lieben Sie Barockgärten?«
Heward Yaghan grinste leicht, nahm dem Mädchen die Karte aus der Hand und betrachtete sie sorgfältig. Er bemerkte die Sendeintervalle der Lumineszenzschicht und brummte: »Eine Agentur erkennt man daran, wie sie für sich selbst wirkt. Haben Sie diesen Gedächtnistrick nötig?«
Asger nickte kurz und sagte: »Wir müssen von dem Geld, das wir unter Lebensgefahr einnehmen, eine teure Sekretärin bezahlen und ein teures Büro. Brauchen Sie etwas von AS?«
»Sie könnten mir verraten, was Sie in diesem Prunkbecher haben.«
»Sekt«, erwiderte Asger. »Simpler Sekt. Sündteuer, aber kalt. Sternenschiffpreise.«
Yaghan setzte sich neben das Mädchen und bestellte das Gleiche wie Asger. Die beiden Männer unterhielten sich leise am Gesicht des Mädchens vorbei, und Asger hatte Gelegenheit, das Profil ausgiebig zu studieren. Sie war ein Typ für Barockgärten, aber auch bei ihr spürte er, dass sie sich vor etwas fürchtete. Da er und seine beiden Partner von den Problemen anderer Menschen lebten ‒ ziemlich gut lebten ‒, sah er jetzt, auf dem Rückflug von einem zur vollen Zufriedenheit erledigten Auftrag, eine Gelegenheit.
»Barock hin oder her«, sagte er nach einer Weile, »ich stelle fest, dass Sie beide schwere Probleme haben. Ob die Tatsache, dass Sie Ihren Namen nicht genannt haben, Mädchen, damit zusammenhängt?«
»Constanze Arrigo«, sagte sie.
Ein langer, nachdenklicher Blick traf Asger. Dasselbe Maß an Unsicherheit hatte er bemerkt, als er Yaghans wertvolle Dokumente angesprochen hatte. Konnte es so sein: Ein Mann in Begleitung seiner Freundin, die natürlich eine Agentin sein konnte, reiste vom Raumhafen Sigma Andoyer zur Erde, im Gepäck oder im Schiffssafe wertvolle Dokumente. Yaghan war jung und schien, seiner präzisen Ausdrucksweise nach zu urteilen, Akademiker zu sein. Ingenieur? Wenn ja, dann schleppte er die Pläne einer wichtigen Erfindung mit sich. An diesem Punkt seiner Überlegungen wurde Asger unterbrochen.
Yaghan fragte mit leiser, aber sehr eindringlicher Stimme: »Sie sind diskret, Riveyra?«
Sofort gab Asger zur Antwort: »Wäre ich nicht diskret, säße ich nicht lebend hier. Allround-Service lebt und stirbt mit der Diskretion. Sie haben Angst, nicht wahr?«
Yaghan nickte langsam, schwieg aber.
»Ja«, sagte er dann.
Asger hielt nicht viel von zeitraubenden Umwegen und fragte direkt: »Der schwache Punkt bei Ihrer Reise ist der Moment, wenn Sie Ihre Dokumente aus dem Schiffssafe holen, aussteigen und quer durch die Stadt zu Kartograph-Center fahren. Ist diese Erfindung sehr wichtig?«
Asger sah mit einer gewissen Genugtuung, wie der silberne Sektkelch, den Yaghan in den Fingern hielt, unkontrolliert zu zittern begann. Der Mann von der Agentur sah weiter, gegen das Licht eines verdeckten Beleuchtungskörpers, dass der winzige Sprühregen des kohlensäurehaltigen Getränks stärker wurde. Yaghan war blass geworden, stellte den Kelch ab und zündete sich mit fahrigen Bewegungen eine Zigarette an. Dann wandte er Asger das Gesicht zu und fragte flüsternd: »Woher wissen Sie das alles?«
Asger blickte an den winzigen Schweißperlen auf der Oberlippe des Mädchens vorbei und in die grauen Augen seines Doppelgängers.
