Leseprobe – Galaktische Odyssee


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AUS: Baron Achill Hylobatosjr., Prof. Yves-Alain Khalil-Mandjaossi und Capitána Sonaidia Sharçais: A.L.A.R. – Atlas, Lexikon und Astronomischer Ratgeber zu allen bewohnten, bewohnbaren und unwirtlichen Welten sowie deren Muttergestirnen. Verlag DIE GALAXIS, Terra/Mars © 3021, XV. Auflage; verschiedene Speicher-Versionen.

»Im Sternbild Cassiopeia liegt die Sonne Staghay-Tinger mit fünf Planeten: Dagion, Dargun, Drais, Dissa Bharai, Dram, von denen nur Sharijar/Dissa Bharai bewohnt ist. Sonne und Planetensystem wurden von Sir Austin Healey Farthingale (Terra, 2936-3028) während der sog. Zweiten Mythologischen Expedition, A.D. 3009-3018 entdeckt. Als Sir F., von den aus dem Weltraum deutlich sichtbaren Großruinen-Strukturen fasziniert, auf dem vierten Planeten landete und ihn nach seinem ältesten Sohn, einem Xenoarchäologen taufte, fand er hochzivilisierte humanoide Felinoiden vor, die ihre Welt Dissa Bharai und die Sonne Staghay nannten. Vor langer Zeit, so eine planetare Überlieferung, hätten die (inzwischen längst verschwundenen, auf Wanderschaft durch das Universum befindlichen) Sternengötter den Eingeborenen den th’marben Ssagis-Baum geschenkt und später die prächtigen Großbauten verlassen, nachdem sie in der Juwelenkammer des Großen Spitzkegels die Startformel für ein einzigartiges kosmisches Wesen errechnet und in die Tat umgesetzt hatten. Dissa Bharai, dessen siderischer Tag 21 h 52 m 46 s beträgt, entspricht herkömmlicher Terra-Norm. Drei Monde: Glaiva, Shigma und Esca …«

 

Eine Sagengestalt aus kollektiver Erinnerung der Dissa Bharai-Planetarier: »Der Große Sternenwal, das Lichstrahlenmonster, der Leviathan des Universums ist allemal schneller als der Gedanke, und er vermag alles. Er atmet Sonnenwinde, frisset Sternenstaub und verdauet Monde und Planetenwelten. Sein Auswurf gleichet glühenden Kometenschweyfen; er lieset die Gedanken aller Wesen in allen Sprachen und vermag alles in alles andere zu verwandeln, so wie es ihm gefallet.«

 

»… stoßen wir bei nahezu allen Sternenvölkern auf die Erwähnung solcher gottähnlicher Wesen, wobei diese jenen keinerlei universale Schöpfer-Bedeutung zumessen, sie also nicht vergöttlichen oder gar anbeten.«

A.L.A.R.

 

»Ein weißer kosmischer Elefant-Leviathan, eine rasende Sonne, wie ein Pfeil geformt, ein Wesen, wie es nur ein besessener Käpten Ahab des XXXI. Jahrhunderts zu jagen wagte, von schreckenerregender Allgegenwärtigkeit, ausgestattet mit unglaubwürdigen Kräften und völlig undurchschaubarem Verhalten, unberechenbar wie der Blitz …«

— J. Seydenblum, Orbis universii pictus

 

»Die wenigen Raumfahrer, die je mit den legendenhaften Râ-Seglern in ihren sonnenrahgesegelten Raumbooten zusammengetroffen waren, hatten sich von jenen, die (nach eigener Aussage!) so alt wie die Galaxis waren, Folgendes berichten lassen: Der kosmische Gigawal, der WalWal, oder die Formel seines Lebens sei aus einem Sternen-Edelstein entwickelt worden, der wie ein Großer Gedanke in den Himmel geragt habe und dessen Reste unter den Ruinen einer unbedeutenden Welt begraben sind.«

Starmagister Rekkeswynth Katatympalo,

Finale entrOpie aller KOsmOgOnien

 

