Leseprobe – Kampf in der Galaxis


Zum Roman

 

Prolog

Dies ist die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Männern, die stark, willig und klug genug waren, diese enge Beziehung viele Jahre lang, bis zum Tod, aufrechtzuerhalten. Beide Männer waren gleichaltrig; im selben Monat Juli desselben Jahres geboren. Als das unsichtbare und unzerreißbare Netz sich um sie und eine Handvoll anderer Menschen zu legen begann, waren sie siebenundzwanzig Jahre alt. Sie hießen Grumman und Blackborn.

Sven Einar Grumman … William Nader Blackborn.

Blackborn war klug, gerissen und wendig, fähig, sich jeder noch so ungewöhnlichen Situation anzupassen. Seine in acht Jahren erworbene Fähigkeit, sich nötigenfalls rücksichtslos durchzusetzen, hatte ihn zum Leiter des Projekts werden lassen. Das Projekt wurde von der UNO angeregt, von nahezu allen Erdstaaten finanziert und von übereifrigen Delegierten kontrolliert. Grumman war anders. Er liebte die Kleinarbeit, das übergenaue, langweilige zuverlässige Ausarbeiten dessen, was Blackborn angeregt oder erfunden hatte. Diese Eigenschaften ergänzten einander in außergewöhnlich vortrefflicher Form.

Daher war Grumman stellvertretender Leiter des Projekts.

Sah man beide Männer gleichzeitig – was der Geheimdienst meist erfolgreich zu verhindern versuchte –, so konnte man sie mit einiger Phantasie für Brüder halten. Beide sahen mit ihrem militärisch kurz geschnittenen schwarzbraunen Haar und blauen Augen wie verirrte Wikinger aus, beide waren hoch gewachsen und durch vielen Ärger und zermürbendes Training schlank und muskulös. Beide trugen die Waffen unter der linken Achselhöhle.

Man nannte das Projekt Last Orbit.

Die seltenen Kontakte der Beiden mit der sie umgebenden hektischen Zivilisation des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts – das bald enden würde – glichen sich in Kürze und Oberflächlichkeit; das riesige, abgeriegelte Areal, in dem sich die Fabriken und Hallen, die Wohnviertel und die Stationsgebäude der Nationalgarde befanden, war vorzüglich, fast luxuriös, für den Daueraufenthalt von achtzehntausend Personen eingerichtet. Die Leute des Geheimdienstes begannen zu zittern, wenn Blackborn oder Grumman den Wunsch äußerten, in die Stadt zu fahren. Schwarze, auffallend unauffällige Hochleistungsgleiter folgten dem Gleiter der Wissenschaftler, und Beamte in weichen Filzhüten schirmten die Männer ab, die Finger um die Kolben der entsicherten Waffen in ihren Manteltaschen. Blackborn und Grumman waren Fanatiker der Sterne; ihr Ziel war, Leben in der Weite der Galaxis zu finden. Aber die Jahre bis dahin … es war keine sonderlich schöne Zeit.

 

Das unsichtbare Netz

Projekt Last Orbit war in seiner letzten Phase …

William Nader Blackborn liebte den Regen. Regen bedeutete für ihn einen melancholischen Zustand, während dem das Innere selbst bizarrer Lokale fast gemütlich wirken konnte; nicht aber jetzt und hier. Hier terrorisierten ihn Lärm, Musik und Geruch nach Schweiß, Getränken und ungezählten Zigaretten. Ein blasser, kleiner Bursche in einer gläsernen, schalldichten Kabine hantierte mit Laufwerken und einer Verstärkeranlage, die mit elfhundertsechzig Watt gefahren wurde und deren Bässe die Mauern erschütterten.

Es herrschte eine rhythmische Kakophonie, die ihresgleichen suchte. Das Lokal hieß Broken Toy. Die Gäste sahen aus, als wären sie große Kinder, denen man das Spielzeug zerbrochen und weggenommen hatte.

»Diese schöne Welt scheint aus müden, alten Männern zu bestehen und aus einem Rest, der irrenhausreif ist!«, brüllte William. Eine blendend aussehende Frau im gewagten, ärmellosen Kleid, etwa fünfundzwanzig Jahre alt, mit kalten Augen und überlangen, schwarz lackierten Fingernägeln, rückte ihren Barhocker von Blackborn weg.

»Und aus sehr lauter Musik«, ergänzte Grumman. »Es ist das Jahrhundert elektronischer Verstärker und der reproduzierten Fruchtbarkeitstänze stellarer Völker – nur dort werden sie seit einer Generation nicht mehr gebraucht.«

Mit dem Gesichtsausdruck von Menschen, die einen Ästheten an vollkommene Dekadenz und einen Mediziner an Speed– oder Crack-Missbrauch denken ließen, bewegten sich geschätzt rund 200 meist junge Personen im Disco-Licht auf dem Viereck, das hier allgemein als Tanzfläche bezeichnet wurde.