»Hören Sie, Yaghan, wir von Allround-Service sind keine Idioten. Wir leben davon, dass wir Einzelheiten kombinieren und versuchen, sie in Schemata einzugliedern, die seit Jahrtausenden gültig sind. Ist es so, wie ich sagte?«
»Ja. So ist es.«
»Constanze ist eine Agentin, oder nur die Freundin?«
Constanze fuhr herum und sagte scharf: »Nur die Freundin, Mister Riveyra. Nicht mehr.«
»Lassen Sie nur«, erwiderte Asger. »Das ist doch auch etwas Schönes, nicht wahr? Manche Männer haben es lieber, wenn die Mädchen mit dem Konservendosenöffner besser hantieren können als mit dem Nadelwerfer. Bleiben Sie so.« Er sah auf die Uhr. »Bekomme ich einen offiziellen Auftrag?«, fragte er ruhig. Noch zwanzig Stunden dauerte es, bis das Schiff, aus dem Hyperraum kommend, abgebremst hatte und in New York Spaceport niederging.
»Mein letztes Geld steckt in den Karten für die Passage«, erklärte Heward Yaghan. »Ich kann …«
»Schon gut«, sagte Asger und winkte ab. »Taugt das Zeug in Ihren Plänen etwas?«
Yaghan drehte die Visitenkarte um und schrieb einige Worte darauf. Dann schob er Asger die Karte verdeckt zu, und der Mann von der Agentur hielt die Hand darüber, und als er las, vergewisserte er sich, dass ihm niemand über die Schulter sehen konnte. Ferroxyd wird in großem Rahmen mit wenig Energie in Luftsauerstoff verwandelt. Wichtig für ca. 300 Planeten.
Asger schob den Daumennagel in den feinen Schlitz zwischen den dünnen, aufeinandergelegten Kunststoffblättchen, riss die Visitenkarte auseinander und legte beide Hälften mit den Druckbuchstaben gegeneinander. Dann warf er die Karte in den Aschenbecher. Zwei Sekunden später hatte sie sich in weiße Asche verwandelt und fiel auseinander, als Yaghan seine Zigarette ausdrückte.
»Gut. Es kostet Sie genau zehntausend Quintar«, sagte Yaghan. »Nur dann, wenn Sie Erfolg haben. Dafür bringe ich Sie und die Papiere zu Kartograph-Center. Einverstanden?«
Constanze sagte zögernd: »Sie sind sehr teuer … und bis Heward gut verdient, kann es ein Jahr dauern.«
Ungerührt erwiderte Asger: »Ich werde Sie nach einem Jahr finden. Die Summe … Es ist ein Angebot. Sie können ablehnen oder annehmen.«
Das Mädchen öffnete die Lippen, um zu antworten, aber Yaghan kam ihr zuvor und sagte leise: »Gilt auch ein mündlicher Vertrag, Riveyra?«
Riveyra nickte leicht und erwiderte lächelnd: »Unter Gentlemen ist es üblich, ein Gentleman’s Agreement abzuschließen. Ich kann es Ihnen gern übersetzen.«
Dreißig Sekunden später sagte Heward Yaghan fast flüsternd: »Ich nehme Ihre Forderung an.«
Asger Riveyra schob die lange Manschette seines Hemdes zurück und blickte auf die große, rechteckige Digitaluhr, deren verschiedenfarbige, verschieden geformte Zahlen sich ständig änderten. Er drehte an einem Knopf, der ein goldenes Wappen trug, nahm ihn vom Ärmel der Jacke ab und gab ihn verdeckt dem anderen Mann.
»Sie gehen jetzt sofort, aber nur auf Korridoren und Treppen, auf denen viele Menschen sind, zum Zahlmeister. Dort lassen Sie sich die Dokumente aushändigen. Wie sind sie verpackt?«
»Eine dünne Ledermappe.«
»Wie groß?«
Yaghan zeigte es mit den Händen; etwa dreißig zu zwanzig Zentimetern. Mikrofilm oder Submikrofilm wäre besser gewesen.
