Leseprobe – Nick – Angriff der Strukturverdünner


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Kapitel 1: Leere Welten

 

Sie überflogen einen Planeten mit weit ausgedehnten Steppen, spärlichem Pflanzenwuchs und niederen Tieren. Von einem mattblauen Himmel warf das Zentralgestirn dieses fernen Systems, eine Zwillingssonne, pastellfarbene Strahlenbalken auf die urzeitliche Landschaft, in der die kleine, von steilen Felsformationen umgebene Stadt mit ihren komplexen technischen Anlagen wie ein Fremdkörper erschien. Ihr Name: Reeania.

»Gleich haben wir unser Ziel erreicht!« Nick Steels und Jane Lees Blicke trafen sich. Beide wussten um die Gefühle des anderen. Ihr Abstecher nach Reeania, wo sich eine Forschungsstation elitärer Vertreter der Ree befand, war ein letzter Versuch, dem Rätsel der verschwundenen Kolonie auf Midgard doch noch auf die Spur zu kommen.

»Dein Wunsch, diesen Ort aufzusuchen, ist eigentlich nicht schlecht …«, bemerkte Nick, der Kapitän der Delcano und Kommandant der ersten transkosmischen Expedition, »…, aber ich befürchte nach wie vor, dass wir hier genauso klug sein werden wie auf Midgard

Er wandte sich an den Funkoffizier. »Immer noch kein Kontakt, Sören?«

Der Schwede trommelte mit den Fingern der linken Hand nervös auf die Konsole seiner Funkanlage und schüttelte schließlich den Kopf. »Nein, Sir!«

»Was sagt die optische Erfassung?« Nick wandte sich Mario Gonzales zu, der mit starren, suchenden Blicken vor seinem Monitor hockte und nachdenklich sein schwarzgelocktes Haupt von der linken Seite auf die rechte schob. »Die Geräte melden ein Energiegitter, das kuppelförmig die Stadt umgibt. Innerhalb dieses Schutzwalls registrieren sie Bewegungen, aber die scheinen nicht von den Ree zu stammen.«

»Sondern …?« Jane Lee musterte ihn – ungeduldig auf Antwort lauernd – mit zusammengekniffenen Augenbrauen. Ihr Gesicht verriet äußerste Anspannung.

»Maschinen. Sie kreisen alle Winkel und Straßenläufe ab.« Er verwies auf seinen Monitor. »Sehen Sie, ich habe gerade so ein Ding in Großaufnahme!«

»Legen Sie den Ausschnitt auf den Zentralbildschirm, dann können wir es alle sehen!«, ordnete Nick an.

Augenblicke später bot sich den Augen der Besatzung auf allen Übertragungsschirmen der Delcano ein faszinierendes Segment reeanischer Technologie: Zwischen kuppel- und zylinderförmigen Gebäuden aus Glas und einem bläulich schimmernden, nicht identifizierbaren Material rotierten insektenförmige, sechs- bis achtgliedrige Metallgebilde über den Bildschirm, Greifarme tasteten kontrollierend verschiedenfarbige Kontaktmodule an den Wänden ab, Kehrroboter fegten mit Kreiselbürsten den Straßenbelag, während aus der Dachwölbung der Maschinen Wasserfontänen kaskadenartig und in allen Farben des Regenbogens die gereinigte Fläche besprühten. Kugelförmige Robots, gelb markiert und mit einem blauen Stern auf der Vorderplatte, bewegten sich offenbar ziellos durch die breiten Wege. Im Parkgelände schnitten und bewässerten Gärtner-Bots mit humanoider Gestalt üppig wuchernde, smaragdgrün und saphirrot leuchtende, exotisch anmutende Gewächse.

Das Treiben der Maschinen vermittelte ein Bild von Normalität – nur die Bewohner fehlten, für deren Dienst sie konstruiert waren.