»Die Existenz eines intelligent agierenden Superwesens, das aus unterschiedlichen Energiepartikeln besteht, einer Art Physeter catodon stellaris, ist trotz aller meist kryptischen Hinweise und scheinbarer Beobachtungen zwar vorstellbar, indes weder nachgewiesen noch real denkbar. Das Gleiche gilt für die Annahme von Sternengöttern, die in atemberaubenden Bauwerken derlei Wunderwesen konzipierten; in den meisten untersuchten Fällen stammen die heutigen Ruinen – so auch das Trümmerfeld auf Dissa Bharai – von Vorfahren der heutigen Planetarier. Auch die letzten Sichtungen der sog. Râ-Segler liegen, wenn sie denn je stattgefunden haben sollten, mehrere Jahrtausende zurück.«

Dr. Janey Sheliak & Sir Nadir Amûnray Marcander,

neues lexiKOn aller mythOlOgien der starchOnt-Welten

Mons-Bien-Mediengroup, VI. Auflage, Neu-Athen, Terra

 

01 – Prolog

MARS. 13. Oktober 3992. Starchont-General-Zeit. Die müde amberfarbene Sonne senkte sich durch zebroid mäandernde Wolken dem Horizont entgegen. Blutrote Schatten krochen die gigantischen Vulkanhänge des Olympus Mons aufwärts, Phobos kletterte funkenblitzend über den Atmosphäretürmen von Niacria Regionis in den purpurnen Himmel. Fern aus nachtschwarzen Gewitterwolken zuckten vielverzweigte dünne Blitze. Wieder raschelte ein kühler Windstoß in den Blättern der blühenden Oxygenkastanie des Habitats und kräuselte die Oberfläche des Pools.

Caia Nethe schwamm mit trägen Bewegungen, tauchte und zog sich am weißen Schaumstein des Beckenrandes hoch. Ihre fuchsrote Haarpracht lag dicht auf der seidigen Haut des Nackens und der Schultern; Wasser perlte aus den Brauen und der feurigen Stirnlocke, lief über den Hals und die Brüste. Ihr Lächeln zeigte schneeweiße Reihen dreieckiger Zähne.

»Noch zwei Tage und Nächte, Eure Machtvollkommenheit.« Schlanke Finger mit goldplattierten Krallen strichen selbstverliebt über ihre Brüste. »Nimm dir Zeit für mich, Khustar, bevor du wieder lange auf meinen Anruf warten musst.«

Khustar Siard senkte den Kopf und musterte die emphatischen Härchen an den Enden ihrer Fuchsohren. Bedächtig goss er grünen Sternennektar in die Gläser, füllte mit gestoßenem Eis auf und platzierte drei quallenähnliche Neshin hinein, die das orangefarbene Getränk durchstrudelten, würzten und sich gleichzeitig in malvenfarbenen Schlieren auflösten.

»Nur galaxisbedrohende Neuigkeiten finden heute ihren Weg zu uns, Schönste«, sagte er. Seine Stimme, ein abgrundtiefer Bass, unterstrich den machtvollen Eindruck des leonidenhaften Gesichts und der sandfarbenen Löwenmähne. »Jede einzelne Stunde gehört uns. Vorausgesetzt, du trocknest dich ab, bevor ich mich über dich werfe.«

Caia Nethe stieg aus dem Pool, der zusammen mit Rasenflächen, Haus, Energiestation und unterschiedlich großen Bäumen in die Struktur des Schwebehabitats eingeformt war. Sie bewegte gespielt und herausfordernd lasziv die Muskeln unter der milchbraunen Haut der langen Schenkel, drapierte ein Tuch mit einem nautischen Knoten um sich und griff nach dem Glas.

