Leseprobe – Insel der Manipulierten


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1.

Der Geruchssinn der beiden Jäger war derart ausgeprägt, dass sie schon bei Annäherung an die Insel feststellten, dass sich im Wasser Urdonks aufhalten mussten. Endlich hatten sie eine Kolonie der Wilden gefunden.

Ramtas und Eling verständigten sich durch Zeichen und ließen sich auf den Meeresgrund absinken. Als sie den Boden berührten, veränderten sie ihr spezifisches Gewicht erneut und marschierten auf ihren sechs muskulösen Extremitäten auf den von Felsen begrenzten Strand zu.

Die Oberflächenstruktur und -farbe ihrer Körper hatten sich dem sandigen Untergrund angepasst.

Dank ihrer außergewöhnlich großen Augen bereitete ihnen die Orientierung im relativ flachen und somit lichtdurchfluteten Wasser keine Schwierigkeiten.

Vor den beiden tauchten die aus dem Sand emporwachsenden Klippen auf. Ramtas streckte einen Arm aus. Sofort übermittelten die daran befindlichen Saugnäpfe Farbe und Beschaffenheit der Oberfläche. Innerhalb von Sekunden ging mit dem Jäger eine Veränderung vor. Seine derzeit körnig aussehende Haut wurde rau wie Gestein. Auch seine Farbe veränderte sich. Das helle Sandgelb verwandelte sich in das marmorierte Braun der Felsen. Mittlerweile sah Elings Körperoberfläche ebenfalls aus wie ein Klippenvorsprung.

Vorsichtig tauchten die Riesendonks auf. Nach allem, was die beiden von den Primitiven wussten, war deren Gesichtssinn nicht weniger ausgeprägt als der eigene. Auftauchende Steinbrocken aber mussten auch den dümmsten Urdonk stutzig werden lassen.

Die Jäger sahen sich um. Ein wenig abseits vergnügten sich gut drei Dutzend Halbwüchsiger im warmen Wasser. Ihre Körper zeigten noch das typische Braun der Jugend. Auf dem Festland zwischen den Klippen in Strandnähe hatte sich eine nicht minder starke Gruppe Jugendlicher versammelt. Bei einigen von ihnen war das pubertäre Rostrot bereits in das tiefe Rot der Erwachsenen übergegangen. Niemand schien etwas bemerkt zu haben.

Die Kleinen waren für die Auftraggeber der Jäger uninteressant, die Vertreter der älteren Altersklasse waren für eine überraschende Aktion zu weit entfernt.

Aber in der Nähe ihres Standorts schwammen zwei fast ausgewachsene, stattliche Exemplare auf den Strand zu. Die Urdonks mussten die Klippen in unmittelbarer Nähe passieren – und gerieten damit in die Reichweite der Riesen.

Obwohl Ramtas und Eling die bevorstehende Aktion erregte, bewahrten sie äußerlich Ruhe. Behutsam streckten sie ihre drei vorderen Fangarme aus, während sie die hinteren gegen die Felsen pressten.

Als die Urdonks bis auf zwei Lings herangekommen waren, griffen die Jäger an. Dünne Tentakel, die bisher eingerollt zwischen den Extremitätenansätzen gelegen hatten, schnellten auf die Schwimmer zu.

Binnen Sekundenbruchteilen geschahen mehrere Dinge fast gleichzeitig. Auf die winzigen Bolzen, die in die dünnen Ausläufer eingebettet waren, wirkte die Berührung wie ein Aufschlagzünder. Sie wurden aus ihren Hülsen gepresst und bohrten sich in die Haut der Überfallenen. Die Miniaturpfeile, die bislang bei den Drüsen eine Art Stöpselfunktion erfüllt hatten, fehlten nun und gaben dem Inhalt der Hohlkörper den Weg frei. In jede der mikroskopisch kleinen Wunden drang rasch wirkendes Nesselgift ein.

Die roten Urdonks stießen eine Reihe blubbernder Laute aus und schnellten sich halb aus dem Wasser. Wie im Krampf peitschten ihre Arme durch die Luft und die Fluten.

Schon schossen die Riesen mittels ihrer organischen Rückstoßeinrichtung heran. Blitzschnell zogen sie die relativ empfindlichen Tentakel wieder ein und griffen mit ihren saugnapfbewehrten Armen nach den Schwimmern. Diese versuchten zwar, sich der Umklammerung zu entwinden und sich zu wehren, doch das Gift der Nesselkapseln begann bereits zu wirken.