»Irgendetwas stimmt hier nicht!«, konstatierte Nick. Seine Hände glitten über das Schaltbrett des Kommandostands, dann sprach er in die Bordsprechanlage: »An technische Leitzentrale und Transmitterraum. Schicken Sie einen Fernsehroboter hinunter. Die Stadt ist von einem Energiegitter umgeben. Deswegen geht es nur per Teleportation.« Nach einigen Sekunden Pause ergänzte er: »Professor Raskin, Sie hatten mir erzählt, dass im Vergnügungspark immer der größte Betrieb herrschte. Justieren Sie das Feld auf den entsprechenden Zielvektor. Wir wollen uns die Umgebung genauer ansehen!«

Raskins Antwort kam prompt. »Wird gemacht, Nick!«

Dann folgte noch eine letzte Anweisung für die technische Leitzentrale: »Iwanow, umgeben Sie den Fernsehroboter mit einem Energieschutzschirm und aktivieren Sie auch den Ortungsschutz. Sollte das Gerät als Fremdkörper identifiziert werden, könnte das Abwehrsystem schnell reagieren!«

»Wird gemacht, Sir!«

Fünf Minuten später übertrug die Drohne optische Impressionen aus dem Freizeitpark von Reeania. Sofort fiel allen auf: Wo sich die Bewohner der Stadt üblicherweise in Springbrunnen, Tretbecken, auf Wasserrodelbahnen, in Saunen oder Schwimmbecken tummelten, Solarstudios bevölkerten oder sich auf bequemen Liegen gähnend räkelten, herrschte bedrückende Leere. Das gesamte Areal war verlassen. Nirgends konnten die Terraner irgendein Lebewesen erblicken.

»Wie vom Erdboden verschluckt!«, murmelte Sören Tauber.

»Nicht ganz!«, wandte Jane Lee ein und zeigte mit ihrer Hand auf die Liegen. »Fällt Ihnen etwas auf?«

Jetzt sahen es auch die anderen. »Klar!«, entgegnete Tom, der die ganze Zeit hinter Nick stand und die übermittelten Bilder aufmerksam betrachtete. »Auf den Liegeflächen sind Handtücher und darunter auf den Fliesen befinden sich Badetaschen. Sonderbar!«

Mario Gonzales pflichtete ihm bei. »Mir kommt da ein ganz schrecklicher Verdacht …«

»Hier hat sich dasselbe abgespielt wie auf Midgard, wo die Leute auch von einem Augenblick zum andern verschwunden sind«, nahm Jane Lee ihm das Wort aus dem Mund.

»Mitten aus dem Leben herausgerissen!«, ergänzte Nick und heftete seinen Blick fast trotzig auf den Bildschirm, als wolle er mit seinen Gedanken den alten Zustand wiederherstellen. Seine Miene war starr. »Eine leere Welt, alle sind verschwunden – ohne Zeichen des Aufbruchs oder einer Vorbereitung. Es muss spontan, unvermittelt und ohne Vorwarnung geschehen sein.«

Er wandte sich an die technische Leitzentrale. »Steuern Sie den Roboter in andere Bezirke der Stadt!«

Wenig später wurde auf dem Zentralbildschirm ein riesiger Gebäudekomplex mit kuppelförmigem Aufbau sichtbar.

»Dieser Bereich ist mir sattsam bekannt«, meldete sich Professor Raskin über das Visiphon mit ernstem Gesicht. »Als ich von den Ree entführt wurde, bekam ich hier einen Raum zugewiesen, in dem ich an einer Teleportationsanlage arbeiten sollte, die die Ree in ihre ursprüngliche Heimat zurückbringen würde.«

»Dann schauen wir uns dieses Forschungszentrum einmal von innen an«, entschied Nick und gab eine entsprechende Weisung an die technische Leitzentrale weiter, aber als sich der Fernsehroboter dem Eingangsportal näherte, stellten sie zu ihrer Enttäuschung fest, dass der Zugang versperrt war.

