Leseprobe – Die Interstellaren Freihändler


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1. Kapitel

Fürst Pompeo Davyd ral Roborghs großes Fest

 

Pompeo Davyd, ein hochgewachsener, braunäugiger Mann von rund dreißig Jahren, besaß den kühnen Ausdruck des Steppenadlers von Kestrel; sein harter, zielender Blick und der schlanke Körper zeigten, dass der Mann ein leidlich guter Jäger sein musste, ein ausdauernder Sportler. Pompeo wirkte unruhig, wohl wegen seines festlichen Aufzugs, und er heftete den Adlerblick scheinbar gelassen auf das bunte Bild unter ihm. Er wirkte weder dekadent noch gelangweilt, sein beträchtlicher Reichtum schien ihn noch nicht verdorben zu haben. Das Stimmengewirr schwoll an und nahm ab, wurde aufgeregter, leiser und wieder lauter; aus Serien zusammengeschalteter Lautsprecher drang fröhliche Musik.

Pompeo Davyd ral Roborgh, Edler von Tupakanpoltho Kielletty – Herrscher über fünfzigtausend Quadratmeilen kargen Steppenbodens des Planeten Kestrel, des vierten Planeten der Sonne 16 im Sternbild Coma Berenices auf irdischen Sternkarten – hatte ein Fest ausgerichtet. In den Erinnerungen seiner Händler-Freunde fand sich nichts Vergleichbares.

Die riesige Halle des Schlosses Kielletty war mit uralten Fahnen, einem Meer von Blumen, grünen Girlanden und Zierbäumchen dekoriert worden. Inca Didiar, eine junge Schönheit mit klugen Augen und einer schimmernden Echsenhaut, flüsterte in Pompeos Ohr.

»Wann ist das Happening eingeplant worden, Liebling?«

Pompeo schüttelte leicht irritiert den Kopf.

»Erst später. Ich warte auf meine wichtigsten Gäste.«

Die schuppenhäutige Frau von Corsair II deutete mit der überlangen Zigarettenspitze auf die Menge, die zwischen den Mauern der Halle wogte.

»Sind noch immer nicht genug Gäste hier?«, fragte sie. Der Edle lächelte abwesend und zog sie spielerisch an einer Strähne des gekräuselten grünen Haares, das sie wie unendlich feine Farnlianen schmückte.

»Es gibt viele Arten Gäste, Inca. Ich warte auf neun Männer, die ich angeschrieben habe. Meine Freunde. Ich habe sie für heute Abend eingeladen. Nur für sie habe ich diesen Rahmen geschaffen. Neun gute Männer, aber ebenso unterschiedlich wie die Planeten, von denen sie gestartet sind.«

Inca nickte. »Ich verstehe, Pompeo«, sagte sie leise.

Er war sicher, dass es sich anders verhielt. Nur wenige Männer waren imstande, ein Fest mit der gleichen Menge Geldes derartig verschwenderisch und dennoch geheimnisvoll zu gestalten. Pompeo, ein Mann von altem Reichtum, war ihrer aller Lehrmeister. Viele Gäste zählten zu den Angehörigen seiner Firma, die seinen Reichtum sicherte.

Unter dem staubigen Gras der Ebenen Kestrels, die der Familie Tupakanpoltho Kielletty gehörten, floss Öl. Nicht etwa teures und banales Erdöl, sondern jene komplizierte Mischung von polyzyklischen Kohlenwasserstoffen und ätherischen Duftstoffen, Kestrels Fragrance, die den Planeten zu einem begehrten und in einigen Landesteilen reichen Planeten gemacht hatte.

Das buchstäblich einzigartige Öl dieser Welt – die Bakterien starben in jeder anderen Umgebung binnen 36 Stunden ab – roch betäubend und stellte den Grundstoff für eine ausgedehnte Industrie dar, die sich intensiv damit beschäftigte, unter Erzielung höchster Gewinnspannen Duftwässer, Cremes und Salben herzustellen.

Mit Kestrels wohlriechenden Erzeugnissen parfümierten sich ebenso die echsenhäutigen Bewohner der Planeten des Corsair-Systems, die pelzhäutigen Frauen und Männer des Planeten Vigilant und die Muskelmänner von Citabria aus einem Sonnensystem von Canis maior. Unter dem kalkbestaubten Gras der Ebenen um den Schlosspark Kielletty strömte der Reichtum Pompeo Davids durch kupferne Rohrleitungen und unbestechliche Uhren in die Tankräume zahlreicher Lastschiffe.