»Sie stecken diese Mappe in Ihren Gürtel, hinten am Rücken. Dann kommen Sie sofort wieder hierher. Das Ganze dauert nicht länger als zwanzig Minuten. Halten Sie den Knopf zwischen den Fingern, immer! Wenn Sie ihn zusammendrücken, empfange ich ein Signal. Kümmern Sie sich auf keinen Fall um das, was ich tue … Es geht Sie nichts an. Und jetzt ‒ los!«
Yaghan, sichtlich nervös und etwas überfordert, weil dieses Vorgehen ihm fremd zu sein schien, stand auf und machte Anstalten, seinen Sekt zu bezahlen.
Asger deutete blitzschnell mit dem Daumen zum Eingang der Bank und sagte zum Barmann: »Was hier getrunken wurde plus zwanzig Prozent ‒ setzen Sie es bitte auf meine Rechnung.«
Der Mann dankte und zog sich wieder zurück.
»Welche Kabinennummer hat Ihr Freund?«, fragte Asger leise.
»Hundertdreißig.«
»Und Sie, Constanze?«
Sie blieb ernst und erwiderte: »Hundertdreißig.«
»Sollte etwas passieren«, sagte Asger. »Ich habe Kabine Nulldrei.« Dann drückte er kurz ihren Arm und ließ sich vom Sessel gleiten. Er kannte die Gänge, Korridore und Liftschächte der BETA CRUCIS sehr genau; heute flog er zum fünften Mal mit diesem Schiff, jedes Mal in der Luxuskabine. Er verließ die Bar, kam am Aussichtsraum vorbei, an der Bibliothek und der zweiten Bar, deren eine Wand aus durchsichtigem Stahl bestand und den Sternenthusiasten als teure Delikatesse diente. Ein deutliches Gefühl sagte ihm, dass ein Mordversuch in der Luft lag, denn dreihundert Planeten wogen für manchen Menschen wesentlich schwerer als ein Menschenleben. Yaghan hatte genau neunzehn Sekunden Vorsprung. Noch achtzehn Stunden bis zur Landung. Riveyra war schon zu lange in diesem Gewerbe tätig ‒ und vorher in einem Dutzend anderer, nicht viel weniger harten Berufen ‒, als dass er nicht wusste, dass Yaghan schon vom Start an ein toter Mann gewesen war, ohne es zu ahnen. Ein Ingenieur ist kein Allround-Service-Agent, dachte er und nahm eine breite Treppe mit langen Sätzen.
Jetzt sah er Yaghan vor der Tür des Zahlmeisterbüros; sah, wie er den Summer betätigte und eintrat. Die Tür schloss sich. Zehn Sekunden vergingen. Asger stand offen im Korridor und sah den Mädchen nach, die hin und her gingen, mit den Stewards und den Stewardessen sprachen. Eines machte ihn stutzig ‒ hier oben befand sich niemand, der ohne die Uniform der Ursa-Major-Company war. Er berührte schnell nacheinander die drei Knöpfe seines Abendanzugs, und die pseudomagnetische Haftung hob sich auf. Die Jacke war offen. Dreiundfünfzig Sekunden. Die Spannung hielt an. Nach ihm war niemand mehr auf das A-Deck des Sternenschiffes gekommen; er war mit ungefähr dreißig Personen allein, denn die Privatleute waren in den Refraktortaum eingelassen worden, um die Projektion der sich nähernden Erde oder anderer Planeten zu sehen.
Ruhig zündete sich Asger Riveyra eine Zigarette an.
Er stand direkt vor einer großen Wand, die mit einem transparenten Belag versehen war. Dahinter, in zwanzig kleinen Feldern, liefen unaufhörlich die Projektionen der Hauptanlegehäfen der Ursa-Major-Company ab. Zwei Minuten. In der gedanklichen Rekonstruktion Asgers musste jetzt Yaghan die Ledertasche hinter den Gürtel schieben und den erstaunten Blick des Zahlmeisters erdulden, ehe er zur Tür ging, den Knopf drückte, dankte und …
Yaghan kam zurück in den Gang.