Aus dem Bordlautsprecher vernahm man Sergej Iwanows Stimme: »Ich sehe nur zwei Möglichkeiten, um ins Innere zu kommen: Wir schicken eine Kampfdrohne hinterher, die für den Fernsehroboter einen Zugang freischießt, oder wir generieren ein neues Dimensionsfeld innerhalb der Anlage.«

Für Nick war die Sachlage eindeutig. »Lösung zwei«, entgegnete er, »wir wollen nichts zerstören und niemanden auf uns aufmerksam machen.«

»Habe mitgehört!«, bestätigte Raskin. »Das Feld wird umgehend justiert.«

Als der Fernsehroboter nur wenige Minuten später die Bilder aus dem Innern des Komplexes übermittelte, war allen klar: Es konnte auf Reeania keine Bewohner mehr geben, denn in dem Forschungszentrum herrschte in der Regel immer geschäftiges Treiben. Darauf deuteten auch die zahlreichen Rechner hin, die noch alle in Betrieb waren. Auf den Bildschirmen gewahrten die Terraner verschiedene mehrfarbige Grafiken, unterschiedliche Diagramme und Schriftbilder, die an chemische oder physikalische Formeln erinnerten.

»Seltsam«, sinnierte Tom, »als ob sie alle aus ihrer Arbeit gerissen wurden.«

Und während die Crew in der Zentrale ratlos vor den übermittelten Aufnahmen stand, meldete sich wieder Professor Raskin. »Der Fall ist für mich eindeutig. Hier muss dasselbe passiert sein wie auf Midgard, aber um sicherzugehen, will ich den Rekapitulator zum Einsatz bringen. Ich teleportiere in die große Halle und werde ihn dort aktivieren. Zwei S-Leute sollen mich zu meinem Schutz begleiten, denn um das Gerät zu bedienen, kann ich nicht den Körperschutzschirm einschalten und auch nicht auf meine Umgebung achten.« Er unterbrach sich für einen kurzen Augenblick, bevor er, Unheil ahnend, hinzufügte: »Man weiß ja nie genau, was hier alles so passieren kann.«

»In Ordnung!«, gab Nick zurück. »Ich komme auch mit!«

*

Sie standen in einem Maschinensaal, der mit seinen dicht gedrängten Monitoren, Konsolen, Schaltvorrichtungen mit zahlreichen Kontrolllämpchen und Tastenfeldern für das menschliche Empfinden völlig überfüllt wirkte. Riesige Bildschirme übermittelten durch Außenkameras beeindruckende Aufnahmen von der urzeitlichen Landschaft des Planeten und seines Zentralgestirns. Raskin hatte den Ereignisspürer aufgestellt, die gewünschten Zeitintervalle programmiert und den Suchlauf gestartet. Gleich würde der Monitor Ereignisspuren aus dem Hyperraum für das menschliche Auge sichtbar machen. Nick und die beiden S-Männer blickten zusammen mit dem Professor wie gebannt auf die Bildschirmoberfläche.

Aber in diesem Augenblick geschah es: Metallene Greifschläuche packten auf einmal die Männer von hinten und zogen sie vom Rekapitulator fort. Nur ein Augenblick Unaufmerksamkeit wurde ihnen zum Verhängnis. Die Maschinen hatten schnell und erbarmungslos zugegriffen.

»Sie haben sich in einem gesperrten Bezirk aufgehalten!«, schnarrte eine der Maschinen. Nick und Raskin verstanden die Sprache des Roboters. Bei ihrem früheren Aufenthalt auf Reeania wurde sie ihnen per Hypnoschulung internalisiert.

»Wir sind Freunde von Tabb, dem Anführer, und auf der Suche nach ihm!« Nick reagierte geistesgegenwärtig.

»Identifikation läuft!« Nur diese eine Antwort kam aus einem unsichtbaren Lautsprecher.