Inzwischen waren die braunen Jungdonks aufmerksam geworden. Sie gaben erregte Töne von sich und strebten aufgeregt dem Ufer zu. Noch bevor die an Land befindlichen älteren Mitglieder der Gruppe bemerkt hatten, was geschehen war, waren die Riesen mit ihren halb gelähmten Opfern untergetaucht und schwammen ins offene Meer hinaus.

Die Art der Fortbewegung war merkwürdig. Ramtas bildete die Spitze und benutzte seine körpereigene Rückstoßeinrichtung. Wie ein Anhängsel hing Eling an ihm, der selbst inaktiv war und nur die beiden Gefangenen umklammerte.

In Kürze würde Eling seinen Platz mit Ramtas tauschen. Das hatte seinen guten Grund. Wie alle Donks waren auch die Riesen nicht sehr ausdauernd. Das lag daran, dass der Sauerstoff bindende Farbstoff in ihrem Blut – Hämozyanin – nicht eisen-, sondern kupferhaltig war.

Darin glichen die beherrschenden Intelligenzen der Wasserwelt Donkors den irdischen Kraken. Auch sonst besaßen sie recht viel Ähnlichkeit mit den terranischen Vielarmigen – wie sie, waren die Donks Kopffüßler.

*

Das Wahrnehmungsvermögen und die Hirntätigkeit von Nork und Oxta funktionierten nach wie vor, nur ihre Bewegungsfähigkeit hatten die beiden Wesen verloren. Für sie war es demütigend, wie irgendeine Beute einfach verschleppt zu werden, aber sie waren machtlos dagegen.

Angst, verzehrt zu werden, hatten die beiden eigentlich nicht. Obwohl die Riesen erheblich größer waren und nur sechs Arme besaßen, waren sie den Wurks – so nannten sich die Urdonks – recht ähnlich. Bei beiden Gattungen gab es die großen Augen, die mit Saugnäpfen versehenen Beinarme und den sackartigen Leib. Auch der Kieferschnabel war identisch.

Dennoch gab es unübersehbare Unterschiede. Ein normaler Wurk maß einen Ling; ein Viertel davon entfiel auf den Körper. Selbst wenn man den Riesenwuchs unberücksichtigt ließ, gab es immer noch die verminderte Extremitätenzahl und die Tentakel. Derart heimtückische Waffen besaßen sonst nur die Tronks, die Todfeinde der Wurks.

Hinzu kam, dass die Giganten in der Lage waren, ihre Farbe zu ändern – und die Struktur ihrer Haut. Nork hatte das genau beobachtet. Wurks produzierten nur drei Wachstumsstadienfarben – und die lagen fest. Die Fremden sprachen auch ein anderes Idiom. Einige Ausdrücke kamen den Gefangenen zwar bekannt vor, dennoch verstanden sie den Sinn der Unterhaltung nicht. Wie bei den Wurks, wurden die Töne durch eine hinter den Augen liegende Membrane erzeugt, die einer Art Schallblase glich.

Vorbei an bizarren Korallenstöcken und Tangwäldern bewegte sich der merkwürdige Zug durch die farbenprächtige Unterwasserlandschaft. Die Wassertiefe hatte merklich zugenommen. Die Jäger hatten sich inzwischen abgelöst.

Ein außergewöhnlich anmutiges Geschöpf tauchte auf. Es schwamm durch rhythmisches Zusammenziehen seines runden Schirmkörpers. Der zerbrechlich wirkende Schirm war rosa gefärbt, an der Schirmunterseite setzten acht Gruppen zu je achtzig Tentakeln an, die von blaugrüner Farbe waren; die Mundarme leuchteten in strahlendem Blau. Fünf Lings waren die Ausläufer lang. Die Wurks kannten das herannahende Wesen – es war ein Tronk.

Nork und Oxta schrien auf. Es waren keine Schreie im menschlichen Sinn, sondern ein auf- und abschwellendes Blubbern. Halb verrückt vor Angst versuchten die beiden, die gelähmten Fangarme zu bewegen und zu fliehen, doch die blockierten Nervenbahnen leiteten die Befehle nicht an die Muskeln weiter.