»Wann werden die Männer, angeblich deine besten Freunde, landen, Pompeo?«, fragte Inca träge und beobachtete einen der vielen livrierten Pagen, die mit schwerbeladenen Tabletts durch die Menge schritten und Getränke servierten.

»Ihre Schiffe müssten nacheinander eintreffen«, antwortete Pompeo und zuckte mit den Schultern. »Aber sie werden vermutlich nicht allzu pünktlich sein können; schließlich strömen sie aus allen Teilen der Galaxis hier zusammen.«

»Wirst du trotzdem Zeit haben, mit mir zu tanzen?«, fragte die Echsenhäutige und rieb die weichen, opalisierenden Schuppen ihrer Schulter an seinem muskulösen Arm.

»Vielleicht – vielleicht nicht«, gab Pompeo bewusst mehrdeutig zur Antwort und lehnte sich im gepolsterten Thronsessel zurück. Das Fest, so hatte er mit seiner unechten dramatischen Geste verkündigt, solle drei Tage dauern. Wer Pompeos Feste kannte, zweifelte nicht eine Sekunde daran. Es waren erst wenige Stunden vergangen, und das Fest schien noch lange keinem hektischen Höhepunkt entgegenzustreben.

Dreitausend Jahre nach dem Aufbruch des Homo sapiens in die Milchstraße war das Bild des entdeckten Kosmos unvergleichlich bunt und schön. Und sehr fremdartig – wie die Halle des Schlosses Kielletty. Sie war kreisrund und besaß zehn nischenartige Ausbuchtungen. Entlang sämtlicher Wände, vor dichten, kostbaren Vorhängen aus Glasfasergeweben, zogen sich Sitzbänke hin. Auf ihnen lagen unzählige rechteckige Kissen mit schmutzabweisenden Überzugsstoffen. Davor standen niedrige, schwere Holztische, in den Werkstätten Tupakanpolthos entstanden.

Batterien von Gläsern, leeren und gefüllten, standen auf jenen Tischen. Fürst Pompeo, der vorläufig letzte Spross der Familie, hatte dreihundert Personen geladen, und viel mehr waren gekommen. Die Halle wurde durch eine riesige Bartheke fast in zwei Teile geschnitten; rund zweihundert Quadratmeter maß jede Hälfte. Dicke Kerzen brannten neben den Gläsern und steckten in den schweren Kronleuchtern. Entlang der Wand zog sich ein einziges, dreihundertsechzig Grad umspannendes Gemälde, das die Sternbilder in rund vierhundert Lichtjahren Entfernung zeigte und die Vortrefflichsten ihrer Bewohner; die ältesten Darstellungen waren drei Jahrhunderte alt.

Pompeo blickte in leichter Unruhe auf seine Uhr: ein viereckiges Instrument, in dessen Mechanismus sich kleine Dreiecke bewegten und Sekunden, Minuten und Stunden zeigten. Der dreißigstündige Tag Kestrels befand sich in der neunzehnten Stunde; es begann zu dunkeln. Die Tieftrahler rings um das viereckige Landefeld wurden angeschaltet.

Die Kerzen waren in Wirklichkeit stählerne Patronen, aus denen in einem feinen Strahl Kestrel-Gas ausströmte und mit stetiger, hellroter Flamme brannte. Über allem schwebten die Klänge alter, irdischer Musik. Sie quoll an jedem Platz aus versteckten Lautsprechern.

»Der Saal birst förmlich vor Spannung, Pompeo.« Inca nippte an ihrem Glas. »Sie alle warten auf das Happening.«

Der Edle grinste jetzt wie ein Junge. »Sie sollen warten. Umso mehr wird sie das, was sie miterleben, in Erstaunen setzen.«

Unbeschwert tanzten die Paare. Fröhliches Gelächter erklang von den lockeren Gruppen an der Bar. Inmitten der Pracht unzähliger Kostüme, Kleider und Haartrachten schien sich erwartungsvolle Spannung auch im Saal auszubreiten. Niemand konnte sagen, was diesen Eindruck hervorrief – es war unbewusst. Die Kerzenflammen wiegten sich sacht, und ab und an winkte jemand zu Pompeo und seiner Schönheit hinauf. In willkürlicher Trägheit bewegte der Edle die Hand und lächelte dazu.