Sekunden später gab einer der Wachrobots den Professor aus seiner Umklammerung frei. »Abtastung der genetischen Struktur beendet. Sie sind der Terraner Raskin, der mit besonderem Auftrag hier arbeiten darf. Ihre Begleiter sind nicht identifiziert.«

»Sie sind meine Assistenten. Ihre Identifikation steht noch bevor.«

Einige Augenblicke verharrten die Roboter tatenlos, dann surrte wieder die mechanische Stimme und verkündete gnadenlos: »Überprüfung abgeschlossen. Im Zentralspeicher gibt es keinen Vermerk über neue Mitarbeiter. Sie werden in die Verwahrzelle gesperrt, bis der oberste Ree über sie entschieden hat.«

»Nein!«, rief Nick verzweifelt. »Es ist kein Ree mehr hier. Ganz Reeania ist verlassen!«

Seine Worte verhallten ungehört.

»Ab!«

Raskin reagierte sofort. »Holt uns hier raus!«, rief er über sein Havi.

Augenblicke später erschienen drei S-Leute, die ihre Waffen auf die Wachrobots richteten. Traktorstrahlen erfassten Mensch und Maschine und zogen sie in Richtung Dimensionsfeld, Schüsse blitzten aus den Stahlgehäusen der Maschinen, reflektierten an den Schutzschirmen und warfen grell aufleuchtende Lichtbündel in das Halbdunkel der großen Halle. Nick und die gefangenen S-Leute wanden sich in den Greifarmen. Da zerbarsten die Roboter unter den gezielten Schüssen der elektronisch programmierten Waffen und gaben die Umklammerten wieder frei. Raskin schnappte sich den Rekapitulator und stürmte auf das Dimensionsfeld zu. In diesem Augenblick erschienen neue Wächter, aber bevor sie zum Einsatz kamen, hatten Nick und die S-Leute Schutzschirme und Deflektoren aktiviert. Die Strahlschüsse der Roboter blieben wirkungslos. Unter dem Feuerschutz der S-Leute verschwand Raskin im Dimensionsfeld, Nick und die anderen folgten, das Flimmern erlosch.

»Danke!«, keuchte der Professor und schnappte erleichtert nach Luft. Es war Rettung im letzten Augenblick.

Nicks strafende Blicke trafen die Begleiter. »Meine Herren, das war keine Meisterleistung von Ihnen, Sie sollten auf Gefahren achten, nicht auf den Rekapitulator!«

Betretenes Schweigen.

Nick hakte nach: »Haben Sie etwas zu Ihrer Entschuldigung zu sagen, Thorpes und Güljan?«

Der Türke ergriff als Erster das Wort. »Es war unsere Schuld. Die Neugierde war größer als unsere Aufmerksamkeit.«

»Uns tut der Vorfall leid«, ergänzte Benjamin Thorpes, »und wir bitten um Entschuldigung für unsere Nachlässigkeit.«

Ein Nicken des Kommandanten signalisierte, dass er die Entschuldigung angenommen hatte. »Neugierde hat schon manches Unglück hervorgerufen, aber ohne Neugierde würden wir vielleicht noch in Höhlen leben und uns gegenseitig die Flöhe vom Pelz jagen.« Mit versöhnlichen Worten ergänzte er: »Wir alle machen Fehler. Vielleicht hätte auch ich besser aufpassen sollen. Wichtig ist, dass wir daraus lernen, und Sie werden ausreichend Gelegenheit bekommen, den Patzer wiedergutzumachen.«

Die S-Leute atmeten erleichtert durch. »Danke, Sir!«, Thorpes Stimme klang wieder fest und zackig, »Sie können sich auf uns verlassen. Bei dem nächsten freiwilligen Einsatz sind wir als Erste dabei!«

Ein Lächeln umspielte Nicks Lippen. »Das will ich doch schwer hoffen. Und jetzt wollen wir mal gemeinsam sehen, ob Raskins Wundermaschine etwas herausbekommen hat.«

»Ich höre gerade meinen Namen. Kommen Sie her! Ich habe genau jenen Zeitpunkt im Suchlauf eingegeben, zu dem auch Tabb und seine Leute auf Midgard verschwunden sind, und jetzt sehen Sie sich mal die Aufzeichnungen an!«

»Legen Sie das Bild auf den Hauptmonitor und gehen Sie auf Konferenzschaltung, damit alle an Bord das Geschehen mitverfolgen können!«, ordnete Nick an.