Auch die Jäger hatten die Riesenqualle bemerkt. Eling löste sich aus dem Verbund und schwebte auf den Tronk zu, während sein Gefährte mit den Gefangenen langsam weiterschwamm.

Der Riesendonk hob seine vorderen Fangarme leicht an. Schon katapultierten sich etliche Nesselarme nach vorn, mit denen auch die Wurks bereits unangenehme Bekanntschaft gemacht hatten.

Nork und Oxta erschauerten. Der Riese war verloren. Die klebrigen Nesseltentakel des Tronks sprachen auf Berührung an und pressten dem Opfer ein ätzendes Gift in den Körper. Diese Information hatten die Urdonks nicht aus eigener Erfahrung gewonnen – denn kein Wurk überlebte eine Begegnung mit einem Tronk –, sondern sie war in ihren Erbanlagen verankert.

Mehrere Lings vor dem Tronk tanzten die Tentakelspitzen Elings durch das Wasser und schlugen gegeneinander. Noch während der Jäger die Ausläufer wieder einzog, breitete sich eine bläuliche Farbwolke aus, die süßlich roch.

Wie elektrisiert zuckten die Nesselfäden des Quallenwesens zurück. So, als bereite der Geruch dem Tronk körperliche Qualen, zog sich der Schirm zusammen. Mit hastigen Bewegungen schwamm der gefährliche Räuber davon.

Als sei nichts geschehen, setzte sich der Riesendonk wieder an die Spitze und umklammerte Ramtas. Die Erregung der Wurks ebbte ab.

Fast waren sie ein wenig stolz darauf, dass ausgerechnet sie als Gefangene solcher ihnen ähnlichen Überwesen ausgesucht worden waren. Niemand sonst vermochte einen Tronk davon abzuhalten, ein einmal gewähltes Opfer auch zu töten und zu verspeisen. Unklar war den beiden allerdings, was man mit ihnen vorhatte.

Nach etwa drei Bitings, drei Planetenstunden also, ließ die Lähmung nach. Vorsichtig bewegten die Wurks ihre Fangarme. Sie gehorchten ihnen wieder.

»Ob sie unsere Sprache verstehen?«, blubberte Oxta.

»Ich glaube nicht. Warum fragst du?«

»Wir sollten fliehen.«

Nork schwieg. Er dachte nach und beobachtete zugleich die Jäger. Sie reagierten nicht auf das Gespräch ihrer Gefangenen. Allerdings kam es dem jungen Urdonk so vor, als würden ihn die Saugnäpfe des Riesen ein wenig fester packen.

»Wir versuchen es. Du schwimmst nach links oben, ich setze mich nach rechts unten ab. Ich gebe das Zeichen«, erklärte Nork schließlich.

Er stieß einen tiefen Blubberton aus. Gleichzeitig stützten die beiden sich mit ihren zehn Beinarmen am Körper Elings ab und setzten ihr organisches Rückstoßsystem ein. Wie von der Sehne geschnellt schossen die Wurks in verschiedene Richtungen davon.

Sie kamen nicht weit. Es gab einen fürchterlichen Ruck. Schmerzhaft pressten sich die Fangarme des Riesen in den weichen Leib, die Saugnäpfe rissen unangenehm an der Haut und wölbten sie auf. Wieder erfolgte ein Ruck. Enger und fester als zuvor wurden die Wurks an den Jäger gepresst.

»Ich glaube, unsere kleinen Freunde werden in Zukunft vernünftiger sein«, sagte Eling.

»Das denke ich auch.« Ramtas löste die Extremitäten von seinem Gefährten. »Ich bin hungrig. Wir sollten ein wenig ausruhen und essen.«

Der andere stimmte zu und forderte die Wurks auf, sich ebenfalls Nahrung zu beschaffen. Die Urdonks verstanden ihn nicht. Erst als Eling die Umklammerung lockerte und sich mittels Zeichen und Gesten mitteilte, verstanden die Gefangenen.

Während sie sich damit begnügten, Muscheln und Krebse zu verzehren, hielten die Jäger nach größerer Beute Ausschau. Als Ramtas sich gestärkt hatte, übernahm er die Bewachung, und Eling ging auf Nahrungssuche.

Nachdem sich alle gesättigt hatten, setzten sie ihre Unterwasserreise fort. Es dauerte fast einen Hanbiting, einen donkors’schen Tag, bis sie am Ziel ankamen.

 

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