»Manchmal tust du, als wärst du der wichtigste Mann Starchonts, und dabei bist du bloß der treue alte grauhaarige Sicherheitschef, der seinen Sohn ausbildet.«

Sie setzte sich ihm gegenüber. Erste Sterne erschienen am Firmament. Phobos feuerte vielfarbige Laserstrahlen, Hinweise auf das Wetter der nächsten Tage, auf seinem rasenden Weg zum östlichen Horizont ab. Caias Zehenkrallen hinterließen auf dem feuchten Fell von Khustars Oberschenkel sechs nadeldünne Spuren.

»Starchont bezahlt auch unsere Getränke, und gegenwärtig warten im Dodekanat fünf oder sechs potenzielle Nachfolger auf meinen letzten großen Fehler. Nicht Bewerber oder Konkurrenten: Nachfolger. Ich versuche etwas anderes, Caia.«

Caia Nethe funkelte ihn über den Rand des Glases an und hauchte: »Ich weiß. Auch ich warte auf das Übermaß deiner spürbaren Leidenschaft, Khustar Siard. Aber keinesfalls endlos lange.«

Lautlos schloss sich, noch bevor der erste Regentropfen fiel, die Energieblase über dem Schwebehabitat, das jetzt die schwach beleuchtete Zone des waldgesäumten Arcadiakanals überflog. Fast unmerklich vibrierte die schaumsteinverkleidete Konstruktion im warmen Sauerstoff-Aufwärtsstrom unzähliger neu gepflanzter geklonter Ssagis-Ahorne. Khustar setzte das Glas ab, zog Caia an sich und begann, ihren Hals und die Schlüsselbeine zu streicheln. Sie schnurrte tief in der Kehle und fauchte; ihr Haar trocknete und ringelte sich knisternd auf.

»Terranorm, Marsschwerkraft oder Bugel-Zezere-Bedingungen?«

»Mir ist alles Recht«, flüsterte Caia und fuhr mit beiden Händen durch seine ergrauende Mähne. »Alles, was länger als eine halbe Stunde dauert.«

Er hob sie auf und trug sie in den kugelförmigen Schlafraum. In der Schwerkraft von Caia Nethes Heimatwelt rotierte langsam die prächtige Liege. Kerzen entfalteten ihr mildes Licht über der leblosen Landschaft des vierten solaren Planeten, Helligkeitsinseln entstanden um Caia und Khustar; ein milder Nebel adstringierender Pheromone durchzog die Sphäre, als Khustar die Frau auf das Laken bettete und leidenschaftlich berührte. Sie wand sich unter ihm und umklammerte ihn mit ihren langen, muskulösen Gliedmaßen. Finger und zurückgezogene Krallen schienen gleichzeitig überall auf der Haut zu sein. Die roten Haarbüschel ihrer Ohren zitterten, die rudimentäre Fellstruktur entlang der Wirbelsäule richtete mit fast unhörbarem Knistern die Härchen auf. Flüstern, Fauchen und Keuchen mischten sich in die Musik, die aus allen Richtungen auf Caia und Khustar einflutete.

»Es ist immer wieder das schiere Vergnügen«, sagte sie, ein Stunde später, leise und vergrub die Finger in seinem Brusthaar, »vom Nektar deiner Leidenschaftlichkeit zu nippen.«

Sie kicherte, als Khustar sich auf den Rücken drehte und die Arme im Nacken verschränkte. Er grinste. »Mir fehlt leider die meiste Zeit des Jahres dein Sarkasmus. Gewiss werde ich traurig sein, wenn du abfliegst.« Er holte frische Drinks und setzte sich neben sie. »Was mir indessen nicht fehlt, sind größere Probleme.«

Aus dem Arbeitsbereich blinkten aufgeregte Signale. Die Lautstärke der Musik nahm ab, eine Stimme sagte: »Dringender Kontaktwunsch an Starchont-Sicherheitschef Siard. Interstellarruf vom Hauptbüro der Societaet!«

Khustar zuckte mit den Schultern und knurrte: »Das ist der Beweis. Wir leben in unsicheren Zeiten, meine schöne Geliebte.«

Er schloss den Adhäsionssaum des bodenlangen Bademantels, schaltete den VidCom ein und wartete zwei Sekunden lang, bis sich das holografische Bild aufbaute. Mikrofone und Gruppen schwach glimmender Linsen richteten sich auf die metallgestickten Wappenfelder auf den Brusttaschen. Er meldete sich mit völlig veränderter Stimme. Noch ehe er die Gestalt seines Gegenübers sah, hörte er die Meldung und bemühte sich, die volle Tragweite der Nachricht zu verstehen.