Kurz darauf flackerte der Bildschirm grau-weiß auf, dann wurden die Konturen der großen Halle sichtbar, Details figurierten und Augenblicke später wurden verschiedene Ree-Wissenschaftler und -Techniker erkennbar, die an den komplexen Apparaturen Messdaten ablasen, Tabellen studierten und Diagramme erstellten, aber das war auch alles. Nichts Signifikantes spielte sich vor den Augen der ungeduldig wartenden Besatzung ab.

»Der Zeitpunkt ist überschritten«, stellte Raskin etwas bekümmert fest. »Wir müssen noch mal nach unten, aber diesmal mit Deflektor und Ortungsschutz. Wir waren vorhin einfach zu leichtsinnig.«

»Das kann passieren«, antwortete Nick, »aber Thorpes und Güljan werden Sie trotzdem begleiten. Sie sollen sich bewähren. Ich bleibe diesmal hier und beobachte das Ganze von oben. Wollen Sie wieder in die große Halle?«

»Ja!«

Diesmal verlief die Aktion ohne Zwischenfälle. »Ich programmiere das Gerät auf ein neues Zeitintervall …«, meldete sich Raskin aus dem Forschungszentrum, »… und werde die Sequenzen immer enger verschachteln. Damit hoffe ich, den entscheidenden Augenblick herauszufinden.«

Nun wechselten sich die Bilder ab wie Momentschaltungen verschiedener Kontrollpunkte bei einer Kameraüberwachung und schon nach wenigen Minuten war Professor Raskin erfolgreich: Von einer Sekunde auf die andere verschwanden plötzlich alle Ree aus dem Bild, als wenn man die Aufnahme gestoppt hätte, um anschließend die Kamera ohne Akteure wieder laufen zu lassen. Raskin schaltete das Wiedergabemodul viermal auf Vor und Zurück, aber der Monitor zeigte immer nur dasselbe Geschehen.

»Können Sie das Verschwinden der Ree relativ zu dem Ereignis auf Midgard zeitlich lokalisieren?«, wollte Nick wissen.

»Das Ergebnis ist eindeutig«, entgegnete der Professor. »Fünf Jahre nach dem Ereignis auf Midgard

Er klappte sein Gerät zusammen und war wenig später wieder an Bord der Delcano, in der Zentrale wurde indessen lebhaft diskutiert.

»Fünf Jahre sind für uns ein deutlicher Unterschied«, ließ Mario Gonzales sich vernehmen, »aber gemessen an kosmischen Maßstäben nur ein Wimpernschlag. Ob hinter dem Verschwinden dieselbe Ursache steckt?«

»Das halte ich für sehr wahrscheinlich!«, spekulierte Tom. »Jede andere Erklärung ergäbe keinen Sinn.«

»Die armen Leute, was ist mit ihnen bloß passiert?«, fragte sich Chau Yong und blickte ihren Vorgesetzten mit großen Augen an.

»Irgendeine Macht hat sich die Brüder hier gekrallt!«, spekulierte Tom. »Fragt sich nur, wer und warum!«

»Und wohin!«, jammerte Jane. »Ich hatte so gehofft, hier vielleicht einen Aufschluss darüber zu bekommen, wo sie abgeblieben sind – und Konn.«

Nick wurde nachdenklich »Wenn zwei Ree-Gruppen spurlos verschwunden sind, dann frage ich mich, ob das Zufall ist oder ob auch andere dieses Volkes dasselbe Schicksal erlitten haben.«

»Das lässt sich herausfinden!«, deklamierte der Professor.