Er bewegte sich wie ein Mensch mit offenkundig schlechtem Gewissen. Fast unauffällig langsam ging er in die Richtung, in der Asger stand. Er sah geradeaus, blieb kurz stehen, um nicht mit einem Mädchen zusammenzustoßen, das ein Tablett trug. Dann ging er weiter, der breiten Treppe zum B-Deck zu. Als er fünfzehn oder achtzehn Stufen abwärts gegangen war, öffnete sich zwei Meter von Asger entfernt, neben der Reklameprojektion, die Toilettentür. Ein Steward ohne Mütze kam heraus und schob einen Ring auf seinen Finger. Asger lächelte entschuldigend und ging auf den Mann zu.
»Verzeihen Sie«, sagte er. »Können Sie mir sagen, ob wir pünktlich landen? Sie können sich denken, dass meine Freundin und meine Mutter …«
Der Steward sah ihn amüsiert an und erwiderte: »Ich habe vor elf Minuten die Datenanzeige im Kontrollraum gesehen. Wir landen pünktlich!«
Er ging schnell neben Asger die Treppe hinunter, als habe er es eilig.
Asger hielt ihn am Ärmel fest. »Wissen Sie«, sagte er beunruhigt, »man hört heute so viel über die Raumpiraten, und meine Mutter hatte schon Angst, die BETA CRUCIS könnte überfallen werden. Und ich bin Ingenieur, müssen Sie wissen.«
»Ich kann Sie beruhigen, Mister …«, begann der Steward. Asger war seiner Sache ziemlich sicher, aber er bluffte trotzdem.
»Yaghan«, sagte er. »Heward Yaghan, Kabine hundertdreißig. Wissen Sie, ich habe nämlich ganz wichtige Unterlagen bei mir, und meine Mutter schrieb mir, ich solle vorsichtig sein … leider kann ich nicht schießen …«
Der Steward blieb stehen, sah Asger aus zusammengekniffenen Augen an und murmelte überrascht: »Das sind Sie …?«
Asger reagierte sehr schnell. Sein Arm fuhr hoch, und die brennende Zigarette schrammte über die Wange des Mannes. Ein Funkenregen blendete ihn, die Verbrennung war wie ein Stich. Gleichzeitig schlug Asger zu. Der Steward schrie leise auf, taumelte und brach zusammen. Asger raste die Treppe hinunter, ein paar Passagiere blieben stehen und sahen ihn mit aufgerissenen Augen und versteinerten Gesichtern an. Von links und rechts näherten sich zwei andere Männer dem Ingenieur. Asger streckte die Arme aus und hechtete nach vorn. Er riss einen der Männer um, sah einen Sekundenbruchteil lang das Gesicht seines Doppelgängers und hatte, noch während der Mann unter ihm in die Knie ging, die Waffe in der Hand. Er drehte sich blitzschnell um, balancierte sich aus und sah, dass der andere Angreifer unter die Achsel griff.
»Heward! Zurück!«
Heward Yaghan reagierte eine halbe Sekunde zu spät.
Mit einem Arm herumwirbelnd, um auf der Treppe das Gleichgewicht nicht zu verlieren, schoss Riveyra dem Angreifer eine Nadel in die Schulter. Der Schmerz bewirkte zweierlei: Der Unbekannte zuckte zusammen und drehte sich um hundertachtzig Grad, gleichzeitig drückte er auf den Auslöser seiner Waffe, die noch unter der Achsel steckte. Zwischen seinem Arm und den Rippen flammte eine breite Feuerbahn auf, fraß sich durch den Stoff und hüllte Yaghan sekundenlang ein. Hinter Riveyra schrie eine Frau auf. Als der Mann, den Riveyra umgerissen hatte, am Fuß der Treppe ankam, richtete er sich blitzschnell auf, und Asger feuerte.
Er traf genau in den Hals des Mannes, und das Lähmungsgift wirkte sofort.