»Das fünfte Schiff ist gestern verschwunden, Siard.«

Visalon Nas, Großreeder milchstraßenweiter Transporte, ein parahumanoider Kadasghmann mit unverkennbaren Echsenrudimenten, nickte Khustar grüßend zu. Die hornigen Lider schlossen sich langsam, als würde der drittreichste Angehörige der Dodekanats-Societaet zu weinen anfangen.

»Welches Schiff? Auf welcher Route?«

»Die Palladium Queen. Dreiunddreißig Mann Besatzung.« Visalon Nas strich über die Zacken des knöchernen Doppelkammes, der zwischen den Augen begann und sich über den grünschuppigen Schädel fortsetzte. »Zwischen der Erde und unseren Planeten im Carina-Sternenarm. Also, wenigstens im letzten Drittel, die gleiche Route wie die anderen Schiffe.«

Die Männer starrten einander in die Augen. Längere Erörterungen erübrigten sich; sie wussten, wie wenig Aussicht auf schnellen Ermittlungserfolg in diesem Stadium bestand. Kurz nach Jahresanfang war das erste Schiff als vermisst gemeldet worden.

»Ihr Schiff, Nas, wenn ich richtig unterrichtet bin?«

»Was den Verlust noch schmerzlicher macht. Und noch rätselhafter. Ich bilde mir ein, keine mächtigen geschäftlichen Feinde mehr zu haben; wenigstens niemanden, der Schiffe zu entführen in der Lage ist.«

Die Adern auf den Kehlsäcken pulsierten, als würde schwarze Tusche mit Hochdruck hindurchgepumpt. Khustar dachte an Caia Nethe und den zimtzerstäubten Limonengeruch ihres Körpers.

»Ich werde darüber nachdenken, was wir tun können, Sir«, sagte er. »Möglicherweise verlasse ich deswegen den Mars. Es mag sein, dass mir beim Durchmustern meiner Karteien ein Fachmann für einen Selbstmordeinsatz einfällt. Wir haben mehrere Optionen: Piraten – wir haben jede organisierte Gruppe in die Sonnen geschossen. Ein Sargasso im All? Möglich, aber schwer vorstellbar. Dieser Raumsektor ist gut erforscht. Persönliche Rache an Ihnen und Zorge Zagyra, dem die anderen Schiffe gehörten? Schon wahrscheinlicher. Lösegeldforderungen oder Erpressungsversuche gegen Starchont? Darauf läuft es, meiner vorläufigen Beurteilung nach, wohl hinaus.«

»Wir diskutieren das gleiche Schema abnehmender Unwahrscheinlichkeiten. Mein Sekretariat überspielt ihnen anschließend alle Informationen. Vielleicht ist die eine oder andere hilfreich. Auf Mars scheint es Nacht zu sein?«

»Ja, wenigstens in dem Gebiet, in dem ich vergeblich einzuschlafen versuchte, Sir.« Khustar nickte bedächtig. »Ich melde mich nach den ersten Analysen. Von Lösegeldforderungen weiß niemand in meiner Organisation, nicht einmal Ulyx Huéber! Danke, dass Sie mich angerufen haben.«

Die eingeblendeten Daten bewiesen, dass sich Visalon Nas’ Luxusyacht Tyrannosaura siebentausend Lichtjahre vom Sonnensystem entfernt aufhielt. Er hob die hornige, siebenfingrige Pranke; Khustar grüßte auf die gleiche Art zurück, dann trennte seine Administration die Verbindung.