Alfredo Rossi lugte mit seinem schwarzgelockten Kopf hinter den Navigationsgeräten hervor. »Wieso?«, fragte er fast provokativ und schaute Aufmerksamkeit heischend mit weit geöffneten Augen in die Runde. »Gibt es von der Sorte noch mehr?«

Professor Raskin überhörte die schnoddrige Bemerkung und ging sachlich auf die Frage des Italieners ein. »Ja, es gibt sie. Als ich nach Reeania entführt wurde, sagte mir ihr Anführer, dass in dieser Stadt nur eine Elite gelebt hat, die von dem Restvolk isoliert war. Leider kam es nicht mehr dazu, dass mir Tabb erzählen konnte, wo es überall noch Ree-Populationen gibt. Dazu hatten sich damals die Ereignisse überschlagen.« Er legte eine kurze Pause ein, bevor er mit seinen Erklärungen fortfuhr. »Aber wir wissen, dass die Ree schon vor Millionen Jahren, nachdem sie aus ihrem sterbenden Universum in unseren Kosmos gekommen waren, verschiedene Welten kolonisiert hatten.«

»Und eine wäre Ihnen und Jane fast zum Verhängnis geworden, wenn Plato uns nicht geholfen hätte«, ergänzte Nick.

Raskin lächelte. »Ich erinnere mich gut. Nach unserem Ausflug ins Reich der Körperlosigkeit inkarnierten Jane und ich wieder in unseren alten Leibern und verbrachten auf einer Ree-Kolonie in der Stadt Darial auf dem gleichnamigen Planeten über 1000 Jahre in einem Dämmerzustand, aus dem man uns nur temporär herausholte, wenn wir als Orakel fungieren sollten.«

Jane nickte bekümmert. »Die Ree in Darial waren degeneriert und auf die Kulturstufe Altägyptens zurückgefallen.«

Nick bestätigte »Das war vor 90 000 Jahren. Durch einen manipulierten Hypersprung wurde das Sternenschiff um diese Zeitspanne in die Vergangenheit versetzt. So konnten wir euch finden und aus dem energetischen Fesselfeld befreien.«

»Ich habe Ihre Berichte gelesen, Sir«, bemerkte Gonzales, »aber ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie Sie wieder in die Gegenwart zurückgekommen sind.«

Professor Raskin lächelte. »Dank Einsteins Relativitätstheorie. Wie Sie wissen, salopp gesagt, verstreicht die Zeit für jemanden, der sich in Bewegung befindet, schneller als für sein Pendant, das relativ dazu im Stillstand verharrt. Wir brauchten also nur einige Wochen mit knapper Unterlichtgeschwindigkeit und ausgeschaltetem Dilatationsdämpfer durch den Kosmos zu gondeln, um wieder in unsere Zeit zu gelangen.«

Nick schaute seine Gefährtin liebevoll an und verstand ihren bittenden Blick sofort. »Du möchtest noch einen letzten Versuch, stimmt’s?«

Jane nickte. »An diese endlose Zeit auf Darial denke ich nur mit Grauen zurück, aber ich möchte gerne wissen, ob auch dieses Ree-Volk verschwunden ist. Außerdem interessiert es mich, wie es jetzt auf dem Planeten aussieht.«

Raskin nickte. »Das wäre in der Tat noch eine interessante Untersuchung. Ich wäre damit einverstanden.«

Nick stimmte zu. »Aber nur noch dieses eine Mal. Wir können nicht sämtliche uns bekannten Ree-Kolonien abklappern. Das wäre ein zu großer Aufwand. Xutl und André warten auf uns am anderen Ende des Universums und wir wollen unsere Reise durch den Kosmos ja auch irgendwann mal fortsetzen.«

Jane freute sich, ihre Augen leuchteten. »Danke, Nick. Nur diesen einen Versuch noch.«

»Die galaktische Position von Darial ist im Sternkartenarchiv verzeichnet. Ich werde die astronomische Abteilung damit beauftragen. Berechnen Sie anschließend die Koordinaten für den Hypersprung und justieren Sie den Zielvektor, Professor!« Dann wandte sich Nick an seine Stellvertreterin. »Stellen Sie die Konferenzschaltung wieder her! Ich will zu der Besatzung sprechen!«

 

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