»Ist dieses Fest nicht eine ständige Herausforderung an dich, mein Fürst?«, fragte Inca scheinbar unbekümmert. Überrascht zog Pompeo eine Braue steil hoch.

»Aus welchem Grund?«, sagte er.

»Hier bewegen sich überaus grazil rund zweihundert heiratsfähige Töchter, humanoid oder faszinierend mutiert, von Kestrel und mindestens fünfzehn umliegenden Planeten«, erläuterte Inca mit blitzenden Augen. »Führt dich diese Überlegung nicht in Versuchung?«

»Keineswegs«, antwortete Pompeo artig, »solange du neben mir sitzest!«

»Schmeichler!« Eine zierliche Faust bohrte sich in seinen Rücken.

»Die Wahrheit, Kind, ist selten ohne gleißenden Rahmen.«

Selbstverständlich war Pompeo Junggeselle; sein Leben war zu reichhaltig für die ruhigen Geleise der Ehe.

Nein, dachte er. Noch nicht. Zuerst die Aufgabe, an der ich seit Jahren herumstudiere.

Die schönsten Töchter einiger Planetensysteme waren hinter ihm her wie die Schiffe der Raumgarde hinter einem rotbärtigen Piraten, aber er hatte sich bisher erfolgreich jeden Angriffs erwehren können.

»Hast du jetzt Lust zu einem Tanz, mein Fürst?« Inca schien inzwischen merklich ungeduldig. Pompeo schüttelte den Kopf.

»Horch!«, sagte er und deutete zur Decke des Saales. »Ein Schiff! Das erste von heute Nacht!«

Seine Gäste waren stets pünktlich gewesen. Die Tugend – sofern einer dieser neun Männer auch nur eine einzige seiner Eigenschaften als Tugend definierte – seiner Freunde bestand aus Pünktlichkeit, gesundem Erwerbsstreben und logischer Exaktheit im Denken und Schnelligkeit im Handeln, Das erste Sternenschiff heulte durch die kalte Lufthülle des Planeten. Die Geräusche der gegenfeuernden Triebwerke hallten über die Ebene.

Wer würde zuerst landen?

Inmitten staubiger Ebenen, mürber Gebirge und bewaldeter Hügel stand Schloss Kielletty in Roborgh-Woods. Pompeos Ahnen hatten in unermüdlicher Arbeit einen gewaltigen Park geschaffen; eine ausgedehnte Oase in der Landschaft. Ein Fluss durchströmte den Park in zahlreichen Mäandern und mit künstlich angelegten Nebenarmen und Aufstauungen. Im topographischen Mittelpunkt des Gartens lag der helle Würfel des Schlosses mit einem weißen, schlanken Minarett daneben: Tupakanpoltho-Kieletty.

Darüber schwangen sich die kalten Sterne des Ringes, der die Äußeren Welten bildete. Zwischen den Sonnen erschien ein winziger Lichtpunkt, stürzte unglaublich schnell heran, wurde größer und änderte seine Farbe. Ein fahler, langer Flammenstreifen huschte über den Nachthimmel, wurde vom Aufbrüllen der Retrotriebwerke überholt, zog einen Kreis und entpuppte sich schließlich als die Heckdüsenflamme einer mittelgroßen Yacht. Der Donner tobte durch den stillen Park. Es war eine der kühlen Mittherbstnächte des Planeten. Die schmalen Lippen des Edlen verzogen sich zu einem erwartungsvollen Lächeln; er wandte sich an die grünhaarige Inca.

»Warum lächelst du, Pompeo?« Sie zog die spitzen, hornigen Augenbrauen steil in die Stirn.

»Mein erster Gast …«, sagte er bedächtig. »Wer wird es sein?«

Das kreisende Dreieck wies genau auf die Ziffer, die eine bestimmte Stunde ausmachte. Es war die Fünf: Zwanzig Uhr.

»Der erste meiner neun Gäste könnte Blois sein«, murmelte Pompeo. »Warten und sehen wir.«

Conradth deBlois saß angeschnallt im Sitz des Kopiloten und sah zu, wie die AI, die Artifizielle Intelligenz im Körper eines silberglänzenden Androiden, eine klassische Punktlandung vorbereitete. Conradth klappte ein schweres, großformatiges Buch auf, entnahm mit einem faustgroßen Greifer einen Würfel aus einem der vielen Fächer und legte ihn, mit der hochglänzenden Kontaktfläche voraus, in das holografische Abspielgerät.