Caia Nethe lag auf dem Bauch und polierte mit einem winzigen System rotierender Bürsten ihre platinfarbenen Fingerkrallen. Sie hob den Kopf und musterte ihn wachsam.

»Ärger, löwenmähniger Geliebter?« Sie schien nur mäßig daran interessiert. Er hob den Drink auf und setzte sich. Seine Fingerspitzen zeichneten die Fältchen zwischen glatter Haut und der dünnen, weichen Fellspur entlang des Rückgrats nach.

»Sehr großer, bedeutungsvoller Ärger«, brummte er. »Hunderteinundsiebzig Besatzungsmitglieder und fünf neue Schiffe mit wertvoller Ladung sind seit mehr als acht Monaten spurlos verschwunden. Zuletzt die Palladium Queen. Vielleicht interessiert es dich als Handelsattaché von Bugel Zezere.«

Sie strahlte ihn aus silbergrünen Augen unvermittelt an und vollführte eine mäßig obszöne Geste.

»Es wird mich inbrünstig interessieren, wenn ich in meinem Schiff sitze und mich mit meiner täglichen Arbeit beschäftige, Geliebter. Gegenwärtig habe ich anderes vor; Wichtigeres, wie ich weiß.«

Khustar lächelte und leerte das Glas.

»Ich ertrinke in deinem Lächeln, und der Dichter beneidet dich um die feine, blumenreiche Kunst, in der sich die Messerschneiden deiner zurückhaltenden Antworten listig verbergen.«

Sie streckte den Arm aus, legte die Finger an Khustars Hals und nestelte am Saum des Mantels. Leise sagte sie: »Was willst du? Liebesnächte oder Dichterlesungen zu schmeichelnden Gamespin-Klängen?«

Khustar breitete die Arme aus und wartete, bis Caia ihn, schweigend und konzentriert, die spitze, zuckende Zunge zwischen den Lippen, ausgezogen hatte. Er streckte sich neben ihr aus, und während er ihre Leidenschaft genoss, dachte er in langen, oft unterbrochenen Intervallen an verschwundene Raumschiffe, tote und zerfetzte Besatzungsmitglieder, namenlos-diffuse Gefahren und einen nicht begreifbaren Mahlstrom, der Schiffe verschlang: hochmoderne Einheiten, in denen die beste Technologie eines Dutzends kosmischer Intelligenzvölker vereinigt war.

Khustars Blicke wechselten von den quadratmetergroßen holografischen Monitoren zu der kreideweißen Leseplatte, auf der sich die Zeilen und Absätze, blockweise vergrößert, langsam zum oberen Rand bewegten. Das Habitat schwebte mit blinkenden Positionslichtern über den grasbewachsenen Hügeln von Cryse Planitia. Die Marsnacht war weit fortgeschritten; längst raste Phobos über den Antipoden dahin. Auf einem Holo-Bildschirm erschienen die Ergebnisse von Khustar Siards Suche nach einer Gruppe oder Institution oder einem Einzelnen, der die Kaperung der Schiffe zu klären helfen konnte. Eine reichlich vage Vorstellung kondensierte sich in einem staubigen Winkel von Khustars Erinnerungsvermögen. Um das Auffinden und Konkretisieren durch geistvolle Ablenkung zu erleichtern, las er einige Zeilen aus Jossel Seydenblums Klassiker:

 

Marginalien zum: A.L.A.R. RATGEBER ALLER BEWOHNTEN WELTEN; XIII. rev. reich illustr. Auflage, Societaets-Verlag, Shorapur, Sigma Vulpecula, 3989 nach der Zeitenwende.