»Schön – nicht wahr?«, schrie Blackborn und hielt dem cyborg-aufgerüsteten Barmädchen sein Glas hin; er bekam es innerhalb von drei Sekunden gefüllt zurück. Die beiden Wissenschaftler besuchten solche Lokale, um einmal etwas anderes zu sehen als uniforme Gesichter und uniforme Kleidung – und um den sterilen Jargon zu vergessen, der im Camp herrschte. Hier aber wurden sie scheinbar mit einer anderen Uniformität bekannt, derjenigen des kulturellen Zerfalls der nordamerikanischen Gesellschaft.

»Schlimmer als unser Kontrollzentrum während einer Generalprobe«, gab Grumman schreiend zurück. Hart an der Schmerzgrenze, mit dem Triebwerkslärm eines abhebenden Orbitshuttles, donnerten die Klänge durch den Raum und ließen die Ränder der Gläser gegeneinander klirren. Nachdenklich betrachteten Grumman und Blackborn diesen Alptraum aus Schall, Fleisch und Rauch.

»Noch zwei Monate, Bill, und wir können dies hier alles als Erinnerung bezeichnen. Wie gefällt dir der Gedanke?«

Blackborn antwortete, die Pause zwischen zwei Fortissimopassagen abwartend:

»Nicht schlecht. Dafür werden wir Dinge erleben – wenn alles klappen sollte –, die noch kein Mensch vor uns erlebt haben dürfte, nicht einmal diese unglücklichen Karikaturen des Homo sapiens hier.«

Das Barmädchen nutzte einige Sekunden der Untätigkeit aus, um William Nader Blackborn zu mustern. Was sie sah, war nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich war, was jeder fühlen konnte. Unter dem kurzen Haar stand ein entschlossenes Gesicht mit einigen harten Kerben, mit weit auseinander stehenden blauen Augen, die jetzt dunkel waren – Augen mit einem eigentümlichen Ausdruck, der ihr gut bekannt war; Augen eines Mannes, der die Schule des Lebens an ihrer härtesten Grenze durchlaufen hatte. Knappe, präzise Bewegungen, die kontrolliert und schnell verliefen, vervollständigten das Bild einer bemerkenswerten Persönlichkeit. Grumman sah auf die Uhr.

»Zehn vor Eins«, sagte er laut.

»Bleiben wir noch und rauchen eine Zigarette?«

»Draußen wird man warten!«

»Sie werden dafür bezahlt. Wir sind wichtig, nicht unsere Begleitung, Bill. Das ist einer deiner Aussprüche.«

»Gut – biete mir eine an.«

Einen Moment lang stand die längliche blaue Flamme des Feuerzeuges zwischen ihnen. Sie rauchten ebenso schweigend, wie sie bisher das sie umgebende Chaos betrachtet hatten. Es waren noch genau neunundfünfzig Tage bis zur Stunde Null. Bill zahlte. Er nahm lässig einen Bankdatenstick aus seiner Brusttasche, tippte spielerisch auf die Zahlenfelder und legte die Karte auf die Theke. Er deutete auf sich und Grumman und nickte. Das Mädchen kassierte korrekt.

»Nicht von hier, Fremder?«, sagte sie laut.

»Aus einem anderen Jahrhundert«, antwortete er, »aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt. Vergessen Sie uns. Der Rest gehört Ihnen.«

Mit halbrobotischen Augen sah sie, wie sie ihre Gläser niederstellten, die Zigarettenreste ausdrückten und die Hocker verließen. Sie kämpften sich durch die rhythmisch hin und her schwankende Woge der Tanzenden, erreichten die Garderobe und gaben ihre Marken ab. Dann zogen sie die dunkelblauen Mäntel an, betrachteten den kichernden Mann vor ihnen und gingen die schmale Treppe hoch bis zum Ausgang, der auf die belebte Straße hinausführte. Es hatte zu regnen aufgehört.

»Hier sind sie.« Sven und deutete auf die dunklen Gleiter neben dem Rinnstein. Um die Antigravabsorber der Fahrzeuge bildeten sich im ablaufenden Wasser kleine Haufen aus Papier, Zigarettenschachteln und anderem Abfall. Motoren sprangen an, und die Männer atmeten erleichtert auf.

Alles, was jetzt geschah, ging schnell vor sich. So schnell, dass ein weniger misstrauischer Mann als Blackborn niemals reagiert hätte. Aus den Reihen der vorübersummenden Gleiter löste sich eine hellgraue Sportkarosserie, fuhr mit pfeifendem Triebwerk aus der Kolonne heraus, streifte einen geparkten Gleiter und fuhr mit aufgeblendeten Scheinwerfern auf das Pflaster des Fußgängerweges hinauf.