Auf dem Buch waren vier dreidimensional flimmernde Buchstaben eingeprägt. A.L.A.R. Conradth las:

 

Baron Achill Hylobatos jr., Prof. Yves-Alain Khalil-Mandjaossi & Capitána Sonaidia Sharçais: A.L.A.R. Atlas, Lexikon und Astronomischer Ratgeber zu allen bewohnten, bewohnbaren und unwirtlichen Welten sowie deren Muttergestirnen.

 

In der klassischen, terrageprägten Terminologie liegt das Sternbild Coma Berenices eingebettet in den galaktischen Bereich zwischen den Bildern Löwe, Bootes und Virgo. Es enthält zahlreiche kleine Sterne, von denen besonders die Sonnen XII bis XIV, XVI und XXI eine lockere Sternengruppe in ca. 265 Lichtjahren Entfernung vom Zentralen Blickpunkt Terra bilden. XII Coma ist ein Doppelstern mit zwei Komponenten, XXXV Coma ist dreifach.

XVI Coma, von den ersten Siedlern Clarity genannt, besitzt sieben Planeten, von denen nur die vierte Aphel-Welt, Kestrel, bewohnt ist und eingeschränkt terrageformt wurde. Auch diese Welt wurde von Sir Austin Haley Farthingale (Terra, 3936 bis 4028) während der sog. ›Mythologischen Expedition‹ A.D. 3985 entdeckt. Die Sippe der ral Roborgh nahm die Große Steppe in Besitz und nannte sie nach einer der Ehefrauen des Raumfahrers Kielletty. In winzigen Hohlräumen der planetaren Kruste, ausschließlich in der Großen Steppe, verwandeln einzigartige Bodenbakterien gewisse Kleinstlebewesen in eine ölähnliche, stark aromatische Substanz, die hitze- und kältefest ist und als Oil of Kestrel zu den teuersten Essenzen und Fragrancen der Galaxis zählt. Der gute, alte Reichtum derer von Roborgh wird als kolossal bezeichnet.

 

Conradth betrachtete das Bild des Planeten auf dem Vorausschirm und knurrte:

»Für mich sieht Kestrel aus wie eine Seite aus Miltons Verlorenem Paradies, umgesetzt in Steppe, Staub und Sanddünen.«

»Eine zutreffende Bemerkung, Sir«, antwortete die KI beflissen und leitete das nächste Bremsmanöver ein. Die Yacht, eine gedrungene kupferglänzende Lancer-Konstruktion, vibrierte nur kurz; sie trug den kryptischen Namen Blindes Mastodon. Bis kurz vor der Landung betrachtete Conradth die Bilder der Informationsblöcke, dann verwahrte er den Datenspeicher wieder im Standardwerk aller Raumfahrer aus dem Verlag DIE GALAXIS, Terra/Mars, (c) 3021, XIV. Auflage; jederzeit Ergänzungsinformationen.

Conradth löste den virtuellen Gurt, ging in seine Kabinenflucht und begann sich für die Landung und das Treffen mit seinen Freunden umzuziehen.

 

Der Triebwerkslärm wurde lauter und brach ab, nachdem sich das schlanke Schiff auf die hellerleuchtete Fläche des Raumhafens gesenkt hatte. Pompeo wartete vier Minuten lang, dann hob er den rechten Arm und deutete auf einen der Diener, die schweigend neben den mächtigen Bronzeflügeln des Tores warteten. Der Diener blickte ihn erstaunt an und verbeugte sich tief.

Ein langhallendes, kompliziertes Fanfarensignal ertönte; aus altterranischen Barockmusikstücken und etlichen archaischen Hornrufen anderer Planeten komponiert.

Lichtbahnen ergossen sich aus großen Tiefstrahlern und erhellten ein Viereck unmittelbar vor dem Portal. Die Torflügel schwangen langsam nach innen. Das Signal riss ab. Eine Gestalt erschien zwischen den Flügeln. Der Diener blickte auf ein Hologramm, das er in der Hand hielt, dann sprach er in sein Kragen-Mikrophon. Seine Bassstimme übertönte mühelos den Lärm des Festes. Hunderte Augenpaare richteten sich auf den Ankömmling.