Zusammengekrümmt und verkrampft lag der Schütze auf der Treppe, und seine Waffe sprühte noch immer Feuer. Inzwischen brannte seine Jacke, und ein Steward, der von oben heruntergerannt kam, riss einen Feuerlöscher aus der Wandhalterung. Die Menschen drängten sich eng an die Seitenwände.
Am Fuß der Treppe stand ein Mann, der alles mitangesehen hatte. Jetzt zuckte er mit den Schultern und drehte sich um, und Riveyra schoss ihm in den Rücken.
Dann steckte er die Waffe ein und lief die neun Stufen hinauf, bis er neben Heward Yaghan kniete. Er sah, dass der Mann noch lebte; Haar und Augenbrauen waren versengt, eine Wange verbrannt, und der Anzug aus synthetischen Fasern lag wie eine zweite, verschmorte Haut auf dem Körper. Riveyra öffnete sein Zigarettenetui und zerbrach die Zigarette mit dem dunklen Mundstück, setzte dieses Mundstück an die Halsschlagader des Ingenieurs und drückte zu. Eine mikroskopisch feine Sprengladung jagte einen Kubikzentimeter Betäubungsmittel in den Kreislauf Yaghans. Hinter sich hörte Riveyra jetzt eine laute, dunkle Stimme.
»Was ist hier los? Wer hat geschossen?«
Immer die gleichen Fragen, dachte Riveyra achselzuckend. Keine Spur davon, sich etwas Neues auszudenken. Er stand auf, drehte sich um und richtete die Waffe auf den Zweiten Offizier des Schiffes.
»Bringen Sie bitte diesen Mann hier sofort in das Schiffslazarett.«
Der Zweite musterte Asger, während sich dieser die Manschetten zurechtzupfte und das Zigarettenetui mit der Linken wieder einsteckte.
»Wer sind Sie, dass Sie mir Befehle geben können?«
Asger erwiderte kalt: »Das werde ich Ihnen in Anwesenheit des Kapitäns erklären. Diese vier Männer hier sperren Sie bitte ein, falls sie noch leben. Und beeilen Sie sich ‒ sonst stirbt dieser Ingenieur hier. Sie werden in diesem Fall eine Menge Ärger bekommen.«
Drei Stewards schleppten Yaghan fort, legten ihn auf eine Bahre und verschwanden damit in einem der kleinen Lifts, die nur der Mannschaft vorbehalten waren. Asger machte ein paar Sätze und blieb im Lift neben der Bahre stehen.
»Abwärts«, sagte er ungerührt. »Schiffslazarett!«
»Sieh mal«, knurrte einer der Männer giftig. »Wir haben einen neuen Kapitän. Haben Sie noch alle Ihre Zähne, Mister?«
Asger holte tief Luft und murmelte: »Schade ‒ Sie wollen es nicht anders. Hier. Vielleicht kann Sie das überzeugen.«
Er stand in der Ecke des Liftes und richtete die Mündung der Waffe abwechselnd auf die drei Männer. Der Lift hielt. Die Bahre wurde zehn Meter weit getragen, dann öffneten sich die weißen Türen des kleinen Schiffslazaretts. Aus einem zweiten Lift stürzten die beiden Ärzte, die weißen Mäntel noch offen. Sieben Männer, darunter ein Bewusstloser, verschwanden hinter den Türen, die automatisch zufuhren. Asger blieb fünf Meter neben der Bahre stehen, wechselte die Waffe in die linke Hand, zog aus seiner Brieftasche eine Fünfhundert-Quintar-Note mit dem Abbild des Planeten Erde auf der Vorderseite ‒ auf der Rückseite war Jupiter mit seinen zwölf Monden abgebildet ‒ und gab sie dem ältesten der drei Stewards, die die Bahre geschleppt hatten.
»Ich bitte Sie um Entschuldigung«, sagte er kalt und beobachtete, wie die Ärzte vorsichtig die Reste der verschmorten Kleidung zu entfernen begannen. »Aber es ist eine sehr fatale Sache. Bitte sorgen Sie dafür, dass der Kapitän und Miss Arrigo aus Kabine Hundertdreißig hierhergebracht werden. Vielleicht finden Sie Miss Arrigo auch in der Bar auf dem D-Deck. Und jetzt … Ich habe es sehr eilig!«
Er nahm die Waffe in die rechte Hand und wartete, bis die drei Männer den Raum verlassen hatten.