Blackborn hatte bereits seine Waffe in der Hand. Zwei lange, organgefarbene Flammen zuckten aus dem Lauf. Glas wurde zerschmettert, und die Scherben klirrten. Der Gleiter raste weiter, und aus dem heruntergekurbelten Fenster ruckte der Lauf einer Maschinenwaffe. Schüsse peitschten auf, donnerndes Stakkato erfüllte den Raum zwischen den Hausfronten, Blackborn riss Grumman zurück, sprang in den Eingang des Lokals und feuerte.

Der hellgraue Gleiter rammte die Betonsäule eines Robot-Zeitungsverkäufers, nasses Papier wirbelte über die Straße und klatschte auf die Platten nieder. Immer noch spie die Maschinenwaffe Feuer und Stahlgeschosse, die Scheiben zertrümmerten, Menschen in Deckung jagten und kleine Krater in Verputz und Platten schlugen. Auch Grumman schoss jetzt langsam und wohlüberlegt. Er zerschoss die Absorber und zielte auf den Kopf hinter dem Lauf der Maschinenpistole.

Motoren heulten auf; der Sportgleiter raste davon, auf funkensprühenden Absorbern, schleuderte und rammte mit der konzentrierten Wucht seiner 400 Pferdestärken einen Lichtmast. Der viereckige Tiefstrahler wankte, riss sich los und prallte auf die Fahrbahn. Mit heulenden Sirenen erschienen die Gleiter des Geheimdienstes, stellten sich zwischen die beiden Männer und die nachdrängende Menge. Männer in dunklen Uniformen sprangen aus den Türöffnungen, hielten stählern schimmernde Pistolen in den Händen und schlossen einen dichten Ring um Grumman und Blackborn.

»Ist Ihnen etwas passiert, Sir?«, fragte einer von ihnen, ein Mann mit weißem Haar und stechenden, hellgrauen Augen. Grumman schüttelte den Kopf, lud seine Waffe nach und wischte vergeblich Schmutz vom Mantel.

»Nein.«

»Ihnen, Chef?«

Auch Blackborn schüttelte den Kopf und brummte einen Fluch. »Aber es war knapp, dieses Mal. Kommen Sie, fahren wir. Kümmert sich jemand um den Attentäter im Sportgleiter?«

Der Weißhaarige deutete nach vorn und sagte:

»Tim ist dort. Wir warten noch. Sie gehen in den Gleiter – Sie auch, Grumman. Tim, was ist los?«, fragte er dann den Sicherheitsbeamten, der im Laufschritt zurückkam, die Hand mit der Pistole eng an seine Seite gepresst. Tim machte eine mehr als bezeichnende Bewegung und sagte langsam:

»Der Rest ist Sache der Stadtpolizei. Sieht nicht schön aus, wenn sich eine Steuersäule in einen Speer verwandelt. Beide tot – Kopfschuss, der mit der Violine.«

»Violine?«, fragte Blackborn aus dem Gleiter heraus.

»Wir pflegen im Dezernat Maschinenpistolen so zu bezeichnen, Sir«, sagte der Fahrer mit hartem Grinsen.

»Danke«, erwiderte Blackborn. »Mein Bedarf an Unterhaltung für heute ist gedeckt. Fahren wir zurück zum Camp.«

Der Weißhaarige stieg zu, nachdem er zwei Beamten einer Fußstreife seinen Ausweis gezeigt hatte, und klopfte dem Piloten auf die Schulter. »Los«, sagte er. Dann wandte er sich zurück nach hinten, wo Blackborn saß und schweigend zum offenen Fenster hinausstarrte, und sagte:

»Sir, kurbeln Sie die Scheibe hoch. Ich möchte nicht ins Gras beißen, nur weil Ihr Wissensdurst größer ist als Ihre Vorsicht.«

Ruhig antwortete Bill Blackborn: »Wie Sie gesehen haben, bin ich durchaus imstande, für mich selbst zu sorgen.«

»Das ist mir gleichgültig. Ich habe meine Befehle. Sie lauten, notfalls mein Leben einzusetzen für Ihre Sicherheit, obwohl es meiner Frau nicht recht sein wird.« Er starrte Blackborn herausfordernd an. »Und ich werde dafür sorgen, dass Ihr heutiger Ausflug der letzte sein wird, ehe …«

»Machen Sie sich nicht lächerlich, Malvern«, sagte Blackborn ruhig. »Ich bin kein Kind mehr, auch wenn es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte. Ich bemühe mich, unauffällig zu bleiben und die restlichen Tage, vor dem Start, noch etwas von der Welt zu sehen.«

»Und so zu sorgen, dass meine Kinder ihren Vater nur noch von Bildern kennen«, vollendete Malvern. »Rührt Euch das nicht, Herr?«

»Tränen rinnen aus meinen Augen, Chef«, gab Blackborn ungerührt zurück. »Sie hätten Lehrer werden sollen, dann würden Sie ein geregeltes Familienleben haben. Und weniger Ärger.«

»Quatsch«, sagte Malvern grob. »Ihr Wissenschaftler …«

Dann schwiegen sie, bis die Gleiter das Tor des Camps passiert hatten.

Zum Roman