»Sir Conradth deBlois. Freund des Edlen Pompeo. Sein Schiff kam vom vierten Planeten, dem Corsair der fünften Sonne Omega im stellaren Gebiet der Großen Bärin. Sehr willkommen, edler Gast, auf Kestrel und Schloss Tupakanpoltho!«

Alle Gäste starrten Conradth an. deBlois blieb scheinbar linkisch auf der Stelle stehen, während sich hinter ihm die Türflügel schlossen. Dann machte er einige Schritte vorwärts und blinzelte verwirrt. Er war von Kopf bis Fuß in dünnes, schwarzes Leder gehüllt, fast unvorstellbar kostbar in jener Zeit der allgegenwärtigen Kunststoffe. Die Erscheinung wurde durch einen imposanten Kahlkopf gekrönt, der im Licht schimmerte. Eine schwere Hornbrille verdeckte den Blick großer schwarzer Augen.

Hinter einem breiten Gurt aus eisenbeschlagenen Lederbuckeln steckte eine große Steinschleuder aus weißem Edelholz; nur wenige Menschen dieser Galaxis kannten deren vernichtende Wirkung. Pompeo wusste, dass im linken Stiefelschaft seines knapp vierzigjährigen Freundes ein extrem flacher Strahler mit einem Acht-Ecum-Magazin steckte – eine Beyssier-Automatikwaffe mit einer Mündungsenergie von achtzehntausend Kilopond.

Pompeo nahm den Arm seiner Freundin. Er schritt mit ihr feierlich die Stufen hinunter und näherte sich dem schwarzgekleideten Freund. Die Beiden durchquerten den Saal und bemerkten, dass Blois zögernd einen gefüllten Champagnerkelch aus der Hand eines Edelpagen entgegennahm.

»Conradth!«, rief Pompeo leise.

Blois fuhr herum.

»Pompeo!«, antwortete er grinsend, »du größenwahnsinniger Duodezfürst. Ich dachte, du lägest im Sterben; dem Inhalt deiner Einladung zufolge fürchtete ich das Schlimmste. Und nun dieser kapitalistische Trubel hier.«

Sie schüttelten einander lange und herzlich die Hände.

»Deine Dame, mein Freund?«, erkundigte sich Blois und verneigte sich steif, aber formvollendet. Pompeo Davyd ral Roborgh nickte zerstreut.

»Im Augenblick ja. Ich freue mich dass die Furie des Raumes dich freigegeben hat.«

Zögernd sagte Conradth mit kaum merklichem Lächeln: »Ein unproblematischer Flug. Ich bin weder verheiratet noch …«

Lauthallender Donner unterbrach sie. Das zweite Schiff lärmte im Landeanflug.

»Bin ich der erste Gast?«, fragte Conradth. Pompeo nickte ernst und sagte: »Der erste von euch neun, wie ich hoffe, Freunden. Das Fest wird drei Tage dauern, und deshalb ist nichts, was wir beabsichtigen, wirklich eilig.«

»Neunzig Stunden also«, sagte Blois. »Ich hoffe, niemand wird überfordert.«

Pompeo legte den Arm um Sir Conradths Schultern und zog ihn in eine der Nischen, wo ein gedeckter Tisch und eine wohl ausgestattete Bar auf ihn und seine Gäste warteten.

 

Drei Namen kannte jeder humanoide Bewohner dieser Milchstraße. Er kannte sie, weil sie drei Machtbegriffe verkörperten.

RONRICO … KOBENAH … AIKMON … Drei Machtblöcke, die innerhalb genau festgelegter und weit ausgedehnte Grenzen einen großen Teil der Milchstraße umfassten. Sie herrschten nicht, sondern verwalteten. Angesichts von Millionen bekannter Welten – etwa 5000 bewohnte Planeten, Monden, Planetoiden, Satelliten, Asteroiden und künstlich geschaffenen Stationen – war herrschen so gut wie unmöglich. Ungehinderter, schneller Austausch möglichst vieler Informationen hatte bisher jeden ernsthaften Konflikt beziehungsweise dessen Ausbruch verhindert.