Einer der Ärzte sagte zu Asger: »Ich hoffe, Sie setzen Ihre Nadelwerferschau nicht gerade während unserer Tätigkeit fort, Mister!«
Asger grinste etwas und entgegnete gelassen: »Schade! Genau das hatte ich vor. Wenn Sie den Patienten, der dank meiner Umsicht bewusstlos ist und nichts spürt, auf den Bauch drehen, um das verbrannte Zeug abzulösen, werden Sie eine Ledertasche finden. Ich bitte nachdrücklich, sie mir aushändigen zu wollen.«
Zwei Minuten später, gerade als die Türen aufflogen und der Kapitän an der Spitze vor zwei bewaffneten Offizieren hereinstürmte, steckte Asger die Dokumente ein. Er atmete erleichtert auf und bezwang sich, keine Zigarette anzuzünden.
Der Kapitän rannte auf ihn zu und sagte leise, aber mit Schärfe: »Ihre Waffe, Ihre Ausweise ‒ und verlassen Sie sofort das Schiffslazarett!«
Asger sicherte die Waffe und gab sie dem Ersten Offizier, der ihn aus bernsteinfarbenen Augen nachdenklich und schweigend musterte. Dann nahm er seine Brieftasche heraus, zog an einem pseudomagnetischen Verschluss und hielt die schwarze, wie Leder wirkende Fläche dem Kapitän entgegen.
Das Leder verwandelte sich in ein helles Grau, und auf dem Grau erschienen Buchstaben und mehrere große, deutlich sichtbare Siegel. Langsam las der Kapitän den Text, seine Stirn legte sich in nachdenkliche Falten, und nachdem die Schrift wieder verblasst, die Farbe des Leders wieder erschienen war, sagte der große, wuchtige Mann: »Ich habe verstanden, Mister Riveyra. Die vier Männer, die diesen Mann auf der Treppe angegriffen haben, sind tot.«
Asger nickte. »Merkwürdig«, sagte er dann. »Ich habe nur ganz normale Gorgonadeln im Magazin.«
»Prendiss«, sagte der Kapitän, »geben Sie bitte Mister Riveyra die Waffe wieder zurück. Die Männer sind nicht an Ihren Nadeln gestorben, Riveyra, sondern an einem Herzgift, das zu wirken begann, als das Gorgo im Kreislauf war. Man hat die Männer präpariert.«
Asger nickte. »Fünfundsiebzig Planeten für ein Menschenleben; ein vernünftiger Kurs, nicht wahr, meine Herren? Dieser Mann hier hat etwas, das Leben für dreihundert Planeten bedeutet. Wo ist das Mädchen?«
Kapitän Huntington erwiderte leise: »Sie bestand darauf, in Ihrer Kabine zu warten, Mister Riveyra. Wie steht es, Rowaan?«
Einer der Mediziner hob den Kopf und erwiderte: »Er wird durchkommen. Die Verbrennungen sind ziemlich schwer, aber nicht tödlich. Für die Wange wird sich ein guter Schönheitschirurg finden lassen, aber zwei Drittel der Brust, die Innenseite des rechten und die Außenseite des linken Armes sind schwer mitgenommen. In einem halben Jahr, wenn eine sehr teure und aufwendige Behandlung vorgenommen wird, ist der Patient wieder voll bewegungsfähig.«
»Gehen wir«, sagte Asger zu Kapitän Huntington. »Gehen wir in meine Kabine. Sie haben doch noch eine Stunde Zeit?«
»Ja. Übernehmen Sie das Schiff bitte, Prendiss.«
Prendiss nickte, und die Männer verließen ruhig das Schiffslazarett. Sie nahmen einen Personallift und fuhren hinauf auf das Passagierdeck, in dem die Luxuskabinen lagen.

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