»Es waren keine stahlharten und todesmutigen irdischen Raumfahrer, die rund ein Jahrtausend nach Columbus auf Angehörige anderer Sternenrassen stießen; es verhielt sich, dem Allgeist sei Glanz und Lob, ganz anders: Im Lauf eines Jahrhunderts trafen elf Rassen auf die Schiffe der interstellaren Gojim, die von der guten alten Erde gestartet waren. Nicht ein einziges Mal geriet die Erde in Versuchung anzugreifen, mit Schwert, Kreuz und, nebbich, geballter Finanzmacht zu kolonisieren, ressourcenreiche Welten zu plündern oder fremde Entitäten zu versklaven: Ironischerweise waren die neuen Freunde zahlreicher, besser bewaffnet, verfügten über kleine, seit Urzeiten konsolidierte Planetenreiche und hatten schlichtweg die pragmatischere, praktikablere Moral.

Mein Tate, barúch Rabbi Cohen Seydenblum, ein Pentateuch-Profi, sagte: »Ein einzelnes Auge muss auch schlafen«, und glücklicherweise blieben die Terraner mit all ihrer Chúzpe die Einäugigen unter zwölf beid- oder mehräugigen Weit-, Kurz- und Infrasichtigen.

Nun war es nicht so, dass die Erde in die sog. STARCHONT-SOCIETAET nichts einzubringen gehabt hätte: Terra exportierte mit reichem, umsatzbedingtem Zugewinn Champagner, Trüffel und exzellente Spirituosen, herrliche Lyrik, Musik und Belletristik, gewisse Erfindungen, Patente und, mit Behutsamkeit adaptiert, einige philosophische Thesen (wobei glücklicherweise die wohl mehr sarkastisch aufzufassende Denkschule der sog. Neostoa oder Noa[h?]stoa ein kurzes, auch entschuldbares Intervall für wenige Sybariten blieb!), sowie viele Koordinaten neu entdeckter, besiedelbarer Planeten innerhalb der Hälfte der Galaxis zwischen Perseus- und Carina-Arm. Seit 2600 sind Terra und sämtliche bewohnbaren Planeten des irdischen Sonnensystems sowie eine wachsende Handvoll so genannter Kolonien – deren Bedeutung trotz beeindruckend teurer Highest-Tech-Ausstattung nicht wesentlich über die Wichtigkeit frühkarthagischer Stapelplätze an mittelmeerischen Ufern hinausgewachsen ist – stimmberechtigte Mitglieder STARCHONTs und der SOCIETAET, der wirtschaftlich orientierten Subgemeinschaft des Dodekanats.

›Gibst dem Bär a Weib, werd er auch aufhören zu tanzen‹, sagte Tate Cohen Seydenblum. Recht hat er! Zum ersten Mal in der langen machtpolitischen Geschichte der Erde seit Hammurabi, Ganéw Ramses und The BIG Alexander tanzt Terra nicht nur mit, sondern verhält sich wie ein vernünftiger Teilhaber der Macht, des Reichtums und des kulturellen wie zivilisatorischen Austausches zwischen zwölf unterschiedlichen Gruppen von Lebewesen und deren – zugegeben: oft reichlich bizarren – Mutationen, Modifikationen und Anpassungsveränderungen.

Etwa 750 Planeten unterwerfen sich zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Auflage freiwillig der Jurisdiktion und Legislative der Starchont-Gemeinschaft. Sie teilen technische Normen, einen klar umrechenbaren Kalender, Währung, ein literaturfähiges Basis-Argot und den schnurrigen Umstand, dass die meisten Rassen, sofern mit ausreichender Leidenschaft geschlagen, miteinander biologisch meist folgenlose, aber häufige sexuelle Interaktionen vornehmen können; zwischen Homo sapiens und den Vulpeculiden des Bugel-Zezere-Planeten-Archipels, den Felidae von Kilkissa und den Nöck-Nixen-Wesen von Saundrach (und vice versa) werden sie gern wahrgenommen. Andere Konstellationen überraschend grotesk-barocker Art wurden tatsächlich ernsthaft versucht, führten jedoch bei fast allen Beteiligten zu begreiflicher, andernorts viel belächelter Missstimmigkeit. Ebenso wie die Schönheit, wie’s im Buch der Bücher heißt, im Auge des Betrachters liegt, gärt Xenoerotik wohl meist im unteren Rückenmark der Interessenten.«