Ronrico war der wichtigste Planet der Sterne des Zentrums – eines Bereichs von rund 20 000 Lichtjahren Durchmesser, über dem Mittelpunkt der Milchstraße gemessen.

Kobenah bildete die Verwaltungswelt der Äußeren Sonnen, deren Einzugsgebiet sich in Form eines Kreisringes um den inneren, linsenförmigen Bezirk schwang. Jener Kreisring, dessen Durchmesser etwa 10 000 Lichtjahre betrug, grenzte an der Innenfläche an das Reich des Zentrums, mit der Außenkante an die Liga der Randbezirke.

Aikmon war die Zentralwelt der Liga, in der sich sämtliche Sonnen des Randes und deren bewohnte Planeten scharten. Die Liga befand sich zwischen der Außengrenze der Äußeren Sonnen und dem sternenarmen Raum zwischen den Galaxien. Das war, grob geschildert, die politische Situation in der Milchstraße seit dem Jahr 4500.

Es gab unvorstellbar viele unerforschte Welten. Ihre Zahl nahm unendlich langsam ab, denn die Neugierde der Menschen konnte mit ihrer Anzahl nicht mehr mithalten. Zwar reiste man in schnellen Schiffen binnen kurzer Zeit von einem Rand der Milchstraße zum anderen, aber eine Galaxis von etlichen Milliarden Sonnen blieb zu unübersichtlich, zu verwirrend und letzten Endes auch astronomisch unerschlossen. Die Bestrebungen kleiner Planetennester, autark zu werden und sich aus dem Verwaltungsbereich der drei Planeten zu lösen, mehrten sich. Andere wieder versuchten, sich in bestehende Machtblöcke hineinzudrängen. Forscher und Wissenschaftler waren bisher nur auf die Spuren fremder Sternvölker gestoßen; nur gewiefte Fachleute vermochten noch die Neuentdeckungen unbewohnter Welten aufzuzählen. Der Katalog der virtuellen Aliens und das Bild dieser Jahrzehnte blieb exotisch und verwirrend.

Die gegenwärtige Ruhe in der Galaxis war segensreich; Die drei Planeten standen zufällig in einer Linie – zog man vom Mittelpunkt der Galaxis eine Gerade, so traf sie zuerst auf Ronrico, dann auf Kobenah, lief schließlich nur ein Lichtjahr seitlich von Aikmon vorbei und wies hinaus in den Leerraum – bekämpften sich ihre rund 5000 besiedelten Welten nicht. Sie handelten miteinander und untereinander, und sie teilten fast alle technischen Errungenschaften. Schließlich stammten sämtliche humanoiden Wesen von der gleichen Erde ab; einem kleinen, ehrwürdig-unwichtigen Planeten im Bereich der Äußeren Sonnen.

Kleine Scharmützel zwischen einzelnen Planeten oder Sonnensystemen waren nicht gerade selten, aber meist schon vorüber, wenn die schwergepanzerten, ultraschnellen Phantomschiffe der Raumgarde eintrafen. Die Garde war überpolitisch und wurde von den drei Mächten finanziert. Ronrico, Aikmon und Kobenah hatten sich vor einem Jahrzehnt auch darauf geeinigt, eine einzige Verrechnungseinheit zu schaffen: Das Ecum. Energiticum, oder Energicum.

Die Menschheit, über einen Teil der Galaxis verstreut, redete in einem Idiom mit wenigen Dialekten, teilten miteinander die Wissenschaft, Kunst und Kultur; dennoch gab es große Unterschiede zwischen vielen Dutzenden humanoider Planetarier, die sich, groß oder klein, gelb oder schwarz, ihrer neuen Umgebung angepasst hatten. Im Großen und Ganzen verliefen die Jahrhunderte aufregend, aber ohne Kämpfe, ohne Kriege. Pompeo beabsichtigte, die Ruhe der Selbstzufriedenheit bis zu einem bestimmten Punkt aufzubrechen.

Irgendwo zwischen den Sonnen-Machtblöcken rotierte eine große Welt von landschaftlich einzigartiger Schönheit: Lancer, der Universitätsplanet, Konstruktionswelt hervorragender Raumschiffe. Millionen junger Studenten kannten ihn, kamen Jahr um Jahr, studierten und lernten Raumschiffstechnologie, Kosmologie und eine Vielzahl anderer ›galaktischer‹ Fächer, verließen Lancer mit Diplomen in ihren Händen. Die Heimatplaneten jener Studenten lagen über einen großen Teil der Galaxis verstreut.

Vor mehr als fünf Jahren, Anno Domini 6053 also, war Pompeo dort neun Freundschaften eingegangen, die bis auf den heutigen Tag Bestand hatten. Damals hatten sie sich die Hände geschüttelt, die die Andrucksessel ihrer Schiffe aufgesucht und waren zu ihren Heimatwelten geflogen; jeder besaß die Adressen aller Freunde.

 

Conradth und Pompeo zählten zu dieser Gruppe; als sie den harten Lärm der Triebwerke des nächsten Schiffes hörten, wussten sie, dass Peet Malinowski auf dem Weg zum Schloss war und möglicherweise Wilyam Iove Siccines Yacht zur Landung ansetzte.

»Du hast offensichtlich wieder einmal einen Plan, Pompi«, sagte Conradth leise und lächelte eine junge Frau an, die vor der Nische zu warten schien. »Ein Vorhaben, zu dem du einige von uns brauchst? Lass hören.«

Pompeo nickte selbstzufrieden, bedeutete aber Conradth trotzdem, zu warten. »Nicht nur einige«, sagte er dann entschlossen. »Alle!«

Conradth zuckte zusammen. »Alle zehn Lancer-Männer?«

»Richtig. Ich will nichts anderes als mit euch zusammen die Milchstraße in schnellere Rotation versetzen!«

»Eine Kleinigkeit für zehn Lancer-Studenten.« Conradths Lächeln war unübersehbar halb sarkastisch, halb ungläubig. »Etwas Geringeres genügt Euch nicht, mein Fürst?«

»Ich bin nicht für Halbheiten.«

»Verständlich. Habe nichts anderes erwartet.« Blois begann seine Brillengläser zu putzen; dass er dieses archaische Instrument trug, schien bestenfalls sentimentale Gründe zu haben. Ringsherum tobte das Fest; vor einer Nische öffnete sich ein schwerer Vorhang und enthüllte in düsterem Licht ein Konstrukt aus tausend kleinen Schrottfetzen, in dessen Mitte ein Rotationsmotor arbeitete. Daneben stand ein Maag von GNI’Buarts II. Gleichzeitig hallten die Fanfaren und erstickten jede Konversation; wieder schwangen die Torflügel auf. Der Bass dröhnte:

»Peet Malinowski, Freund des Edlen Pompeo! Seine Heimat ist Victa im zweiten entdeckten System von Delta Pegasi. Willkommen, edler Gast.«

Peet schien nicht im Mindesten überrascht. Sein hallendes Lachen war ansteckend, während er auf Pompeo und Conradth zuging, die Männer stürmisch umarmte und nach einem Glas griff. Conradth lehnte sich zurück und versuchte, Veränderungen oder Altersspuren an der hünenhaften Gestalt des Freundes zu entdecken. Peets kupferfarbene Haut und sein schulterlanges Haar, das sich wie Fäden reinen Goldes über die spitzen Wolfsohren in den Nacken wellte, kontrastierten mit den rotglühenden, großen Augen. Peet strahlte Pompeo, Inca und Blois an; im wechselnden Licht wirkte er in der Kleidung aus selbstleuchtendem Gewebe wie ein brennender Riese, wie eine erstarrte Kupferflamme.

»Wohin geht der Flug, Fürst? Gestehe – du planst etwas Unvergessliches?«

»Noch kein Flug. Lange Beratungen hier – als meine Gäste.«

»Sind alle neun Freunde eingeladen?«

»Selbstverständlich. Ich denke, wir sind noch heute Nacht vollzählig.«

Peet nickte Conradth und Pompeo zu. »Ich habe viel zu tun gehabt und bin im letztmöglichen Augenblick gestartet. Hab meine Triebwerke fast überfordert; geflogen wie ein Irrer. Hierher, Schönste!«

Er griff nach einer Frau, die ihn seit einiger Zeit hingerissen beobachtete, zog sie an sich und nahm ein volles Glas. »Mein Arm ist stark genug für ein halbes Dutzend deiner schönen Gäste, Pompi!«

»Und dein Verstand?«, fragte Blois mit schräggelegtem Kopf.

»Erinnere dich an die Abschlussexamina!«

Peets Einwand ließ Conradth verstummen.

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