 

Khustar Siard zuckte zusammen, als die letzten Namen der Durchmusterung auf dem Monitor neben den Bildern und Filmsequenzen blinkten. Kühle Hände legten sich ruhig auf seine Schultern. Caia Nethe flüsterte neben seinem Ohr: »Ich wusste es längst, Chef Khustar. Dein Pflichtbewusstsein und deine Loyalität stehen außer Zweifel. Bewundernswert.«

Er unterdrückte ein zaghaftes Gähnen und legte seine Pranken auf Caias Hände. Über die Schulter gewandt sagte er bedächtig, als zitiere er den Poeten: »Du schliefst; es schien, als träumtest du Glückliches. Meine Loyalität würdest du, entzöge ich sie dir, schmerzlich vermissen. Ich habe eine Weile gewartet und dich angesehen. Wahrscheinlich weißt du nicht, wie liebenswert du aussiehst, wenn du schläfst.«

»Schwerlich. Ausnahmsweise, wie? Wirklich? Passt gar nicht zu mir, wie?«

»Selbst ein alter grauhaariger Felide weiß, dass sich dein Tagwesen drastisch vom Nachtwesen unterscheidet, Schönste.« Er grinste und deutete mit einer weit ausgefahrenen Kralle auf den Monitor. »Die Societaet ist, glaube ich, einen kleinen Schritt weitergekommen. Die Schwierigkeiten scheinen immens. Und vielleicht irre ich mich auch.«

»Deine Stimme klingt müde, Machtvollkommenheit.«

Khustar speicherte die übermittelten Daten, ließ sie ausdrucken und schaltete einige Geräte ab. Im Marshimmel, diesig vom Sauerstoffnebel, wurde Deimos’ perlmuttfarbene Oberfläche zu einem Schemen. Widerschein von Sternenlicht modellierte die Flanken des Eisplanetoiden, der in die Täler des »Labyrinths der Nacht« abgesenkt worden war und die nächtliche Ruhe mit dem peitschenden Knistern des Schmelzvorganges erfüllte.

Langsam drehte Khustar den Sessel und zog Caia auf seine Knie. »Ich bin müde. Lass mich nur noch eine Anordnung durchgeben. Wir verdunkeln alles und schlafen bis Mittag, ja? Ich muss gestehen, dass deine Zuneigung mir wichtiger geworden ist, als dein sensationeller Körper, Caia. Entschuldige den pathetischen Ausrutscher.«

»Wenn du müde bist, redest du wie ein Lyrikstudent.«

»Wenn ich erschöpft bin, vergesse ich zu lügen.«

Khustar wählte eine Verbindung und stützte sich auf das Pult. Völlig ruhig, aber im Tonfall seiner gesamten Autorität, die Stimme brüchig vor Müdigkeit, sagte er: »Khustar Siard spricht. Vor knapp zwei Jahren verschwand ein hervorragender, unorthodox denkender und arbeitender Mann aus unserer Organisation. Ich entnehme den Unterlagen nicht, ob er tot ist oder freiwillig verschwand, oder ob er als ›schlafender Agent‹ irgendwo am heißen Strand liegt. Er hatte vier Decknamen. Sein wahrer Name ist Serval X. Ascander. Vierundvierzig Jahre Terranorm.« Er nahm Caias Hände und küsste die Fingerspitzen. »Serval Xerxes Ascander. Höchste Qualifikation; wohltuend karriereschädlicher Individualismus. Finden Sie ihn. Ich wiederhole: Finden Sie ihn binnen kürzester Zeit. Tun Sie mir den Gefallen, Ulyx.«

Seine Fingerkuppen fuhren über eine Reihe leuchtender Kontaktflächen. Sämtliche Geräte, Monitore und Schaltpulte wurden dunkel und stellten ihre Arbeit ein. Khustar hob Caia auf die Arme und trug sie zurück in den Schlafraum.

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